Die 'Kunst des Adels' in der Frühen Neuzeit

Die 'Kunst des Adels' in der Frühen Neuzeit

Organisatoren
Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel; Tagungsleitung: Claudius Sittig, Universität Rostock; Christian Wieland, Universität Düsseldorf
Ort
Wolfenbüttel
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.05.2012 - 01.06.2012
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Von
Claudius Sittig, Universität Rostock; Christian Wieland, Universität Düsseldorf

Die durch die Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung geförderte, interdiszipinäre Tagung – versammelt waren Historiker, Kunsthistoriker, Sprach- und Literaturwissenschaftler sowie Musikwissenschaftler – stand unter der Frage, inwiefern es für die Betrachtung des frühneuzeitlichen Adels sinnvoll ist, einerseits von einem standesspezifischen, „eigensinnigen“ Umgang mit Kunst auszugehen, und andererseits diese Form der künstlerischen Praxis mit einer spezifisch adligen Lebensform überhaupt, den ästhetisch-performativen Dimensionen adliger Existenz, in Verbindung zu setzen. Diese Fragestellung steht im Gegensatz zu tradierten „großen Erzählungen“, nach denen der Adel bildungsfern war, er Kunst primär als Repräsentationskunst gebrauchte und damit missbrauchte und die eigentliche, die moderne Kunst sich erst in der Emanzipation von höfischen, ständischen und damit adligen Zwängen entwickelte. Selbstverständlich handelt es sich bei dem Adel der Frühen Neuzeit um eine in chronologischer, sozio-ökonomischer und politischer Hinsicht variable Größe, und auch das System der frühneuzeitlichen Künste war überaus dynamisch und variabel; dennoch sollte es möglich sein, in einem europäischen Vergleich die Frage zu erörtern, ob es einen eigenen Habitus adliger Akteure für die künstlerische Praxis gab (wobei die Grenzen zwischen Produktion, Distribution und Rezeption fließend sind), ob ein eigener Kommunikationsraum des frühneuzeitlichen Adels existierte, eine Art von „kultureller Kommunität“ des Adels, und schließlich, ob sich Funktionen von Kunst benennen lassen, die spezifisch für den Adel waren.

Die erste Sektion der Tagung, „Adlige Künstler“, eröffnete JONATHAN DEWALD (Buffalo) mit einem Vortrag über „Writing Failure: Self-Depiction and Aristocratic Power in Seventeenth-Century France“. Er analysierte darin zwei Memoiren, die der Herzog von Rohan (gest. 1638) in den ersten zwei Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts verfasst hatte, in Bezug auf die Frage, wie sich in diesen Texten der Entwurf einer adligen Persönlichkeit im Angesicht politischen Scheiterns niederschlug. Der Herzog, einer der prominentesten Vertreter des französischen Hochadels und Führungsgestalt des französischen Protestantismus, richtete sich stilistisch am Vorbild Caesars aus; inhaltlich lassen sich vor allem Einflüsse Machiavellis identifizieren. Rohan stellte sein Handeln als den Kampf eines tugendhaften Individuums in einer weitgehend unverständlichen, ja sinnlosen Welt dar, in der nicht ethische Prinzipien, Vernunft oder religiöse Grundsätze herrschten, sondern Eigeninteresse und Leidenschaften; damit war das individuelle Scheitern wahrscheinlicher als der Erfolg, ja Scheitern wurde zur Konsequenz der Beschaffenheit der Welt, wie Rohan sie beschrieb. Deshalb jedoch war der (öffentliche) Misserfolg (oder das Scheitern auf dem Feld des Politischen und Religiösen) nicht mehr das Eingeständnis von individuellem Versagen, sondern er wurde zum Signum der „condition humaine“ überhaupt.

