Österreich ein Akteur im Kalten Krieg? Analysen und Perzeptionen im internationalen Kontext 1955 bis 1991

Österreich ein Akteur im Kalten Krieg? Analysen und Perzeptionen im internationalen Kontext 1955 bis 1991

Organisatoren
Historische Kommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften; Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien
Ort
Wien
Land
Austria
Vom - Bis
21.09.2012 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Philipp Fraund, Universität Konstanz

Die Geschichte des Kalten Krieges kann als sehr gut erforscht angesehen werden. Die Literatur hierzu könnte – so ist man bei der Vielzahl der Titel geneigt zu meinen – ganze Bibliotheken füllen. Diese sehr verallgemeinernde Feststellung muss aber bei näherer Betrachtung mit einigen Einschränkungen versehen werden. Viele Teilbereiche, besonders diejenigen, die die großen Konfliktlinien beschreiben, sind ausgesprochen gut erschlossen. Dazu zählen unter anderem die Geschichte der Auseinandersetzung der beiden Supermächte und die Geschichte der atomaren Rüstung. Andere Bereiche sind dagegen noch kaum erforscht. So ist etwa die Geschichte der Kleinstaaten im Kalten Krieg noch weitgehend unerforscht.

Bei der Begrüßung der Teilnehmer des Workshops „Österreich ein Akteur im Kalten Krieg? Analysen und Perzeptionen im internationalen Kontext 1955 bis 1991“, der am 21. September 2012 an der Universität Wien stattfand, wiesen Oliver Rathkolb (Wien) und Wolfgang Mueller (Wien) explizit auf diesen Umstand hin. Die Organisatoren des Workshops Maximilian Graf (Wien), Florentine Kastner (Wien) und Isabella Lehner (Wien) waren angetreten, Licht in einen unerforschten Bereich zu bringen. Gedacht war diese Veranstaltung, um die Geschichtsschreibung der Republik Österreich über die Jahre der Entstehung des Staatsvertrages (1955), der den Grundstein für ein souveränes Österreich legte, hinweg zu schreiben. So ist es nicht verwunderlich, dass viele der Vorträge eher Präsentationen eines Projektzwischenstandes glichen. Die Vorstellung dieser „Work-in-progress“ Berichte erwies sich nichtsdestotrotz als wesentlich spannender und interessanter als die Präsentation von Ergebnissen bereits abgeschlossener Forschungsprojekte.

In seiner keynote lecture wies ERWIN SCHMIDL (Wien / Innsbruck) darauf hin, dass der Begriff „Kalter Krieg“ zwar der geläufigere sei, die Verwendung des Begriffes „Ost-West-Konflikt“ aber die bessere Ausdrucksmöglichkeit darstelle. Die Geschichtsschreibung dieses Konflikts sei oftmals nur die Beschreibung der Geschichte der beiden Blöcke, während die Frage nach dem Aktionsradius kleinerer Staaten bzw. der blockfreien Staaten noch weitgehend unerforscht sei. Dabei zeige gerade dieser Aspekt der Geschichte des Kalten Krieges auch die Ohnmacht der Supermächte gegenüber der Politik dieser kleineren Staaten. Ferner wies er daraufhin, dass sich viele der nach dem Ende des Ostblocks entstandenen und überwiegend durch Drittmittel finanzierten Forschungsprojekte wie das Cold War International History Project (CWIHP) oder das Parallel History Project mit einer zunehmenden Verknappung der Fördermittel konfrontiert sehen. Auslöser hierfür sei die Zäsur durch die Ereignisse des 11. September 2001, die zu einer Änderung im Fokus der Geldgeber geführt hätte.

Die Rolle Österreichs in der Geschichte der Nutzung der Atomenergie beleuchtete CHRISTIAN FORSTNER (Jena) in seinen Vortrag „Kernspaltung und Westintegration“. Die friedliche Nutzung der Kernenergie sei, spätestens mit Eisenhowers „Atoms for Peace“-Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen, ein Desiderat amerikanischer Politik gewesen. Ziel dieser Initiative war es, die militärische Nutzung der Kernenergie in den Partnerländern zu verhindern. In Österreich sei es jedoch zu einem Wettstreit der Forschungsreaktoren gekommen: Eine privatwirtschaftliche Initiative und ein aus staatlichen Stellen und Hochschulen gebildetes Forschungsinstitut existierten hier nebeneinander und konkurrierten um Forschungsaufträge. Im Rahmen einer zunehmenden Vernetzung innerhalb Europas sei der Einfluss der USA immer weiter zurückgegangen.

