Agon und Distinktion. Soziale Räume des Zweikampfs zwischen Mittelalter und Neuzeit

Agon und Distinktion. Soziale Räume des Zweikampfs zwischen Mittelalter und Neuzeit

Organisatoren
Uwe Israel / Christian Jaser, DFG-Projekt "Der mittelalterliche Zweikampf", Technische Universität Dresden
Ort
Loveno di Menaggio
Land
Italy
Vom - Bis
21.11.2012 - 24.11.2012
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Von
Christian Jaser, Institut für Geschichte, Technische Universität Dresden

Die vom Dresdener DFG-Projekt „Der mittelalterliche Zweikampf als agonale Praktik zwischen Recht, Ritual und Leibesübung“ veranstaltete internationale Konferenz glich in zweifacher Hinsicht einem Brückenschlag: Einerseits waren hier gleichermaßen Mittelalter- und Neuzeitspezialisten eingeladen, die Forschungsbilanzen und -perspektiven der beteiligten historischen Teildisziplinen abzugleichen sowie Kontinuitäten und Zäsuren zwischen mittelalterlichem ‚Zweikampf‘ und neuzeitlichem ‚Duell‘ in den Blick zu nehmen. Andererseits bot der deutsch-italienische Begegnungsort der Villa Vigoni ein Forum, um systematisch die Befunde der Zweikampf- und Duellforschung aus beiden Ländern zu diskutieren und Leitlinien eines transalpinen Vergleichs zu erarbeiten. Im Blickpunkt stand dabei vor allem die Frage nach den sozialen Räumen des Zweikampfs zwischen Mittelalter, Früher Neuzeit und dem 19. Jahrhundert: Ausgehend von unterschiedlichen ständisch-funktionalen Milieus – Hof/Adel, Militär/Söldner und Stadt/Bürger – wurden Zweikämpfe und Duelle als agonale Interaktionen herausgearbeitet, die in der performativen Praxis wie auch in der diskursiven Typologisierung eng mit dem Aspekt sozialer Distinktion verbunden waren. Entsprechend stand bei den agonalen Auseinandersetzungen in der Regel das Selbst- und Gruppenverständnis der historischen Akteure auf dem Spiel, das sich keineswegs erst seit der Neuzeit und keineswegs beschränkt auf gesellschaftliche Eliten an spezifischen points d’honneur festmachte und vor einer ‚Anwesenheitsöffentlichkeit‘ unterschiedlicher Reichweite (Zuschauer, Zeugen, Sekundanten) verteidigt werden musste. Am Schnittpunkt von sozial- und kulturgeschichtlichen Erkenntnisinteressen galt die Aufmerksamkeit der einzelnen Konferenzbeiträge dabei nicht nur den jeweils angewandten Regelwerken des agonalen Austrags, sondern auch den damit verbundenen Wertvorstellungen, Verhaltensnormen und Rollenerwartungen zwischen Erfüllung und Transgression.

Den Auftakt der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem Deutschen Historischen Institut in Rom und der Lausanner Fondation pour la Protection du Patrimoine Culturel, Historique et Artisanal geförderten Konferenz bildete ein transepochales Streitgespräch, das den methodologischen und geschichtstheoretischen Problemen des verführerischen Entwicklungsnarrativs vom ‚Zweikampf‘ zum ‚Duell‘ am Scheidepunkt von Mittelalter und Neuzeit auf den Grund ging. Nach einleitenden Stellungnahmen von vier Experten mit unterschiedlichen zeitlichen und räumlichen Arbeitsschwerpunkten hinterfragte die Diskussion vor allem eine epochal determinierte Differenzierung von ‚Zweikampf‘ und ‚Duell‘, die ohnehin gegenüber der englischen und romanischen Terminologie (duel, duello) ein Spezifikum des deutschen Sprachgebrauchs darstellt. Anstelle solcher Umschlagserzählungen wurden vor allem zwei komplementäre historiographische Operationen akzentuiert: Zum einen sollte der Heterogenität vormoderner Zweikampfpraktiken zunächst mit einer eher offenen Heuristik begegnet werden, die den Gegenstand nicht zwanghaft vom Referenzmaßstab des ‚klassischen‘, seinerseits keineswegs homogenen Duell des 19. Jahrhunderts her beurteilt. Zum anderen ist dabei besonders auf diskursive Verengungen und Umdeutungen in Richtung auf das spezifische Konzept des modernen (Ehren-)Duells zu achten, das – so die gängige Forschungsmeinung – seinen Ursprung in der italienischen Duelltraktatistik der Renaissancezeit hatte und von dort aus eine phasenverschobene okzidentale Rezeptionsgeschichte antrat.

