Neue Ansätze zur Präsentation regionaler NS-Geschichte in Museen, Dokumentations- und Gedenkstätten

Neue Ansätze zur Präsentation regionaler NS-Geschichte in Museen, Dokumentations- und Gedenkstätten

Organisatoren
Arbeitskreis für die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen
Ort
Hannover
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.05.2012 -
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Von
Wolfgang Brandes, Stadtarchiv Bad Fallingbostel

Die Jahrzehnte währende Vorgeschichte, aber auch die aktuelle Diskussion um das NS-Dokumentationszentrum in München haben erneut deutlich gemacht, welche unterschiedlichen Vorstellungen in Bezug auf die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit bestehen. Aber auch schon länger bestehende Einrichtungen haben mit Neukonzipierungen auf den Zuwachs an wissenschaftlichen Erkenntnissen und auf neue methodologische Ansätze in den Geschichtswissenschaften reagiert. Vor diesem Hintergrund widmete sich die 27. Tagung des Arbeitskreises für die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen am 5. Mai 2012 im Historischen Museum Hannover dem Thema „Neue Ansätze zur Präsentation regionaler NS-Geschichte in Museen, Dokumentations- und Gedenkstätten“.

DETLEF SCHMIECHEN-ACKERMANN (Hannover) hob in seiner Einführung hervor, dass das Verschwinden der NS-Zeit aus dem ganz wesentlich durch persönliche Kommunikation vermittelten kommunikativen Gedächtnis und ihre Verortung in einem nur noch kulturell vermittelbarem Gedächtnis nahezu abgeschlossen sei. Dies habe zu einer ganz anderen Situation geführt. Für die historische Forschung hätten in der Vergangenheit Politik und Institutionen, Herrschafts- und Verfolgungspraxis und der Widerstand im Mittelpunkt des Interesses gestanden. Das Verhalten der Bevölkerungsmehrheit sei dagegen nur wenig erforscht worden. Heute stehe dagegen nicht mehr die Frage des Ausmaßes der Repression gegenüber der deutschen Bevölkerung im Vordergrund, sondern die Frage, warum das Regime vor allem in der Zeit zwischen 1936 und 1943 von einer so breiten Zustimmung getragen worden sei. Im Zuge des Wandels der Schwerpunktsetzung seien neue Erkenntnismöglichkeiten über Herrschaft und Alltag, über die soziale Handlungspraxis in jenen Jahren oder über Mitmachen und Widerstehen im Dritten Reich zu erwarten. Gefragt werde nun nach den akteurs- und gruppenspezifischen Dispositionen gegenüber den Verheißungen und Verbrechen des Nationalsozialismus. Dieser Paradigmenwechsel der historischen Forschung sei in die Gedenkstättenarbeit, die Erinnerungskultur und die politische Bildungsarbeit aber nur erst in geringem Maße eingeflossen.

KAROLA FINGS (Köln) schilderte den Weg „Von der Gedenkstätte Gestapogefängnis zum NS-DOK: Drei Jahrzehnte erinnerungskultureller Wandel am Beispiel des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln“. Heute handelt es sich um die größte lokale Gedenkstätte der Bundesrepublik mit 56.000 Besuchern im Jahr 2011. Das EL-DE-Haus, in dem sich die Gedenkstätte befindet, war Sitz der Kölner Gestapo, die das in privatem Besitz befindliche Gebäude angemietet hatte. Frings betonte, dass es nach 1945 zunächst kein Interesse gegeben habe, sich mit der Geschichte dieses Hauses auseinanderzusetzen. Die Stadt Köln habe es als eines der wenigen intakten Gebäude unter anderem als Standesamt und Rentenstelle genutzt, Erst Ende der 1970er-Jahre sei eine breite Diskussion um den Erhalt des ehemaligen Gefängnisses und die Errichtung einer Gedenkstätte im EL-DE-Haus aufgekommen. Eine 1979 entstandene Fotodokumentation des Zustands der ehemaligen Gefängniszellen mit den erhaltenen Wandinschriften der Inhaftierten sei im Zusammenhang mit dem vor dem Landgericht Köln geführten Prozess gegen den an der Deportation der Juden in Frankreich beteiligten SS-Obersturmbannführers Kurt Lischka auf großes internationales Interesse gestoßen. Daraufhin habe der Rat beschlossen, die Kellerräume als Gedenkstätte einzurichten, was 1981 geschehen sei und die Zeit des Nationalsozialismus in Köln erforschen zu lassen. 1987 sei dann ein erster Ratsbeschluss für die Gründung eines NS-Dokumentationszentrums getroffen worden. Bei der Realisierung seien zwei Grundentscheidungen umgesetzt worden: 1. Das Gebäude ist das Hauptexponat, das man erfahren und erleben kann. 2. Es geht nicht nur um Widerstand und Verfolgung, sondern um die ganze Breite des Nationalsozialismus. Am Beispiel Köln soll in einer streng dokumentarischen Ausstellung gezeigt werden, was Nationalsozialismus bedeutete und wie er funktionierte.

