Herrschaftslegitimation und ihre Geschichte

Herrschaftslegitimation und ihre Geschichte

Organisatoren
Technische Universität Darmstadt
Ort
Darmstadt
Land
Deutschland
Vom - Bis
11.04.2012 - 14.04.2012
Url der Konferenzwebsite
Von
Robert Eydam, Fachbereich Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften, Technische Universität Darmstadt; Andrew van Ross, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie, Universität Bielefeld; Nadine Holzmeier, Historisches Institut, Fernuniversität Hagen

Studentisches Engagement für das eigene Fach jenseits des Seminarraums hat anscheinend eine gewisse Konjunktur. Möglicherweise brechen sich hier Begeisterungsfähigkeit, Neugierde und „Lust auf mehr“ Bahn, die in einem schmalen, auf unmittelbar sichtbare Ergebnisse ausgerichteten modularisierten Studium nicht voll zu ihrem Recht kommen. Jedenfalls ist es begrüßenswert, wenn Studierende über die formalen Verpflichtungen hinaus die Nähe zu ihrem Fach aktiv ausbauen. Wenn dies, wie in Darmstadt geschehen, auch noch mit Elan, Selbstständigkeit und Professionalität betrieben wird, kann man dem Veranstaltungsteam (Annabell Engel, Stefanie Theuerkauf, Robert Eydam, Alexander Vögler und Sven Weber) – fast durchweg Studierende der TU-Darmstadt – und Teilnehmenden nur zu einer gelungenen studentischen Nachwuchstagung gratulieren.

Mit "Herrschaftslegitimation und ihre Geschichte" war das Thema breit genug angelegt, um Studierende und (einige wenige) Promovierende aus unterschiedlichen geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen zusammenzubringen. Die Palette der jeweils etwa 25-minütigen Vorträge erstreckte sich dann auch von politikwissenschaftlichen über historische und soziologische bis hin zu pädagogischen und philosophischen Beiträgen. Historische, zumal althistorische, Referate bildeten ohne zu dominieren einen gewissen Schwerpunkt, was sicherlich auf die institutionelle Nähe zu den seit 2009 stattfindenden altertumswissenschaftlichen Darmstädter Diskussionen zurückgeführt werden kann. Etwa die Hälfte der Referierenden kam aus der Umgebung, weitere reisten aus Berlin, Bielefeld, Hagen und Heidelberg an.

Natürlich lässt sich kaum über „Herrschaft“ und „Legitimation“ sprechen, ohne auf Max Weber und seine Herrschaftssoziologie zurückzugreifen. Und so war dessen Einfluss mal klarer, mal als Hintergrundrauschen erkennbar. Im ersten Fall war es vor allem Webers Idealtyp der charismatischen Herrschaft, der als bevorzugtes Analyseinstrument zur Erklärung moderner wie vormoderner Herrschaftslegitimation diente. Dies ist berechtigt und streckenweise sogar notwendig, stellt aber beileibe nicht den einzig möglichen Zugriff dar. Daher wurden mit unter anderem Hannah Arendt, Michel Foucault oder Jürgen Habermas auch alternative Autoritäten angeführt oder die empirische Breite genutzt, um eine feinere Analyse durchzuführen, als es Webers doch sehr grobe Typen erlauben. Eine Historisierung oder eine übergeordnete Kritik des Begriffs „Herrschaftslegitimation“ wurde von studentischer Seite nur vereinzelt vorgenommen. Hier halfen die Einführungsvorträge von PETRA GEHRING und PETER NIESEN (Darmstadt), die mit verschiedenen Diskussionsanregungen aus einer philosophischen bzw. politikwissenschaftlichen Perspektive einen sinnvollen Einstieg ermöglichten. Zudem problematisierte der abendliche Gastvortrag von TANJA ITGENSHORST (Berlin) unter Rückgriff auf antike Beispiele die überzeitliche Sinnhaftigkeit des Begriffs selbst.

