9. Sitzung des Arbeitskreises "Kleinere und Mittlere Unternehmen" zum Thema "Sport"

9. Sitzung des Arbeitskreises "Kleinere und Mittlere Unternehmen" zum Thema "Sport"

Organisatoren
Arbeitskreis „Kleinere und mittlere Unternehmen“, Thema: Sport, Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e.V.
Ort
Frankfurt am Main
Land
Deutschland
Vom - Bis
26.10.2012 -
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Von
Jörg Lesczenski, Historisches Seminar, Goethe-Universität Frankfurt am Main

Der Sport gilt nicht nur „als die schönste Nebensache der Welt“, sondern – bei Sportanbietern und -konsumenten gleichermaßen – schon längst als ein umsatzträchtiges Milliardenspiel. Eine Studie des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie zum „Wirtschaftsfaktor Sport“ beziffert den „aktiven Sportkonsum“ für das Jahr 2010 in der Bundesrepublik auf 77,6 Milliarden Euro (Ausgaben für Sportbekleidung, -schuhe und -geräte, Fahrten zu Sportveranstaltungen etc.). Für Werbung, Sponsoring und Medienrechte brachten Unternehmen rund 5,5 Milliarden Euro auf. Dabei liegt nicht nur die Sportförderung in erster Linie auf den Schultern mittelständischer Firmen, die 2010 rund 75 Prozent der Gesamtausgaben für das Sponsoring (2,5 Milliarden Euro) aufbrachten.1 Auch in der Sportartikelindustrie erweisen sich Kleine und mittlere Unternehmen (KMU’s) nach Angaben des „Bundesverbands der Deutschen Sportartikel-Industrie e.V.“ mit einem Gesamtumsatz von 11,3 Milliarden Euro und insgesamt 120.000 Arbeitsplätzen (2011) als ein tragender Pfeiler der Branche.

Vor dem Hintergrund der beachtlichen gesamtwirtschaftlichen Bedeutung des Sports ist es umso bemerkenswerter, dass die historische Forschung die deutsche Sportgeschichte bislang vor allem in sozial- und kulturhistorischer Perspektive vermessen und ihre vielfältigen ökonomischen Dimensionen nahezu ganz vernachlässigt hat. Die Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e.V. nahm sich in der 9. Sitzung ihres Arbeitskreises „Kleinere und mittlere Unternehmen“ der reizvollen Aufgabe an, die Chancen einer Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte des Sports zu diskutieren sowie neuere Arbeiten zur Sportbranche und zum Strukturwandel des Profi-Vereinssports zu präsentieren.

In seinem einführenden Beitrag zu Möglichkeiten und Grenzen einer „Sportwirtschaftsgeschichte“ illustrierte GERHARD TROSIEN (Heidelberg) das weite Spektrum von Akteuren, die seit etwa 1900 die Sportbranche konstituieren. Das Zusammenspiel von Vereinen, Staat, Unternehmen, Medien und Sportdienstleister trieb auf kommunaler, nationaler und internationaler Ebene die Entwicklung des „private-“ und „profit-sector“ im Sport voran. Als Schrittmacher der Branchengeschichte erwiesen sich häufig genug KMU’s, die mit hoher Innovationskraft neue Sportprodukte kreierten oder dazu beitrugen (wie etwa die Haribo Gmbh & Co. KG mit ihrem Engagement im Badminton), noch wenig öffentlichkeitswirksame Sportarten zu professionalisieren. Für die Kommerzialisierung der Branche markierten die 1980er-Jahre eine tiefe Zäsur. Die Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees, das Amateurprinzip aus ihren Statuten zu verbannen, die Einführung des dualen Mediensystems in der BRD, das starke Interesse der privaten Sender am Sport, der offene Wettbewerb um die Fußball-Übertragungsrechte, die wachsende Zahl von kommerziellen Sportstudios sowie die Öffnung der osteuropäischen Märkte nach der Erosion des „Eisernen Vorhangs“ haben die ökonomische Bedeutung des Sports und des Sportbusiness deutlich erhöht.

NOYAN DINCKAL (Darmstadt/Paderborn) setzte sich mit dem Sportstättenbau zwischen Kaiserreich und Weimarer Republik auseinander, der vor allem in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg mit der zunehmenden kommerziellen Verankerung des Sports einen beschleunigten Wandel erfuhr. Ging die Initiative zum Stadionbau um 1900 häufig von Vereinen, Unternehmen oder auch sportbegeisterten Funktionären wie Georg Demmler aus, der 1898 die Deutsche Sportbehörde für Athletik gründete und später als Architekt unter anderem den Bau des Poststadions in Berlin-Moabit verantwortete, schob sich nun die Kommune als Akteur in den Vordergrund. Die Kommunalpolitik konzentrierte sich landesweit darauf, öffentliche Einrichtungen zu fördern, die den Freizeitbedürfnissen der breiten Bevölkerung entsprachen und trug fortan maßgeblich zur Expansion der Sportplätze bei. Darüber hinaus ist für die Jahre der Weimarer Republik der Professionalisierungsschub im Stadionbau bemerkenswert, der nunmehr in der Händen spezialisierter Architekten, Ingenieure und Baufirmen lag.

