Operation am lebenden Objekt. Roms Liturgiereformen von Trient bis zum Vaticanum II

Operation am lebenden Objekt. Roms Liturgiereformen von Trient bis zum Vaticanum II

Organisatoren
Römisches Institut der Görres-Gesellschaft
Ort
Vatikan
Land
Vatican City State (Holy See)
Vom - Bis
14.12.2012 - 18.12.2012
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Von
Stefan Heid, Römisches Institut der Görres-Gesellschaft / Benjamin Leven, Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Unter dem Titel „Operation am Lebenden Objekt: Roms Liturgiereformen von Trient bis zum Vaticanum II“ kamen vom 14.-18. Dezember Historiker, Theologen und Kunsthistoriker zu einer internationalen Tagung des Römischen Instituts der Görres-Gesellschaft am Santo Campo Teutonico im Vatikan zusammen. Das Thema stand unter dem Anspruch, die Liturgiereformen des 16.-20. Jahrhunderts in einer weiten historischen Perspektive zu untersuchen, dabei nach Kontinuitäten und Brüchen zu fragen und insbesondere die jüngste Liturgiereform zu historisieren, die das II. Vatikanische Konzil mit seiner Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium angestoßen hat und deren Rezeptionsprozess bis heute andauert.

Kardinal KURT KOCH (Rom), Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, hielt den Eröffnungsvortrag und stellte den aktuellen Bezug her, indem er an Joseph Kardinal Ratzingers Forderung nach einer Reform der Reform erinnerte. Dass das Konzil die Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium als zeitlich erstes Dokument promulgierte, könne heute an den Vorrang der Doxologie gegenüber der Theologie im Leben der Kirche wie auch in der Ökumene erinnern. Erst die Gegenwart Christi ermögliche Ökumene, in deren Zentrum stets das Wesen der Kirche stehen müsse. Als Ziel stellte Koch daher die Entwicklung einer ökumenischen Liturgiewissenschaft heraus. Anstatt sich als historisch und pastoral ausgerichtete Disziplin mit der eigenen Geschichte und Praxis zu befassen und zu einer „Epiphanie unheiliger Trennungen“ zu werden, müsse Liturgie als locus theologicus begriffen und in ihrem Zusammenhang mit dem Wesen der Kirche ernst genommen werden. Die Liturgie lasse die Kirche immer wieder neu entstehen, sei also ihr Herz. Der Nutzen der Kirche ebenso wie das organische Wachstum seien daher die Kriterien von Liturgiereformen, davon sei Papst Benedikt mit Bezug auf Sacrosanctum Concilium überzeugt. Niemals dürfe daher das Wesen der Liturgie dem Alltag angepasst werden, denn ihr Blick richte sich auf Gott allein.

Als zweiter Referent sprach PETER HOFMANN (Augsburg) über „Liturgie als theologischer Ort? Aspekte einer fundamentaltheologischen Problemgeschichte“ und schloss sich damit an Kochs Diktum an, die Liturgie müsse als locus theologicus erkannt werden. Ob man sich der Liturgie synchron oder diachron nähere, sie historisch-kritisch oder dogmatisch verstehe, könne in Analogie zur kanonischen Exegese beantwortet werden: dem Wahrheitsanspruch des Textes müsse Genüge getan werden, denn wenn Inkarnation möglich sei, gelte dies auch für die konkret gefeierte Liturgie, in der das Universale und das Partikulare in Beziehung treten. Die eine und ewige Liturgie sei geschichtliche Teilnahme an der himmlischen Liturgie. So, wie die Tradition das Zeugnis der Schrift je aktualisiere, so seien auch Liturgie und Lehramt als zwei Seiten des apostolischen Zeugnisses zu verstehen. Gemeinsam bildeten sie ein Geviert der einen gemeinsamen Glaubensgestalt der Kirche.