Die Angst vor dem Atom war das Thema des Vortrages von DORIS NEUMANN-RIESER (Wien). Als Literaturwissenschaftlerin suchte sie einen Zugang zu diesem Thema über die Literatur. Ihr Fazit, dass die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges die Werke der untersuchten Autoren prägten und diese Erfahrungen auf die neue Gefährdung übertragen werden, ist zwar nachvollziehbar, wünschenswert wäre es aber gewesen, etwas über die Rezeptionsgeschichte dieser Autoren zu erfahren.

Wien ist der Sitz der Internationalen Atomenergiebehörde, der IAEA. In ihrem Vortrag „Welthauptstadt der Atome“ setzte sich ELISABETH RÖHRLICH (Wien) mit der Gründungsgeschichte der IAEA auseinander. Ausgehend von der Geschichte der Vorläuferorganisationen rekonstruierte sie die Frühgeschichte des IAEA. Dabei ging sie auch auf die Frage ein, warum Wien zum Standort der IAEA auserkoren wurde. Ihren Ergebnissen zufolge war die Entscheidung für Wien eine politische Entscheidung, die nicht zuletzt ihre Ursache darin hatte, dass Österreich zwar neutral, aber als zum Westen zugehörig angesehen worden sei. Um aber letztlich den Zuschlag für Wien zu bekommen, sei die österreichische Regierung selber aktiv geworden und hätte auf diplomatischem Wege in den USA, in Großbritannien und Kanada für die Zustimmung geworben.

KATEŘINA LOZOVIUKOVÁ (Liberec / Wien) untersuchte in ihrem Vortrag „Österreich als „Schlachtfeld“ des Kalten Krieges“ die Rezeption Österreichs durch die tschechoslowakischen Geheimdienste. Österreich sei demnach zum einen als Operationsgebiet in einem Krieg, aber auch als „safe heaven“ in Friedenszeiten gesehen worden. In den Archiven der tschechoslowakischen Geheimdienste seien ungefähr 12.000 Eintragungen zu österreichischen Zielobjekten und hunderte sogenannter „Objekthefte“ zu finden, die einen sehr guten Einblick in die Zeitgeschichte Österreichs böten. Gleichzeitig würde aber Österreich meist nur im Zusammenhang mit der größeren Bundesrepublik Deutschland (BRD) abgehandelt. Ferner seien diese Berichte auch eine Quelle für die Ereignisse an der österreichisch-tschechoslowakischen Grenze.

Mit der Politik der Republik Österreich gegenüber ihren östlichen Nachbarn und deren Rezeption durch die BRD und die DDR beschäftigte sich MAXIMILIAN GRAF (Wien). Diese sogenannte „Nachbarschaftspolitik im erweiterten Donauraum“ sei letztlich eine österreichische Spielart der „Ostpolitik“ des deutschen Bundeskanzlers Brandt gewesen. Der Staatsvertrag sei hierbei der Kristallisationspunkt einer eigenständigen Ostpolitik, aber auch deren Grundvoraussetzung gewesen. In Bonn hätte aber eine gewisse Skepsis gegenüber der österreichischen Neutralität bestanden, während Berlin (Ost) darüber enttäuscht gewesen sei, dass Österreich militärisch neutral war. Die Sowjetunion sei hingegen an guten Beziehungen zur Österreich interessiert gewesen. Österreich sei also über seine Ostpolitik in seine Rolle als Begegnungsplatz im Kalten Krieg hineingewachsen.

Mit einem Blick von außen auf Österreich befasste sich ISABELLA LEHNER (Wien). In der Präsentation ihres Projektes untersuchte sie „Die britische Wahrnehmung Österreichs während der Ära Kreisky. Eine Annäherung am Beispiel der Zeitung 'The Times'“. Da dieses Projekt noch am Anfang steht, konnten hier nur erste Ergebnisse präsentiert werden, die gleichwohl aber überraschen konnten. Obwohl, dies muss hier gesagt werden, die Schlagwortsuche im Internetarchiv der Times durchaus mit methodischen Fragezeichen behaftet ist und es bisher nicht möglich war, essentielle Fragen zu klären, gelangen doch erstaunliche Funde. So sei die Berichterstattung über Österreich sehr allgemein gehalten bzw. nur auf die Person Bruno Kreiskys beschränkt. Österreich werde dabei aber vor allem als passives und/oder neutrales Land beschrieben, während Kreisky als politisch aktiv lobend dargestellt werde. Die meisten Berichte über Österreich hätten jedoch den Charakter einer Werbeschrift für Österreich, so werde das Land häufig als Kultur- und Tourismusnation porträtiert.

