19. Treffen der Initiative zur historischen Japanforschung

19. Treffen der Initiative zur historischen Japanforschung

Organisatoren
Till Knaudt, Universität Heidelberg; Robert Kramm-Masaoka Universität Tübingen; Lars Schladitz, Universität Erfurt
Ort
Tübingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.05.2012 - 06.05.2012
Url der Konferenzwebsite
Von
Michael Facius, Ostasiatisches Seminar, Freie Universität Berlin

Die Initiative zur historischen Japanforschung ist ein loses Netzwerk von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die zur japanischen Geschichte arbeiten. Sie veranstaltet halbjährliche Tagungen an wechselnden Orten im deutschsprachigen Raum zur Vorstellung und Diskussion aktueller Projekte und übergreifender forschungsrelevanter Themen und Entwicklungen. Einen Überblick über die Aktivitäten der Initiative und Protokolle vergangener Tagungen sind auf <http://www.japanische-geschichte.de> eingestellt.

Das 19. Treffen der Initiative fand an der Universität Tübingen statt. Die Veranstalter Lars Schladitz (Erfurt), Robert Kramm-Masaoka (Tübingen) und Till Knaudt (Heidelberg) eröffneten das Treffen mit einer kurzen Begrüßung und einem Dank an das Deutsch-Asiatische Wissenschaftsforum Tübingen für seine finanzielle Unterstützung.

Den ersten Vortrag bestritt CAROLA WANKE (Heidelberg) zum Thema „NinPu. Partnerschaftliche Rollenverteilung im Werk der Künstlerin Okada Hiroko“. Dem Vortrag liegt eine kunstgeschichtliche Dissertation zugrunde. Deren Ziel ist eine Überblicksdarstellung zur Geschichte japanischer feministischer Kunst. Wanke ordnete ihre Arbeit in den Kontext feministischer Kunstkritik ein. In Japan, so Wanke, gibt es diese erst seit den mittleren 1990er-Jahren, mit Chino Kaori und Wakakuwa Midori als Vorreiterinnen. Anfänge feministischer Kunst – darunter verstand sie nicht nur Kunst offen feministischer Kunstschaffender, sondern auch Kunst, die Gender/Geschlecht thematisiert – verfolgte sie bis in die 1980er-Jahre zurück.

Der Hauptteil des Vortrags war einer ausführlichen Besprechung der Video-Installation „The delivery by male project“ von Okada Hiroko gewidmet. Die Installation setzt sich aus zwei parallel ablaufenden Videos zusammen. Im ersten Video ist die Geschichte eines Mannes zu sehen, der nach einem Lotteriegewinn seinen Job kündigt und ein Kind gebärt. Man sieht ihn unter anderem beim Test von Spielzeugen und während einer gynäkologischen Untersuchung. Im zweiten Video gibt die „Soziologin Mutō Kaori“ Kommentare und medizinische Erklärungen zur Funktionsweise der männlichen Schwangerschaft ab.

Anhand der Video-Installation stellte Wanke ihre Analyse zu Humor und Parodie als feministischer Strategie vor. Humor, so Wanke, erleichtert dem Publikum die Auseinandersetzung mit der fremden oder auch abstoßenden Wirkung der Bilder von Menschen, die die Grenzen der Geschlechterbinarität überschreiten. Der Titel der Installation, NinPu („Schwangerer Mann“) ist ein Wortspiel zu „Schwangere Frau“, das bei gleicher Aussprache mit einem anderen Schriftzeichen geschrieben wird. Titel und Kunstwerk dekonstruieren spielerisch den Geschlechterdualismus. Zugleich verweisen sie auf japanische Diskurse über Verantwortung von Männern im Ehe- und Familienleben.

In der anschließenden Diskussion wurden Zweifel angemeldet, ob Anfänge feministischer Bewegung und Kunst in Japan tatsächlich erst um 1990 zu verorten seien, bzw. welche Relevanz und Sichtbarkeit frühe, „proto-feministische“ Kunst und Aktion hatte, etwa im Kontext der Studierendenbewegung. Zudem wurde das Verhältnis von westlicher feministischer Theorie und japanischen Anknüpfungspunkten in japanischer feministischer Kunst allgemein und speziell in Okadas Installation diskutiert, etwa in literarischen und volksreligiösen Monsterfiguren (bakemono), die mitunter Verwandlungen vom Mann zur Frau vollziehen, oder in schauspielerischen Praktiken des cross-dressing (onnagata).