Auch EDOARDO COSTADURA (Jena) behandelte mit seinem Beitrag über „Bussy-Rabutin – Glanz und Elend eines Edelmanns im ‚literarischen Feld‘ des grand siècle“ die Frage, wie sich ein hochrangiger Aristokrat auf künstlerische Weise mit der Erfahrung von Scheitern und Verlust auseinandersetzte. Der Marschall Bussy-Raboutin (1618 – 1693), der nach einer glänzenden höfischen und militärischen Karriere unter Ludwig XIV. in Ungnade fiel und gezwungen war, sich in die Provinz zurückzuziehen, verfasste in den Jahren 1660-65 mit der „Histoire amoureuse de Gaule“ einen Roman (oder auch Memoiren, denn das Changieren zwischen den Gattungen war ein Kennzeichen adliger Schriftstellertätigkeit), in dem kaum verhüllt die Affären des Pariser Hofadels dargestellt wurden. Bussy-Rabutin betrat damit das „literarische Feld“, ohne sich ganz auf die ästhetischen Normen der Literatur einzulassen; er demonstrierte in der Karikatur des höfischen Lebens Distanz zur monarchischen Kultur ebenso wie zu den Verhaltensweisen und Normen des Dritten Standes und nutzte damit die Literatur als Medium des Erhalts und der Darstellung adligen Eigensinns. Das Bildprogramm seines Schlosses kann als komplementäre Strategie der Kompensation der verlorengegangenen gesellschaftlichen Rolle und als Entwurf eines Gegenmodells verstanden werden; in seinem Haus schuf der Marschall einen vom Hof unabhängigen und dennoch immer wieder auf ihn bezogenen alternativen Raum.

JOHANNES SÜßMANN (Paderborn) widmete sich in dem Referat über „Kirchenfürst und künstlerische Praxis – Adelshabitus oder Amtscharisma?“ der Bautätigkeit der geistlichen Fürsten des Alten Reichs nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges unter der Frage, inwieweit sie sich als kirchliche, fürstliche oder adlige ‚Kunst‘ deuten lässt. Im Bischofsbild, das das Konzil von Trient entworfen hatte, war eine genuin künstlerische Tätigkeit, ja war ein dezidierter persönlicher Geschmack des Diözesanhirten nicht vorgesehen; das Bauen wurde so nicht als ästhetische Praxis, sondern als eine Variante des frommen Stiftens begriffen. Die intensiven Baumaßnahmen des Stiftsadels dienten folglich in erster Linie einem kompensatorischen Ziel, das zwei miteinander verschränkte Legitimitätsdefizite auszugleichen hatte: Nach 1648 galt die Reichskirche, galten die Fürstbistümer als Provisorium und waren kontinuierlich von der Gefahr der Säkularisierung bedroht; und die Fürstbischöfe standen unter dem Verdacht, die Maßnahmen zur Einschärfung einer konfessionalisierten gegenreformatorischen Orthodoxie nur unzureichend umzusetzen.

CLAUDIUS SITTIG (Rostock) stellte in seinem Beitrag über „‘Adlige Schreibpraxis‘ im Alten Reich“ sehr grundsätzliche Fragen zu den literaturwissenschaftlichen und historiographischen Kategorien, mit denen die schriftstellerische Tätigkeit frühneuzeitlicher Adliger zu erfassen ist: Es lassen sich zwar zahlreiche Indizien für eine distanzierte Teilhabe des Adels an den sozialen Zusammenhängen und den ästhetischen Normen des literarischen Schaffens identifizieren, eine gleichzeitige Distanz zur Verpflichtung und eine Verpflichtung zur Distanz, doch einerseits stellen die Praktiken von Adligen, die sich als Ausdruck aristokratischer Unabhängigkeit deuten lassen, nicht unbedingt Ausnahmen dar, und andererseits – und dies ist fundamentaler – setzen solche Beschreibungen nach wie vor eine dominante bürgerliche, gelehrte Form der Literatur und des literarischen Schaffens voraus. Damit jedoch schreibt sich eine Deutung, die dem Adel nur einen peripheren Ort für die literarische Tätigkeit der Frühen Neuzeit und die Entstehung der modernen Literatur zuweist, gleichsam von selbst fort. Stattdessen sollte das Schreiben Adliger in die spezifischen Formen adliger Soziabilität eingebettet und von einer Vielzahl von Literaturen (anstelle von einer einheitlichen, normativ aufgeladenen Literatur) ausgegangen werden.

KLAUS PIETSCHMANN (Mainz) stellte in dem Vortrag über „Vincenzo Galilei und das musikalische Engagement des Florentiner Adels im ausgehenden 16. Jahrhundert“ die Musiktheorie des Vaters des berühmten Astronomen, der sich selbst als „nobile fiorentino“ bezeichnete, als eine spezifisch adlige Form des Umgangs mit Musik oder, präziser, als eine Anleitung für Adlige zum Sprechen über Musik als Ausweis von Kennerschaft vor. Diese Fähigkeit zur Beurteilung von Musik im Dialog sollte Teil einer nicht formalisierten und institutionalisierten adligen Gesprächskultur sein, die wiederum in den Kontext sowohl eines sich verändernden Musikgeschmacks (im Sinne des Neuplatonismus und des Manierismus) als auch neuer Formen der Musikpatronage am großherzoglichen Hof der Medici zu platzieren ist.

