HT 2004: Geschichte der Kriegsberichterstattung

HT 2004: Geschichte der Kriegsberichterstattung

Organisatoren
Ute Daniel
Ort
Kiel
Land
Deutschland
Vom - Bis
16.09.2004 - 16.09.2004
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Von
Heidi Mehrkens, Braunschweig

Spätestens seit dem Golfkrieg 1991 bezeichnet der Begriff des „Medienkriegs“ eine Form der Wahrnehmung und Vermittlung von Konflikten anhand ständiger und zeitnaher Berichterstattung. „Was geschieht dort wirklich?“ verlangt der kritische Fernsehzuschauer, Radiohörer oder Zeitungsleser vom Augenzeugen vor Ort zu wissen. Angesichts der Informationsflut ergibt sich für ihn gleichzeitig die Frage: „Was kann ich mit dem, was ich sehe, tatsächlich anfangen?“ Vermittelte Wirklichkeit in Form einer „Medienrealität“ ist keine Erscheinung des 20. Jahrhunderts, sondern ein historisches Phänomen. Medienkompetenz war schon mit dem Aufkommen gedruckter Presseerzeugnisse notwendig, um bei der Darstellung von Konflikten den Überblick im Blätterdschungel zu behalten. Formen und Inhalte der medialen Kriegsdarstellung bildeten den roten Faden der epochenübergreifenden Sektion zur „Geschichte der Kriegsberichterstattung“ unter der Leitung von Ute Daniel (Braunschweig). „Die Geschichtsschreibung der Kriege“, so die Bilanz nach einem rasanten Eilkurier-Ritt durch fünf Beiträge vom 18. bis 21. Jahrhundert, „sollte in den nächsten Jahren eine Geschichte der Medien über diese Kriege sein.“

Das Ziel der Sektion, das Ute Daniel in ihrer Einführung vorgab, war eine „punktuelle Sondierung“ dreier Jahrhunderte Kriegsberichterstattung unter mehreren Leitfragen: Woher kommen die Nachrichten und die Bilder, die von den Berichterstattern zur Veröffentlichung weitergegeben werden? Welche Kommunikationstechniken sind vorhanden? Wie wirkt sich die Beschleunigung der Nachrichtenübermittlung auf die Arbeit der Kriegsberichterstatter aus? Welche Rolle spielen Medieneffekte bei der Vermittlung von Information? Welche Kontrollmechanismen werden auf die Berichterstattung ausgeübt und von wem? Während die Rezipientenseite, so Ute Daniel, „kaum oder gar nicht zu erschließen“ sei, könne dagegen die Tätigkeit der Kriegsberichterstatter doch nachvollzogen und interpretiert werden. Die Bedeutung von Raum und Kommunikation, dem Rahmenthema des Historikertages, ist für die Kriegsberichterstattung offensichtlich. Immer geht es um die Übermittlung von Nachrichten aus oftmals großer Entfernung vom Standort des Journalisten in die Heimatredaktion. Der Kriegsschauplatz, auch das eine historische Konstante, ist zudem unübersichtlich, die Aufgabe des Berichterstatters liegt darin, sich einen Überblick zu verschaffen und ihn vor allem nicht wieder zu verlieren. Die Verwandtschaft zur Reiseschriftstellerei wird erkennbar in der intensiven Auseinandersetzung mit dem Fremden und Exotischen: Der Krieg ist immer auch Erlebnis.

Die Sektionsbeiträge schlugen dann den Bogen vom reitenden Boten als Informationsübermittler bis zum Tastendruck auf der TV-Fernbedienung. Andreas Gestrich (Trier) stellte bereits für den Siebenjährigen Krieg (1756-1763) eine große Anteilnahme durch eine europäische „Medienöffentlichkeit“ fest. Der Aufstieg des Mediums Zeitung, das die illustrierten Blätter in ihrer Bedeutung abgelöst hatte, war eng mit einem „regelmäßigen Informationsbedürfnis der Bevölkerung im Krieg“ verbunden. Von dem Pressehistoriker Gerhard Piccard stammt die zugespitzte Formulierung, der Krieg sei „der Vater und der Ernährer der frühen Zeitung“ 1 gewesen, eine These, die durch Gestrichs Ausführungen bestätigt wurde. Die kontroverse Beurteilung des preußischen Präventivschlags und der Härte der Kriegführung auf beiden Seiten, aber auch ein deutlich gesteigerter Patriotismus hatten zu einer großen Nachfrage nach Informationen zu Themen der Tagespolitik und des Kriegsgeschehens geführt.

