Legitimation von Fürstendynastien in Polen und dem Reich. Ausbildung von fürstlichen Identitäten in den schriftlichen Quellen (12.-15. Jahrhundert)

Legitimation von Fürstendynastien in Polen und dem Reich. Ausbildung von fürstlichen Identitäten in den schriftlichen Quellen (12.-15. Jahrhundert)

Organisatoren
Deutsches Historisches Institut Warschau
Ort
Warschau
Land
Poland
Vom - Bis
13.12.2012 - 14.12.2012
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Von
Norbert Kersken, Deutsches Historisches Institut Warschau

Gegenstand der von Grischa Vercamer und Ewa Wólkiewicz organisierten Tagung des Deutschen Historischen Instituts, die am 13./14.12.2012 in Warschau stattfand, war die vergleichende Analyse von Zeugnissen aus Polen und aus verschiedenen Regionen des Reichs, die Auskunft über Legitimität und Identität fürstlicher Herrschaft geben. Im Vordergrund standen dabei diesbezügliche chronikalische und urkundliche Zeugnisse. In seiner Tagungseinführung verdeutlichte GRISCHA VERCAMER (Warschau) die Ausgangsüberlegungen, Vergleichbarkeiten der Territorialherrschaften vom ausgehenden 12. bis zum Ende des 15. Jahrhunderts zu untersuchen, wobei im Mittelpunkt Begründungs- und Legitimationsstrategien für die Herrschaftsbildungen stehen sollten. Die Tagungskonzeption sah einerseits große allgemeine Zugriffe auf diese Fragen mit Blick auf die Reichsgeschichte und die polnische Geschichte vor, andererseits einen Strauß von landesgeschichtlichen Einzelsonden, die die leitenden Fragen mit Blick auf einzelne Regionen des Reichs und Polens konkretisierten.

Als Einstieg in die Problematik dynastischer Identität im spätmittelalterlichen Reich machte JÖRG ROGGE (Mainz) auf Bemühungen aufmerksam, die innere Organisation hochadeliger Familien zu stärken. Mit Blick auf die Wettiner, Wittelsbacher und Habsburger wies er auf Regelungen zur Vertretung der Familie, auf Erbstreitigkeiten unter jüngeren Brüdern, auf Erbordnungen und Hausverfassungen hin. Dabei betonte er die allmähliche Herausbildung eines Gesamthausbewusstseins, für die chronikalische Aufzeichnungen und Diskurse gemeinschaftsbildend gewesen seien.

Eine Grundorientierung für die dynastische Frage in der polnischen Geschichte entwickelte MARCIN PAUK (Warschau), der die legitimatorischen Strategien der Piasten zu systematisieren versuchte. Er widmete sich vor allem drei Ansätzen: der Visualisierung der Macht durch Urkunden und Münzen, dem Kult der heiligen Patrone (Adalbert, Stanislaus, Johannes der Täufer, Bartholomäus) und der Stiftungstätigkeit piastischer Herzöge (Kirchen- und Klostergründungen).

Hinsichtlich der Fassung der Anfänge fürstlicher Legitimierungsstrategien befragte GRISCHA VERCAMER (Warschau) die Historia Welforum von um 1170 als dynastische Chronik hinsichtlich ihrer Aussagen zur Verbundenheit mit der Region Schwaben bzw. Bayern und thematisierte das Selbstverständnis der Welfen vor allem hinsichtlich ihrer Rolle im Reich und ihrer Beziehung zu den römisch-deutschen Königen im 11./12. Jahrhundert.