In der anschließenden ersten Sektion zur „Forschungsgeschichte des Zweikampfs“ wurden die Erträge des Streitgesprächs durch einen Blick in die Historiographietradition von Zweikampftechniken und Duellkonzepten vertieft. Zunächst widmete sich DANIEL JAQUET (Genf) der Fechtbuchüberlieferung als „technical literature“ des Zweikampfs zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit. Nach einem Aufriss der internationalen Fechthistoriographie entfaltete er das Potenzial eines experimentellen Ansatzes für die zukünftige historische Fechtforschung, von der auch Aufschlüsse über die Regelwerke und Ablaufpraxis agonaler Situationen zu erwarten seien. ULRIKE LUDWIG (Dresden) akzentuierte einen praxeologischen und einen diskursbetonten Zugriff als dominierende Tendenzen der deutschen und internationalen Duellforschung: Während allerdings der Verwendung spezifischer Gewaltpraktiken für die Duelldefinition nur eine begrenzte Erklärungskraft zukomme, seien zeitgenössische Zuschreibungen und Deutungen für die Ausprägung einer spezifischen Idee des Duells entscheidend. Mit Blick etwa auf das Alte Reich und Schweden sei der Durchbruch für die Rezeption des Duellkonzepts vor allem von den Duellverboten ausgegangen. STEPHAN GEIFES (Paris) beschäftigte sich mit der spektakulären Duellrenaissance im Frankreich des 19. Jahrhunderts, die freilich nicht als Beleg für den Fortbestand der Werteordnung des Ancien Régime zu lesen sei. Trotz mancher Kontinuitäten – Funktionalität der Duelle für den Ehrenschutz und für die Homogenisierung von Gruppen – seien vor allem Rahmenbedingungen des postrevolutionären Jahrhunderts für diese Entwicklung ausschlaggebend. Hierbei seien die soziale Öffnung des Duells als „geburtsgeschlechtliche“ Praxis aller französischer Männer ebenso zu nennen wie seine Straffreiheit, Öffentlichkeit und Politisierung, so dass erstmals eine offen positive Bewertung des Duells möglich geworden sei.

Zu Beginn der zweiten Sektion „Stadt/Bürger“ ging CHRISTIAN JASER (Dresden) der Funktionslogik städtischer Fechtschulen des 15. und 16. Jahrhunderts nach, die sowohl für die städtische Zweikampfkultur notwendige Selbstverteidigungskompetenzen vermittelten als auch im Kontext einer sich formierenden urbanen Sport- und Unterhaltungskultur zu deuten seien. Gerahmt von hohen Bewaffnungsquoten im städtischen Alltag und einem agonalen Selbst- und Körperbewusstsein seien Fechtschulen als willkommene Foren für das self-fashioning insbesondere junger Männer wie etwa Studenten und Handwerkergesellen zu qualifizieren, das vor Zuschauern spezifische Darstellungs-, Leistungs- und Beobachtungsökonomien entfaltete. ANDREA ZORZI (Florenz) nahm mit der Vendetta in italienischen Städten des 13. und 14. Jahrhunderts eine spezifische Ausprägung agonaler Gewalt in den Blick, die nicht nur Individuen betroffen habe, sondern von Logiken der Verwandtschaft, Freundschaft und Feindschaft getragen worden sei. Am Beispiel moralpädagogischer Traktate, kommunaler Statuten und Registerüberlieferungen manifestiere sich die Vendetta nicht nur als gesellschaftsübergreifendes Gewaltphänomen, sondern auch – über die Einbeziehung von Freundschafts- und Verwandtschaftsnetze – als Praxis sozialer Integration. ALESSANDRA RIZZI (Venedig) präsentierte das vom Mittelalter bis in die Frühe Neuzeit reichende Langzeitphänomen von städtischen Gruppenkämpfen auf der italienischen Halbinsel (pugne bzw. battagliole), die entweder mit Fäusten oder spezifischen Waffen (Steine, Holzschwerter) erfolgten. Angesiedelt in einer Grauzone zwischen ludischen und militärischen Aneignungen seien solche Ritualisierungen kollektiver Gewalt als eine Art anthropologischer Konstante zu lesen, die jeweils fall- und kontextbezogen reinterpretiert werden müsse. PETER SCHUSTER (Bielefeld) plädierte schließlich gegen das Klischee einer unkontrollierten Gewaltneigung vormoderner Gesellschaften für eine differenzierte Betrachtung der in spätmittelalterlichen Städten dominierenden agonalen Gewaltpraktiken. Deren implizites Regelwerk im Sinne einer „Konfliktspirale“ – verbale Auseinandersetzung, Drohungen, das „Messerzücken“ als ultimative Form der Zurückweisung einer Beleidigung – habe nicht vorrangig auf die körperliche Schädigung oder Zerstörung des Gegners abgezielt. Daneben seien auch das Konfliktmotiv der Ehrverletzung und der dominierende Faktor der Männlichkeit als weitere Anknüpfungspunkte zwischen städtischen Gewalthandlungen und einer Geschichte des Zweikampfs anzusprechen.

