HT 2012: Juden und Christen als Akteure in Konflikten um materielle Ressourcen in der Vormoderne

HT 2012: Juden und Christen als Akteure in Konflikten um materielle Ressourcen in der Vormoderne

Organisatoren
Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD); Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD)
Ort
Mainz
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.09.2012 - 28.09.2012
Url der Konferenzwebsite
Von
Björn Siegel, Institut für die Geschichte der deutschen Juden (Hamburg)

Das Wechselspiel zwischen Ressourcen und Konflikten rückte auf dem 49. Deutschen Historikertag in Mainz (25.-28. Sept. 2012) ins Zentrum des Interesses. Die Sektion „Juden und Christen als Akteure in Konflikten um materielle Ressourcen in der Vormoderne“ folgte diesem Leitthema. Die intensiven Interaktionen der beiden Themenfelder nahm der Moderator der Sektion, ANDREAS BRÄMER (Hamburg), zum Anlass, nicht nur nach den Konfrontationen, sondern auch nach den tiefer liegenden Problemen bzw. Auslösern dergleichen sowie der Relevanz zeitgenössischer antisemitischer Diskurse zu fragen. Mit diesen Denkimpulsen stellte Brämer die Sektionsteilnehmer/innen der Herausforderung, die Konflikte über die oberflächliche Betrachtung hinaus zu analysieren und zu kontextualisieren.

Anhand der Versorgungskrisen des 15. Jahrhunderts analysierte CHRISTIAN JÖRG (Trier) die jüdisch-christlichen Beziehungen. Die Verknappung von Lebensmittel durch die vermehrt auftauchenden Ernteausfälle, die durch Kriege und klimatische Bedingungen verursacht worden waren, war ein Grundproblem mit dem sich die mittelalterliche Gesellschaft auseinandersetzen musste. Die Stadtverwaltungen, die durch schlechte Vorratshaltung mit Preissteigerungen und Hungersnöten konfrontiert waren, versuchten der Notsituation entgegenzuwirken. Neben der traditionellen Politik der Ausweisungen von Bettlern und anderen Bevölkerungsgruppen war es vor allem die Politik der überregionalen Getreidekäufe (zum Beispiel von Frankfurt am Main, Nürnberg oder Augsburg), die die lokalen Mangelsituationen entschärfen sollten. Trotz dieser Entschärfungspolitik belasteten die Versorgungskrisen besonders die jüdisch-christlichen Beziehungen. Dabei spielten sowohl religiös bedingte anti-jüdische Stimmungen eine Rolle, als auch die existierenden ökonomischen Interessenskonflikte. Von einer monokausalen Begründung der problematischen und spannungsreichen jüdisch-christlichen Beziehung riet Jörg aber deutlich ab. Dennoch verdeutlichte er, dass es besonders die jüdische Bevölkerung war, die in den gesellschaftlichen Diskursen, wie zum Beispiel über die Wucherer oder die Kornhändler in den Fokus der Kritik geriet. So trat implizit in den Chroniken des 15. Jahrhunderts eine Vermengung des Bilds des Juden, Wucherers und Kornhändlers auf, so dass sich eine Stigmatisierung der jüdischen Bevölkerung bzw. den Kornjuden als Gegner der Gesellschaft festsetzte.

Der Kornjude, der zum Symbol für die negativen Entwicklungen während der Ernährungskrisen wurde, stand aber auch für eine immer stärkere Vernetzung jüdisch-christlicher Geschäftsbeziehungen, da die Juden, zum Beispiel in Valencia über transnationale Beziehungen verfügten und so hilfreich im internationalen Kampf gegen die Ernährungskrise sein konnten. Jörgs exemplarische Vorstellung der jüdischen Kornhändler von Valencia verdeutlichte so auf der einen Seite die schwierige Situation der jüdischen Bevölkerung in der krisengeschüttelten mittelalterlichen Gesellschaft, veranschaulichte aber auf der anderen Seite auch die besondere Position, die die jüdischen Händler durch ihr Spezialwissen einnehmen konnten.