Über den theologischen Gehalt der Liturgie sprach auch JOHANNES NEBEL (Bregenz) in seinem Beitrag „Der liturgische Paradigmenwechsel von der Actio zur Celebratio im Lichte der lateinischen Väter“. Nebel stellte die Actio als das eigentliche, aber durch die in ihren historischen Prämissen widerlegte Theologie Odo Casels verdunkelte Paradigma dem Paradigma der Celebratio gegenüber, das ganz entgegen Sacrosanctum Concilium heute immer stärker in den Vordergrund rücke. Casel habe das Zurücktreten des äußeren zugunsten des geistigen Handelns fälschlich als christliches Proprium herausgestellt. Dies führe zu einer Aufspaltung des Actio-Verständnisses: in seiner Mysterientheologie liege der sakramentale Opferakt allein in der Mysteriengegenwart der Opferhandlung Christi – was der Priester tut, sei demnach nur das Sichtbare und Vorbereitende für das Handeln Christi. Dass Casel die christliche Liturgie historisch mit den heidnischen Mysterienkulten verbinde, zeitige hier theologische Folgen: tatsächlich habe die Alte Kirche die genaue Einhaltung von Kultgebräuchen als Gerechtigkeit den Göttern gegenüber ebenso wie den Öffentlichkeitscharakter als Grundzüge kultischer Handlungen aus dem altrömischen politisch-kultischen Kontext übernommen. Beide seien Aspekte der kultteleologischen Actio des Christentums geworden. Christliche Liturgie habe daher nichts mit Innerlichkeit zu tun. So sei auch die anamnetische Dimension ein anthropologischer Rückbezug, der faktisch gegen die latreutische Dimension eingetauscht worden sei. Bei der notwendigen Betonung der Actio müssten dagegen, so Nebel, die Handelnden und die Teilnehmenden dieser Handlung unterschieden werden, um überhaupt participatio zu ermöglichen. Diese Differenz sei Grundlage der religiösen Relevanz der Form.

Über „Die liturgischen Vorstellungen in der katholischen Aufklärung und im Josephinismus – und was sich davon in der Liturgiereform des Vaticanum II und danach wiederfindet“ sprach HARM KLUETING (Köln/Fribourg). Darin wies er auf die Kontinuität hin, die zwischen katholischen Privatarbeiten (z.B. Leonhard Werkmeister) und staatskirchlichen Reformen des 18. Jahrhunderts mit Sacrosanctum Concilium und der nachkonziliaren Liturgiereform bestünden. So gehörten der antibarocke Impetus des österreichischen Spätjansenismus und der katholischen Aufklärung sowie die Zentralisierung und Verstaatlichung des Josephinismus zur Geschichte der Liturgiereform des 20. Jahrhunderts. Deren Anliegen seien nicht erst in der Französischen Revolution und durch den Einfluss Kants entstanden, sondern bereits früher. So sei etwa der Verzicht auf dekoratives Beiwerk zugunsten der Konzentration auf das Wesentliche, die innere und äußere Teilnahme an der Liturgie und daher ihre Muttersprachlichkeit, die muttersprachlichen Kirchenlieder zur Erweckung geistlicher Gefühle des Einzelnen, die erwünschte Bibellektüre von Laien, die pfarreizentrierte Pastoral typisch für das Denken der ersten circa 80 Jahre des 18. Jahrhunderts. Klueting sieht in den genannten Forderungen eine Anpassung an die Zeit aus apologetischen Gründen: um gegen die historischen Veränderungen bestehen zu können, habe man mit deren Mitteln gekämpft.

Anstelle des verhinderten Albert Gerhards (Bonn) sprach STEFAN HEID (Rom) zum Thema „Ponte rotto? Zum Verhältnis von Altar und Opfer“. Anhand paganer Denkmäler und frühchristlicher archäologischer Funde stellte er seine These dar, dass Altäre, die sowohl im paganen wie im christlichen Bereich sehr unterschiedliche Formtypen aufweisen, ikonographisch als solche nur erkennbar seien durch den, der als Opfernder daneben stehe. Die Nutzung als sakraler Opfertisch aber habe die profane Nutzung ausgeschlossen. Der Kultbegriff sei keineswegs von den frühen Christen abgestoßen worden, so Heid mit Bezug auf den Neutestamentler Knut Backhaus (München), sondern der äußere ebenso wie der innere Kult seien christozentrisch transformiert worden. Daher gebe es aus der frühchristlichen Geschichte heraus keinen Grund, den Opferbegriff abzulehnen.

