Papst Johannes XXII.: Voraussetzungen und Wirkungen seines Pontifikats / Le pape Jean XXII: Conditions et conséquences de son pontificat

Papst Johannes XXII.: Voraussetzungen und Wirkungen seines Pontifikats / Le pape Jean XXII: Conditions et conséquences de son pontificat

Organisatoren
Hans-Joachim Schmidt, Mediävistisches Institut, Universität Freiburg (Schweiz)
Ort
Freiburg (Schweiz)
Land
Switzerland
Vom - Bis
26.03.2012 - 28.03.2012
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Von
Martin Rohde, Mediävistisches Institut, Universität Freiburg (Schweiz)

Als Jacques Duèze am 7. August 1316 zum Papst gewählt wurde, war er bereits 72 Jahre alt. Die Kardinäle hatten ihn als Kompromiss- und Übergangskandidaten vorgesehen, dessen rasch absehbarer Tod eine neue Wahl ermöglichen würde. Die Erwartungen der Wähler sind gründlich enttäuscht worden. Den Papstnamen Johannes XXII. annehmend, regierte er 18 Jahre. Er war der bedeutendste der in Avignon residierenden Päpste. In vielen Tätigkeitsbereichen engagiert und vielen Konflikten ausgesetzt, perfektionierte er die päpstliche Kurie, erweiterte er die Möglichkeiten päpstlicher Einflussnahmen, suchte er die päpstliche Vollgewalt in praktisches Handeln umzusetzen.

Trotz der grossen Bedeutung dieses Papstes ist die Forschung über ihn defizitär. Eine Monographie zu diesem Papst gibt es nicht. Eine nicht geringe Anzahl von Monographien und von Aufsätzen beleuchten Teilaspekte seines Wirkens, ohne dass ein Gesamtbild über ihn vorhanden wäre. Die grosse Fülle an Handlungsfeldern, von Einflüssen, von Wirkungen, von Gegnerschaften macht es offensichtlich schwer, eine zusammenführende Darstellung zu präsentieren. Mehr noch als andere Päpste ist Johannes XXII. zum kontroversen Objekt der mediävistischen Forschung geworden. Nationale und kirchenpolitische Voreinstellungen erschwerten und erschweren auch weiterhin eine wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Papst. Historiker haben ihre Mühe, Untersuchungen zu diesem Papst vorzulegen.

Der Kongress behandelte die Beziehungen dieses Papstes unter dem Aspekt der theoretischen Fundierung von Ansprüchen und der Praktiken von Kommunikationen, Netzwerkbildungen, Raumerfassungen, Verfahrensmodi und Rechtsansprüchen. Theologische Innovationen und politischen Ambitionen, die das mittelalterliche Papsttum als Institution kennzeichneten und damit von einer biographisch orientierten Sichtweise abheben, sollten auf die Strukturen, d.h. Handlungsmöglichkeiten und Handlungsmuster untersucht werden. Auf der Basis der neueren Forschungen, sollten deren Fragestellungen auf ein bestimmtes Pontifikat exemplifiziert und damit konkretisiert werden. Systematische Existenzformen sollten mit spezifischen Bedingungszusammenhängen kombiniert werden.

Folgende Fragen haben die Arbeit des Kongresses geleitet:
1) Wie gestalteten sich Karrieren am päpstlichen Hof zu Avignon? Auf welche Kompetenzen und auf welche personellen und institutionellen Netzwerke konnte sich Jacques Duèze im Verlauf seiner Karriere stützen?
2) Mit Hilfe welcher Herrschaftsinstrumente (Kardinäle, kuriale Beamte, Legaten, Kollektoren, Ordensangehörige) agierten Papst Johannes XXII. und der päpstliche Hof? Welche Defizite gab es in der Nutzung von Herrschaftsinstrumenten? Welche Personengruppen der Kirche entzogen sich der Verfügung durch Papst Johannes XXII.?
3) Wie war der Kommunikations- und der Handlungsraum von Papst Johannes XXII. und seines Hofes gestaltet? Wie war das Verhältnis von Zentrum und Peripherie in der okzidentalen Christenheit beschaffen und in welcher Weise wurde dieses Verhältnis durch Johannes XXII., bzw. während seiner Amtszeit verändert? Es ging also um den Einfluss auf unterschiedliche Regionen in Europa, und es ging darum wie das Zentrum generiert wurde – dies im Hinblick auf die Etablierung eines zu Rom konkurrierenden Zentrums mit überdies zweifelhafter – oder zumindest umstrittener Legitimität.
4) In welcher Weise verfügte Johannes XXII. und sein Hof über das kirchliche Recht und in welcher Weise entwickelten sie es weiter? Es ging hierbei um die Durchsetzung regional allgemein gültiger Normen in der westlichen Christenheit und um die Anpassung an geänderte Umstände und an neue Ergebnisse der kanonistischen Diskussion in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts.
5) Wie konzipierte Johannes XXII. Herrschaftsansprüche und wie wurden sie kontrovers debattiert? Wie stellten sich die konkurrierenden Konzepte von Legitimität und von Effizienz dar?
6) Mit welchen Mitteln wurden Konflikte ausgefochten? Wie reagierten Papst und Kurie auf Kommunikationsbarrieren und Kommunikationsverweigerungen?
7) Wie setzten Papst und Kurie Liturgie, Zeremoniell, Gebäude und Bilder ein, um Ansprüche zu markieren und zu inszenieren?

