Der goldene Rhein. Ritterburgen mit Eisenbahnanschluss

Der goldene Rhein. Ritterburgen mit Eisenbahnanschluss

Organisatoren
Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts, Baden-Baden
Ort
Baden-Baden
Land
Deutschland
Vom - Bis
21.04.2012 -
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Von
Oliver Schmidt, TECHNOSEUM Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim

Das Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts plant, im September die Ausstellung „Der goldene Rhein im 19. Jahrhundert“ zu eröffnen. Wie bereits in der Vergangenheit geschehen, bereitete das Museum auch diese Ausstellung mit einer wissenschaftlichen Tagung vor, die den Rahmen für das geplante Projekt setzte, und deren Ergebnisse ferner in einem die Ausstellung begleitenden Sammelband veröffentlicht werden sollen.

Nur vordergründig betrachtet überwog bei dieser Tagung der kunstgeschichtliche Ansatz gegenüber einer technikgeschichtlichen Perspektive, die das Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts in seiner einzigartigen Kombination miteinander vereint. Im Gegenteil: Obwohl die anwesenden Kunsthistoriker sich natürlich den künstlerischen Produktionen zahlreicher bedeutender und weniger bedeutender Künstler vom 18. bis 20. Jahrhundert annahmen und auch dabei sicherlich keinen offensichtlichen Schwerpunkt auf Darstellungen von Technik in der Kunst legten, so offenbarte die Tagung dennoch, welch fruchtbares Potential in der Verbindung der Disziplinen Kunst- und Technikgeschichte liegt, von der man sich nur wünschen kann, dass sie auch in Zukunft für weitere Unternehmungen und verstärkt zur Anwendung kommen möge – denn auch und gerade im Nichtgesagten entfaltete sich bei dieser Tagung ein Netzwerk von Ideen und Möglichkeiten für kombinierte Ausstellungen aus Kunst und Technik, bei denen im Wechselspiel der Medien und Objekte beide Kategorien nur gewinnen können.

Doch nun zu den inhaltlichen Erkenntnissen der Tagung: Nachdem der Vorsitzende des Kuratoriums der Grenke-Stiftung, in deren Trägerschaft das Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts liegt, Wolfgang Grenke, Publikum und Vortragende begrüßt hatte, schlug BARBARA WAGNER (Baden-Baden) mit ihrem Vortrag „Die Rheinserie von Ludwig Bleuler“ die ersten wegweisenden Pflöcke für das Ausstellungsprojekt ein. Bleuler (1792-1850) und seine Frau Antoinette (1801-1873) sind wohl die Namen, die wie keine sonst mit der populärkulturellen Romantisierung des Rheins in Verbindung gebracht werden müssen. Denn die Anfertigung der in ihrer Malschule seit 1832 entstandenen Stahlstiche und Malereien von Rheinansichten erreichten in Fertigungsweise und Ausstoß geradezu Ausmaße industrieller Produktion. Das Ehepaar Bleuler begründete ein Malerunternehmen, das eine Reihe von Redoutenmalern beschäftigte, die standardisierte Einheitsware nach Vorlage sehr genau reproduzierten. Damit trugen sie maßgeblich zur Entstehung und Popularisierung der auch in heutiger Zeit noch mächtigen romantischen Imaginationen rund um den Rhein bei.

MARCELL PERSE (Jülich) beschäftigte sich sodann mit „Künstlerreisen am Oberrhein im frühen 19. Jahrhundert“ und dabei schwerpunktmäßig mit dem „Düsseldorfer Maler Johann Wilhelm Schirmer“. Schirmer (1807-1863) lieferte mit seinem Werk wichtige Quellen zur Kulturlandschaftsentwicklung und wurde in seiner Zeit ein „Häuptling“ der Landschaftsmaler. Perse lieferte nun zunächst den Kontext für die sich in den Jahrhunderten wandelnden Vorstellungen von der Bedeutung des Rheins. Während der Rhein in Deutschland ja geographisch als ein Fluss und kulturell als ein konjunkturell mehr oder minder stark aufgeladenes Objekt nationaler Strömungen verstanden werde, so gelte er in den Niederlanden bereits als Flusssystem. Zu Zeiten der römischen Provinz war er ein Grenzfluss, in der Renaissance tummelten sich die rheinischen Kurfürstentümer rechts und links des Stromes, in der Romantik diente er als Verwaltungsgrenze, die einen Raum beschrieb, der von massiver Machtbildung beispielsweise durch Festungsbau geprägt wurde. Schließlich wird der Rhein in der Ära der preußischen Rheinprovinz und der Epoche des Historismus zunächst zu einer Verbindungstrecke, dann zum Bollwerk gegen den „furor gallicus“. Die sich im 19. Jahrhundert entwickelnde Rheinromantik prägte seither im Zusammenspiel mit den beidseitig des Rheins gebauten Eisenbahnstrecken ein inszeniertes Bewusstsein für einen Raum, der gleichermaßen Ziel ästhetischer Projektionen, infrastrukturelle und wirtschaftliche Erschließung sowie die militärische Nutzung geworden war. Perse zeigte also auch, inwiefern technische Entwicklungen und Manifestationen sich auf künstlerische Produktionen auswirkten und diese beeinflussten gerade im Hinblick auf die historisierenden Burgenbauprojekte der Hohenzollern entlang des Flusses. Bei Schirmer zeigte sich dieser Zusammenhang dann, indem er erstmals begann, die technische Durchdringung des Raums mit Festung, Eisenbahn und Dampfschiff abzubilden, womit er ein Auge für die technischen Leistungen der Zeit unter Beweis stellte.