BENJAMIN GILDE (Frankfurt am Main) ging in seinem Vortrag „Neutraler Vermittler oder missionarische Absichten? Österreich und die humanitäre Dimension des KSZE-Prozesses 1969-1983“ der Frage nach, inwieweit Österreich im Rahmen der KSZE und hier insbesondere im Rahmen der Verhandlungen um den 3. Korb der KSZE Schlussakte von Helsinki, als neutraler Vermittler oder als Partei mit missionarischen Absichten auftrat. So sei eine Einschaltung Österreichs bei Härtefällen durchaus als Spezialität der österreichischen Politik gesehen worden. Allerdings habe Bruno Kreisky meistens darauf verzichtet, sich explizit auf die KSZE-Schlussakte zu berufen. Manchmal hätten auch gut gemeinte Aktionen einen gegenteiligen Effekt für die Betroffenen gehabt. So hätte beispielsweise das Einschreiten Österreichs zugunsten der Mitglieder der Charta 77 zu einer Verstärkung der Repressionen geführt. Gilde kommt bei seinen Untersuchungen zu dem Fazit, dass die österreichische Politik keinerlei missionarische Absichten gehabt hätte, während die Diplomaten den 3. Korb der KSZE Schlussakte als Chance auf einen Wandel im Ostblock begriffen hätten.

Einen Aktenfund zur Geschichte des United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) präsentierte LUKAS SCHEMPER (Genf). Sein Vortrag „Österreich und die Repatriierung Sowjetischer Flüchtlinge in den 1950er Jahren“ befasste sich mit einer der tragischsten Nachwirkungen des Zweiten Weltkrieges. Demnach befanden sich im Jahr 1945 ca. 12 Millionen Displaced Persons (DP) in Deutschland und Österreich. 1951, dem Jahr der Gründung des UNHCR, war diese Zahl auf ca. 400.000 so genannte „hard-core“-Fälle zurückgegangen. Im Jahr 1953 hätten sich noch 2000 sowjetische und 1000 baltische DPs in Österreich befunden, die von der Sowjetunion nun zwangsrepatriiert werden sollten. Das UNHCR hätte nun den sowjetischen Forderungen widerstanden, sich an der Repatriierung zu beteiligen, hätte aber nichts gegen die sowjetischen Maßnahmen einzuwenden gehabt.

Einen work in progress-Bericht zur Geschichte der Vereinten Nationen unter der Ägide des Generalsekretärs Kurt Waldheim präsentierte FLORENTINE KASTNER (Wien). Der Kalte Krieg war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr nur eine Auseinandersetzung zwischen den beiden Supermächten, der Fokus hatte sich – nicht zuletzt durch die Konflikte in Afrika und Asien – immer mehr in Richtung der Dritten Welt verschoben. Sichtbare Manifestation dieser Schwerpunktverschiebung waren die Flüchtlingsströme in Asien und Afrika. Florentine Kastner versuchte das Verhalten der Vereinten Nationen gegenüber dieser neuen Herausforderung anhand zweier Fallstudien aus Bangladesch und Kambodscha darzustellen. In ihrem Vortrag wurde deutlich, mit welchen Schwierigkeiten sich der zu zeitgeschichtlichen Themen arbeitende Historiker mitunter konfrontiert sieht. So versuche das UNHCR persönliche Daten von Flüchtlingen in seinen Akten zu schützen, während das Internationale Komitee des Roten Kreuzes übervorsichtig mit dem Zugang zu Informationen sei.

STEFAN MAURER (Wien) befasste sich in seinem Vortrag mit dem österreichischen Schriftsteller Wolfgang Kraus (1924 - 1998), der nicht nur schriftstellerisch tätig war, sondern auch als Netzwerker und Botschafter für österreichische Kultur. So knüpfte er unter anderem Kontakte zum „Kongress für Kulturelle Freiheit“, einer Künstlervereinigung, in der unter anderem Manès Sperber und Heinrich Böll organisiert waren, die sich aber später als von der CIA finanzierte Organisation entpuppte. Österreich sei insofern auch ein Akteur in einem kulturellen Stellvertreterkrieg gewesen.