HARALD BUCHINGER (Regensburg/New Haven) vertrat in Rom die theologische Disziplin der Liturgiewissenschaft und wies in seinem Vortrag „Reformen der Osternachtfeier. Prinzipien und Auswirkungen ihrer Kodifikationen und Modifikationen“ den Charakter der Liturgie als immer gewordener auf. Liturgiereform könne eben nie die Repristinierung irgendeines Zustands bedeuten, sondern der Klugheit der liturgischen Gesetzgeber ist es immer wieder aufgegeben, aus der Fülle der Tradition Gegenwart und Zukunft zu gestalten. Anhand der Osternachtfeier hob Buchinger die problematische Quellenlage zur römischen Liturgie der Frühzeit hervor und zeigte zugleich, dass die älteste greifbare Tradition stadtrömischer Liturgie nicht monolithisch, sondern polymorph sei. Die ältesten erhaltenen Dokumente bezeugen nämlich Kulturtransfers, da sie aus Gegenden außerhalb Roms stammen. Für diesen Prozess der Verbreitung von Texten, aus denen 1570 das Missale Romanum geschaffen wurde, hob Buchinger insbesondere die Bedeutung des Franziskaners als neuen Typ eines sehr mobilen Mönchs hervor. Dabei belegen die frühesten vorhandenen textlichen Quellen, aus denen ja der Phänotyp der tatsächlich gefeierten Liturgie und ihre Bedeutung für die Teilnehmer gar nicht rekonstruiert werden können, eine Vielfalt von Liturgie. Die Rezeption nichtrömischen Materials – etwa das Exsultet, das Lumen Christi und nonverbale Feierelemente wie Lichtriten – sowie der Verlust ursprünglicher Elemente und die Überlagerung durch qualitativ neue Schichten führten zu der hybriden Gestalt der hochmittelalterlichen Liturgie. Tatsächlich sei diese hybride Mischliturgie in der nachtridentinischen Liturgiereform kodifiziert worden, ganz entgegen dem Anspruch, die Liturgie auf die älteste römische Tradition zurückzuführen. Die nachvatikanische Liturgiereform, entstanden aus einem komplexen Interaktionsgeschehen zwischen einer Bewegung „von unten“ und autoritativem Eingreifen, trage ebenfalls die ganze Ambivalenz, die echten Strukturreformen innewohne.

HELMUT HOPING (Freiburg) stellte in seinem Vortrag „Zur Geschichte von Introitus und Stufengebet“ beide als Schwellentexte der römischen Messe dar. Wie Schwellenliteratur den Übertritt in eine neue Epoche markieren, so diese beiden liturgischen Schwelletexte den Eintritt in die Feier der heiligen Mysterien. Dies gelte insbesondere für den Introitus, der im Mittelalter nicht etwa nur als Begleitgesang zum Einzug, sondern als Eröffnung der ganzen Messe verstanden worden sei und ihr Thema vorgebe. Das Stufengebet unterstreiche die Sakralität der Handlung, in die man eintritt. Einzelne seiner Teile aber, etwa der Psalm Judica, seien älter und konnten zu unterschiedlichen Zeitpunkten gebetet werden. Daher sei das Stillgebet ihr Platzhalter. In der Liturgiereform des 20. Jahrhunderts sei es auf Drängen Annibale Bugninis weggefallen, so Hopings These. Dadurch aber sei die ars celenbrandi des Priesters noch wichtiger geworden, damit das Eintreten des Priesters und mit ihm des Volkes in die heilige Handlung wenigstens durch die Messeröffnung deutlich würde. Der Introitus sollte entweder volkssprachlich oder lateinisch wieder praktiziert werden.