Exemplarisch für das zeitgenössische Leitmedium stellte Gestrich das „Wienerische Diarium“ vor, das in der glücklichen Lage war, als offiziöses Blatt des Wiener Hofes gut mit international relevanten Informationen versorgt zu sein. Während des Krieges schwoll der Umfang der Ausgaben durch Beilagen wie Kriegsjournale oder Kriegsdiarien deutlich an. Es handelte sich dabei, so Gestrich, um Nachrichten, „die bereits durch den politischen Filter der jeweiligen Regierung gegangen“ waren. Inhaltlich wurden am häufigsten Meldungen über Truppenbewegungen verbreitet, deutlich weniger Nachrichten betrafen dagegen Schlachten und Kampfhandlungen. Über Kriegsverbrechen wurde kaum berichtet, und wenn doch von Plünderungen und Desertionen die Rede war, dann waren die Meldungen propagandistisch aufbereitet, um den Gegner zu verunglimpfen. Gefallene wurden nur aufgezählt, die Folgen des Krieges für die Soldaten blieben unberichtet. Das Erscheinen von Meldungen war nicht nur von den Umständen der Übermittlung durch Kuriere oder auf dem Postweg abhängig, sondern ebenso von der politischen und militärischen Situation. Meldungen, die für die eigene Seite unangenehm waren, wurden kurzerhand unterdrückt.

Die Kriegsberichte kamen aus vier Quellen: Die regelmäßigen Zeitungskorrespondenten schrieben aus den Hauptstädten der jeweiligen Länder und befanden sich selbst nicht am Kriegsschauplatz. Die Regierungen gaben offizielle Meldungen heraus oder ließen Personen, die sich als Privatleute ausgaben, propagandistische Texte verfassen. Die wichtigste Rolle, aufgrund ihrer Nähe zum Kriegsgeschehen selbst, spielten jedoch die Schreiber von Kriegsjournalen in den Generalstäben. Diese Autoren waren nicht allein Militärs. Viele Zivilisten, oftmals arbeitslose Akademiker, reisten mit der Armee. Ihre Berichte wurden direkt an die Regierung in Wien geschickt, dort redigiert und dann zur Veröffentlichung freigegeben. Diese Nachrichten boten zuverlässige Informationen auf der Ebene der Truppenbewegungen und der Logistik, waren aber bei Schlachtenbeschreibungen höchst ungenau. Die Zensur hatte auch hier das letzte Wort.

Was erfährt der Leser, was erfährt er nicht, und wie geht er mit beidem um? Frank Becker (Münster) ging in seinem Vortrag zur Berichterstattung im deutsch-französischen Krieg 1870/71 auf die zeitgenössische Wahrnehmung des Verhältnisses von der „Wirklichkeit“ des Krieges zur „Medienrealität“ ein. Die Benutzung des Telegrafen hatte die Geschwindigkeit bei der Nachrichtenübermittlung enorm gesteigert, Meldungen vom Kriegsschauplatz in Frankreich sorgten nur einen Tag später in Berlin für Gesprächsstoff. Die Kriegsberichterstatter, die im Auftrag ihrer Redaktion meist ohne feste Bindung an ein Hauptquartier mit den Truppen reisten, durften die Telegrafenleitungen allerdings so gut wie nie benutzen. Ihre Aufgabe war nicht die schnelle Meldung, sondern die Vermittlung von Hintergrundinformationen, die Reportage vom Kriegsschauplatz, die stimmungsvolle Beschreibung von Land und Leuten. Die Artikel wurden mit der Feldpost geschickt und erreichten die Leserschaft etwa eine Woche nach der Abfassung. Für weitere Eindrücke vom Kriegsschauplatz sorgten die „Special-Artisten“, die Zeichner, die ihre Skizzen nach Hause sandten, wo sie für die illustrierte Presse gestochen und dann gedruckt wurden. Die Fotoberichterstattung steckte in diesem Konflikt noch in den Kinderschuhen.