In ihrem Vortrag „Kulturaußenpolitik als Mittler zwischen Ost und West“ stellte ANDREA BRAIT (Wien) fest, dass es Ziel der österreichischen Kulturaußenpolitik gewesen sei, das Ansehen Österreichs im Ausland zu stärken. Dabei sei aber auch die Anbahnung wirtschaftlicher Kontakte immer ein Ziel der Aktivitäten gewesen. Ab den 1960er-Jahren sei eine zaghafte Expansion der Österreichischen Kulturinstitute nach Osteuropa festzustellen, wobei allerdings nie ein solches Kulturinstitut in Ostberlin geplant wurde.

AGNES MEISINGER (Wien) betrachtete in ihrem Vortrag die Position Österreichs gegenüber dem Boykott der Olympischen Spiele des Jahres 1980 in Moskau durch die meisten westlichen Staaten. Offenbar hätte der amerikanische Präsident Jimmy Carter auch versucht, die österreichische Politik in diesem Sinne zu beeinflussen. Die Österreichische Regierung allerdings hätte, selbst wenn sie gewollt hätte, keinen derartigen Einfluss auf das Nationale Olympische Komitee Österreichs ausüben können, da dieses als Verein organisiert gewesen sei.

In ihrem Schlusskommentar wies GABRIELE METZLER (Berlin) darauf hin, wie wichtig ein Generationenwechsel für die Zeitgeschichtsschreibung sei. Ein solcher sei auch bei diesen Vorträgen festzustellen gewesen.

Insgesamt bot der Workshop einen sehr umfassenden und interessanten Querschnitt durch neuere Forschungen zu Zeitgeschichte Österreichs. Die Ausgangsfrage, ob Österreich ein Akteur im Kalten Krieg gewesen sei, lässt sich dahingehend beantworten, dass Österreich durchaus im Kalten Krieg aktiv gewesen ist. Allerdings war die Rolle Österreichs, außer als Standort der IAEA, eher auf das – vielleicht effektivere – Wirken im Hintergrund beschränkt. Das Ziel, das Forschungsfeld der Geschichte der kleineren Staaten im Kalten Krieg zu beleuchten, zeigt für den Fall Österreichs einen dynamischen Fortschritt. Wünschenswert wäre nun eine Vertiefung und Beibehaltung dieses Trends.

Konferenzübersicht:

Oliver Rathkolb (Wien) und Wolfgang Mueller (Wien): Begrüßung

Erwin Schmidl (Wien / Innsbruck): Keynote lecture: Kalter Krieg und heißer Frieden, Gedanken zur Konfliktentwicklung in der Zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Panel 1: Die atomare Herausforderung

Christian Forstner (Jena): Kernspaltung und Westintegration. Beispiel Österreich.

Doris Neumann-Rieser (Wien): Atomangst in Österreich.

Elisabeth Röhrlich (Wien): „Welthauptstadt der Atome“ – Die Gründung der IAEA in Wien (1957).

Panel 2: „Akteur“ oder „Trittbrettfahrer“? Perzeption zwischen Ost und West

Kateřina Lozoviuková (Liberec / Wien): Österreich als „Schlachtfeld“ des „Kalten Krieges“ aus der Perspektive der tschechoslowakischen Geheimdienste.

Maximilian Graf (Wien): Österreichs „Ostpolitik“ im Kalten Krieg. Eine doppeldeutsche Sicht.

Isabella Lehner (Wien): Die britische Wahrnehmung Österreichs während der Ära Kreisky. Eine Annäherung am Beispiel der Zeitung „The Times“.

Panel 3: Österreich(er) in humanitärer Mission? Die supranationale Ebene im Kalten Krieg

Benjamin Gilde (Frankfurt am Main): Neutraler Vermittler oder missionarische Absichten? Österreich und die humanitäre Dimension des KSZE-Prozesses 1969-1983.

Lukas Schemper (Genf): Österreich und die Repatriierung Sowjetischer Flüchtlinge in den 1950er Jahren. Eine Analyse basierend auf den Dokumenten des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen.

Florentine Kastner (Wien): Über Europa hinaus: Die UNO, Generalsekretär Waldheim und der Kalte Krieg in der „Dritten Welt“.

Panel 4: Neutrale Schauplätze? Kultur und Sport im Kalten Krieg

Stefan Maurer (Wien): „Der Boden des neutralen Österreichs scheint und besonders für eine kulturelle Auseinandersetzung zwischen Ost und West geeignet zu sein…“ Wolfgang Kraus’ Netzwerke im kulturellen Kalten Krieg.

Andrea Brait (Wien): Kulturaußenpolitik als Mittler zwischen Ost und West.

Agnes Meisinger (Wien): Die österreichische Haltung zum Boykott der Olympischen Sommerspiele 1980 in Moskau.

Schlusskommentar: Gabriele Metzler (Berlin)