Schlussendlich führten die Versorgungskrisen des 15. Jahrhunderts laut Jörg zu einer Verschärfung der exkludierenden Tendenzen, die sich immer häufiger und deutlicher gegen die jüdischen Gemeinden richteten. Dabei spielten neben den städtischen Interessen auch die äußeren Faktoren, wie zum Beispiel der Einfluss der Amtskirche oder die Konzile (zum Beispiel das Konzil von Basel oder Konstanz) eine gesonderte Rolle. So stellte Jörg klar, dass die Konflikte über die Ressource Getreide zum Teil zum Auslöser von Ausweisungen und Vertreibungen wurden. Die gleichzeitig stattfindende überregionale Zusammenarbeit, die auch eine Verstärkung der jüdisch-christlichen Kontakte darstellte, konnte dem generellen Trend der zunehmenden exkludierenden Tendenzen aber nicht grundsätzlich entgegenwirken.

Einen weiterführenden Blick warf ROBERT JÜTTE (Stuttgart) im folgenden Beitrag auf das Thema des Kornjuden. Die Hunger- bzw. Getreidekrisen in der frühen Neuzeit führten nicht nur zu einer Preisexplosion und Versorgungskrise, sondern auch zur Etablierung eines allgemein bekannten Stereotyps des Kornjuden. Dieses negative Bild war laut Jütte zu Beginn noch nicht auf die jüdische Bevölkerung beschränkt, sondern nutzte eher die negative Konnotation des Begriffs zur Beschreibung von Personen, die eine unnötige Verteuerung der Ressource Getreide vorantrieben. Eine Verengung der Definition fand erst in den folgenden Jahrzehnten statt und spiegelte sich unter anderem in der Popularität der Kornjudenmedaillen wider. Deutlich nutzten die Kornjudenmedaillen eine anti-jüdische Bildsprache und griffen die Ausgrenzung der Juden auf. So zum Beispiel die Kornjudenmedaille von 1694 (aus Silber), die einen wandernden, gebeugten und „mit dem Teufel im Bunde“ stehenden Juden zeigte. Exemplarisch verdeutlicht die Medaille die enge Verbindung zwischen Religion und Ökonomie, die in der frühen Neuzeit noch von dem Konzept der „gute narung“, das heißt einer christlich fundierten Ökonomie bestimmt war. Die von dem Historiker Edward P. Thompson entwickelte Theorie der moralischen Ökonomie trat somit deutlich auf den Kornjudenmedaillen hervor. Besonders akribisch arbeitete Christian Wermuth in Gotha an solchen Medaillen, die er auch über seinen eigenen lokalen Raum hinaus vertreiben konnte.

Wie weitreichend die Ausbildung des Stereotyps Kornjude war, verdeutlicht die Kontinuität der Kornjudenmedaillen. Als Mitte des 18. Jahrhunderts klimatische Bedingungen erneut zu Ernteschäden führten und Versorgungsengpässe auftauchten, kam es zu einer Renaissance der Kornjudenmedaillen. Johann Christian Reichs Medaillen aus dem Jahre 1772/73 (aus Zinn) bedienten sich einer ähnlichen anti-jüdischen Bildsprache und verurteilten die unmoralische Tätigkeit der Kornhändler und Spekulanten. Das damit auch Nicht-Juden ins Zwielicht gestellt wurden, war eingeplant. So argumentierte Jütte, dass erst im 18. Jahrhundert die anti-jüdische Stoßrichtung allgemein gültig prägend wurde und vor allem dadurch getragen wurde, dass die Stadtverwaltungen von den jeweiligen Versäumnissen, wie z.B. besserer Vorratshaltung, ablenken wollten. Das Stereotyp Kornjude war somit oft ein Instrument politischer Mobilisierung. Gerade das Argument, dass eine anti-jüdische Bildsprache nicht unbedingt von vornherein anti-semitisch gedeutet werden müsse, rief einige Diskussionen hervor.