Dass Herrschaftsstruktur die Interaktion mehrerer Akteure beinhaltet, ist stets aufs Neue zu berücksichtigen. So rückten VINCENT RZEPKA und LYDIA PENZEL (beide Berlin) den benötigten Aushandlungsraum in den Mittelpunkt. Rzepka betrachtete Wahl und Wahlkampf in westlichen Demokratien als performative Formen der Legitimierung. Hier werde eine Konstruktion gemeinsamer Sinnperspektiven vollzogen und Unterstützung generiert, die sich auf der systemischen Ebene ebenso wie auf der parteilichen Ebene manifestiert und in beide Richtungen rückkoppelt. Penzel dagegen nahm eine literatur- und musikhistorische Perspektive ein. Am Beispiel der Opernlibretti „Die Hermannsschlacht“ von C.Weichselbaumer und „Armin“ von Felix Dahn, wies sie auf einen Wandel in der deutschen Oper des 19. Jahrhunderts hin und beschrieb die wachsenden Bemühungen um eine explizit nationale Oper: Die zunächst dominierende Selbstrepräsentation des Herrschers sei im Verlauf des Jahrhunderts einer Identifikation mit Nation und Herrscher durch den Opernstoff gewichen.

Die Beiträge von ALEXANDER VÖGLER (Darmstadt), ANNABELL ENGEL (Heidelberg), STEPHANIE PFÜTZENREUTER (Bielefeld) und HENDRIK BAUMBACH (Marburg) konzentrierten sich auf die Instrumente der Herrschaftseinrichtung und -sicherung. Diese etablierte Perspektive vermag noch immer Überraschendes zu Tage zu fördern. So können scheinbar sachlich-funktionale Einrichtungen wie Provinzialverwaltung – aufgezeigt von Vögler am Beispiel Domitians – eine wichtige Rolle im Prozess der Machtsicherung übernehmen. Auch die Ausübung von Gerichtshoheit im Spätmittelalter folgte einem auf Machtsicherung ausgerichteten Kalkül, wie Baumbach anhand verschiedener Beispiele darlegte. Engel betrachtete kalkulierte Wutausbrüche als kommunikative Akte und warf die Frage auf, inwiefern sie für das Spätmittelalter als bewusst eingesetztes Instrument der Machtsicherung und -steuerung begriffen werden können. Der Aspekt der Kommunikation erklärt auch pompös inszenierte, dann aber doch halbherzig durchgeführte Wettläufe um die Welt hellenistischer Entdecker, die Pfützenreuter in ihrem Beitrag thematisierte.

Zwar nahmen auch die Vorträge von PHILIP AUBREVILLE (Berlin) und NADINE HOLZMEIER (Hagen) den Aspekt einer von oben gesteuerten Legitimation in den Blick, sie konzentrierten sich jedoch stärker auf die historischen Bedingungen und Motive von Legitimierungsprozessen.

Aubreville zeigte am Beispiel der Tetrarchischen Christenverfolgung wie durch Exklusion einzelner Bevölkerungsgruppen die Identität der Bevölkerungsmehrheit geschärft und der Herrscher in seiner Rolle gefestigt werden kann. Diokletian habe bei der 303 einsetzenden Verfolgung Stabilität und Einigkeit für den für 305 geplanten Herrscherwechsel sichern müssen. Holzmeier unternahm den Versuch, äußere Bedingungen dreier legitimatorischer Wendepunkte der mittelalterlichen Geschichte darzustellen. Für die Durchsetzung und Sicherung von Herrschaft seien flexible Legitimitationskonzepte nötig gewesen, die sich im Verlauf des Mittelalters in unterschiedlichen Abstufungen und Überlagerungen zwischen geblütsrechtlicher und sakraler Begründung bewegten und damit in Bewegung blieben.

Das Tagungsthema stellt ein Grundproblem der historischen und gesellschaftlichen Forschung dar, das bereits in der Vormoderne durchaus in Rechnung gestellt wurde. Wie im Vortrag von ANDREW VAN ROSS (Bielefeld) sichtbar wurde, kann bereits dem antiken Historiker Herodot eine zwar nur in Ansätzen vorhandene, aber dennoch differenzierte Herrschaftstheorie nachgewiesen werden, die zumindest im Hinblick auf einzelne Aspekte über den Horizont der modernen Forschung hinausweist. Auch FLORIAN ZIMMERMANN (Heidelberg) ist hier anzusiedeln, wenn er anhand der Historien des Polybios die Anforderungen und Bedingungen denen hellenistische Herrschaft aus der Perspektive des Historikers unterworfen war, zur Darstellung bringt. Zwar falle bei Polybios auch das Verwandtschaftsverhältnis ins Gewicht, entscheidend für die Legitimation des Herrschers seien jedoch ebenso charakterliche Merkmale wie Demut und Maß, anhand derer sich die besondere Gnade, zum Herrschen bestimmt zu sein, nicht minder ausweise.