DAVID WEISS (Tübingen) hielt einen Vortrag zum Thema „Susanoo. Ein Kulturheros aus Korea?“ auf Grundlage seiner Masterarbeit zur Mythenforschung. Darin setzte Weiss sich kritisch mit der von James Grayson aufgestellten These auseinander, dass es sich bei der Gottheit Susanoo aus den frühen japanischen Mythensammlungen um einen „Kulturheros“ (á la Prometheus) aus Korea gehandelt habe.1

Weiss analysierte die Figur, wie sie in den Mythensammlungen des frühen achten Jahrhunderts, Kojiki und Nihonshoki, in Erscheinung tritt. Dabei zeigte er, dass Susanoo durchaus ambivalentes Verhalten an den Tag legte. So gilt er zwar als Schutzgottheit des Ackerbaus, zerstörte aber andererseits die Reisfelder seiner Schwester, der Sonnengöttin Amaterasu. Weiss interpretierte Susanoo daher eher als eine „Trickster“-Figur, die zwar nicht durchweg bösartig ist, aber gegen Normen verstößt, unzuverlässig ist, oder scheitert und oft auch komische Charakterzüge trägt.

Im zweiten Teil des Vortrags beleuchtete Weiss die Frage der Herkunft von Susanoo. Der Name der Gottheit und seine Wohnorte stehen auf vielfältige Art und Weise mit Korea in Verbindung, teils auch sprachlich, wie vergleichende linguistische Untersuchungen zeigen. Weiss schloss sich aber der Einschätzung des Mythenforschers Mishima Akihide an, es sei heute unmöglich herauszufinden, auf welchen realen Ort die Texte verweisen. Wichtiger seien ohnehin die mythischen Vorstellungen, die damit verbunden sind.

Die Diskussion erbrachte einige kritische Rückmeldungen und Hinweise: So gälte es, die nationalen Einheiten „Korea“ und „Japan“ als Analyserahmen zu hinterfragen, da die politische und kulturelle Konfiguration Nordostasiens im Altertum die Rede von „Japan“ und „Korea“ anachronistisch erscheinen lasse. Zudem sei der Blick auf das Altertum, auch der historiografische, in Japan und Korea stark nationalistisch aufgeladen. Ebenfalls seien die verschiedenen Rollen von Susanoo zu problematisieren, da die Quellen, in denen Susanoo auftaucht, auch vor dem Hintergrund zu lesen seien, dass sie dem Yamato-Staat durch Rückprojektion und Vergöttlichung kaiserlicher Genealogien der Legitimierung von Herrschaft dienten. Ein Vergleich mit koreanischen Werken wie dem samguk sagi und samguk yusa aus dem 12./13. Jahrhundert sei hier aufschlussreich. Auch wurde gefragt, was sich aus der Analyse über das klassische Japan und seine Beziehungen zu Korea lernen lässt, wenn man einen Schritt aus der Mythenforschung heraustritt. Weiss betonte allerdings, dass seine Absicht hauptsächlich in einer vergleichenden strukturalistischen Literaturanalyse liege.

YOSHIMI VON FELBERT (München) präsentierte den nächsten Vortrag, „‚Chrysanthemum and the Word‘ - John Morris‘ kulturelle Musterungen in ‚Traveller from Tokyo‘“. John Morris (1895-1980) war Soldat im ersten Weltkrieg, studierte Sozialanthropologie in Cambridge und ging 1938 nach Japan, um an der Keiō-Universität englische Literatur zu unterrichten. Nach dem Krieg war er bei der British Broadcast Company im Klassikprogramm tätig. Morris war auf Anraten der japanischen Regierung nach Japan gekommen und erledigte Korrekturarbeiten für das Außenministerium. Er lehrte noch bis acht Monate nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor, bevor er plötzlich ausreiste. Nach seiner Rückkehr schrieb er einen Reisebericht, „Traveller from Tokyo“2; er hatte jedoch keine Notizen mitnehmen dürfen und musste daher alles aus eigener Erinnerung aufschreiben, wodurch dem Text eine literarische Qualität eignet. Der Reisebericht ist unpolitisch und nicht-militärisch, mit einem Fokus auf dem täglichen Leben.

