Die Geburt der Massenkultur. Weltausstellungen, Medien und Musik im 19. Jahrhundert - Sektion: Weltausstellungen

Die Geburt der Massenkultur. Weltausstellungen, Medien und Musik im 19. Jahrhundert - Sektion: Weltausstellungen

Organisatoren
WGL-Forschungsprojekt „Wege in die Moderne“
Ort
Nürnberg
Land
Deutschland
Vom - Bis
08.11.2012 - 10.11.2012
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Von
Noëmi Leemann, Wien

Die Tagung fand im Rahmen des von der Wissensgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz (WGL) geförderten Forschungsvorhabens „Wege in die Moderne. Die Neueinrichtung der Dauerausstellung von der Französischen Revolution bis zum Ersten Weltkrieg im Germanischen Nationalmuseum“ statt. Im 19. Jahrhundert, so lautet das kontroverse Fazit des Forschungsprojekts, habe sich ein tiefgreifender kultureller Wandel, gar eine „Geburt“ ereignet; neue Medien (-techniken) hätten aufgrund der „Bedürfnisse eines an Größe und Diversität zunehmenden Publikums“ an Bedeutung gewonnen und damit eine neue kulturelle Praxis mit neuen Traditionen begründet. Empirische Grundlage dieser These ist die abteilungsübergreifende Neuerschließung von Objektbeständen aus dem 19. Jahrhundert, im Zuge derer exemplarisch kulturhistorische Themenkomplexe identifiziert worden sind: erstens Weltausstellungen, zweitens Medienexplosion und drittens Musikkultur. Zumal das Herstellen von Zusammenhängen zwischen wissenschaftlicher Abstraktion und materieller, aufgrund zeitgenössischer Prioritätensetzung gesammelter Kultur den Kern jeder interessanten Museumsarbeit ausmacht, eine sehr vielversprechende Ausgangslage für eine anregende Tagung. Die erste Sektion „Weltausstellungen“ wird im folgenden Bericht besprochen.

In der Sektions-Einführung von ROLAND PRÜGEL (Nürnberg), Koordinator der Tagung und wissenschaftlicher Mitarbeiter des WGL-Forschungsprojekts, wurde das Phänomen Weltausstellung mit vier Charakteristika beschrieben: erstens technischer Fortschritt, zweitens Geschmacksbildung durch Stilvorbilder, drittens Konstruktion nationaler Identitäten und viertens Blick auf ferne Welten. Während die Präsentation von technischen Innovationen und die Geschmacksbildung durch Stilvorbilder zu den zeitgenössischen Leitmotiven dieser ersten globalen Großereignisse gehörten, sind nationale Selbstdarstellungen und die Zurschaustellung des Fremden ein Befund, der aus der gegenwärtigen historiographischen Perspektive erwachsen ist: Als „Orte des Zeigens“ können die Weltausstellungen in diesem Sinne sowohl als Epochenbild als auch als ein gesellschaftliches Ereignis verstanden werden, wo neue soziale Grenzen verfestigt worden sind. So wies Prügel etwa darauf hin, dass ein Achtel des Bestandes des Bayrischen Gewerbemuseums als solches – seit 2003 als Leihgabe des Freistaats Bayern ins Germanische Nationalmuseum integriert – auf Weltausstellungen erworben worden ist, gleichsam mit der Idee eine mustergültige Sammlung aufzubauen, aber auch durch den Handel mit Konsuln und Kolonialwarenhändlern, die von der massenwirksamen Inszenierung des Fremden kommerziell profitierten.

GUDRUN M. KÖNIG (Dortmund) hat die sehr differenzierten Thesen ihrer Forschungsarbeit zur Berliner Warenwelt um 1900 vorgestellt1: Sie schlägt vor, die kulturelle Rhetorik der Kunsterziehungs- und Kunstgewerbebewegung und die enorme Vervielfältigung der Dinge in der Phase der Hochindustrialisierung als ineinander verschränkt zu denken. In eine Analyse des modernen Ausstellungswesens müsse deshalb die Auseinandersetzung mit einer neuen, weil kommerzialisierten materiellen Kultur mit einfließen. Dem neu entdeckten „Schauwert der Dinge“2 rechneten die Protagonisten der Debatten um den ästhetischen Geschmack nämlich wertbildende Bedeutung zu und beeinflussten damit auch die kommerziellen Inszenierungen in den Schaufenstern der Warenhäuser. Insofern interpretierte König die Ausstellungen des 19. Jahrhunderts als einen diskursiven und institutionell organisierten Begegnungsort von Kultur, Kunst und Kommerz, wo als funktionales Resultat der Käufer als Kollektiv erfunden wurde.