Die vorgestellten Fragen wurden vor dem Hintergrund einer Krise des Papsttums behandelt, das sich zwar nicht als Krise der institutionellen Verfestigung, wohl aber als Krise der Legitimität und der Akzeptanz darstellte. Umso wichtiger erschien die Behandlung der Frage, in welcher Weise Papst Johannes XXII. und die päpstliche Kurie auf diese Krise reagierten. Sowohl die Aktivierung des Traditionsbestandes von Ansprüchen, Verfahren und theologischen und rechtlichen Normen als auch die Erprobung neuer Verfahren wurden untersucht. Das innovative Potential des Pontifikats Johannesʼ XXII. war nicht das Ergebnis neuer religiöser und ethischer Anforderungen, sondern reagierte auf Gefährdungen, die durch Konkurrenz und Legitimitätsverweigerung bedingt waren. Hinzu kamen geänderte Problemstellungen des epistemologischen Diskurses (in Theologie, Kanonistik und Philosophie), welche neue Antworten verlangten von einer Instanz, die höchste Autorität in Kirche und weltlicher Herrschaft und in der kirchlichen Rechtsprechung beanspruchte. Untersucht werden sollten also Strukturmerkmale des Pontifikates Johannes’ XXII. Dies bedeutete, dass der Kongress weniger biographische Fakten, als vielmehr Beziehungen, Bedingungen und Resultate untersuchen wollte. Ausdrücklich sollte zum Vergleich aufgefordert werden: mit zeitlich nahen Pontifikaten (unmittelbare Vorläufer und Nachfolger), mit anderen geistlichen Institutionen und mit weltlichen Herrschaften.