In der dritten Sektion „Militär/Söldner“ lieferte MALTE PRIETZEL (Berlin/Bochum) eine Fallstudie zum 1503 in Apulien ausgefochtenen Zweikampf zwischen dem französischen Ritter Bayard und dem spanischen Adeligen Alonso de Sotomayor. Anhand der wohl aus der Feder von Jacques de Mailles stammenden Lebensbeschreibung Bayards konnten nicht nur zeitgenössische Konventionen des Zweikampfs eruiert werden, sondern auch dessen Stilisierung als literarisches Sujet. Dabei sei, was Vorstellungs- und Lebenswelt anbelangt, der Zweikampf in den spätmittelalterlichen Heeren in engem Zusammenhang mit dem Gruppenkampf, dem Turnier und militärischen Aktionen unterschiedlichster Art zu sehen. Als deren Fluchtpunkt markierte Prietzel den gemeinsamen Wertehorizont entlang der Leitcodes Ehre, Ruhm und Ansehen. PAOLO GRILLO (Mailand) betonte zunächst, dass die Wahrnehmung mittelalterlicher Schlachten als Gottesurteile mit Blick auf das Kriegswesen italienischer Stadtkommunen des 12. und 13. Jahrhunderts in die Irre führe, basiere dieses doch eher auf empirisch-rationalen Entscheidungen und einer „strategischen“ Disziplin der Milizen. Anders als in der englisch-französischen Historiographie und Ritterepik, wo Schlachten gerne in eine Serie von individuellen Zweikämpfen aufgelöst würden, dominierten in italienischen Schlachtbeschreibungen bis zum Ende des Duecento kollektive Akteure, so dass nur selten individuelle militärische Leistungen thematisiert worden seien.

In der abschließenden vierten Sektion zu „Hof/Adel“ beleuchtete WERNER PARAVICINI (Kiel) einen der berühmtesten Zweikämpfe des Spätmittelalters, das Pariser Gerichtsduell zwischen Jean de Carrouges und Jacques le Gris von 1386. Eine umfassende Relektüre aller einschlägigen Quellen – Jean Froissart, das Register des Pariser Parlements, die Fällesammlung des Rechtsanwalts Jean le Coq sowie zwei Pariser Chroniken – förderte dabei nicht nur eine das adelige Verhaltensrepertoire prägende „Welt der sexuellen Übergriffe“ zutage, sondern auch ein Wahrheitsdilemma, bei dem die Tatsachenermittlung des Inquisitionsprozesses offenbar an ihre Grenzen gestoßen sei. An dessen Stelle trat, so Paravicini, die Entscheidungsevidenz eines Zweikampfs, der als Gottesurteil legitimiert und als adeliges Privileg sozial akzeptabel gewesen sei. STEVEN C. HUGHES (Löwen/Baltimore) konstatierte die entscheidende Rolle der italienischen Renaissancehöfe für die Legitimation und Praxis des gerichtlichen Ehrenduells. Die Gründe für die großzügige Vergabe von Duelllizenzen seitens der italienischen Fürsten seien zunächst in dem politischen Ziel zu suchen, den Adel zu pazifizieren und dem staatlichen Gewaltmonopol zu unterstellen. Zugleich impliziere das Aufsichtsrecht über den Zweikampf eine Herrschaftslegitimation, die gerade für die „neuen“, prekären Fürstentümer Italiens unabdingbar gewesen sei. Schließlich sei das Zeremoniell des Zweikampfs ebenso wie Tjoste und Turniere in der Renaissance als Teil einer „neo-feudalen“ Propagandaoffensive anzusprechen. Mit Blick auf die Zweikampfakteure selbst sei die italienische Duellkonjunktur im Kontext einer zunehmenden adeligen Selbstdisziplinierung zu sehen, die sich im Regelwerk der Duelltraktate ebenso wiederspiegele wie in der aufstrebenden italienischen Fechtkunst.