Für den Krieg 1870/71 existierte ein umfassendes mediales Angebot. Auch wer Frankreich nie mit eigenen Augen gesehen hatte, erhielt in Berlin und München über die Depeschen an den Litfasssäulen, über die Bilder und Zeitungsreportagen ein Bild vom Feldzug vermittelt. Diese „Medienrealität“ wirkte darüber hinaus, gewissermaßen als Rückkopplung, auf die Kriegsteilnehmer selbst: Die Soldaten lasen ebenfalls Zeitungen, denn auch sie verloren nur zu oft den Überblick über die Ereignisse, die sich wenige Kilometer entfernt abspielten. Wie gingen die Zeitgenossen selbst mit den Informationen um? Welche Maßstäbe von Wahrheit, Authentizität und Echtheit legten die Zeitgenossen an, um die Medienrealität von der Wirklichkeit abzugrenzen? Einerseits, so Becker, hätten die „Tatsachenbegriffe der positivistischen Wissenschaftstheorie“, andererseits diejenigen des „ästhetischen Programms des bürgerlichen Realismus“ die Ansprüche an die Darstellung von Wirklichkeit – auch Kriegswirklichkeit – geprägt. Dadurch entstand dann, was an der Berichterstattung von 1870/71 heute so frappiert: das Nebeneinander von Kriegsberichten, die ebenso sachlich wie schauerlich Kriegstote bis ins Detail schildern, und daneben die Bilddarstellung, die Gefallene höchstens in pittoresken Posen zeigt, friedlich schlafend, das erstarrte Leichengesicht diskret vom Betrachter abgewandt. Gerade die Bilder blieben den Darstellungskonventionen der Zeit verpflichtet und ästhetisierten Gewalt. „Das große Thema in dieser Medienrealität“, so führte Becker aus, „war das Thema Nation“. Die Berichterstattung stellte sich in den Dienst der Idee, Armee und Gesellschaft auch während des Krieges eng verbunden zu halten, und zugleich eine Abgrenzung gegen den Kriegsgegner Frankreich zu transportieren. Die Identifikation der Heimat mit der Armee als „Sachwalter der Nation“ wurde auf der Basis bürgerlicher Wertvorstellungen transportiert und der Zusammenhalt der Familien beschworen.

Andreas Steinsieck (Braunschweig) ergänzte die Sektion um den Aspekt der Kriegsberichterstattung in einem kolonialen Konflikt, dem Südafrikanischen Krieg (1899-1902). Er lenkte den Blick auf das Selbstverständnis der Akteure und stellte Monografien vor, die englische und amerikanische Kriegsberichterstatter über ihre Erlebnisse im Feldzug verfasst hatten. Oftmals wurden diese Erlebnisberichte noch während der ersten Kriegsmonate ediert und erreichten hohe Auflagen. Die Kriegsberichterstatter im sogenannten Burenkrieg verstanden sich nicht in erster Linie als Journalisten. Junge Männer aus der Upper-Middle-Class nutzten den Krieg zur Begründung einer Karriere als Schriftsteller, Maler oder auch Politiker. Winston Churchill gehörte zu ihnen, Edgar Wallace ebenfalls. Die Karriere war, zumindest zu Beginn des Feldzuges, wichtiger als ein aufklärerischer Anspruch. Die englischen Wortberichter, Zeichner und erstmals auch Kameramänner waren, so Steinsieck, die „kriegerische Normalität des Empire“ gewohnt, der Feldzug stellte für viele „eine Art Schauspiel oder auch eine sportliche Veranstaltung“ dar, die sie in pittoresken Bildern zu schildern beabsichtigten. Die Wahrnehmung des fremden Raumes war eine Wahrnehmung der Exotik des Kriegsschauplatzes, die dem Leser in der Heimat in möglichst farbenfrohen Bildern übermittelt wurde. Die afrikanische Landschaft stellte die Berichter gleichzeitig auch vor – im wahrsten Sinn des Wortes – schwer wiegende Probleme: Die ersten Filmberichterstatter und Kameramänner in diesem Krieg kämpften mit dem Transport ihrer tonnenschweren Ausrüstung in unwegsamem Gelände. Wo der Krieg in natura keine filmschönen Bilder hergab, wo Khaki und Staub ihn unansehnlich machten oder Ausrüstung nicht weit genug bewegt werden konnte, da wurden Kampfhandlungen nachgestellt, Angriffe inszeniert.

