"Unterschätzt und fast vergessen?" Zur Geschichte kleinerer und mittlerer Unternehmen im Rheinland (Köln, 28.09.2001)

"Unterschätzt und fast vergessen?" Zur Geschichte kleinerer und mittlerer Unternehmen im Rheinland (Köln, 28.09.2001)

Organisatoren
Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln, Thomas Morus Akademie, Wirtschaftshistorischer Verein zu Köln
Ort
Köln
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.09.2001 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Christian Hillen, Stiftung Rheinisch-Westfälische Wirtschaftsarchiv zu Köln

Studienkonferenz "Unterschätzt und fast vergessen? Zur Geschichte kleinerer und mittlerer Unternehmen im Rheinland"

Die diesjaehrige Studienkonferenz der drei genannten Veranstalter hatte das Ziel, sich dem Thema "Geschichte kleinerer und mittlerer Unternehmen" gleichsam von zwei Seiten zu naehern.

Zum einen galt es, einige grundsaetzliche methodische Fragen zu klaeren. Welche Quellen gibt es und wo sind sie zu finden, wenn kein oder nur ein kleines Unternehmensarchiv existiert? Wie und warum betreibt man als Historiker ueberhaupt Unternehmensgeschichte?

Zum anderen sollten einige Ertraege solcher Bemuehungen um die Geschichte kleinerer Unternehmen vorgestellt werden, die, obwohl von einer ganz unterschiedlichen Quellenlage und -dichte ausgehend, trotzdem zu brauchbaren Ergebnissen gekommen sind.

Der Eroeffnungsvortrag von Prof. Dr. Hartmut Berghoff (Georg-August-Universitaet, Goettingen) stellte zunaechst den Stand der Erforschung dieser Gruppe von Unternehmen dar. Dabei kam er zu dem Schluss, dass es in diesem Bereich eigentlich gar keinen Forschungsstand gebe, dass sich vielmehr eine gaehnende Luecke auftue. Als Gruende dafuer nannte er auf der einen Seite ein Definitionsproblem. Es sei bei ueber 200 kursierenden Definitionen schwierig, ueberhaupt festzustellen, welches denn ein kleineres, welches ein mittleres und welches ein grosses Unternehmen sei. Als zweiten Grund fuer das mangelnde Interesse der Wissenschaft fuehrte er die haeufig schlechte Quellenlage an. Ausserdem sei es aufgrund der extremen Heterogenitaet der Unternehmen ausgesprochen problematisch generalisierende Aussagen ueber diese als Gruppe zu treffen. Nicht einmal die klassischen Klischees ueber mittelstaendische Unternehmen vom groessten wirtschaftlichen und vor allem vom groessten Innovationspotential, liessen sich eindeutig belegen. Sicher sei lediglich, dass auch gegenwaertig kleine und mittlere Unternehmen die Wirtschaft in der Bundesrepublik dominierten, obwohl in Zeiten der Globalisierung und Flexibilisierung der enge Nexus von Familie und Unternehmen, wie er dort noch haeufig gegeben sei, zunehmend an oekonomischer Logik einbuesse.

Trotz oder gerade wegen dieser Forschungsproblematik bleibe der Mittelstand aber auch weiter ein spannendes Thema fuer Wirtschaftshistoriker.

Das Stichwort von der problematischen Quellenlage aufgreifend wandte sich Dr. Ulrich S. Soenius (Stiftung Rheinisch-Westfaelisches Wirtschaftsarchiv zu Koeln) in seinem Vortrag diesem Themenkreis zu. Er bot eine kurze Uebersicht, wo, ausser im firmeneigenen Archiv, noch Informationen ueber Unternehmen zu erhalten seien. Das Kommunalarchiv stehe dabei an erster Stelle der Ansprechpartner, aber auch Hauptstaatsarchiven liesse sich brauchbare Informationen zur Geschichte einzelner Unternehmen entlocken. Die schlechte Quellenlage, so meinte Soenius, resultiere unter anderem daraus, dass bei vielen Unternehmern Unsicherheit ueber den historischen Wert ihrer Unterlagen herrsche. Sie wuessten haeufig nicht, was interessant und wichtig sei. Hier sei es die Aufgabe der Wirtschaftshistoriker und -archivare beratend taetig zu werden und das Gefuehl zu wecken, dass auch Akten kleiner und mittlerer Unternehmen fuer die Geschichtswissenschaft von Bedeutung seien.

Am Schluss stand seine Forderung nach noch mehr Einzeluntersuchungen kleiner und mittlerer Unternehmen, die Ergebnisse und Datenmaterial nicht nur fuer die lokale oder regionale, sondern auch fuer die allgemeine Geschichtsschreibung bereit halten koennten.

Am konkreten Beispiel demonstrierte Dr. Otto-Ernst Krawehl (Staats- und Universitaetsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky) sodann, wie die Geschichte eines kleinen Unternehmens auch mit spaerlichen Quellen dicht und anschaulich geschrieben werden kann. Anhand von Briefkopier- und Geschaeftsbuechern aus den Jahren 1820-1835 gelang es ihm, nicht nur Geld- und Warenstroeme der Firma Wilhelm und Conrad Waldthausen aus Essen sichtbar zu machen. Sogar einen Einblick in die Geschaeftspraktiken und den oekonomischen Jahresrhythmus des im Wollhandel taetigen Unternehmens konnte er gewaehren. Erstaunlich war die Plastizitaet mit der Krawehl Ereignisse wie das Feilschen auf dem Breslauer Wollmarkt herausarbeitete ohne den Kontakt zu den Quellen und damit zum konkreten Unternehmen zu verlieren.