Der Schlusskommentar von UWE ISRAEL (Dresden) wie auch die anschließende Generaldiskussion eröffnete weiterführende Forschungsperspektiven, die nur bei konsequenter Fortführung des transepochalen und -nationalen Dialogs eingelöst werden können. Entgegen den Engführungen der älteren Rechtsgeschichte ist dabei von einer strukturellen Heterogenität von Zweikampfphänomen auszugehen, die zugleich als serielle Praktiken und als Gegenstand von Sinnzuschreibungen und Deutungsstrategien zu untersuchen sind. Gegenüber einem Duellbegriff, der in sich prekär erscheint und oft genug künstliche, mit einem gewissen Neuzeitpathos vorgetragene Trennlinien markiert, bietet sich der offenere Dachterminus des „ritualisierten Zweikampfs“1 an, der sich insbesondere für eine Zusammenarbeit von Mittelalter- und Frühneuzeithistorikern fruchtbar machen lässt. Für beide Epochen nicht mehr haltbar erscheint dabei die oftmals behauptete, wie auch immer geartete soziale Exklusivität vormoderner Zweikampfpraktiken. Insofern sollte in der Zukunft auf entsprechend breiter Grundlage und systematischer als bisher ein Zusammenspiel von sozial- bzw. geschlechtergeschichtlicher Grundlagen- und kulturgeschichtlicher Perzeptionsforschung erfolgen, um dem Zweikampf als Fixpunkt von Distinktions- und Integrationsmomenten auf die Spur zu kommen.

Konferenzübersicht

„Agon und Distinktion. Soziale Räume des Zweikampfs zwischen Mittelalter und Neuzeit – Agon e distinzione. Luoghi sociali del duello fra medievo ed età moderna“, Internationale Konferenz – Convegno internazionale, Villa Vigoni, Loveno di Menaggio, Italien, 21.-24.11.2012

Uwe Israel (Dresden): Begrüßung

Abendliches Streitgespräch: Vom mittelalterlichen ‚Zweikampf‘ zum neuzeitlichen ‚Duell‘? Chancen und Tücken einer verführerischen Entwicklungsgeschichte – Disputa serale: Dal duello medioevale al duello moderno? Occasioni e rischi di una storia evolutiva attrativa

Moderation - Moderazione: Matthias Pohlig (Münster)
Stephan Geifes (Paris)
Steven Hughes (Baltimore/Löwen)
Ulrike Ludwig (Dresden)
Gert Melville (Dresden)

Sektion I: Forschungsgeschichte des Zweikampfs – Sezione I: Storia della ricerca del duello (Sektionsleitung – Presidenza: Gerd Schwerhoff, Dresden)

Daniel Jaquet (Genf): The fightbooks, the art of fighting and its experimentation: research and development of European martial arts

Ulrike Ludwig (Dresden): Thesen der Forschung zu Aufkommen und Verbreitung des Duells im frühneuzeitlichen Europa

Stephan Geifes (Paris): Das Duell zwischen Ancien Régime und Moderne: Zum Wandel von Diskurs und Praxis des französischen Duells zwischen 1789-1830

Sektion II: Stadt/Bürger – Sezione II: Città/cittadini (Sektionsleitung – Presidenza: Gert Melville, Dresden)

Christian Jaser (Dresden): Ernst und Schimpf – Fechten als Teil städtischer Gewalt- und Sportkultur

Andrea Zorzi (Florenz): Amici e nemici: i conflitti nelle città comunali italiane

Alessandra Rizzi (Venedig): Continuità ed evoluzione nelle “pugne” cittadine fra medioevo ed età moderna: il caso italiano

Peter Schuster (Bielefeld): Der alltägliche Zweikampf: Messerzücken und Gewalt in spätmittelalterlichen Städten

Sektion III: Militär/Söldner – Sezione III: L'esercito/mercenari (Sektionsleitung – Presidenza: Nadia Covini, Mailand)

Malte Prietzel (Berlin/Bochum): Individuelle Ehre und kollektiver Kampf. Zweikämpfe in nordalpinen Heeren im 15. und 16. Jahrhundert

Paolo Grillo (Mailand): Il ruolo dei duelli individuali nelle guerre comunali italiane

Sektion IV: Hof/Adel – Sezione IV: Corte/nobili (Sektionsleitung – Presidenza: Uwe Israel, Dresden)

Werner Paravicini (Kiel): Ein berühmter Fall neu betrachtet: das Gerichtsduell des Jean de Carrouges gegen Jacques le Gris von 1386

Steven C. Hughes (Löwen/Baltimore): Il prestigio dei principi: potere, onore, e il duello legittimato

Schlusskommentar und -diskussion – Commentario e discussione finale (Leitung und Kommentar – Presidenza e commento: Uwe Israel, Dresden)

Anmerkung:
1 Monika Mommertz, Wissen vom Zweikampf. Transdisziplinäre und transepochale Überlegungen, in: Ulrike Ludwig/Barbara Krug-Richter/Gerd Schwerhoff, Das Duell. Ehrenkämpfe vom Mittelalter bis zur Moderne, Konstanz 2012, S. 77-90, hier S. 80.