Wir Cyborgs – Die Geschichte des künstlichen Menschen

Wir Cyborgs – Die Geschichte des künstlichen Menschen

Organisatoren
Elisabeth Bärenz / Janine Büchle / Lisa Xanke, Institut für Geschichte, Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Ort
Karlsruhe
Land
Deutschland
Vom - Bis
13.07.2012 -
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Von
Janine Büchle, Institut für Geschichte, Karlsruher Institut für Technologie (KIT)

Am 13. Juli 2012 fand am Karlsruher Institut für Technologie am Institut für Geschichte ein ganztägiges Kolloquium mit dem Titel „Wir Cyborgs – Die Geschichte des künstlichen Menschen“ statt. Die Idee zu diesem Kolloquium entstand während des Sommersemesters 2011 in dem Oberseminar „Techniksozialisation – Mensch-Maschine-Interaktion“. Das Kolloquium wurde schließlich von drei Studentinnen des Masterstudiengangs „Europäische Kultur und Ideengeschichte“ konzipiert, organisiert und durchgeführt.

Das Thema der Technisierung des Menschen ist längst nicht mehr nur ein Thema in Science-Fiction-Filmen, sondern durchzieht mittlerweile sämtliche Bereiche der Wissenschaft und des Lebensalltags des Menschen. Die Idee der Erschaffung eines künstlichen Menschen ist seit Anbeginn der Menschheit ein Traum oder auch ein Albtraum vieler Wissenschaftler. Gerade im 21. Jahrhundert, in einer Zeit, in der nahezu jeden Tag neue technische Innovationen auf den Markt kommen, wirft der Gedanke an Technik bei vielen Menschen die Frage nach den Möglichkeiten aber vor allem auch nach den Grenzen und Risiken der technischen Entwicklung auf.

Um einen ganzheitlichen Überblick über die Entwicklungsgeschichte und die verschiedenen Facetten des Themas des künstlichen Menschen geben zu können, wurde das Kolloquium interdisziplinär ausgelegt. Es wurden Referenten aus den Bereichen Mediävistik, Philosophie, Literaturwissenschaft, Film, Technikfolgenabschätzung und Anthropomatik eingeladen, die alle am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) arbeiten und einen Beitrag mit Vorträgen aus ihrem jeweiligen Fachbereich leisteten.

Der erste Teil des Kolloquiums widmete sich einem geschichtlichen, philosophischen und literaturwissenschaftlichen Überblick. Nach einer kurzen Einführung der Organisatorinnen Elisabeth Bärenz, Janine Büchle und Lisa Xanke, eröffnete BURKHARDT KRAUSE (Karlsruhe) das Kolloquium. Herr Krause legte hierbei einen detailreichen Überblick über die Darstellung des künstlichen Menschen in mittelalterlicher Literatur dar. Er nannte zahlreiche Beispiele wie Albertus Magnus' Roboter, von dem der Theologe Eberhard David Hauber berichtete, oder selbsttätige Schachbretter, wie sie in Parcival zu finden sind. Die Idee der Erschaffung eines künstlichen Menschen stellte zwar im Mittelalter ein beliebtes Motiv in der Literatur dar, die Idee des künstlichen Menschen hingegen reicht bis in die Anfänge der Menschheit zurück. Zur Vorstellung von menschlichen Maschinen, Cyborgs, wie man sie heute nennt, findet man in der mittelalterlichen Literatur hingegen noch keine Beschreibungen.

Den zweiten Vortrag des Tages hielt HANS-PETER SCHÜTT (Karlsruhe), welcher einen philosophischen Ansatz verfolgte und besonders auf den Sandmann von E.T.A. Hoffmann einging. In Bezug auf das Werk Hoffmanns, stellte er die Frage, ob nun ein „lebloser, verdammter Automat schlimmer sei als ein wilder entsetzlicher Mensch“. Die Leblosigkeit eines Automaten besteht darin nichts zu spüren und kein phänomenales Bewusstsein zu haben, daher wird es für einen leblosen Automaten selbst kaum etwas schlimmes sein, dass er ein solcher ist. Für einen wilden entsetzlichen Menschen dagegen kann es sehr wohl schlimm sein, ein solcher Mensch zu sein. Auch die Sozialverträglichkeit zeigt, dass ein wilder, entsetzlicher Mensch immer schlimm ist für seine Mitmenschen. Ein Automat ist dagegen nur unter besonderen Umständen schlimm, zum Beispiel wenn er sich wie ein wilder Mensch verhält. Das einzige philosophische Fazit lautet: Man sollte eher die Menschen (einschließlich der Ingenieure) fürchten als die Maschinen und die Automaten, die sie bauen.

Den Abschluss des Vormittagsprogramms bildete ANDREAS BÖHN (Karlsruhe). Herr Böhn gab einen literaturwissenschaftlichen Überblick zur Rezeptionsgeschichte des künstlichen Menschen ab 1818, dem Erstveröffentlichungsjahr von Mary Shelleys Frankenstein. Darüber hinaus berichtete Herr Böhn über das Werk Alraune. Die Geschichte eines lebendigen Wesens von Hanns Heinz Ewers, erschienen im Jahr 1911. Es erzählt die Geschichte eines Mädchen, das durch eine In-Vitro-Fertilisation entsteht und während ihres recht kurzen Lebens nichts als Unglück über die Menschen bringt. Dieses Beispiel diskutiert die Ängste und Dystopien, die noch vor 100 Jahren gegenüber einer In-Vitro-Fertilisation bestanden, die heute zur normalen Realität geworden ist und bei kaum einem Menschen die Angst vor der Entstehung eines „Monsters“ hervorruft. Das Beispiel zeigt, dass das, was heute beim Menschen noch Widerstand und Skepsis hervorruft, schon in einigen Jahren zum Alltag gehören wird. Des Weiteren wurde R.U.R vorgestellt, ein Theaterstück von Karel Capek, das 1921 veröffentlicht wurde und den Begriff „Roboter“ bekannt machte. Hier geht es um eine Fabrik in denen Roboter als Sklaven arbeiten müssen und anfangen sich gegen den Menschen aufzulehnen.