Von Felbert wählte in ihrem Vortrag den Zugang, den „Traveller“ mit Ruth Benedicts klassischem Werk „The chrysanthemum and the sword“ zu vergleichen. Benedict hatte das Buch während des Zweiten Weltkriegs als Handbuch im Auftrag der US-Regierung verfasst, um den Feind verständlich zu machen. Im Vergleich arbeitete von Felbert heraus, dass Morris anders als Benedict nicht von einer genuin japanischen Volksseele ausging, sondern zwischen Staat und Militär einerseits, Studierenden und Englisch-Lehrenden usw. aus seinem täglichen Umfeld andererseits unterschied. Mit dieser differenzierten Betrachtung stellte er eine große Ausnahme unter den westlichen Beobachtern jener Zeit dar.

In der Diskussion kam die Frage auf, wie man Morris in Japan nach dem Krieg sah. Da er eine Trennung zwischen seiner akademischen Tätigkeit und politischem Engagement aufrechterhielt und sich als neutraler Beobachter verstand, wurde er nach dem Krieg nicht geringgeschätzt, so von Felbert. Im Gegensatz zu Benedicts Buch sei der Reisebericht von Morris jedoch in Japan vergleichsweise unbekannt.

Den letzten Vortrag des Treffens hielt MICHAEL FACIUS (Berlin) zum Thema „Katastrophen und Emotionen in Japan. Ein historischer Problemaufriss“. Facius wies eingangs darauf hin, dass die Projektidee vor der Katastrophe in Nordostjapan vom März 2011 entwickelt wurde und bedauerte, dass sie nun auf diese Art an Aktualität gewonnen habe.

Einleitend stellte Facius die Forschungskontexte des Projekts vor: erstens die neuere historische Katastrophenforschung, die Katastrophen als soziale Konstrukte versteht und etwa nach kulturellen Deutungs- und Reaktionsmustern fragt; zweitens die Emotionsgeschichte, die die Geschichtlichkeit von Emotionen postuliert und diese unter anderem in Form „emotionaler Regimes“ oder „emotionaler Gemeinschaften“ untersucht, also als gesellschaftlich wirksame Phänomene; und schließlich die Globalgeschichte, die in dem Projekt ins Spiel kommt, um zu durchdenken, wie historische Globalisierung oder auch die globale Medienberichterstattung von heute den emotionalen Umgang mit Katastrophen verändert hat.

Als Fallbeispiel wählte Facius die Umweltverschmutzung in der Ashio-Kupfermine in den 1890er-Jahren und stellte die Reaktionen des Politikers und Aktivisten Tanaka Shōzō vor. Er zeigte, wie Tanaka in unterschiedlichen Kontexten unterschiedliche emotionale Stile einsetzte, beispielsweise einen rational-politischen Diskurs im Parlament, persönliche Sorge um den emotionalen Zustand der betroffenen Bevölkerung in einem Brief an einen befreundeten Aktivisten oder einen konfuzianisch geprägten Aufruf zum Mitgefühl in einer direkten Petition an den Kaiser. Das Projekt, so Facius, soll zu einem systematischen Verständnis von emotionalen Umgangsformen mit Katastrophen in der japanischen Geschichte beitragen.