MANFRED HAUKE (Lugano) referierte über „Das Offertorium als Herausforderung liturgischer Reformen in der Geschichte“ und ging damit letztlich dem Opferbegriff im konkreten rituellen Vollzug - Opfergebete und Opfergesten - auf den Grund. Er analysierte das Mittelalter, das Messbuch Pius' V. (1570), die Umdeutung des Offertoriums in der Reformation, die moralisierende Verkürzung des Offertoriums als Frucht der "Aufklärung" bei Vitus Anton Winter und die katholische Diskussion um die Neugestaltung des Offertoriums vom Beginn der Liturgischen Bewegung bis zum Vaticanum II. Kernfrage sei, ob die Gabendarbringung bereits zur Opferhandlung gehöre und letztlich Opfer sei oder ob dieses lediglich in der Wandlung geschehe. Letztlich gehe es also um die Frage, ob in der einen Opferhandlung dem Opfer Christi auch ein Opfer der Kirche entspreche. Der Eingriff Pauls VI. ins Missale von 1970 zeige, dass solche Fragen bis heute virulent seien.

In seinem Vortrag „Ein ‚Anglican Use’ des Römischen Ritus? Die Einheit der Liturgie in der Vielfalt der Riten und Formen im Lichte der Liturgiereformen seit dem Konzil von Trient“ sprach sich HANS-JÜRGEN FEULNER (Wien) für eine an die anglikanische Liturgie angelehnte, adaptive Sonderform des römischen Ritus aus ("Anglican Use of Roman Rite"), die im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils eine accomodatio darstelle. Bereits Balthasar Fischer habe darauf hingewiesen, dass nur wenige Änderungen die anglikanische Liturgie zu einer aus katholischer Sicht gültigen machen könnten. Aktuell müsste die nun eingesetzte Arbeitsgruppe diese Möglichkeit prüfen, wobei man allerdings angesichts der Vielfalt der anglikanischen Gruppen nicht allen Wünschen gerecht werden könne und brauche.

PREDRAG BUKOVEC (Wien) stellte „Die Enzyklika ‚Rubricarum instructum’ (1960) von Papst Johannes XXIII.“ als eine von den Zeitläuften überrannte Liturgiereform dar. Johannes XXIII. habe einen Kompromiss gesucht, der in Kontinuität mit Pius XII. habe stehen sollen und dem bereits einberufenen Konzil nichts habe vorwegnehmen wollen. ‚Rubricarum instructum‘ sei eine Reform unter Vorbehalt, jedoch eine durchaus durchgeführte. Bereits am Titel sei erkennbar, was die damalige Auffassung der Reformbedürftigkeit sei, nämlich der Vorwurf des Rubrizismus. Zwei verschiedene Liturgieverständnisse stünden im Hintergrund, nämlich ein objektives und eines von Liturgie als Ausdruck der Gottesverehrung. Gemeinsam mit Sacrosanctum Concilium habe die Enzyklika, dass der öffentliche Kult der Kirche durch Übersichtlichkeit und Einfachheit geordnet werden sollte. ‚Rubricarum instructum‘ sei kein kurialer Vorgriff auf das einberufene Konzil gewesen, wie oft behauptet werde. Jedoch sei ein direkter Einfluss auf SC zu erkennen, insbesondere auf Artikel 21.

UWE MICHAEL LANG (London) stellte „Historische Stationen zur Frage der Liturgiesprache“ dar und wies darauf hin, dass Liturgiesprache als hochstilisierte Sprache schon immer eine gewisse Distanz zur Alltagssprache gehabt habe. Im Zuge des Übergangs von der griechischen zur lateinischen Liturgiesprache sei eine hochstilisierte Sprachform entstanden, die auch zeitgenössischen Muttersprachlern fremd erschienen sei. Dies komme noch zur Beständigkeit von Sakralsprache als Grund für die Entfremdung von der Alltagssprache hinzu. In der Merowingerzeit sei allerdings eine Vulgarisierung der Latinität in liturgischer Literatur festzustellen, die morphologisch und syntaktisch in der sogenannten Karolingischen Bildungsreform korrigiert worden sei. Gerade durch die vereinheitlichte Aussprache in der ‚correctio’ der karolingischen Reformer habe sich aber das Lateinische noch rascher von den sich entwickelnden Volkssprachen entfernt und wurde ab dem 12. und noch mehr ab dem Wiederaufleben des klassischen Latein im Humanismus endgültig zur Fremdsprache.