Die englischen und amerikanischen Berichterstatter, deren persönliche Disposition, so Steinsieck, „bestimmt war von Herkunft, Erfahrung und kulturellem Hintergrund“, realisierten vor Ort nach und nach, dass sich der Südafrikanische Krieg von den vorhergegangenen kolonialen Kriegsereignissen unterschied. Das englische Militär kämpfte gegen einen weißen und irregulär agierenden Gegner. Der Krieg dauerte mit knapp drei Jahren viel länger als erwartet, und er kostete viele Opfer. Die Skandale dieses Feldzuges, die grauenhaften Zustände in Lazaretten und Konzentrationslagern, wurden nicht von den Kriegsberichterstattern aufgedeckt, sondern von Mitgliedern humanitärer Einrichtungen. Steinsieck verwies jedoch darauf, dass es sich bei der englischen und amerikanischen Berichterstattung aus dem Burenkrieg nicht um eine Art „unkritischer Hofberichterstattung“ gehandelt habe. Ihr sozialer Stand erlaubte vielen Autoren, in Kontakt mit der Militärführung zu kommen und mit „einiger Autorität vermeintliche oder tatsächliche Fehlentscheidungen der Politik und der Generäle zu kritisieren“. Die Berichterstatter des Südafrikanischen Krieges wurden in England zu nationalen Helden stilisiert und mit Ehrenmedaillen ausgezeichnet. Ein halbes Jahrhundert, nachdem ihr Landsmann William Howard Russell im Krimkrieg durch seine kritischen Artikel für Furore gesorgt hatte und europaweit als einer der Väter der modernen Kriegsberichterstattung gerühmt wurde, verkörperten sie, an Afrikas fernen Gestaden, einen gänzlich anderen Typ des Berichterstatters.

Die beiden letzten Vorträge der Sektion behandelten die Bilder des Krieges. „Fotografische Kriegsberichterstattung im 20. Jahrhundert – eine historisch-ikonografische Skizze“ lautete das Thema von Gerhard Paul (Flensburg). Paul stellte die Fotografie, das Leitmedium des industrialisierten Krieges, als ein „Medium der Ungleichzeitigkeit“ vor. In diesen Kriegen, die nicht mehr vom Feldherrenhügel aus gelenkt wurden, sondern Hunderte von Kilometern an Frontverlauf aufboten, war der Überblick über die Gesamtsituation endgültig unmöglich geworden. Der Krieg zerfiel in „Tausende von Einzelschlachten und Einzelszenen, die mit traditionellen Visualisierungsstrategien und Ikonografien nicht mehr einzufangen“ waren: Den Atomtod, das Sterben auf große Entfernung konnte niemand abbilden. Die Fotografie war also von vornherein ein Medium, das auf „ikonografische Ersatzhandlungen und vormoderne Sujets“ angewiesen war.