PATRICK NOLD (University of Albany (NY, USA)) stellte die gegen Papst Johannes XXII. gerichtete Polemik von Petrus Johannis Olivi vor; er erachtete sie als nicht gegen die Institution des Papsttums gerichtet, sondern auf die Person abzielend. Neue, von Herrn Nold entdeckte Texte belegen die ad personam gerichtete Kritik. Die Ausführungen von WILLIAM DUBA (Freiburg / Schweiz) beruhten ebenfalls auf neu entdeckten Texten, insbesondere von Johannes de Marcha, die den Papst in seiner gesetzgebenden Funktion beleuchteten, wobei aktuelle Anforderungen des philosophischen und theologischen Diskurses des beginnenden 14. Jahrhunderts einflossen. Nicht eine Dogmatisierung der legislativen Aufgaben des Papstes, sondern eine Beratung und Abwägung über Verfahren waren dabei die normativ gesetzten Verfahren der Rechtsfindung und der Schaffung neuen Rechts. FRANK GODTHARDT (Berlin) analysierte die politische Beratung des Gegenspielers des Papstes, Kaiser Ludwigs des Bayern, wobei er nicht eine Textinterpretation, sondern biographische Konstellationen zur Grundlage seiner Untersuchung machte. Die Reaktion von Johannes XXII. auf das Werk „Defensor pacis“ von Marsilius von Padua war erst der Impuls, neue legitimatorische Ansprüche für die päpstliche Gewalt zu behaupten. Die Funktion des Papstes als oberster Seelsorger war auch von Johannes XXII. in vollem Umfang wahrgenommen, wie die Ausführungen von MELANIE BRUNNER (Leeds) darlegten. Den religiösen Reformen und den organisatorischen Umgestaltungen in der Kirche einen spirituellen Impetus abzusprechen, ist nicht gerechtfertigt. Die päpstliche Initiative wurde freilich nur sparsam eingesetzt. Der Papst, allmächtig, aber nicht allwissend, setzte auf die Kooperation mit anderen Geistlichen, vor allem aber auf das Funktionieren von institutionell verfestigten Verfahren. BLAKE R. BEATTIE (Louisville / Kent., USA) behandelte die Auswahl und Ernennung von Kardinälen, wobei er deren Herkunft, Ausbildung, geistlichen Stand und familiäre Netzwerke untersuchte und die Erwägungen von Johannes XXII. zu rekonstruieren suchte. Die Etablierung der Kurie in Avignon war auch unter diesem Papst als Provisorium gedacht. Eine Rückkehr nach Rom stand im Zentrum der Pläne und Aktionen, so dass das Eingreifen in die italienischen Angelegenheiten und die weit gediehenen Pläne, die Stadt Bologna zum Zentrum päpstlicher Herrschaft und päpstlicher Residenz zu erheben, nicht nur als Reagieren auf Gefährdungen, sondern als genuine Initiativen aufzufassen sind, wie ROBERTO LAMBERTINI (Macerata) in seinen Ausführungen bewies. Das Insistieren auf Verfahren und das Zurücknehmen eigener Projekte galten indes für das Verhalten in anderen regionalen Zusammenhängen, worauf ANDREAS MEYER (Marburg) hinwies und dabei die handlungsleitenden Funktionen von Kanzleiordnungen und von rechtlichen Verfahren, deren Ausgang durchaus offen gestaltet werden konnte, herausstellte. Die Reskript-Technik wurde insbesondere bei päpstlichen Stellenbesetzungen angewandt, so dass die päpstliche Prärogative gewahrt wurde, ohne dass eine umfassende Information an der Kurie vorhanden sein musste und meist nicht vorhanden war. Die diesbezüglichen Ausführungen von KERSTIN HITZBLECK (Bern) zeigten dies anhand einer Reihe von Beispielen. GOTTFRIED KERSCHER (Trier) behandelte den Ausbau der Residenz in Avignon unter kunsthistorischen Gesichtspunkten und verwies dabei auf die Ausführungen von Herrn Lambertini, um den weiterhin provisorischen Charakter der Etablierung an der Rhône zu betonen, die aber gleichwohl politische und liturgische Funktionen zu erfüllen hatte. MARTIN KAUFHOLD (Augsburg) stellte die Prämissen politischer Rationalität infrage und sah ein nur beschränktes Set von Handlungsoptionen als vorhanden an, so dass er pointiert die Auffassung vertrat, dass ein Ordnungsanspruch, ohne Gestaltungswillen bei Papst Johannes XXII. zu beobachten sei. Freilich waren durchaus Ziele, auch im politischen Handeln vorgegeben, die ARMAND JAMME (Lyon) in der Erhaltung und Wiedergewinnung des Friedens sah, so dass durchaus eine interventionistische Politik Johannes’ XXII. motiviert war. Die Legation von Bertrand de Poujet war der konkrete Untersuchungsgegenstand seiner Ausführungen. Die Trennung des politischen Raums des Kirchenstaates von Italien war ein Mittel, um im schwierigen Umfeld Italiens sowohl Ansprüche durchzusetzen als auch eine durch Friedensvermittlung herbeigeführte hegemoniale Position zu erringen. JENS RÖHRKASTEN (Birmingham) behandelte die Personalpolitik des Papstes, das im englischen Umfeld dezidiert gegen König Eduard III. gerichtet war. Die insgesamt nur schwachen Beziehungen zu diesem König können freilich nicht aus einer unverrückbaren Bevorzugung der Interessen des französischen Königtums abgeleitet werden. Dies gilt auch für die Beziehungen zum Königreich Aragon, das HANS-JOACHIM SCHMIDT (Freiburg / Schweiz) behandelte und dabei die vielfältigen, miteinander verschlungenen Beziehungsfelder exemplarisch vorstellte, die zu gestalten sowohl von Papst als auch König schwierig waren, so dass jeweils die Gegenseite sich dem Vorwurf des Verheimlichen konfrontiert sah, in Wirklichkeit aber die mangelnde Durchsetzungsfähigkeit beider Seiten in den politischen Konstellationen eine konzise Politik verhinderte. HEIKE JOHANNA MIERAU (Erlangen-Nürnberg) bot neue Deutungen von historiographischen Texten, basierend auch auf Analysen von Handschriften, die die Bedeutung von juristischen Argumentationen zeigen. Konkret auf Heinrich von Diessenhofen bezogen, zeigte GEORG MODESTIN (Freiburg / Schweiz), dass die Kritik dieses Chronisten am Papst und seiner Kurie aus dem Kontext seiner geistlichen und politischen Karriere zu verstehen ist. Der letzte Beitrag, von MIKAEL BOYZOV (Moskau) vorgestellt, behandelte die Riten der Beisetzung und der Grablege der Päpste im späten Mittelalter. Nicht allein Konservierung der Memoria, sondern auch deren Destruktion prägten die Praktiken, ohne dass jeweils antagonistische Interessen dabei ins Spiel gebracht werden mussten.

