Geheime Netzwerke im Militär vom 18. Jahrhundert bis 1945

Geheime Netzwerke im Militär vom 18. Jahrhundert bis 1945

Organisatoren
Daniel Marc Segesser (Bern); Carmen Winkel (Potsdam); Gundula Gahlen (Berlin)
Ort
Bern
Land
Switzerland
Vom - Bis
04.10.2012 - 05.10.2012
Url der Konferenzwebsite
Von
Stefanie Kohler, Universtität Bern

Dass insbesondere Offiziere in Geheimbünden wie zum Beispiel den Freimaurern, Rosenkreuzern oder Illuminaten von der Mitte des 18. bis weit in das 19. Jahrhundert massenhaft vertreten waren, ist in der Geschichtsforschung allgemein bekannt. Dort hat auch der militärische Widerstand im Dritten Reich einen prominenten Platz. Die Wechselwirkungen zwischen Geheimbundorganisationen und dem Militär wurden jedoch bisher ebenso wenig einer eingehenden Analyse unterzogen, wie geheime Netzwerke innerhalb des Militärs. Diesem Thema war deshalb eine internationale Tagung gewidmet, die organisiert von Daniel Marc Segesser (Bern), Carmen Winkel (Potsdam) und Gundula Gahlen (Berlin) unter dem Titel „Geheime Netzwerke im Militär vom 18. Jahrhundert bis 1945” / “Secret Networks in the Military from the 18th century to 1945” vom 4. – 5. Oktober 2012 an der Universität Bern stattfand.

Ziel der Tagung war es, die Frage nach Bedeutung und Einfluss geheimer Netzwerke im Militär zu beantworten und hierfür sozial- und kulturgeschichtliche Perspektiven und Fragestellungen zu bündeln. Im Übrigen ging es auch darum, die Handlungsspielräume geheimer Netzwerke innerhalb des Normensystems und der hierarchischen Strukturen des Militärs zu analysieren.

Nach der Begrüßung führte CARMEN WINKEL (Potsdam)einige Überlegungen zu den Gründen aus, warum zahlreiche Militärs Geheimbünden beitraten: Darunter waren die (standesgemäße) Geselligkeit oder das Teilen der gleichen Werte. Andererseits stellte das Militär einen sozialen Raum dar, in dem gerade über das Networking sozialer Status und Prestige erworben werden konnte. Schließlich legte Winkel eine Arbeitsdefinition von geheimen Netzwerken vor: Es handle sich dabei um eine institutionell nicht verfestigte informelle Gruppe, die sich um eine Person oder Institution bilde. Diese Netzwerke verwiesen auf individuelle Handlungsspielräume in der Institution Militär, die in unterschiedlicher Weise und zu unterschiedlichen Zwecken genutzt werden könnten.

Die Forschungslücken und Forschungsdesiderate zum Thema zeigte DANIEL MARC SEGESSER (Bern) im zweiten Teil der Einführung auf. Dabei ging er auf die rechtliche Grundlage, die Entwicklung der Idee von Gesetz sowie auf die Öffentlichkeit ein, in der sich geheime Netzwerke zwischen dem späten 18. Jahrhundert und dem Ende des Zweiten Weltkrieges bewegen konnten und behaupten mussten: Blieben die Interessen des Individuums bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts den Interessen des Staates weitgehend untergeordnet, wurde diese These in der jüngeren Tradition des Rechts zunehmend hinterfragt. Für geheime Netzwerke habe dies einen größeren, legalen Handlungsspielraum bedeutet und die Möglichkeit relativ frei zu operieren, sofern der Staat dabei seine Existenz nicht gefährdet sah. Dass die Behörden allerdings definierten, wann dies der Fall war und dabei den Begriff „conspiracy“ – im Sinne von Staatsverrat oder Verschwörung gegen den Staat – aufbrachten, habe den Handlungsspielraum für geheime Netzwerke wiederum eingeschränkt.