Die Sektion „Adlige Körperlichkeit und Körperdarstellung“ wurde mit einem Referat von IVANA RENTSCH (Zürich) zum Thema „Der adlige Tänzer – soziale Norm und künstlerische Form im 17. Jahrhundert“ eröffnet. Das Tanzen kann als die vollendete Form adliger Körperlichkeit begriffen werden, als der höchste Ausdruck von Körperbeherrschung, der für das Ideal adligen Verhaltens und adliger Identität größte Bedeutung zukam: Der wohlgeformte Körper galt als Abbild einer edlen Seele, die Herstellung von physischer Vollkommenheit geschah durch das Tanzen. Diese gesteigerte Künstlichkeit sollte jedoch weitgehend verborgen oder vergessen gemacht werden: Neben der Genauigkeit und Gründlichkeit stand gleichberechtigt die (wohldosierte) Nachlässigkeit, die als Ausdruck von Ehrlichkeit galt. Dieser sozialen oder ethischen Norm musste die musikalische Gestaltung der Tänze entsprechen, die sich durch strenge Rhythmik bei gleichzeitigem Variantenreichtum der Melodik auszeichnen sollten.

VOLKHARD WELS (Berlin) interpretierte in seinem Vortrag über „Versreform und adliges Ideal bei Martin Opitz“ das 1624 erschienene „Buch von der deutschen Poeterey“ als Ausdruck eines neuen Dichtungsideals, das in erster Linie als ein neues sozio-kulturelles Leitbild des Dichters zu verstehen ist. Opitz setzte sich von zwei Strömungen der zeitgenössischen Dichtung ab: von der lateinischen Gelehrtenpoesie, die nur einem elitären Kreis zugänglich war und die er mit Pedanterie gleichsetzte; und vom deutschen Knittelvers, der durch Regellosigkeit und fehlenden Stilwillen charakterisiert war. Dagegen setzte Opitz das Bild des dichtenden Höflings, des Poeten-Ritters, der in der Lage war, Gelehrsamkeit mit Eleganz zu verknüpfen. Aus diesem Rollenvorbild leitete er die Direktiven für eine Dichtung ab, die als „vornehme Wissenschaft“ auf das „Ansuchen vornehmer Leute“ verfasst war.

ARNE KARSTEN (Wuppertal) beschloss die Sektion mit einem Vortrag über „Distinktionsmerkmale der römischen Aristokratie in der Porträtkunst des 17. Jahrhunderts“. Zunächst stellte er die römische Adelslandschaft als eine soziale Formation dar, für deren Mitgliedschaft ausgesprochen wenige eindeutige, fixierte Regelungen existierten und in der die Fluktuation im europäischen und italienischen Vergleich ausgesprochen groß war. Vor allem diejenigen Familien, die nicht zum alten Baronaladel oder zu den Papstnepoten-Dynastien zählten, waren darauf angewiesen, ihre Zugehörigkeit zum Adel kontinuierlich zu beweisen. Für diese neuen und in ihrem Status unsicheren Geschlechter waren Grabkapellen ein bevorzugtes Medium der Selbstdarstellung: Mit einem möglichst großen Aufgebot an Porträts, die Vorfahren und Verwandte darstellten, deren Adelsstatus unbestritten war (besonders Geistliche eigneten sich zu diesem Zweck), wurde eine auf Verdienst und Leistung basierende Adeligkeit vorgeführt und bewiesen.

Die dritte Sektion, „Inszenierungen von Adeligkeit und Adelskunst“, begann mit dem Beitrag „Kanon à la mode. Antikenkopien und adlige Lebenswelten am Ende des 18. Jahrhunderts“ von MARCUS BECKER (Berlin). Zum Ende der Frühen Neuzeit hielt mit Antikenkopien aus neuartigen (und vergleichsweise günstigen) Materialien – als Figurenöfen, auf Vasen oder als Standbilder – eine neue Mode Einzug in adlige Schlösser und Gärten. Die Auftraggeber schmückten sich auf diese Weise nicht lediglich mit einer etablierten Formensprache und historisch-mythologischen Symbolik, sondern sie prägten das Angebot der Fabrikanten durch ihre Nachfrage und schufen damit ein neues Antikenbild wesentlich mit; die Kopie entstand vor dem Original.