Die Ergebnisse der Tagung zeigten die Notwendigkeit, weitere Forschungen zu diesem Papst zu erbringen. Die zeitgenössische theoretische Fundierung durch christliches Dogma und rechtliche Verfahren ermöglichten und legitimierten Handlungen, schränkten diese aber auch ein, ohne die grundsätzliche Ordnungskompetenz des Papstes anzutasten. Der Antagonismus zwischen Vollzug von Verfahrensordnungen und Initialisierung von Projekten bestand auch bei Papst Johannes XXII., gewann aber eine erhebliche Bedeutung dadurch, dass das Insistieren gerade dieses Papstes auf rechtliche Geltung, ihm Schranken auferlegte, die ihn indes nicht von einem durchsetzungsfreudigen Einsatz von Machtmitteln und theologischen Geltungsansprüchen abhielten, diese vielmehr noch verstärkten. Die ekklesiologisch begründete Fixierung auf Rom und Italien kann wohl als handlungsleitendes Motiv festgestellt werden, das die Beziehungen zum römisch-deutschen König bzw. Kaiser und zu anderen Herrschern prägte.

Nach Auffassung der Teilnehmer der Tagung wird die Publikation der Ergebnisse eine Art Grundlagenwerk zu Papst Johannes XXII. darstellen. Die Publikation ist für das Jahr 2013 in der Reihe „Scrinium Friburgense. Veröffentlichungen des Mediävistischen Instituts“ beim Walter de Gruyter Verlag vorgesehen.

Konferenzübersicht:

Blake R. Beattie (University of Louisville, USA): John XXII and his Lawyer-Cardinals

Michael Boytsov (National Research University Higher School of Economics", Lomonosov Moscow State University Moskau): „Der tote Papst im Sessel und andere Gespenster

Melanie Brunner (University of Leeds, Institute for Medieval Studies): Johannes XXII. als Reformer? Päpstliche Verwaltungspolitik und Ordensreform von oben

William Duba (Université de Fribourg): Destroying the Text: Contemporary Interpretations of John XXII’s Constitutiones

Frank Godthardt (Berlin): Marsilius von Padua als politische Herausforderung für Johannes XXII.

Kerstin Hitzbleck (Universität Bern): Besetzt! – Zum Umgang mit unrechtmäßigem Benefizienbesitz im Pontifikat Johannes XXII.

Armand Jamme (Université Lyon II / CIHAM): La politique italienne de Jean XXII.

Martin Kaufhold (Universität Augsburg): Die Kurie und die Herausforderungen der europäischen Politik: Standardverfahren oder abgestimmte Handlungsstrategien?

Gottfried Kerscher (Universität Trier): Johannes XXII. als Bauherr des ersten Papstpalastes in Avignon

Roberto Lambertini (Università di Macerata): Kultur und Politik im Verhältnis zwischen Bologna und Avignon zur Zeit Johannes XXII.: Umfang und Grenzen des päpstlichen Einflusses auf das städtische Leben

Andreas Meyer (Universität Marburg): Kirchenherrschaft im Angesicht des Todes. Johannes XXII., Benedikt XII. und die Regulae cancellariae apostolicae

Heike Johanna Mierau (Universität Erlangen-Nürnberg): Die ‘Chronik’ des Nikolaus Minorita und ihr Bezug zu Johannes XXII.

Georg Modestin (Universität Freiburg i.Ü.): Das Bild Johannes XXII. in der süddeutschen Reichschronistik

Patrick Nold (University of Albany): Concepts of papal authority in works dedicated to, or read by John XXII.

Jens Röhrkasten (University of Birmingham): Papst Johannes XXII. und England

Hans-Joachim Schmidt (Universität Freiburg i.Ü.): Pestilens domus Aragonum. Papst Johannes XXII. und das Königreich von Aragón


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