Drei Beiträge untersuchten Strategien der Legitimierung und regionalen Identitätsbildung der piastischen Herzöge in einzelnen Territorien, in Schlesien und Kleinpolen (ein für Masowien vorgesehenes Referat musste leider entfallen). Die Rolle der Geschichtsschreibung für Identitätsbildungen der schlesischen Piasten behandelte WOJCIECH MROZOWICZ (Breslau) anhand des im Auftrag von Heinrich IV. von Breslau im Kloster Leubus in den 1280er Jahren verfaßten Chronicon Polono-Silesiacum und des hundert Jahre später durch den Brieger Kanoniker Peter von Byczyna für die Herzöge von Brieg und Liegnitz angefertigten Chronica principum Poloniae. Mit Blick auf Kleinpolen untersuchte PIOTR RABIEJ (Krakau) Formular, Ausstellung und Publikation von Urkunden des letzten kleinpolnischen Piasten Boleslaw des Schamhaften (1239/43-1279) hinsichtlich ihrer herrschaftslegitimatorischen Aspekte. Zeitlich bis ins 14. Jahrhundert ausgreifend, ging es WOJCIECH DRELICHARZ (Krakau) um die Auswertung der nicht zahlreichen historiographischen Zeugnisse – Annalen, Stanislaus-Viten – hinsichtlich der Legitimation des Krakauer Herzogs als rex Poloniae.

Zwei weitere Beiträge boten allgemeine Orientierungen und Hintergrund für die landesgeschichtlichen Detailstudien. JAN HIRSCHBIEGEL (Kiel) entwarf ein Forschungsprogramm zum Hof als sozialem System, unter Verweis darauf, dass die bisherige Forschung die höfische Umwelt in Stadt und Land zu wenig in ihren gegenseitigen Beziehungen in den Blick genommen habe. Aus rechtshistorischer Perspektive gab dann STEFFEN SCHLINKER (Hannover) einen Überblick über die Dezentralisierung und Territorialisierung königlicher Rechte, der Regalien, von der Mitte des 12. bis zum frühen 16. Jahrhundert als Hintergrund für die in der deutschen Geschichte des Spätmittelalters typischen Territorialstaatsbildungsvorgänge.

In den sechs folgenden Referaten wurden Legitimierungsstrategien für dynastische Herrschaftsträger in sechs verschiedenen landesgeschichtlichen Zugriffen vorgeführt. OLIVER AUGE (Kiel) stellte die historiographischen Texte der Herzogtümer Mecklenburg und Pommern seit der zweiten Hälfte des 14. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts vor und musterte das herrschaftslegitimatorische Potential der entsprechenden Geschichtsbilder. Für die bayerischen Wittelsbacher unterzog JOACHIM SCHNEIDER (Mainz) die verschiedenen Stufen bayerischen Landeschronistik vom ausgehenden 14. bis zum frühen 16. Jahrhundert einer Untersuchung hinsichtlich der zugrunde liegenden dynastisch-landesgeschichtlichen Konzeptionen. KATRIN BOURRÉE (Paderborn) zeichnete die Legitimationsstrategie der brandenburgischen Hohenzollern als einer Aufsteigerdynastie im 15. Jahrhundert nach, die sich weniger auf elaborierte historiographische Konstruktionen bezogen, sondern auf die Betonung ihrer Verdienste für Kaiser und Reich. Ein anderes dynastisches Legitimationsmodell konnte ANDRÉ THIEME (Dresden) im Fall der sächsischen Wettiner aufweisen. Es war der politisch-militärische Erfolg Friedrichs I. des Freidigen in der Schlacht von Lucka 1307 gegen König Albrecht I., der ihn in der Geschichtsschreibung des 15. Jahrhunderts zum dynastischen Helden, werden ließ, der Legitimität und Leistung der Dynastie verkörperte. Einen noch anderen Legitimationstyp zeigte HEINZ KRIEG (Freiburg) am Beispiel des sozialen Wiederaufstiegs der Markgrafen von Baden im 15. Jahrhundert, bei denen sich verschiedene Legitimationselemente vermengen: die herausgestellte Herrschernähe der Vorfahren, die Beanspruchung der Markgrafenwürde von Verona und schließlich die Propagierung des Markgrafen Bernhard II. (gest. 1458) als dynastischen Heiligen. Nicht mit dynastischen Legitimationsstrategien, sondern mit Rang- und Titelfragen kirchlicher Institutionen beschäftigte sich EWA WÓŁKIEWICZ (Warschau) am Beispiel des Herzogstitels der Bischöfe von Breslau, der sich seit dem beginnenden 14. Jahrhundert finden lässt, wobei sie vergleichend auf entsprechende Titulaturen anderer Reichsbischöfe (Köln, Mainz, Würzburg) Bezug nahm und betonte, dass der Herzogstitel in Urkunden der Breslauer Bischöfe erst seit dem Ende des 15. Jahrhunderts verwendet wurde.