Die Entwicklung dieser Ikonografie war zum einen abhängig von den technischen Möglichkeiten. Kürzere Belichtungszeiten führten zur Abbildung belebter Momente, auch Kampfszenen, handlichere Kameras ermöglichten die Perspektive aus dem Schützengraben. Zum anderen waren es die Kriegsfotografen selbst, die den Rahmen der Darstellung durch ihre eigene kulturelle und ästhetische Vorprägung mitbestimmten, und natürlich die Zensur. Untersuchungen über den Vietnamkrieg zeigten, so Paul, dass Reporter durch „Annahmen über den Wert des ,Krieges an sich’ sowie durch verinnerlichte Kriegsbilder und eine Sprache geprägt“ waren, die ihnen vorgaben, wie und was über den Krieg zu berichten war. Diese Annahmen wurzelten unter anderem in der Erfahrung früherer Kriege. Gerhard Paul sprach jedem industrialisierten Krieg seine eigene Bildsprache und ästhetische Kennung zu, fand jedoch auch wiederkehrende, überzeitliche Muster. Dazu gehörten die ikonografischen Traditionen der Malerei und Grafik, die weitgehende Ausblendung von Leid, Elend, Chaos und Tod und unmittelbarer Gewalt. Von Beginn an wurden hingegen, auch unter dem Druck der Zensurbestimmungen, bürgerliche und christliche Wertvorstellungen von Heldenhaftigkeit und Karitas, Sauberkeit und Ordnung in der Kriegsfotografie transportiert. Dazu kam im 20. Jahrhundert eine „Entertainisierung des Krieges als Reise, Sport und Event“ sowie immer stärker die Darstellung von Krieg als Möglichkeit zum kulturellen Erlebnis.

Auch die Rezeption der Fotografie unterlag bestimmten Voraussetzungen. Wo der Krieg durch das Bild Einzug in die Wohnzimmer hielt, konnte es einerseits zu einer Normalisierung des Kriegsereignisses kommen. Zugleich wurden die Bilder aufgrund des großen anonymen Marktes jedoch immer spektakulärer, brachen Fotografen kalkuliert mit Tabus, um ihren Verkaufswert zu steigern. Diese Nahdistanz zwischen Krieg und Wohnzimmer führte etwa bei den Aufnahmen aus dem Vietnamkrieg zum sogenannten „body-bag-Syndrom“; die Bilder konnten in ihrer Direktheit und Gewalthaftigkeit nicht ertragen werden und unterminierten auf diese Weise die Kriegsbereitschaft der Heimatfront. Fotografien des Krieges wurden, so Paul abschließend, zu „Ikonen des 20. Jahrhunderts“, die sich in die „Bildplatte des kollektiven Gedächtnisses einbrannten“.2

Karl Prümm (Marburg) griff diese Umstände der Rezeption in seinem Beitrag „Die Definitionsmacht der TV-Bilder. Zur Rolle des Fernsehens in den neuen Kriegen nach 1989“ am Beispiel der Berichterstattung über den Irak-Krieg im Frühjahr 2003 wieder auf. Im Golfkrieg 1991 stellte das Fernsehen erstmals eine schier lückenlose „Medienrealität“ zur Verfügung, die das Kriegsgeschehen „in Echtzeit quasi verdoppelte“. Das Fernsehen, so Prümm, dominiere auch heute als „Beglaubigungsagentur“ die Erinnerung und die öffentliche Wahrnehmung, weil es alle anderen Medien in sich zusammenfasse, weil es mit Schrift, Bild und Geräusch agiere und somit gleichzeitig auch eine „Agentur einer gesteigerten sinnlichen Wahrnehmung“ darstelle. Die Wahrnehmung von Fernsehbildern forme jedoch, so Prümm in Anlehnung an Niklas Luhmann 3, nicht nur das Wissen des Zuschauers von den Ereignissen. Gewiss, nicht erst seit dem Irakkonflikt gilt: Die Bilder schaffen selbst Realität. Sie lösen politische Prozesse aus. Die kriegführenden Parteien wussten um die Bedeutung der Kriegsbilder, deren Herstellung und Verbreitung damit zu einem politischen Akt wurde. Die Regelungs- und Beeinflussungsmechanismen sollten dafür sorgen, dass eine Einheit von Legitimation und Erscheinungsbild des Krieges glaubhaft vermittelt werden konnte. Von Beginn des Konfliktes an, schon mit der Kriegserklärung und mit Ablauf des Ultimatums, wurden 2003 gezielt Medienereignisse inszeniert, die eine „einschränkungslose Auskunftsbereitschaft, eine absolute Transparenz zur Kriegsführung“ suggerierten. Das Konzept der „embedded correspondents“ unterstützte diese Politik.