2009 sei das Dokumentationszentrum nach einer Neugestaltung wieder eröffnet worden. Dabei konnten weitere Büros und Lagerräume eingebunden werden. In der Dauerausstellung seien bestimmte Bereiche, die vorher aufgrund fehlender Forschung Leerstellen aufwiesen, ausgefüllt worden. Es sei auch eine Perspektivenerweiterung umgesetzt worden: Man beschränke sich nicht nur auf das reine Stadtgebiet, sondern beziehe auch Erfahrungen von Kölnern an der Front, im Vernichtungskrieg, im Exil und in der Kinderlandverschickung mit ein. Ebenso ende die Darstellung des Schicksals der Juden nicht mehr am Deportationszug, sondern was darauf folgte, werde exemplarisch am Schicksal Kölner Juden im Ghetto Litzmannstadt dargestellt.

HABBO KNOCH (Celle) ging auf den Friedhof als Lernort und Forschungsraum ein. Gedenkstätten seien Kristallisationspunkte kollektiven Gedächtnisses. Gedächtnisorte lebten von der Fähigkeit der Metamorphose und vom unablässigen Wiederaufflackern ihrer Bedeutung. Heute gehe es in den Gedenkstätten nicht mehr nur darum, derartige historische Orte auszuweisen, sondern es werde ein aktiver Umgang mit der Geschichte angestrebt. Dieser Wandel habe sich in drei Schritten vollzogen. Bis zum Beginn der 1980er-Jahre sei – mit Ausnahme einiger Konzentrationslager wie beispielsweise auch Bergen-Belsen – eine weitgehende Ausblendung der Tatorte aus dem öffentlichen Bewusstsein zu konstatieren gewesen. In den 1980er-Jahren haben dann der Ausbau staatsnaher Gedenkstätten und die Etablierung von Gedenkstätten als Lernorte begonnen. An diesem Prozess hätte auch bürgerschaftliches Engagement in vielen örtlichen Initiativen großen Anteil gehabt. Aktiv habe man in die Region hinwirken wollen, ohne die transnationale, europäische Dimension zu vernachlässigen. In der breiten Topographie gesellschaftsnaher Gedenkorte habe sich dadurch ein differenzierendes Bild des Nationalsozialismus ergeben. Mitte der 1990er-Jahre hätten sich die Gedenkstätten dann als Institutionen des öffentlichen Bewusstseins etabliert. Anders als Schmiechen-Ackermann sieht Knoch in den Gedenkstätten Kristallisationspunkte für die Auseinandersetzung mit der Täterschaft in der Gesellschaft. Als Orte der Forschung trügen Gedenkstätten sukzessive aufgrund der professionellen Entwicklung immer mehr zur zentrale Erforschung und Dokumentation des Nationalsozialismus bei.