Abgeschlossen wurde die Tagung mit einer Zusammenfassung von ELLEN WIDDER (Tübingen), in der sie nicht die Inhalte der vorgetragenen Referate resümierte, sondern systematisch Begrifflichkeiten reflektierte und die angesprochenen Probleme vor einer europäischen Perspektive sondierte. Sie wies auf unterschiedliche Legitimationsbedürfnisse und -strategien der einzelnen Dynastien hin, benannte stabilisierende und destabilisierende Faktoren dynastischer Herrschaft und problematisierte Fragen der Deutung und Benennung spätmittelalterlicher Entwicklungen (etwa: Herrschaftslegitimierung oder Verwaltungsmodernisierung).

Sehr positiv wurde von den Teilnehmern das Bemühen der Organisatoren um eine vergleichende Inblicknahme von Phänomen im Reich und in Polen aufgenommen, wobei durchweg deutlich wurde, wie anregend und erkenntnisfördernd die vergleichende Perspektive ist, wie schwierig aber zugleich die Durchführung konkreter Vergleiche im Einzelnen sein kann.

Konferenzübersicht

Grischa Vercamer (Warschau): Einführung in die Tagung

Jörg Rogge (Mainz): Identifikation durch Diskurs? Kommunikation über Gleichheit und Brüderlichkeit, Land und Haus

Marcin Pauk (Warschau); Eine Dynastie oder mehrere? Herrschaft und ihre Legitimation in der politischen Kultur Polens (12.-13. Jahrhundert)

Grischa Vercamer (Warschau): Die Historia Welforum als erste Fürstenchronik im Deutschen Reich – Identifikation mit der Region?

Wojciech Mrozowicz (Breslau) Das Chronicon Polono-Silesiacum und die Chronica principum Polonie als Mittel der Identitätsbildung der schlesischen Piasten

Piotr Rabiej (Krakau): Die Legitimierung der Herrschaft Bolesławs des Schamhaften, Herzog von Krakau und Sandomierz, im Lichte seiner Urkunden

Wojciech Drelicharz (Krakau): Dux Cracoviae oder künftiger rex Poloniae? Legitimation von monarchischer Herrschaft in der Geschichtsschreibung des 13.-14. Jahrhunderts

Oliver Auge (Kiel): Der Beitrag der mittelalterlichen Chronistik zur Legitimation der Herzöge von Pommern und Mecklenburg

Jan Hirschbiegel (Kiel): Herr, Hof und Herrschaft – zur Begründung der Begegnung von Dynastie und Land am Ende des Mittelalters im Spiegel der schriftlichen Überlieferung

Steffen Schlinker (Hannover): Territorialisierung und Dezentralisierung von fürstlichen Rechten im Hoch- und Spätmittelalter

Ewa Wółkiewicz (Warschau): Ego, qui principis ordine dego. Die Rolle der fürstlichen Titulatur bei der Legitimation der Breslauer Bischöfe

Joachim Schneider (Mainz): Legitimation durch Kontinuität: Die Geschichtsschreibung über die Wittelsbacher und das Herzogtum Bayern im Spätmittelalter

Katrin Bourrée (Paderborn): Die Meistererzählung von den ‚treuen Diensten‘: Legitimationsstrategien und Selbstvergewisserung der Hohenzollern während des 15. Jahrhunderts

André Thieme (Dresden): Die inszenierte Dynastie und ihr Held. Zur fürstlichen Identität der Wettiner im späten Mittelalter

Heinz Krieg (Freiburg): Strategien der Herrschaftslegitimation am unteren Rand des Fürstenstandes: Das Beispiel der Markgrafen von Baden

Ellen Widder (Tübingen): Schlusswort


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