HILKE THODE-ARORA (München) reihte sich in ihrem Vortrag in den postkolonialen Diskurs der Forschungsarbeiten zu den Weltausstellungen ein und beschrieb eine Traditionslinie zwischen den um 1900 im Unterhaltungsgeschäft sehr beliebten Völkerschauen und den Visualisierungstechniken und räumlichen Anordnungen der Weltausstellungen. Neben den panoramatischen Szenerien betonte sie insbesondere die Immersion der Besucher/innen, die dem Fremden ohne Gefahr und gleichsam bildhaft begegnen konnten. Zur Illustrierung ihrer These zog sie die Völkerschauen des deutschen Unternehmers Carl Hagenbeck und die Ausstellungen in Paris 1867 und Paris 1889 heran; Chicago 1893 kam im Hinblick auf das Spannungsfeld zwischen Wissenschaft, Schaugeschäft und imperialer Politik zur Sprache.3 Interessant war auch ihr Hinweis auf eigene Forschungsvorhaben, welche die agency der Darsteller/innen von Völkerschauen untersuchen und den vom Postkolonialismus thematisierten Kulturkonflikt individualisieren sollen.

Der Beitrag von JOHANNES WIENINGER (Wien) war der erste, der eine Weltausstellung in ihrer Eigenständigkeit und ihrer Bedeutung für die jeweilige Stadt thematisierte: Wieninger behandelte die Geschichte der Asiensammlung des k. k. Österreichisches Museums für Kunst und Industrie (heute Museum für angewandte Kunst/Gegenwartskunst) in Wien, welche mit der Ausrichtung der Weltausstellung 1873 in Wien verschränkt ist. Damals tätigte das Museum eine große Zahl von Ankäufen aus Japan, China, Persien und dem Osmanischen Reich, die – so zeigte Wieninger mit anschaulichen Beispielen – sowohl von handelspolitischen als auch von kunstreformerischen Interessen begleitet waren und nicht zuletzt in Unternehmungen des Kaiserhauses ihre Vorläufer hatten: So fand 1868–1871 eine k. k. Ostasien-Expedition statt, an der beispielsweise Arthur von Scala, späterer Leiter des Orientalischen Museums (1886 umgewandelt in k. k. Österreichisches Handelsmuseum) und in Folge Direktor des k. und k. Museums für Kunst und Industrie, teilnahm.

Gegenstand des Vortrags von PAUL SIGEL (Berlin/Dresden) war die Entwicklung der Weltausstellungs-Architekturen von Bauten internationaler Leistungsschauen zu eigenständigen nationalen Repräsentationsbauten: Obwohl der Ausstellungspalast 1867 in Paris noch alle Nationen in einem Gebäude vereinte, gab es gleichzeitig die Tendenz, einzelne Pavillons mit regionalen "Eigenthümlichkeiten" in einem Ausstellungspark zu errichten. Wenige Jahre später entstanden in Philadelphia 1876 erste kleine nationale Pavillons und schon auf der Pariser Ausstellung von 1878 charakterisierte eine Revue „nationaler Baustyle“ die Eingangsbauten zu den jeweiligen Staatenabteilungen. Die „Rue des Nations“ anlässlich der Pariser Weltausstellung von 1900 war schließlich der Höhepunkt dieser Entwicklung.

Die erste Sektion „Weltausstellungen“ bot aufschlussreiche Einzelpositionen, die den Stand der Forschung gut repräsentierten. Wünschenswert wäre es gewesen, wenn die Referate expliziter auf die Grundthese der Tagung Bezug genommen hätten und sowohl methodisch als auch in der Auseinandersetzung mit der eigenen Forschung Begriffe wie „Masse“ geklärt oder etwa anhand der im Rahmen der WGL-Forschungen neu erschlossenen Objekte Beispiele integriert hätten. Insofern blieben die Beiträge fragmentarisch und auch eine ausstellungstheoretische Debatte fand kaum statt.

Sektionsübersicht:

Sektion 1: Weltausstellungen

Roland Prügel (Nürnberg): Einführung in die Sektion

Gudrun M. König (Dortmund): Von der Weltausstellung ins Museum: der Schauwert der Dinge

Hilke Thode-Arora (München): Ferne Welten hautnah. Völkerschauen und der Blick auf das Fremde

Johannes Wieninger (Wien): Die Asiensammlung im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie und die Wiener Weltausstellung von 1873

Paul Sigel (Berlin/ Dresden): „Von ausgesprochenem nationalen Charakter“. Nationale Pavillons als Medien staatlicher Selbstdarstellung

Anmerkungen
1 Gudrun M. König, Konsumkultur. Inszenierte Warenwelt um 1900, Wien 2007.
2 Alfons Paquet, Das Ausstellungsproblem in der Volkswirtschaft, Jena 1908.
3 Robert Rydell, All the World’s a Fair: Visions of Empire at American International Expositions, 1876-1916, Chicago 1984.


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