Der Einführung folgten drei Referate zu Freimaurern und anderen Gesellschaften im 18. und 19. Jahrhundert, bevor in drei Vorträgen Verschwörungen und studentische Netzwerke diskutiert wurden. Weitere drei Beiträge behandelten anschließend die geheimen Tätigkeiten der Reichswehr bzw. geheime Abkommen mit der Reichswehr , sowie faschistische Splittergruppen in Großbritannien.

Im ersten Referat unter dem Titel „Mapping a ‚Secret Space‘. Masonry and the Military in the Carribean“ beschäftigte sich ALLISON RAMSAY (Barbados) mit den Wechselbeziehungen zwischen Geheimgesellschaften und dem Militär in transatlantischer Perspektive. Nach einführenden theoretischen Bemerkungen zu Zeit, Raum und Geschlecht (Foucault, Bhabha) veranschaulichte sie die Bedeutung der Freimaurerei im Militär der Karibik zwischen dem Ende des 18. und dem frühen 20. Jahrhundert. Ramsay zeigte dabei auf, dass die Freimaurerlogen in diesem Raum erheblichen Einfluss auf die nationale Identität, den Patriotismus und die Loyalität gegenüber den kolonialen Behörden hatten und betonte, wie sehr sie durch eine spezifische Ikonographie die Erinnerung und kulturelle Identität der Beteiligten prägten.

Ebenfalls um die Wechselbeziehungen zwischen Freimaurern, geheimen militärischen Netzwerken und der Gesellschaft ging es in YURI STOYANOVs (London) Beitrag „Freemasonry and Secret Military Networks in the Russian Empire in the late Eighteenth and early Nineteenth Century”. Der Vortragende untersuchte darin die Auswirkungen der Eintritte von Angehörigen militärischer Eliten in russische Freimauerlogen auf den Korpsgeist des russischen Offizierskorps, ebenso wie die Rolle der Freimaurerlogen bei der Bildung von militärischen Geheimgesellschaften. Einen Schwerpunkt legte er hierbei auf die „Union of Salvation“ (1816), die erste russische Militärgesellschaft. Er thematisierte weiter die Beteiligung von Freimaurerlogen an Machtwechseln (zum Beispiel von Zar Peter II. zu Katharina der Großen). Reformen und politische Liberalisierung gingen im russischen Imperium, so Stoyanov, oft einher mit Freimaurerei.

ANNE-SIMONE ROUS (Dresden) befasste sich in ihrem Vortrag “Graf Wackerbarth und die Société des antisobres“ mit dem sächsischen Pendant zum preußischen „Tabakskollegium“ und dem Verhältnis zwischen Geheimbundgeschichte und Geheimdiplomatie. Dem Geheimbund, der sich im Keller des Generals Christoph August von Wackerbarth traf, standen sowohl der Kurfürst von Sachsen und König von Polen August II. als auch Friedrich Wilhelm I. von Preußen vor. Die Société des antisobres bildete so eine Säule der sächsisch-preußischen Beziehungen wie auch der Geheimdiplomatie. Die weitgehende Egalität zwischen den Mitgliedern, die Geheimhaltung und der gleichzeitige öffentliche Auftritt ebenso wie der friedenserhaltende Charakter der Société waren die nicht immer miteinander zu vereinbarenden Elemente des Geheimbundes.

Mit der gescheiterten Verschwörung Ferdinand von Schills gegen Napoleon im Jahre 1809 und deren regionaler Verankerung in den altpreußischen Gebieten im Rheinland und in Westfalen befasste sich OLIVER SCHULZ (Paris). Schill, ein preußischer Offizier, bildete seine eigene Armee innerhalb der preußischen Streitkräfte. Von Schulz wurde er als nichtführungsfähiger „Outlaw“ bezeichnet, da es seiner Truppe an Disziplin mangelte, sie nichtkonforme Kleidung trug und so stark von der regulären preußischen Armee abwich. Oliver Schulz zeichnete in seinem Vortrag die kommunikativen Netzwerke und die verschiedenen Ebenen der Verschwörung nach: Schill selbst, seine Offiziere, die ihn unterstützenden Personen mit Zugang zu politischen Führungskreisen, den Adel sowie auch die breite, ihn unterstützende Bevölkerung.