IRENE HABERLAND (Bonn) vertiefte im Folgenden den Aspekt der „Residenzlandschaft Rhein – Residenzen am Rhein“, indem sie die Burgenlandschaft zwischen Mainz und Koblenz mit ihren etwa 40 befestigten Plätzen auf 65 Kilometern Strom unter die Lupe nahm. Die bis zum 19. Jahrhundert teilweise verfallenen Burgen erlebten nicht zuletzt dank der preußischen Prinzen eine Renaissance: Die eigentlich als Defensivbollwerke angelegten Befestigungen wurden allerdings seit dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts zu romantischen und den „Mythos atmenden Märchenresidenzen“ umgestaltet. Neben die restaurierenden Arbeiten trat Mitte des 19. Jahrhunderts schließlich sogar der Schlossneubau. Den Höhepunkt erreichte die Romantisierung der Fluss-Burg-Kombination im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts, als im Zuge der Industrialisierung zu Reichtum gelangte, urbane Bürgerliche durch die Erschließung des Raumes mit der Eisenbahn ermuntert anfingen, sich burgenartige Residenzen entlang des Rheins zu errichten. Damit hatten Burg und Schloss als Distinktionsmerkmal des Adels endgültig ausgedient, während die Bürger der Rheinmetropolen mit der Bahn rasch zu ihren Schlössern eilen konnten.

MICHAEL WIEMERS (Halle-Wittenberg) setzte die kunsthistorischen Betrachtungen mit der Untersuchung des „tradierten Blickes“ auf die Rheinlandschaft in der Ansichtskarte fort. Die Ansichtskarte als eines der ersten Medien des Massentourismus erwies sich dabei einmal mehr als nützliche und vielseitige Quelle. Abgebildet wurden neben den stilisierten Landschaften nun auch immer häufiger Dampfschiffe, die seit der ersten Dampfschiffbefahrung des Rheins 1816 bis Ende des Jahrhunderts zum essentiellen Bestandteil der Rheintouristik geworden waren. Die Kombination von Eisenbahn und Dampfschiff zeigte hier ferner, inwiefern technische Neuerungen bis hin zur massenhaften Vertreibung von Postkarten durch neue Drucktechniken, tief in das soziale und kulturelle Gefüge von Gesellschaften hineinwirkten, breiteren Bevölkerungsteilen ähnliche Erfahrungsräume öffneten und so beitrugen, Wahrnehmung und Erinnerung kollektiv zu verankern.

MATTHIAS WINZEN (Baden-Baden) führte im Folgenden aus, inwiefern die Technik zur „Zähmung der Natur“ entlang des Rheins beitrug. Wiederum ausgehend von der Untersuchung malerischer Szenerien, erklärte Winzen die Romantik selbst zur Technik, indem sie eine vergangene kulturelle Sphäre durch eine neue zu ersetzen verstanden habe. Fand man den Rhein am Anfang des 19. Jahrhunderts noch als bedrohlichen und zudem zu bewältigenden Akteur dargestellt, so bildeten die romantischen Maler ihn bereits als durch die Technik gezähmten Strom ab. Die industrielle Technologisierung des Rheins sei so zu einer Kulturtat geworden, da es dem Menschen gelungen sei mit Technik als Reaktion auf die Natur selbige zu kontrollieren. Der Rhein wurde begradigt, die Dampfschifffahrt eingeführt, die Eisenbahn erschloss nicht nur die Ufer des Flusses für Wirtschaft und Tourismus, sondern auch die angrenzenden Räume. Die zu Vergangenheit werdende unberührte Natur trat vor der Abbildung frühindustrieller Maschinen in den Hintergrund und machte den Rhein gleichsam zum Symbol epochaler Widersprüche. Dabei bliebe die Landschaft jedoch erhalten, denn die Technik, die als Fremdkörper in den Malereien auftaucht, ist letztlich vor allen Dingen Ausdruck der menschlichen Neupositionierung im Gesamtgebilde, das immer um den Rhein im Zentrum aufgebaut sei.