Die Reihe der Einzelbeispiele wurde am Nachmittag von Verena Muensberg (Rheinische Friedrich-Wilhelms Universitaet Bonn) fortgesetzt, die die Geschichte der Baustoffhandlung Klein in Koenigswinter-Oberpleis schilderte. Auch in diesem Fall war bemerkenswert, wie mit Hilfe von Zeitzeugeninterviews der Grundstock des nicht gerade umfangreichen Familien- und Unter-nehmensarchivs angereichert werden konnte, so dass es schliesslich moeglich wurde, die ueber 125 jaehrige Entwicklung von der Brennstoffhandlung ueber Spedition und Baustoffhandlung zum modernen Baustoffhandel mit angeschlossenem Heimwerkermarkt nachzuvollziehen.

Ebenfalls mit Mitteln der "oral history" arbeitete Dominik Zier M. A. (Sal. Oppenheim jr. & Cie., Koeln). Er konnte jedoch fuer die Geschichte der Gebr. Oldemeier GmbH, ein Unternehmen der holzverarbeitenden Industrie, auf weitaus umfangreichere schriftliche Quellen zurueckgreifen. Die wirtschaftliche Entwicklung nach 1945 konnte er so viel genauer beschreiben. Zier identifizierte drei Phasen. Die erste, die Nachkriegsphase war gekennzeichnet von starkem, geradezu stuermischem Wachstum. Ab etwa 1960 setzte dann ein Phase ruhigeren aber immer noch stetig steigenden Wachstums ein, die ab ca. 1975 von einer Phase wirtschaftlichen Niedergangs abgeloest wurde. Dieses Schicksal teilte fast die gesamte lippische Holzindustrie. Konkurrenz aus Niedriglohnlaendern, neue Produkte und damit sich veraendernde Kaufgewohnheiten waren bei ihr wie auch der Gebr. Oldemeier GmbH der aeussere Grund fuer wirtschaftliche Probleme. Die Firmenunterlagen lassen aber auch einen firmenimmanenten Grund erkennen: Es gelang nicht rechtzeitig die Produktpalette zu diversifizieren und sich so neue Maerkte zu erschliessen. Was zum Aufstieg des Unternehmens beigetragen hatte - die Konzentration auf wenige Produkte - wurde ihm am Ende zum Verhaengnis. Die Familie verkaufte schliesslich 1991 die ueber 130 Jahre in ihrem Besitz befindliche Firma.

Immer noch - und damit seit nahezu 300 Jahren - in Familienbesitz befindet sich die Firma Johann Maria Farina gegenueber dem Juelichs-Platz GmbH. Ihr derzeitiger Inhaber Johann Maria Farina (Koeln) zeigte anhand der langen Unternehmensgeschichte, die sich mit den fast vollstaendig erhaltenen Akten detailliert rekonstruieren laesst, wie Tradition und Traditionsbewusstsein die Un-ternehmensentscheidungen beeinflusst haben und immer noch beeinflussen. So wird gerade in juengster Zeit im Bereich Marketing und Produktpraesentation bewusst auf die lange Firmentradition zurueckgegriffen.

Der Aspekt des Marketing spiele auch bei der Entscheidung, eine Firmenfestschrift oder -chronik schreiben zu lassen, eine nicht unbetraechtliche Rolle, wie Dr. Dirk Alexander Reder (Geschichtsbuero Reder & Roeseling, Bornheim/Koeln) ausfuehrte. Meist wuerde ein Jubilaeum zum Anlass genommen, um sich auf die Firmengeschichte zu besinnen. Ein Jubilaeum koenne man aber auf vielfaeltige Weise begehen, eine Festschrift sei nur eine davon. Sie muesse sich daher oft genug in Aufbau und Inhalt den anderen geplanten Aktivitaeten anpassen, sich in das gesamte Jubilaeumskonzept einfuegen. Gegen historisch-wissenschaftliche Firmenchroniken bestuenden deswegen haeufig die Vorbehalte, sie seien zu langweilig, zu akademisch, sie wuerden nicht gelesen. Mit seinem Geschichtsbuero - einem von zehn oder zwoelf in der Bundesrepublik - muesse Reder daher immer wieder den Spagat zwischen Werbung und Wissenschaft, einer bunten Broschuere und einer akademischen Bleiwueste wagen. Sein Ziel sei dabei eigentlich, von diesem Duopol wegzukommen. Er wolle lesbare, spannende Firmengeschichten verfassen ohne den Anspruch der Wissenschaftlichkeit aufzugeben.

Dass es auch fuer kleinere und mittlere Unternehmen moeglich aber auch noetig ist, ihre eigene Geschichte zu erforschen, konnte diese Tagung einmal mehr deutlich machen.


Redaktion
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