ALCUIN REID (Toulon) wies in seinem Vortrag „The Fundamental Principles of Liturgical Reform in Sacrosanctum Concilium in the Light of History“ auf die beiden fundamentalen Prinzipien in der Liturgiekonstitution hin: "actuosa participatio" und liturgische Formation (SC 14-20). Er meint, dass das ganze Dokument nur korrekt gelesen werden könne, wenn beide Prinzipien gleichermaßen berücksichtigt und aufeinander bezogen werden. Die liturgische Bildung werde zu oft ignoriert zugunsten einer aktiven, ja aktivistischen Teilnahme in der Liturgie. Wenn Liturgie und Leben auseinander driften, müsse sich nicht etwa die Liturgie verändern. Dies würde bald zu einer Erschöpfung der Liturgie führen, sei eine unzulässige „Abkürzung“ und entspreche zwar dem protestantischen, nicht aber dem katholischen Liturgieverständnis. Vielmehr sei Liturgische Bildung die unabdingbare Voraussetzung für participatio – die Christen müssten wieder aus der Liturgie heraus leben.

CHRISTIAN HECHT (Erlangen) trug über „Das Tridentinische Rom und die Bilder im Kirchenraum“ vor. Im Bilderdekret des Konzils von Trient sah Hecht eine kraftvolle Verteidigung der traditionellen katholischen Bildpraxis. Das Konzil habe keinen katholischen Ikonoklasmus ausgelöst. Sowohl dekorative Kunst wie die Praxis der Bildverehrung seien bruchlos fortgesetzt worden. Im historischen Vergleich sei festzustellen, dass Artikel 120 der Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils, der sich auf die Bilderverehrung bezieht, nicht in der Lage gewesen sei, der ikonoklastischen Tendenz der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert entgegen zu wirken. Die abstrakte Kunst der Avantgarde könne wegen ihres Verzichts auf die Abbildfunktion nicht an die Stelle der traditionellen religiösen Bilder treten. Für das beginnende 21. Jahrhundert sah der Kunsthistoriker vielversprechende Neuaufbrüche von Gegenständlichkeit, in deren Zuge es auch zu einer Renaissance des religiösen Bildes kommen könne.

RALF VAN BÜHREN (Köln/Rom) sprach über „Raumordnung und Bildausstattung des barocken Kirchenbaus unter dem Einfluss liturgischer Reformen zur Zeit des Trienter Konzils". Er schilderte die Entwicklung hin zum nachtridentinischen „Einheitsraum“ mit seiner Ausrichtung auf den gut sichtbaren Hochaltar. Allerdings sei die Verbindung von Altar und Tabernakel nach Trient keineswegs immer und überall die Norm gewesen und habe letztlich erst mit dem Kodex des kanonischen Rechts von 1917 allgemeine Verbindlichkeit erlangt. Der Referent ging auf den für den barocken Kirchenraum prägenden Theaterbegriff ein und zeigte, dass dieser nicht nur auf den Altarraum, sondern auch auf den Kirchenraum als ganzen bezogen worden sei. Beichtstühle und Kanzeln stünden neben dem Altar für die unterschiedlichen Brennpunkte des barocken Kirchenraums. Die Aufwertung des Kirchenschiffs der Gläubigen gegenüber dem traditionellen Basilikalstil sei typisch für das liturgische Verständnis der nachtridentinischen Reformen und wirke zugunsten einer stärkeren Beteiligung des Volkes an den liturgischen Vollzügen.