Einen weiteren Ressourcenkonflikt analysierte PETER RAUSCHER (Wien), der die besondere Situation jüdischer Heeres- und Münzlieferanten genauer beleuchtete. Neben der traditionell anerkannten Konkurrenzsituation zwischen jüdischen und christlichen Kaufleuten wandte er sich den fortdauernden Kooperationen beider Seiten zu und versuchte damit, einen eher traditionellen Annäherungspunkt an das Hofjudentum im Kontext des frühmodernen Staates zu setzen, ohne es dabei zu einem „Handlanger des Absolutismus“ zu degradieren. In der Tradition von Selma Stern, die die merkantilistische Ökonomie und die Veränderungen der jüdischen Gemeinde zusammen betrachtete, suchte Rauscher die oft zu kurz gegriffenen Handbuchdefinitionen dieser Beziehungen aufzubrechen. Dabei zeichnete Rauscher die Argumentationskette Sterns nach, die sich schon in den 1920er-Jahren gegen eine antisemitische Lesart des Hofjudentums wandte und vielmehr eine Neuakzentuierung durch einen wirtschaftsgeschichtlichen Zugang propagierte. Lange war aber die Herangehensweise an das Hofjudentum bestimmt durch ein generelles Desinteresse an wirtschaftshistorischen Fragen, als auch durch eine Übervorsichtigkeit, sich selbst in die Nähe antisemitischer Forschungen wie zum Beispiel von Werner Sombart zu stellen. Die Ideen von Rotraud Ries, die die innerjüdischen Bedeutung des Hofjudentums, wie zum Beispiel im Kontext der Kulturvermittlung, der Familienbeziehungen usw. in den Vordergrund stellten, hielt Rauscher daher für besonders fruchtbar.

Neben dem Münzhandel lenkte Rauscher den Blick auf die Heereslieferanten, die ebenfalls für die Etablierung einer modernen Staatsgewalt unabdingbar waren. Jüdische wie nicht-jüdische Lieferanten wurden laut Rauscher im 17. Jahrhundert zu neuen Stützen für die Staatsstruktur. Samuel Oppenheimer, einer der ersten und nach der Stern’schen Typologie klassischsten Hofjuden, hatte im habsburgischen Reich weitreichende Privilegien erhalten, wobei er deutlich in der Abhängigkeit zum Herrscher verblieb. Durch die Präsentation der Staats- bzw. Militärausgaben verdeutlichte Rauscher den immensen Finanzbedarf, den das Habsburgerreich zwischen 1655 bis 1735 hatte und zeigte damit auf, wie intensiv jüdische Lieferanten die Staatsstrukturen mit etablierten bzw. anhand des Beispiels Samson Wertheimer, als Gläubiger die Entwicklung der habsburgischen Staatsmacht unterstützten. Zusätzlich setzte sich Rauscher mit anderen Münzlieferanten auseinander, wie zum Beispiel mit Jacob Bassevi, dem Vorsteher der jüdischen Gemeinde in Prag, der sich in der Münzpolitik einen Namen gemacht hatte. Im habsburgischen Kontext wies Rauscher nach, dass sich Juden in der Münzproduktion spezialisierten, Expertenwissen aneigneten und sich überregional vernetzen. Trotz der unterschiedlichen Erfolge des europäischen Hofjudentums mahnte Rauscher aufgrund der aufgezeigten Zentralität neue Forschungen jenseits von antisemitischen Stereotypen und Kapitalismus-Kritik an.