Mit der Darstellung verschiedener Legitimierungskonzepte beschäftigte sich der Beitrag von STEFANIE THEUERKAUF (Darmstadt) die mit ihrer vergleichend angelegten Betrachtung von Jean-Jacques Rousseau bis Max Weber die konzeptuelle Basis der einzelnen Konzepte gegenüberstellte. BENJAMIN WAGENER (Darmstadt) lieferte mit einem Überblick über unterschiedliche Ansätze und Positionen Martin Heideggers ebenso eine Erweiterung des theoretischen Spektrums, auch wenn nicht explizit die Frage der Herrschaftslegitimation im Vordergrund stand.

So wie bereits bei Penzel deutlich wurde, ist die Kunst als ein wichtiger Akteur, aber auch als guter „Spiegel“ von Legitimierungsmechanismen zu identifizieren. Hier ist der Ansatz von ROBERT EYDAM (Darmstadt) anzusiedeln, wenn er auf der Grundlage der Dichtung Vergils die Aeneis als ein Beispiel augusteischer Legitimationspolitik herausarbeitet

Einen besonderen Zugang zum Tagungsthema wählte MARCEL POST (Berlin): Aus der Perspektive der Pädagogik zeigte er am Beispiel des reformpädagogischen Landerziehungsheimes „Haubinda“ wie auch in den Ideen einer neuen, reformerischen Pädagogik, Herrschaft und Kontrolle ihren festen Platz behaupteten und sich kulturell legitimieren konnten. SVEN WEBER (Darmstadt) hingegen rückte die Folgen einer kriegerischen Auseinandersetzung und das sich damit verändernde Machtgefüge in das Zentrum seines Vortrags. Mit einem Überblick über die mehr oder weniger unterschwelligen Herrschafts- und Steuerungsprozesse der USA in Kuba während des und insbesondere nach dem Spanisch-Amerikanischen Krieg 1898, legte er die inhaltliche Grundlage für die nähere Betrachtung der zugrundeliegenden Legitimationen.

Mit der aktuellen Situation setzen sich BENJAMIN EICHNER (Darmstadt), ANNA KERN (Frankfurt am Main) und PHILIPP HOFMANN (Darmstadt) auseinander. Eichners Betrachtungspunkt war das Verhältnis von Kritik und Herrschaft. Ausgehend von Luc Boltanskis Ansatz, nach dem Kritik und Herrschaft ohne einander nicht funktionieren, konstatierte er eine folgenreiche aktuelle Veränderung in diesem Verhältnis. Der Verweis auf zukünftige Veränderung diene als Legitimationsbasis für politische Entscheidungen, die im Hier und Jetzt stattfinden. Die Funktion der Kritik als Korrektiv werde auf diese Weise marginalisiert, basierte sie doch auf dem Prinzip des Angleichens von institutionalisierten Verfahren an eine veränderte Realität.

Kern nahm sich eines Themas an, welches in aktuellen politischen Debatten häufig einen breiten Raum einnimmt. Sicherheit als ein legitimierendes Prinzip staatlichen Handelns kann auch jenseits einer genaueren gesellschaftstheoretischen Einordnung des Sicherheitsbegriffes selbst als gesetzt gelten. Kern legte dar, dass es sich bei diesem Begriff letztlich um eine inhaltsleere Variable handelt. Genau dadurch sei dieser erkennbar in der Lage, sich entsprechend der sozialen Bedingungen eine jeweils passende Struktur und inhaltliche Ausformung zu geben.

Am Beispiel der aktuellen EU-Ordnungsdebatte zeigte Hoffmann einleitend die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Imperiumstheorien und der Öffnung des nationalen Blickwinkels der EU auf. Die Anwendung des durch die Sozialwissenschaften geprägten Begriffes „regionales Imperium“ auf die EU biete einen alternativen analytischen Zugriff auf dieses Herrschaftssystem. Mit dem inhaltlichen Schwerpunkt auf den Legitimationsdefiziten im Rahmen EU-Ministerratsentscheidungen konnte der Vortrag die thematische Anlehnung an das Tagungsthema ertragreich umsetzten.