THOMAS SCHWARK (Hannover) berichtete über „Methodische und konzeptionelle Überlegungen zur Präsentation lokaler und regionaler NS-Geschichte im Museum“. Im Historischen Museum Hannover habe die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zwangsläufig einen ganz anderen Stellenwert als in einer authentischen Gedenkstätte. Die didaktische und ästhetische Ausrichtung der Ausstellung ziele auf die Reflexion von Bildern, von denen das Museum einen großen Bestand habe. Bis in die 1980er-Jahre hinein habe der Nationalsozialismus kaum eine Rolle in der Dauerausstellung gespielt. Erst unter Ägide von Waldemar Röhrbein habe er zunächst in Sonderausstellungen, dann auch in der Dauerpräsentation Eingang gefunden. In dem bislang umgesetzten chronologischen Konzept würden die Themen Formen und Funktion der Propaganda, Verfolgung, Veränderung der Stadt und Veränderung der Gesellschaft durch Uniformierung, Gleichschaltung und Bedingungen des totalen Krieges aufgegriffen. Im Zuge der für 2016 vorgesehenen Neugestaltung des Historischen Museums Hannover sei geplant, dem Nationalsozialismus in unterschiedlichen Themenbereichen in der neuen Konzeption Raum zu geben.

ANDREA KALTOFEN (Esterwegen) stellte die Überlegungen zur Neukonzeption der Gedenkstätte Esterwegen vor. Die im Oktober letzten Jahres eröffnete Gedenkstätte steht für den Komplex von 15 so genannten „Moorlagern“ im Emsland, bei denen es sich um Straflager, Kriegsgefangenenlager und frühere Konzentrationslager handelte. Das Lagergelände in Esterwegen wurde bis in die späten 1950er-Jahre als Flüchtlingsdurchgangslager genutzt, danach wurde ein Bundeswehrdepot eingerichtet, für das große Hallenkomplexe entstanden. Als die Bundeswehr signalisierte, das Depot aufgeben zu wollen, bekundete der Landkreis Emsland Interesse, das Gelände für einen symbolischen Preis anzukaufen und hier eine Gedenkstätte einzurichten. Kaltofen berichtete, dass der Landschaftsgestaltung der Gedenkstätte Esterwegen der alte Lagerplan von 1937 zugrunde gelegt worden sei: Die Lagerstraße sei der zentrale Aspekt der gesamten Anlage, in der das ab- bzw. ausgeräumte Gelände habe definiert werden müssen. Statt auf Rekonstruktion sei dabei auf Visualisierung gesetzt worden, beispielsweise des Häftlingsareals durch Schotter und der Häftlingsbaracken durch Baumpakete. Wo möglich, seien Zeitfenster eröffnet worden, indem man historische Relikte, die am authentischen Lagerort gefunden wurden, wie die Fundamente eines Wachturms oder freigelegte Partien der ehemaligen Lagerstraße, integriert habe. Die beiden von der Bundeswehr errichteten großen Depothallen seien beibehalten und für die Einrichtung des Besucherinformationszentrums genutzt worden. Hier sei auch die Dauerstellung „Die Hölle im Moor“ untergebracht.

ANDREAS EHRESMANN (Sandbostel) sprach zur Neukonzeption der Gedenkstätte Lager Sandbostel. Vom Areal des ehemaligen Kriegsgefangenenlagers Sandbostel ist noch ein Drittel der Fläche mit 23 Gebäuden erhalten. Das Stalag X B Sandbostel war mit über 150 Baracken eines der größten Kriegsgefangenlager in Norddeutschland. Nach Kriegsende wurde hier ein Internierungslager eingerichtet, später dann ein Durchgangslager für männliche Jugendliche aus der DDR. Damit wurde die Möglichkeit einer vermeintlich ethischen Nachnutzung vorgegeben, die 1974 durch die Ausweisung zum Gewerbegebiet erfolgte. Ehresmann beschrieb, wie das Gedenken an die Ereignisse während der Zeit des Nationalsozialismus auf den Lagerfriedhof verlagert worden sei. Interesse für den historischen Ort hätten zunächst Privatpersonen gezeigt. Nachdem ihre Bemühungen lange Zeit auf heftigen Widerstand gestoßen seien, habe 2004 dann unter Einbindung kommunaler Stellen die Stiftung Lager Sandbostel gegründet werden können. In Sandbostel sei ein bundesweit einmaliges Ensemble von parallel gestellten Holzbaracken vorzufinden. Gebäuden werde Zeugenschaft unmittelbar zugestanden, aber durch die Nachnutzung hätten sich neue Zeitschichten über die Gebäude gelegt. Die Gebäude der Gedenkstätte seien also Überreste verschiedener historischer Prozesse. Deshalb sollten bei der Gestaltung der Gedenkstätte die Gebäude nicht zu stark mit einer Aura versehen, sondern als Dokumente und Relikte deutlich gemacht werden. Für den Umgang mit dem Gelände seien folgende Prämissen entwickelt worden: Alle Nutzungsepochen sollten erhalten und dokumentiert werden. Als größtes und bedeutendstes Exponat der Gedenkstätte sollten die historischen Lagergebäude weitgehend erhalten und präsentiert werden. Die überformten Gebäude sollten nicht in den historischen Zustand zurückgebaut werden, es sollte auch keine Rekonstruktion nicht mehr vorhandener Gebäude geben. Es solle deutlich gemacht werden, wo historische Bausubstanz noch vorhanden sei. Der Zustand der Gebäude sei immer auch Ausdruck für die jahrzehntelange Missachtung des Areals.