JÖRG BÖLLING (Göttingen) behandelte in seinem Vortrag „Vorauseilende Reformen – Musik und Liturgie im Vorfeld des Tridentinum und Vaticanum II“ insbesondere die Kirchenmusik und das Zeremoniell der päpstlichen Kapelle und konnte dabei vielfältige Reform- und Veränderungsprozesse im Vorfeld von Trient aufzeigen. Er wies darauf hin, dass bereits unter den päpstlichen Zeremonienmeistern des frühen Barock manche reformerischen Ideen kursierten, die aber nie nach außen drangen. Die Hofliturgie der Sixtinischen Kapelle habe trotz ihrer Singularität Vorbildfunktion ausgeübt, insofern sie für die höfische Gesellschaft von besonderem Interesse gewesen sei.

Die Themendramaturgie von der Liturgie über zentrale Riten bis hin zur Kunst und Musik vermittelte immer wieder die Einsicht, dass es bemerkenswerte Parallelen zwischen den beiden liturgiegeschichtlich bedeutsamen Konzilien von Trient und Vaticanum II gab, sowohl was ihre Vorgeschichte als auch ihre Umsetzung und ihre Nachwirkung betrifft. Die Referenten gingen durchweg von der Perspektive der jüngsten, vatikanischen bzw. nachvatikanischen Liturgiereform aus und fragten von dort her, welche Vergleichbarkeiten zwischen Trient und Vaticanum II vorliegen, wo Linien vom Vaticanum II nach Trient zurückführen und wo umgekehrt das letzte Konzil jahrhundertealte Tendenzen und Fragestellungen aufgegriffen hat. Während Kirchenhistoriker eher nüchterne Vergleiche anstellten, gingen die Dogmatiker in die theologische Tiefe auf der Suche nach dem Unaufgebbaren in der Liturgie. Die Liturgiehistoriker wiederum fragten nach der rituellen Stimmigkeit und Organik der Entwicklung. Dabei ergaben sich auch kritische Anfragen an die im Zuge des Vaticanum II durchgeführte Gesamtreform der Liturgie, nicht anders als in der Geschichte die Trienter Liturgiereform Revisionen unterworfen worden ist.

Konferenzübersicht

Kurt Koch: Roms Liturgiereformen aus ökumenischer Perspektive

Peter Hofmann: Liturgie als theologischer Ort? Aspekte einer fundamentaltheologischen Problemgeschichte

Johannes Nebel: Der liturgische Paradigmenwechsel von der Actio zur Celebratio im Lichte der lateinischen Väter

Harm Klueting: Die liturgischen Vorstellungen in der katholischen Aufklärung und im Josephinismus – und was sich davon in der Liturgiereform des Vaticanum II und danach wiederfindet

Stefan Heid: Ponte rotto? Zum Verhältnis von Altar und Opfer

Harald Buchinger: Reformen der Osternachtfeier. Prinzipien und Auswirkungen ihrer Kodifikationen und Modifikationen

Helmut Hoping: Zur Geschichte von Introitus und Stufengebet

Manfred Hauke: Das Offertorium als Herausforderung liturgischer Reformen in der Geschichte

Hans-Jürgen Feulner: Ein ‚Anglican Use’ des Römischen Ritus? Die Einheit der Liturgie in der Vielfalt der Riten und Formen im Lichte der Liturgiereformen seit dem Konzil von Trient

Predrag Bukovec: Die Enzyklika ‚Rubricarum instructum’ (1960) von Papst Johannes XXIII.

Uwe Michael Lang: Historische Stationen zur Frage der Liturgiesprache

Alcuin Reid: The Fundamental Principles pf Liturgical Reform in Sacrosanctum Concilium in the Light of History

Christian Hecht: Das Tridentinische Rom und die Bilder im Kirchenraum

Ralf van Bühren: Raumordnung und Bildausstattung des barocken Kirchenbaus unter dem Einfluss liturgischer Reformen zur Zeit des Trienter Konzils

Jörg Bölling: Vorauseilende Reformen – Musik und Liturgie im Vorfeld des Tridentinum und Vaticanum II


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