Trotzdem, so Prümm, hätten die vergangenen Monate gezeigt, wie schnell ein Medienkrieg der Regie entgleiten könne. „In liberalen Gesellschaften hängt von den TV-Bildern ab, ob das Publikum den Krieg für gerechtfertigt hält und bereit ist, Opfer zu akzeptieren.“ Fernsehen kann kriegsentscheidend sein. Trotz aller Anstrengungen, die Bildräume zu beherrschen, entwickeln diese eine eigene Dynamik und entziehen sich den Intentionen derer, die sie anfertigen und veröffentlichen. Die Bilder zeigen tatsächlich immer mehr, als sie zeigen sollen. Sie definieren sogar, wie im Fall der Folterfotos von Abu Ghureib, den ganzen Konflikt im Irak um. Anders als im Golfkrieg 1991, wo allein CNN für eine Dauerbelichtung des Krieges gesorgt hatte, gab es im Irakkonflikt von Beginn an kein Bildmonopol eines Senders oder einer kriegführenden Seite. Die Nachrichtenagentur Al-Dschasira bestimmte mit ihren Opferbildern die Wahrnehmung des Krieges maßgeblich mit. Wieder ist also Medienkompetenz gefragt, das Wissen um die Einflussmöglichkeiten der Wort- und Bildberichterstattung auf die Wahrnehmung von Konflikten. Prümm schloss mit der Aufforderung, die Historiografie der neuen Kriege müsse eine kritische Historiografie der Medienrealität sein, mit der Aufgabe, die „Bildstrategien der Kriegsakteure in den Blick zu nehmen“.

In dieser Sektion ist es überzeugend gelungen, ein bislang der Medienwissenschaft vorbehaltenes Themengebiet auch für die Geschichtswissenschaft zu erschließen. Vier der Vortragenden sind Historiker, die Medienwissenschaft vertrat Karl Prümm, der anstelle von Mark Pedelty (Minneapolis) die Sektion vervollständigte. Durch den historischen Zugriff wurden Entwicklungslinien aufgezeigt, die Phänomene der modernen Kriegsberichterstattung in ein anderes Licht rücken: Medienkrieg und Medienrealität, Beschleunigung der Nachrichtenübermittlung und „embedded journalism“ sind keine Kinder unserer Zeit, sie wurden bereits vor Jahrhunderten diskutiert. Die Geschichte der Medien und die Analyse der Wahrnehmung von „Medienrealitäten“ sollte künftig stärker heran gezogen werden, um Konflikte und deren politische Zusammenhänge aufzuarbeiten. Ebenso kann sie den Blick weiter dafür schärfen, dass neben den heute ständig präsenten „Medienkriegen“ auch, etwa im Fall Somalias, gänzlich „unterbelichtete“ Kriege geführt werden.

Anmerkungen:
1 Piccard, Gerhard, Vom Ursprung der Zeitung. Eine Darstellung nach urkundlichen Unterlagen aus dem Badischen Generallandesarchiv, in: Zeitungs-Verlag 48 (1991), H. 1,2, S. 4, zitiert nach Neumann, Heinz-Georg, Der Zeitungsjahrgang 1694. Nachrichten und Nachrichtenbeschaffung im Vergleich, in: Blühm, Elger; Gebhardt, Hartwig (Hgg.), Presse und Geschichte II. Neue Beiträge zur Kommunikationsforschung, München u.a. 1987, S. 127-157, hier S. 145.
2 Dazu neu: Paul, Gerhard, Bilder des Krieges – Krieg der Bilder. Die Visualisierung des modernen Krieges, Paderborn u.a. 2004.
3 Luhmann, Niklas, Die Realität der Massenmedien, 2,. erweiterte Auflage, Opladen 1996.

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