MARTIN WREDE (Gießen) analysierte in dem Vortrag „Imaginer le duc. Philipp II. und das Erbe der Burgunder“ ein aufwendiges Fest des Jahres 1549, in dem ein Turnier, ein Maskenball und weitere tänzerische und spielerische Elemente ineinandergriffen, als ein Rollenangebot des niederländischen Adels an seinen Monarchen Philipp II., der seinerseits eigene Rollenbilder von König bzw. Herzog und Aristokratie mit diesem Spektakel kommunizierte. Philipp II. wurde vom Adel der Niederlande als Herzog von Burgund und Oberhaupt des Ordens vom Goldenen Vlies begrüßt, der traditionelle ritterliche Tugenden mit einer Integration des Adels in die Regierung des Landes verband. Indem Philipp II. den Part spielte, der für ihn in diesem an die Artussage angelehnten Stück vorgesehen war, bejahte er die politischen Forderungen seines Adels, „choix esthétiques“ waren in diesem Fall „choix politiques“. In der Folge jedoch deutete der Sohn und Erbe Karls V. das burgundische Erbe und die Tradition des Vliesordens um, hispanisierte und monarchisierte sie gleichermaßen.

DIETRICH HELMS (Osnabrück) zeichnete in seinem Beitrag über „Die Beurteilung musikalischer Bildung des Adels in der englischen pädagogischen und staatstheoretischen Literatur bis um 1600“ nach, wie der Stellenwert der Musik sich vom Ideal der Erziehung zu dem der Bildung verschob und dass sich der Umgang des Adels mit Musik wandelte vom aktiven Musik- Machen zum kenntnisreichen Über-Musik-Sprechen – eine auffällige Parallele zum italienischen Befund.

STEFAN SCHWEIZER (Düsseldorf) beschrieb in dem Vortrag über „Die rhetorische Stilisierung der Gartenkunst zur Adelskunst in der Frühen Neuzeit“, ausgehend von französischen und deutschsprachigen Traktaten vornehmlich des 17. Jahrhunderts, wie die „Hortikultur“ sich insgesamt als eine dem Adel angemessene Kunstform entwickelte, als künstlerische Form, die sich sowohl dem Adel ihrer Adressaten und Auftraggeber verdankte als auch von dem Adel ihrer Schöpfer ausging. Dabei ließen sich durchaus verschieden Formen von Gartenbau innerhalb des Adelsspektrums verorten: die kostspielige französische Parkanlage ebenso wie der „ökonomische“ Garten des sparsamen Hausvaters.

MATTHIAS MÜLLER (Mainz) stellte in dem Referat über „Adlige Kunst jenseits der Funktion? Zum Verhältnis von Autonomie und Pragmatismus in der höfischen Architektur und Malerei der Frühen Neuzeit“ die Frage, inwieweit sich explizit als Auftragskunst entstandene Werke von ihrem Kontext der Patronage und Klientel lösen lassen. Er konzentrierte sich dabei auf Gemälde, die für den sächsischen Kurfürsten Friedrich den Weisen zu Beginn des 16. Jahrhunderts geschaffen wurden. Um im höfischen Sinne Wirkung zu entfalten – um also in der unmittelbaren höfischen Gesellschaft ebenso wie in der europäischen „société des princes“ den Ruhm ihres Auftraggebers zu verbreiten –, mussten diese Bilder gleichsam „an und für sich“ sprechen, mussten sie primär in ästhetischer Hinsicht überzeugen. Dafür jedoch war das künstlerische Tun auf Freiheit und Autonomie angewiesen, und eben dies wurde durch die Auftraggebersituation geschaffen.