Eine interessante Mikrostudie legte SABINE ULLMANN (Eichstätt) vor. Ihre Untersuchung zur Dorfgemeinschaft Pfersee analysierte den jüdisch-christlichen Konflikt über die dörfliche Lastenverteilung in der Folge des Spanischen Erbfolgekrieges. Pfersee als Vorort der Reichsstadt Augsburg war besonders von den Belastungen betroffen und versuchte daher, die Kosten zu minimieren. Die christliche Dorfgemeinschaft formulierte demzufolge einen Anspruch gegenüber der jüdischen Gemeinde, die bedingt durch ihr Wachstum einen höheren Kostenanteil zahlen sollte. Die jüdische Gemeinde hielt dieser Argumentation entgegen, dass zum einen die Anlagenberechnungen deutlich überhöht seien und zum anderen der Verkauf einer Allmendeweide, die Gemeinbesitz aller Dorfbewohner sei, nicht in diese Berechnung mit einbezogen wurde. Die gerichtliche Auseinandersetzung zwischen 1703 bis 1712 führte letztendlich zu einer Zuspitzung, der die Frage zu Grunde lag, ob die Juden Reichsbürger und den christlichen Dorfbewohnern gleichzustellen seien. In einer detaillierten Nachforschung zeigte Ullmann auf, wie beide Seiten des Konflikts juristische Argumentationsketten erarbeiten, um den eigenen Standpunkt darzulegen. Dabei bezogen sie sich auf die im 16. bis 17. Jahrhundert entstandene Literatur, wie zum Beispiel Nachschlagewerken usw., die die judenrechtlichen Fragen abhandelten. So verwiesen die jüdischen Verteidiger unter anderem auf die Stellung der Juden als römische Bürger, denen ein Mitrecht am Gemeindebesitz eingeräumt wurde. Dieser Argumentation widersprachen die Advokaten der christlichen Dorfgemeinde, die den Ausschluss der Juden ebenfalls mit den umfangreichen Verweisapparaten auf die existierenden Rechtsschriften begründeten. Zusätzlich wurden Bezüge zur territorialen Gesetzgebung sowie zum Argument der dörflichen Praxis hergestellt, wobei sich deutlich die zeitgenössische widersprüchliche bzw. interpretationsfähige rechtliche Stellung der Juden abzeichnete. Am Ende erreichten die Juden von Pfersee die Verrechnung des Verkaufes entsprechend dem normalen Schlüssel. Die kleine aber wohlhabende jüdische Gemeinde Pfersee hatte gute Beziehungen zu den großen Höfen in Wien und München und konnte sich so diesen finanzintensiven Rechtsstreit leisten. Dennoch haben bereits existierende Lokalstudien zu Baden, Schwaben, Franken, der Oberpfalz sowie im Saar-Mosel Raum und in Hessen ähnliche Konflikte nachgewiesen, so dass Pfersee wohl kein Einzelfall war.

In einem zusammenfassenden Kommentar griff MARK HÄBERLEIN (Bamberg) noch einmal die verschiedenen Aspekte der Sektion auf. Dabei stellte er fest, dass Ressourcenkonflikte auch immer als Zäsuren für das jüdisch-christliche Verhältnis angesehen werden müssten und eine deutlichere Berücksichtigung in den Forschungsstudien finden sollten. Zusätzlich mahnte er an, die Entwicklung moderner Ökonomien genauer in den Blick zu nehmen und zugleich nicht nur die Konkurrenz-, sondern auch die Kooperationssituationen jüdischer und christlicher Akteure intensiver zu erforschen. Die unterschiedlichen Perspektiven und Herangehensweisen könnten so die jüdische Geschichte im Mittelalter beleuchten und gleichzeitig neue Impulse setzen.

Die Sektion verdeutlichte, dass anhand von Mikrostudien wichtige Einblicke in das jüdisch-christliche Verhältnis gewährt und durch verschiedene Beispiele regionale sowie überregionale Bezüge sichtbar gemacht werden können. Zudem veranschaulichte die Sektion, dass Krisensituationen nicht nur Konflikte über schwindende Ressourcen auslösten, sondern auch neue Kooperationsmöglichkeiten zwischen Juden und Christen ermöglichten. Das Schwarz-Weiß Bild, welches oft von der jüdisch-christlichen Beziehung in der Vormoderne gezeichnet wird, muss somit durch mehrere Graustufen ergänzt werden, um der Vielfältigkeit der Beziehungen – im positiven wie im negativen Sinne – gerecht zu werden.

Sektionsübersicht:

Sektionsleitung: Sabine Ullmann (Eichstätt)

Andreas Brämer (Hamburg): Moderation

Christian Jörg (Trier): Christen und Juden während der Versorgungskrisen des 15. Jahrhunderts

Robert Jütte (Stuttgart): Das Bild vom „Kornjuden“ als Antifigur zum frühneuzeitlichen Prinzip der „guten narung“ und der „moral conomy“

Peter Rauscher (Wien): Prekäre Güter: Juden als Heeres- und Münzlieferanten in der Frühen Neuzeit

Sabine Ullmann (Eichstätt): Gemeinsam genutzte Ressourcen von Christen und Juden – eine Chance zur Integration?

Mark Häberlein (Bamberg): Kommentar


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