Der Beitrag „Nicht geheim, aber unsichtbar. Akademische Zusammenschlüsse in deutschsprachigen Streitkräften im 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ von HARALD LÖNNECKER (Paderborn) wurde auf Grund einer Erkrankung des Referenten von Gundula Gahlen verlesen. Lönnecker beschäftigte sich anhand von Kurzlebensläufen von Korporierten mit studentischen Netzwerken im Militär. Die Burschenschaften dienten den Studenten einerseits als elitäre Erziehungsinstitution, andererseits als lebenslanges Bindungselement. Lönnecker vertrat die These, dass im Militär die korporierten Soldaten durch ihre Burschenschaftszugehörigkeit entscheidend geprägt waren und die Korporationszugehörigkeit die militärische Hierarchie außer Kraft setzen konnte. Dabei seien die informellen Netzwerke der Burschenschaftler im Militär zwar nicht geheim aber doch geheimnisvoll und für Nichtakademiker kaum sichtbar gewesen.

Der Beitrag von DENIZA PETROVA (Berlin), „Loyale Konspiratoren: Militär und geheime Netzwerke in Bulgarien (1885-1930)“, verließ erneut den deutschsprachigen Raum. Anhand von zwei Beispielen erörterte die Referentin die unterschiedlichen Einflüsse und Loyalitäten im bulgarischen Militär. Der erste Teil behandelte geheime Netzwerke und Verschwörungen im Umfeld des Sturzes von Fürst Alexander von Battenberg in den Jahren 1878 bis 1886. Dabei kam es zu einer Spaltung des Heeres durch bestehende alte Netzwerke und Kameradschaften. Freimaurer fanden sich dabei sowohl unter russophilen Offizieren, als auch unter den Anhängern des bulgarischen Fürsten Alexanders von Battenberg wieder. Im zweiten Teil des Vortrags betrachtete Petrova den Putsch gegen Premierminister Aleksandar Strambolijski und strich auch für dieses Beispiel die Binde- und Sprengkraft von alten Netzwerken und Kameradschaften, die das nichthomogene bulgarische Militär in seiner Loyalität spalteten, heraus.

Ein neues Themenfeld eröffnete ULRIKE SCHULZ (Bielefeld) mit ihrem Tagungsbeitrag „Die geheime Aufrüstung der Reichswehr am Beispiel der Firma Simson“, in dem sie die konspirativen Verhandlungen zwischen Angehörigen der Reichswehr und der Firmeninhaber in einem nicht-militärischen Raum untersuchte. Die deutsch-jüdische Firma wurde nach dem Versailler Vertrag von der Entente als Monopolfirma berechtigt, Rüstungsmaterial herzustellen, war jedoch eigentlich gar nicht auf Rüstungsproduktion eingestellt. Dennoch wurde sie Teil der geheimen Wiederaufrüstung Deutschlands ab 1919/20. Ulrike Schulz zeichnete in ihrem Beitrag die Beziehung zwischen Simson und der Reichswehr nach und beschrieb sie als von Misstrauen geprägt und konfliktreich. Doch habe die Zusammenarbeit und die Geheimhaltung gegenüber Dritten allmählich zu einem unsicheren Einverständnis der beiden Parteien geführt.

Ebenfalls mit der Reichswehr beschäftigte sich JÜRGEN KILIANs (Köln) Vortrag „Organisation Consul und Truppenamt – Informelle Strukturen im Generalstabsoffizierskorps der Reichswehr 1919-35“. Der Referent analysierte darin die Einstellungs- und Übernahmepolitik der Reichswehr und die Favorisierung der Generalstabsoffiziere in der späteren Wehrmacht sowie die Aktivitäten der Generalstabsoffiziere der Reichswehr in der Sphäre des Informellen und Verborgenen. Er ging dabei einerseits vertieft auf den Kreis um Reichswehrminister Wilhelm Groener ein, andererseits auf das konspirative Netzwerk von Generalstabsoffizieren um Otto von Stülpnagel und Kurt von Schleicher, die so genannte Organisation Consul.