Abschließend nahm JOHANN SZEWS (Darmstadt) in seinem Beitrag die Positionen Hannah Arendts zur den Themen Herrschaft und Legitimation genauer in den Blick und lieferte damit gleichsam einen begrifflichen Gegenentwurf zu den bisher thematisierten Konzepten. Macht sei in diesem Konzept als ein Akt der Konsensbildung zu begreifen und als solcher nicht speicherbar, die Legitimation könne nur im erneuten Aushandeln der Akteure erlangt werden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Tagung ihrem Anspruch Interdisziplinarität unter dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern nicht nur in den einzelnen Vorträgen, sondern auch in den fruchtbaren Diskussionen voll gerecht geworden ist. Die Beleuchtung des Themenkomplexes der Herrschaftslegitimation und ihrer Ausprägungen von unterschiedlichen Seiten bot dabei die Möglichkeit die vielschichtige Materie in größerem Maße als üblich zu erfassen und Methoden und Herangehensweisen unterschiedlicher Fachdisziplinen zur Erklärung heranzuziehen.

Konferenzübersicht:

Vincent Rzepka (HU Berlin): Performative Legitimierung der Demokratie. Die Symbolizität von Wahl und Wahlkampf als Generator politischer Herrschaft

Stephanie Pfützenreuter (Bielefeld): Ein Irrtum macht Geschichte. Antike Entdeckungsfahrten als Machtinstrument imHellenismus

Robert Eydam (TU Darmstadt): Die Aeneis als Beispiel augusteischer Legitimationspolitik

Alexander Vögler (TU Darmstadt): Provinzialisierung als Herrschaftslegitimation des aufstrebenden Kaisers Domitian

Nadine Holzmeier (Fernuniversität Hagen): Zwischen Geblütsrecht und Sakralkönigtum – Mittelalterliche Herrschaftslegitimation im Wandel

Annabell Engel (Heidelberg): Ira Regis – Wutausbrüche als Herrschaftsinstrument? Eine Untersuchung am Beispiel von König Sigismund

Hendrik Baumbach (Marburg): Gerichtshoheit als Instrument der Herrschaftslegitimation - Beispiele aus dem 15. Jahrhundert

Lydia Penzel (HU Berlin): „Heil dem Helden Armin!“ – Transformationsprozesse der Herrschaftslegitimation in der Oper des 19. Jahrhundert

Stefanie Theuerkauf (TU Darmstadt): Max Webers Macht- und Herrschaftsbegriff im Vergleich zu anderen Herrschaftsdefinitionen

Andrew van Ross (Bielefeld): „In so langer Zeit kann wohl alles passieren“. Herodot und die historische Bedingtheit von Herrschaft

Florian Zimmermann (Heidelberg): Maßstäbe der Legitimität hellenistischer Monarchen bei Polybios

Philip Aubreville (FU Berlin): Zur Motivation der tetrarchischen Christenverfolgung

Benjamin Wagener (TU Darmstadt): Gerechtigkeit und Herrschaft, was ist gerechtes Urteilen?

Marcel Post (HU Berlin): Kontrolle in der Pädagogischen Provinz

Philipp Hofmann (TU Darmstadt): Imperiale Legitimationsargumente im Kontext der EU-Ordnungsdebatte

Gastvortrag von Frau PD. Dr. Tanja Itgenshorst (Humboldt-Universität zu Berlin / Universität Bielefeld): Herrschaftslegitimation in der Antike - einige skeptische Bemerkungen und zwei Fallbeispiele

Anna Kern (Goethe Universität Frankfurt): Herrschaft mit „Sicherheit“ – Zur materialistischen Analyse einer unterschätzten Legitimationskategorie politischen Handelns

Sven Weber (TU Darmstadt): A splendid little war. Die Legitimation der Herrschaft der Vereinigten Staaten von Amerika über Kuba nach dem Spanisch-Amerikanischen Krieg 1898

Benjamin Eichner (TU Darmstadt): Die Rolle der Kritik in einer managementkonformen Herrschaft

Johann Szews (TU Darmstadt): Hannah Arendt über Macht und Legitimation


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