Nach einer einstündigen Mittagspause ging es am Nachmittag mit einem Vortrag von WOLFGANG PETROLL (Karlsruhe) weiter. Herr Petroll gab eine Einführung in die Darstellung künstlicher Menschen im Film. Untermalt wurde der Vortrag durch spannende Filmausschnitte aus Der Golem, wie er in die Welt kam und Ghost in the Shell. Der expressionistische Stummfilm Der Golem, wie er in die Welt kam entstand 1920 und erzählt die Geschichte des Rabbi Löw, der anhand der Sterne erkennt, dass der jüdischen Gemeinde Unheil droht. Daraufhin erschafft er aus Lehm den Golem, einen künstlichen Menschen, der das Unheil abwenden soll. 75 Jahre später, im Jahre 1995 erzählt der Sciene-Fiction-Animationsfilm Ghost in the Shell von dem längst normal gewordenen Alltag mit Cyborgs. Der Film beschreibt das Japan im Jahre 2029 und thematisiert die Transformation vom Menschen hin zum Cyborg.

Im Anschluss daran folgte ein Vortrag von ARMIN GRUNWALD (Karlsruhe). Die Diskussion um eine „technische Verbesserung“ des Menschen kann auf der einen Seite als bloße Rhetorik angesehen werden, um die Aufmerksamkeit auf neue Entwicklungen zu lenken und andererseits könnten sich hinter der Debatte auch allmähliche Veränderungen von Menschenbildern vollziehen. Eine These, die im Vortrag diskutiert wurde lautete, dass die „Verbesserung des Menschen“ generell in der Tradition des wissenschaftlich-technischen Fortschritts stünde. Die Möglichkeiten der technischen Verbesserung des Menschen würde auf der einen Seite zur Umwandlung des Unverfügbaren in das Beeinflussbare führen, d.h. die Fähigkeiten des Menschen führen zu einer Zurückdrängung des „Schicksals“. Auf der anderen Seite stehen aber auch Befürchtungen von Kontroll- und Autonomieverlust im Raum. Eine Frage, die sich aus dieser These entwickelte, ist, ob die weiterführende „Verbesserung des Menschen“ zu neuen Menschenbildern führt. Kann Doping zu einem neuen Modell im Sport führen? Kann unbegrenzter Wettbewerb zu einer Spirale der „Verbesserung“ führen, um im Wettbewerb besser zu bestehen?

Den Abschluss des Kolloquiums bildet TAMIM ASFOUR (Karlsruhe). Er berichtete von aktuellen Forschungsthemen und thematisierte den Forschungsstand der humanoiden Robotik und stellte einige Robotersysteme anhand von Videopräsentationen vor. Hierbei berichtete Herr Asfour speziell von den Forschungsprojekten am KIT, der Entwicklung autonomer humanoider Roboter, die dazu in der Lage sind vielfältige und umfangreiche Aufgaben im Haushalt durchzuführen. Während des Vortrags wurden die Grenzen und Möglichkeiten von humanoiden Robotertechnologien sowohl als allgemeine Assistenzsysteme im Alltag, als auch als körpernahe Assistenzsysteme zur Kompensation körperlicher Einschränkungen diskutiert.

Das Kolloquium ermöglichte die Teilnahme jedes Interessierten. Durch die Unterstützung der Akademie für Wissenschaftliche Weiterbildung (AWWK) und der Volkshochschule Karlsruhe (VHS) waren nicht nur Student/innen anwesend. Personen ganz unterschiedlichen Alters und beruflicher Tätigkeit bereicherten das Kolloquium mit interessanten Beiträgen, die zu vielen anregenden Diskussionen führten. Da das Kolloquium interdisziplinär ausgelegt war, fand eine Vernetzung der geisteswissenschaftlichen und technischen Fachbereiche statt und ermöglichte somit einen fächerübergreifenden Austausch, sowohl zwischen den Referenten, also auch zwischen den Teilnehmer/innen. Das Kolloquium ist ein gelungenes Beispiel für sehr gute Wissenschaftskommunikation und die Vernetzung unterschiedlicher Einrichtungen, das zum einen durch die Beiträge der Referenten zustande kam, als auch durch die Kooperation mit der AWWK und der VHS Karlsruhe.

Konferenzübersicht:

Burkhardt Krause (Karlsruhe) Institut für Literaturwissenschaft / Abteilung für Mediävistik und Frühneuzeitforschung: Künstliche Menschen? Albertus Magnus‘ Roboter und die Idee des Artefakts im Mittelalter

Hans-Peter Schütt (Karlsruhe) Institut für Philosophie: Warum über Maschinen und Automaten die Dichter mehr zu sagen haben als die Philosophen

Andreas Böhn (Karlsruhe) Institut für Literaturwissenschaft: Künstliche Menschen von ‚Frankenstein‘ bis heute

Wolfgang Petroll (Karlsruhe) Zentrum für Angewandte Kulturwissenschaft und Studium Generale (ZAK): Roboter, Cyborgs, Androiden: Künstliche Menschen im Film

Armin Grunwald (Karlsruhe) Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse: Visionäre Kommunikation zur technischen Verbesserung des Menschen – nur Rhetorik oder Vorbote eines neuen Menschenbildes?

Tamim Asfour (Karlsruhe) Institut für Anthropomatik: Humanoide Roboter: Maschinen für Menschen


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