HABBO KNOCH (Celle) übernahm kurzfristig für die erkrankte Stefanie Burmeister die Ausführungen zur Neukonzeption der Gedenkstätte Ahlem. Nachdem 1987 im ehemaligen Direktorenhaus der israelitischen Gartenbauschule eine Gedenkstätte eingerichtet worden sei, seien 2009 Empfehlungen zur Neukonzeption getroffen und 2011 ein Gestaltungswettbewerb durchgeführt worden. Die umgestaltete Gedenkstätte solle 2014 eröffnet werden. Im Gegensatz zu den Gedenkstätten in Esterwegen und Sandbostel verfüge Ahlem über eine Vorgeschichte. Von 1893 bis 1942 wirkte hier die israelitische Gartenbauschule im zionistischen Sinn der Berufsumschichtung. Ab Herbst 1941 sei die Gartenbauschule dann zur Deportationssammelstelle und schließlich zur Gestapoaußenstelle und zum Polizeigefängnis geworden. In der historischen Laubhütte seien Gestapo-Häftlinge ermordet worden. Die Neukonzeption sehe vor, neben dem historischen Exponat „Direktorenhaus“ auch das Außengelände einzubeziehen. In der Ausstellung sollen beide Bereiche, also sowohl die Zeit als Gartenbauschule wie auch die Nutzung in der NS-Zeit, dargestellt werden. Berücksichtigung finden sollen dabei die Gesichtspunkte Anschaulichkeit, biographische Konzeptionierung und Gegenwartsreflexion.

Die abschließende Podiumsdiskussion machte noch einmal den langen Weg deutlich, den viele Gedenkstätten vom ersten bürgerschaftlichen Engagement bis zur Etablierung und Professionalisierung unter Einbindung staatlicher und kommunaler Partner zurücklegen mussten. Die Tagung ließ erkennen, welche strukturellen Veränderungen in die Gedenkstättenarbeit eingeflossen sind. Auch wenn sich in den konzeptionellen Überlegungen viel getan hat, der in der historischen Forschung zu beobachtende Paradigmenwechsel wird die Gedenkstätten noch in mancher Hinsicht fordern. Andererseits sind von den schon länger bestehenden und in erfreulicher Zahl gerade in letzter Zeit neu gegründeten Gedenkstätten vielfältige Impulse für die Bildungsarbeit und die Erinnerungskultur zu erwarten.

Konferenzübersicht:

Karola Fings (Köln): Von der Gedenkstätte Gestapogefängnis zum NS-DOK: Drei Jahrzehnte erinnerungskultureller Wandel am Beispiel des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln

Habbo Knoch (Celle): Friedhof, Lernort, Forschungsraum: Gedenkstätten zwischen Authentizität und Rekonstruktion

Thomas Schwark (Hannover): Methodische und konzeptionelle Überlegungen zur Präsentation lokaler und regionaler NS-Geschichte im Museum. Ein kleiner kommentierter Rundgang in der derzeitigen Ausstellung des Historischen Museums Hannover

Andrea Kaltofen (Esterwegen): Zur Neukonzeption der Gedenkstätte Esterwegen

Andreas Ehresmann (Sandbostel): Zur Neukonzeption der Gedenkstätte Lager Sandbostel

Habbo Knoch (Celle). Zur Neukonzeption der Gedenkstätte Ahlem


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