Den letzten Vortrag der Tagung, der den Titel „Widerstand gegen den totalen Krieg: Offiziere und faschistische Splittergruppen in Großbritannien, 1937-1941“ trug, hielt ALARIC SEARLE (Salford). An mehreren Beispielen stellte er britische Offiziere vor, die sich offen zum Faschismus bekannten, in Organisationen wie der „British Union of Facists“ tätig waren und faschistisches Gedankengut pflegten. Weiter untersuchte er verschiedene rechte Netzwerke, die den Krieg Großbritanniens gegen Deutschland ablehnten und selbst sogar Friedensverhandlungen mit Nazi-Deutschland führten. Searle sah das Phänomen nicht als die Tätigkeiten diverser rechter Splittergruppen, sondern vielmehr als Gesamtkomplex von äußerst komplexen Netzwerken und stellte die fließenden Grenzen zwischen geheimen, privaten, öffentlichen und militärischen Räumen heraus, in denen diese Netzwerke agierten.

In der Abschlussdiskussion wurde festgestellt, dass die gehörten Fallbeispiele die Wichtigkeit einer genaueren Definition des Begriffes „geheimes Netzwerk“ aufgezeigt haben. Denn informelle Netzwerke gab es in jeder Institution. Für die Definition des Begriffes „Geheimes Netzwerk“ brauche es härtere Kriterien als nur die Abgrenzung gegen außen oder die Bevorzugung einer bestimmten Richtung, Person oder Institution. Eine bestimmte Handlung, ein konkretes Ziel und eine Organisation, die dieses Ziel zu erreichen versucht, wurden als wichtige Kriterien für die Definition von geheimen Netzwerken erachtet. Außerdem brauche es jeweils eine Opposition bzw. einen Gegenpol zum Netzwerk, etwas wofür oder wogegen das Netzwerk kämpft. Die „soft categories“, also die gemeinsamen Hintergründe und Meinungen einer bestimmten Gruppe, wurden lediglich als Grundlage für die Bildung geheimer Netzwerke betrachtet. Es wurde allerdings auch festgehalten, dass es zum Beispiel Freimauern trotz fehlender politischer Ziele gelang, im Militär erheblichen Einfluss zu nehmen. Gerade deshalb sei eine noch genauere Betrachtung geheimer Netzwerke im Militär so spannend.

Die Tagung hat an verschiedenen Fallbeispielen die Bedeutung und den Einfluss geheimer Netzwerke im Militär aufgezeigt. Als besonders ertragreich und methodisch zielführend erwiesen sich hierbei die Beiträge, die militärhistorische mit sozial- und kulturgeschichtlichen Perspektiven verknüpften. Aufgrund des bisher ungenügenden Forschungsstandes war es nicht möglich, alle während der Tagung aufkommenden Fragen zu beantworten, es hat sich aber gezeigt, wie lohnenswert weitere Forschung zu diesem spannenden Thema ist.

Konferenzübersicht:

Daniel Marc Segesser (Bern), Carmen Winkel (Potsdam): Begrüßung und Einführung

Allison Ramsay (Barbados): Mapping a „Secret Space“. Masonry and the Military in the Carribean

Yuri Stoyanov (London): Freemasonry and Secret Milita¬ry Networks in the Russian Empire in the late Eighteenth and early Nineteenth Century

Anne-Simone Rous (Dresden): Graf Wackerbarth und die „Societé des antisobres“

Oliver Schulz (Paris): Die Verschwörung Ferdinand von Schills (1806/7-1809)

Harald Lönnecker (Paderborn): Studentische Netzwerke im deutschen Militär (19. Jh.)

Diskussion/ Discussion

Deniza Petrova (Berlin): Loyale Konspiratoren: Militär und geheime Netzwerke in Bulgarien (1885-1930)

Ulrike Schulz (Bielefeld): Die geheime Aufrüstung der Reichswehr am Beispiel der Firma Simson

Jürgen Kilian (Köln): Organisation Consul und Truppenamt – Informelle Strukturen im Generalstabsoffizierkorps der Reichswehr 1919-1935

Alaric Searle (Salford): „Widerstand“ gegen den totalen Krieg: Offiziere und faschistischen Splitter¬gruppen in Grossbritannien, 1937-1941

Diskussion und Zusammenfassung/ Discussion and Summary


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