Die „Konjunkturen des Fußball-Konsums“ und den Strukturwandel des deutschen Vereinsfußballs seit den frühen 1960er-Jahren nahm HANNAH JONAS (Tübingen) ins Visier. Nachdem der Fußballsport seit 1963 professionelle Konturen gewonnen hatte (Gründung der Bundesliga, neue Formen des Sportsponsorings etc.), standen die 1970er- und 80er-Jahre für das Profigeschäft im Zeichen der Krise. Die Spielmanipulationen im Abstiegskampf der Saison 1970/71 und die wenig komfortablen Stadien ließen die Zuschauerzahlen sinken. Die prekäre finanzielle Lage zahlreicher Bundesligisten, die keine Modernisierung der Sportstätten erlaubte, der schwierige Kampf um Sponsoren, die nunmehr auf den Tennisboom setzten, und die „Fitnesswelle“ abseits des organisierten Sports verschärften bis weit in die 1980er-Jahre hinein die Krise zusätzlich. Der „turn around“ gelang den Profivereinen in den späten 1980er- und 1990er-Jahren. Der steile Aufstieg der Privatsender, die mit Erfolg Werbung und die Inszenierung von Sport miteinander verbanden, die Arbeit der Marketing-Abteilungen, die den Profifußball von seinem „proletarischen Schmuddel-Image“ befreiten, und der Umbau veralteter Stadien zu modernen Erlebniswelten für die ganze Familie sorgten für einen neuen Aufschwung des professionellen Fußballs.

Abschließend skizzierte BARBARA HÖLSCHEN (Herzogenaurach) die Geschichte und die Funktionen des adidas-Archivs, das auf Ideen des Firmengründers Adolf Dassler zurückgeht, der nicht nur jeden Sportler mit dem bestmöglichen Schuhwerk ausstatten wollte, sondern die Sammlung von Sportschuhen und -geräten als „Anschauungsmaterial“ für wichtig hielt. Heute gehört nicht nur die größte Sportschuhsammlung der Welt zum Archivgut – zu den rund 80.000 Objekten zählen ferner Sportbekleidung und -geräte, Kataloge, Videos und schriftliche Dokumente. Als Serviceeinrichtung dient das Konzernarchiv dem „History Management“ des Unternehmens, das sich besonders der Aufgabe verschrieben hat, die Geschichte der Marke mit Leben zu erfüllen. Das Archiv versteht sich als Schnittstelle der internen Kommunikation, als Ansprechpartner für vertragsgebundene Wettkampfsportler sowie Geschäftspartner und steht mit Hilfe zeitgemäßer Archivdatenbanken auch für externe wissenschaftliche Anfragen zur Verfügung.

Alle Beiträge haben den hohen Wert unternehmens- und wirtschaftshistorischer Ansätze in der Sportgeschichte mit Nachdruck unterstrichen und fast schon eine Flut offener Fragen formuliert. Aus der Perspektive der Unternehmensgeschichte wären Studien, die sich der Historie von KMU’s in der Sportartikelindustrie annehmen, für eine Reihe von Themen aufschlussreich (Innovationsprozesse, Internationalisierung, Zusammenarbeit mit dem Handel, Marktforschung und Marketing etc.). Für die Geschichte der gesamten Sportbranche und ihrer Kommerzialisierung scheint den 1980er-Jahren eine herausgehobene Bedeutung zuzukommen. Ob sich hier rasch Forschungslücken schließen lassen, hängt allerdings auch von der Bereitschaft zentraler Akteure (namentlich der Medienunternehmen) ab, ihre Archive für die wissenschaftliche Nutzung zu öffnen.

Konferenzübersicht:

Begrüßung, Eröffnung:

Matthias Thoma, Eintracht Museum
Wolfgang Jacobi, Leiter des Arbeitskreises „Kleine und Mittlere Unternehmen“

Gerhard Trosien (Heidelberg): Aspekte der Sportwirtschaftsgeschichte

Noyan Dinckal (Darmstadt/Paderborn): Sportstättenbau vom 19. bis ins frühe 20. Jahrhundert

Hannah Jonas (Tübingen): Konjunkturen des Fußballkonsums. Professioneller Vereinsfußball in Deutschland seit 1963

Barbara Hölschen (Herzogenaurach): Bestände im adidas-Archiv

Anmerkungen:
1 Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie: Schlaglichter der Wirtschaftspolitik, Monatsbericht Februar 2012, S. 18-23.


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