RONALD G. ASCH (Freiburg) schloss mit einem Beitrag über „Rake, fop or wit? Optionen aristokratischer Männlichkeit und höfischer Selbstdarstellung im England der Restaurationsepoche“ die Sektion ab. Er beschrieb zunächst, in welch hohem Maße Vertreter des hohen Adels im England der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts sich bewusst als Regelbrecher inszenierten, gleichermaßen in ihrem Lebenswandel und in ihrem künstlerischen, vor allem schriftstellerischen, Schaffen, als Exzentriker, die an die Regeln der stadtbürgerlichen Gesellschaft ebenso wenig gebunden waren wie an die traditionelle Moral oder die Religion. Einerseits deutete Asch dies als bewussten Gegenentwurf zu der Zeit des Bürgerkriegs und des Commonwealth, weiterhin als adlige Strategie der Distanzierung von der Londoner „city“, schließlich als Ausdruck einer Orientierungslosigkeit angesichts eines Hofes, der selbst nicht mehr als Ort der Orientierung und Maßstab für den Adel fungierte. Im Kern jedoch handelte es sich um eine tiefgreifende Krise des Heroischen, die erst im 18. Jahrhundert durch das neue Verhaltensideal der „politeness“ beendet wurde.

Die vierte Sektion, „Adlige Kommunikationsräume und Kontaktzonen“ begann mit dem Vortrag „Adlige Wissenschaft – Uneigentlichkeit als Prinzip?“ von CHRISTIAN WIELAND (Freiburg/Frankfurt am Main). Während im Humanismus die Klagen über die Bildungsferne, ja Bildungsverachtung des Adels zum Standardprogramm der Intellektuellen zählten, galt andererseits um 1700 das Adelsstudium als Selbstverständlichkeit: Zahlreiche Hofmeistertraktate bezeugen die Curricula, die vor allem protestantische Autoren für unverzichtbar für zukünftige Führungskräfte in Verwaltung und Militär hielten. Zunächst handelt es sich bei beiden Quellentypen um Fremdzuschreibungen: Humanisten und Hofmeister versuchten auf unterschiedliche Weise, Adlige auf ihre Bildungsprogramme zu verpflichten. Andererseits lässt sich erkennen, dass die spezifische Weise des adligen Umgangs mit den Institutionen der Wissenschaft – eklektisch und nutzenorientiert – eine bedeutende Rolle für die Entwicklung der modernen Universität spielte. Schließlich zeichnete sich die Art, in der Adlige sich höhere Bildung aneigneten, nicht unbedingt durch Eigenheiten oder Besonderheiten aus, wohl aber durch einen außergewöhnlich hohen Grad an Reflexion darüber.

ANGELIKA LINKE (Zürich) näherte sich in ihrem Beitrag über „Adlige Ästhetik vs. bürgerliche Korrektheit“ dem Phänomen des Sprachnormwandels vom 17. bis zum 19. Jahrhundert aus sprachwissenschaftlicher Perspektive. In zahlreichen binären Gegensätzen (Anmut und Richtigkeit, Leiblichkeit und Sprachlichkeit, Gefallen und Wissen) beschrieb sie, wie im deutschsprachigen Raum die Hochschätzung einer Sprechweise, die auf sinnliche Erfahrung und Körperlichkeit angelegt war, zugunsten einer gleichsam körperlosen, auf Grammatik, Richtigkeit und Schriftlichkeit gegründeten Sprache wich. Das Ende des adligen Sprechens – oder der Sieg der bürgerlichen Schriftsprache – ging einher mit einem sich wandelnden Weltverständnis: von der Präsenzkultur des Adels zur Sinnkultur des Bürgertums.

ANDREAS HERZ (Wolfenbüttel) widmete sich dem „Anspruch und Selbstverständnis der Fruchtbringenden Gesellschaft als kulturelles Netzwerk“. Unter dem Vorsitz des Fürsten Ludwig von Anhalt-Köthen durchlief diese sehr informelle Vereinigung von zahlreichen Adligen und wenigen Bürgerlichen einen allmählichen Institutionalisierungsvorgang nach dem Vorbild der Florentiner „Accademia della Crusca“. Doch die Gesellschaft – oder eher ihre Protagonisten – entzogen sich bewusst einer Annäherung an die deutschen akademischen Institutionen oder einer politischen Vereinnahmung: Man versuchte vielmehr, an die Traditionen, Symbolik und Sprache der Ritterorden anzuknüpfen und diese tradierte Form der korporativen Ritterlichkeit (oder Adeligkeit) in moderne Geselligkeitsformen zu überführen.