JOHANNES BILSTEIN (Düsseldorf) widmete sich mit „Fluss und Überfahrt“ der Tiefensymbolik des Rheins, der in einer vorindustriellen „hydraulischen“ Gesellschaft Quelle von Energie und Kraft war und gleichzeitig ein Gefühl existenzieller Sicherheit gegeben habe, indem er durch sein Fortbestehen auch in Zeiten des Wandels das Stetige bildete. Dabei sei der Rhein doch immer ein gleichzeitig ungleichzeitiger Raum gewesen, in dem Moderne und Archaisches aufeinandertrafen. So hinderten die bis zu 500 m langen Holzflösse die nur mit Flussgeschwindigkeit fuhren, aber die Fahrrinne füllten, die schnelleren Dampfschiffe beim Transport ihrer Güter. Während die Steuerung eines solchen Floßes eine geheime Kunst war, so stand die kontrollierte Technik als Produkt der Wissenschaft in zweierlei Hinsicht dem vormodernen Transportwesen gegenüber, das durch Langsamkeit und Rückständigkeit nicht zuletzt in der rauen Flößergesellschaft geprägt gewesen sei. Die motorisierten Schiffe veränderten den Rhein aber auch in anderer Hinsicht. Stärkere Schiffe sorgten für unruhigeres Gewässer. Als Folge mussten Fähren und Anlegestellen den neuen Erfordernissen der Zeit bis hin zur Fahrzeugmitnahme im 20. Jahrhundert angepasst werden. Die Technik habe nicht nur dazu beigetragen die Natur des Rheines zu zähmen: auch habe sie sich auf die Durchdringung des Flusses mit Rechtsnormen und die Etablierung polizeilicher Kontrolle ausgewirkt. Am Rhein verschoben technische Innovationen so sowohl das natürliche als auch das soziale Machtgefüge.

BERND KÜNZIG (Baden-Baden) demonstrierte im Weiteren auch die Möglichkeiten musikwissenschaftlicher Auseinandersetzung mit dem Wasser des Rheins. Natürlich stand Wagner im Mittelpunkt, den Künzig anhand des Ring-Zyklus als großen Kommentatoren und spöttischen Humoristen der weltumspannenden Ereignisse des späten 19. Jahrhunderts charakterisierte. Das Grauen des aufkommenden Kapitalismus, der Geld- und Materialwahn seien dabei ebenso Inhalt seines Werkes gewesen wie die Erzeugung eines utopischen Bildes des Rheins als unschuldiger Natur, die durch den menschlichen Einfluss ihren Glanz verloren habe.

Der technikgeschichtliche Höhepunkt der Tagung wurde von RAINER BOOS (Karlsruhe) gesetzt, indem er sich ausgreifend einer Würdigung der Leistungen um die Rheinbegradigung widmete, die Johann Gottfried Tulla (1770-1828) maßgeblich mit bestimmt hatte. Während heute zuerst an die Zerstörung der Auenwälder gedacht werde, so sei die ingenieurtechnische Leistung der Rheinbegradigung im Zusammenspiel französischer und deutscher Ingenieure nicht zu unterschätzen. Mit der neuen Hydrotechnik, der Begradigung eines Flusslaufes durch die Errichtung von Kanälen und Mauern, gelang es, den Rhein für die Schifffahrt nutzbarer zu machen. Dabei sind die Leistungen in erster Linie im Bereich der Vermessungstechnik zu finden – die eigentliche Umsetzung dieses Großprojektes zwischen 1817 und 1842 verlief dabei überraschend vormodern unter Einsatz reiner, menschlicher Muskelkraft unter mörderischen Bedingungen ohne neuere technische Hilfsmittel zu nutzen. Tulla selbst war zwar maßgeblich an der Planung, aber durch seinen frühen Tod kaum noch an der Umsetzung der „Rheinkorrektion“ beteiligt. Seine Verdienste sind vielmehr im Straßen- und Brückenbau noch heute zu besichtigen.

Den Abschluss lieferte PETER STEINBACH (Mannheim) mit einer historischen Perspektive auf das deutsch-französische Verhältnis rund um den Rhein. Dabei stellte er den Rhein als Verbindendes ins Zentrum seiner Ausführungen. Der Rhein sei eben schon immer eine Austauschregion gewesen und als Kommunikationskanal sei er damit lange wichtiger als das Straßensystem gewesen.

Die Tagung demonstrierte eindrücklich, wie ergiebig der Blick auf die Zusammenhänge von Kunst, Kultur, Technik und Gesellschaft sein kann und wie damit viele überraschende Perspektiven für die künftige auch museale Diskussion geschaffen werden können. Der Ausstellung (22.09.2012-24.02.2013) sind viele Besucher zu wünschen.

Konferenzübersicht:

Wolfgang Grenke: Begrüßung

Barbara Wagner: Die Rheinserie von Ludwig Bleuler

Marcell Perse: Künstlerreisen am Oberrhein im frühen 19. Jahrhundert. Der Düsseldorfer Maler Johann Wilhelm Schirmer

Irene Haberland: Residenzlandschaft Rhein – Residenzen am Rhein

Michael Wiemers: Der tradierte Blick: Rheinlandschaft und Ansichtskarte

Matthias Winzen: Zähmung der Natur

Johannes Bilstein: Fluss und Überfahrt. Zur Tiefensymbolik des Rheins

Bernd Künzig: Flimmert der Fluss, flammet die Flut. Das Rheingold und andere feuchte Mythen über den Klangfluss

Rainer Boos: Johann Gottlieb Tulla

Peter Steinbach: Der Rhein nicht als Kriegsgrund, sondern Friedensstifter zwischen Frankreich und Deutschland


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