Den Abschluss der Sektion bildeten WERNER ARNOLDs (Wolfenbüttel) Überlegungen zu „Adelsbibliotheken in der Frühen Neuzeit“. Er zeigte, dass der Buchbesitz für den Adel des 17. Jahrhunderts zur Notwendigkeit geworden war, der sich in einer steigenden Zahl zunehmend größerer Adelsbibliotheken niederschlug. Diese reflektierten die Entstehung neuer universitärer Fächer sowie deren Ausdifferenzierung, doch zugleich handelte es sich um eine vom bürgerlichen und akademischen Buchbesitz unterschiedene Form des Sammelns, die große Bedeutung für die (kollektive) Identität eines adligen Hauses annahm.

Die einzelnen Beiträge zeichneten sich nicht nur durchgängig durch ein hohes Niveau aus, sie verwiesen auch immer wieder aufeinander und bewiesen damit den engen Zusammenhang zwischen den künstlerischen Entwicklungen der Frühen Neuzeit im engeren Sinne und den gesellschaftlichen Leitbildern, die fast immer „aristokratisch“ waren. Damit jedoch entpuppen sich zahlreiche der auf der Tagung nachgezeichneten Debatten nicht so sehr als Auseinandersetzungen zwischen Adel und Nicht-Adel bzw. zwischen Adel und Ästhetik, sondern vielmehr als die Diskussion um verschiedene (und teilweise konkurrierende) Adeligkeiten – um Definitionen, Legitimationsformen und Repräsentationen von Adel. Dieser Adel war jedoch immer auch Kunst, eine Lebensform, die von expliziter und öffentlicher Reflexion begleitet wurde.

Konferenzübersicht:

Claudius Sittig / Christian Wieland: Einführung: Die Kunst des Adels in der Frühen Neuzeit: Interdisziplinäre und europäische Perspektiven

I. Adlige Künstler

Jonathan Dewald (Buffalo): Writing Failure: Self-Depiction and Aristocratic Power in Seventeenth-Century France

Edoardo Costadura (Jena): Bussy-Rabutin – Glanz und Elend eines Edelmanns im ‘literarischen Feld’ des grand siècle

Johannes Süßmann (Paderborn): Kirchenfürst und künstlerische Praxis - Adelshabitus oder Amts¬charisma?

Claudius Sittig (Rostock): ‘Adlige Schreibpraxis’ im Alten Reich

Klaus Pietschmann (Mainz): Vincenzo Galilei und das musikalische Engagement des Florentiner Adels im ausgehenden 16. Jahrhundert

II. Adlige Körperlichkeit und Körperdarstellung

Ivana Rentsch (Zürich): Der adlige Tänzer – soziale Norm und musikalische Form im 17. Jahrhundert

Volkhard Wels (Berlin): Versreform und adliges Ideal bei Martin Opitz

Arne Karsten (Wuppertal): Distinktionsmerkmale der römischen Aristokratie in der Porträtkunst des 17. Jahrhunderts

III. Inszenierungen von Adeligkeit und Adelskunst

Marcus Becker (Berlin): Kanon à la mode. Antikenkopien und adlige Lebenswelten am Ende des 18. Jahrhunderts

Martin Wrede (Gießen): Imaginer le duc. Philipp II. und das Erbe der Burgunder

Dietrich Helms (Osnabrück): Die Beurteilung musikalischer Bildung des Adels in der englischen pädagogischen und staatstheoretischen Literatur bis um 1600

Stefan Schweizer (Düsseldorf): »seulement aux Prince, Seigneur, & Gentilhommes«. Die rhetorische Stilisierung der Gartenkunst zur Adelskunst in der Frühen Neuzeit

Matthias Müller (Mainz): Adlige Kunst jenseits der Funktion? Zum schwierigen Verhältnis von Autonomie und Pragmatismus in der höfischen Architektur und Malerei der Frühen Neuzeit

Ronald G. Asch (Freiburg): Rake, fop oder wit? Optionen aristokratischer Männlichkeit und höfischer Selbstdarstellung im England der Restaurationsepoche

IV. Adlige Kommunikationsräume und Kontaktzonen

Christian Wieland (Freiburg): Adlige Wissenschaft – Uneigentlichkeit als Prinzip?

Angelika Linke (Zürich): Adlige Ästhetik vs. bürgerliche Korrektheit

Andreas Herz (Wolfenbüttel): Anspruch und Selbstverständnis der Fruchtbringenden Gesellschaft als kulturelles Netzwerk

Werner Arnold (Wolfenbüttel): Soziale Identität durch Bücher ? Zum Begriff der Adelsbibliothek in der Frühen Neuzeit

Schlussdiskussion


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