Die Diskussion verwies auf einige der Problemfälle, mit dem die historische Emotionsforschung als Ganzes zu kämpfen hat: Welche Definition von Emotionen bringt man zum Anschlag und wie findet man diese in den Quellen? Verweisen Schriftzeichen mit Herz-Radikal geradewegs auf Emotionen? Wie behandelt man die nichtsprachlichen und körperlichen Aspekte von Emotionen, also „emotionale Praxen“ wie Tränen, Gesten und Rituale? Zur Frage nach dem japanischen Forschungsstand antwortete Facius, dieser biete eine fruchtbare Grundlage in Bereichen wie der Ideengeschichte, der Religionsforschung oder Volkskunde, wo man auf Studien zu Katastrophenvorstellungen oder konfuzianische Affekttheorien zurückgreifen könne; Emotionalität als systematischer Forschungsgegenstand sei jedoch noch wenig erschlossen.

Eine Podiumsdiskussion zum Wert globalgeschichtlicher Ansätze für die japanische oder ostasiatische Geschichte erweiterte schließlich die Perspektive von den Fallstudien hin zu grundsätzlicheren Fragen der Geschichtsschreibung. Den Einstieg machte ROBERT KRAMM-MASAOKA (Tübingen) mit einem Übersichtsreferat zu Themen und Perspektiven globalgeschichtlicher Forschung.

HARALD FUESS (Heidelberg) berichtete sodann aus seiner eigenen Forschung über eine Geschichte der Hafenstadt Yokohama in der Zeit der ungleichen Verträge ab den 1860er-Jahren. Darin untersucht er transkulturelle rechtliche Konflikte – Vertragsstreitigkeiten zwischen einem Russen und einem Japaner etwa – die sich aus dem System der Konsulargerichtsbarkeit ergaben. Ausgehend davon plädierte Fuess dafür, Globalgeschichte von einer Verankerung in der Mikroebene aus zu schreiben und diese mit größeren Entwicklungen zu verknüpfen. Globalgeschichtliche Ansätze müssten auch dazu dienen, überkommene intellektuelle Vorgaben der Japanologie zu hinterfragen, indem beispielsweise Vergleiche und Vernetzungen der japanischen Geschichte stärker bearbeitet würden. Gleichzeitig warnte er davor, dass Globalgeschichte nicht in „intellektuellen Imperialismus“ ausarten dürfe, indem etwa westliche Globalhistoriker asiatische Kolleginnen und Kollegen dafür kritisieren, dass sie „noch“ Nationalgeschichte schreiben.

Danach sprach UNSUK HAN (Seoul, Gastprofessor in Tübingen) über Globalisierung und Globalgeschichte aus asiatischer Sicht. Er berichtete, dass in Korea etwa seit dem Jahr 2000 Interesse an globalgeschichtlichen Ansätzen zu bemerken sei. So gab es 2006 eine Tagung der Historiker für westliche Geschichte mit dem Titel „Was ist für uns das Abendland – Jenseits der eurozentrischen Okzidentgeschichte“. Daran zeige sich, dass nicht die Geschichte der Globalisierung oder transnationale Geschichte den Ausgangspunkt bildeten für eine koreanische Beschäftigung mit der Globalgeschichte, sondern vielmehr die Kritik an eurozentrischen Perspektiven. Dieses Interesse sei nicht zuletzt der eigenen Erfahrung der Kolonialisierung durch Japan geschuldet. Han machte in Japan bessere Vorbedingungen für globalgeschichtliche Ansätze aus, da es dort eine stärkere Tradition empirischer Forschung gebe. Zum Vergleich europäischer und asiatischer Versionen von Globalgeschichtsschreibung empfahl Han Dominic Sachsenmaiers Buch „Global perspectives on global history“.3

Die Podiumsvorträge leiteten eine lebhafte Diskussion ein, die eine Vielzahl von Fragen zur intellektuellen wie zur institutionellen Seite der Globalgeschichte ansprach. Eine streitbare These war etwa, dass Globalgeschichte auch Nationalgeschichte in neuem Gewand sein könne, wenn etwa koreanische Geldgeber Projekte in Deutschland fördern, die eine Dezentrierung Europas zugunsten Koreas betreiben. Daraus ergab sich die Frage, ob Globalgeschichte mit ihrem hohen konzeptionellen Anspruch an eine multizentrische und mithin anti-nationalistische Geschichte noch „unschuldig“ sei? Wo hat sie in ihrer Praxis der letzten zwanzig Jahre und ihrer zunehmenden Bedeutung bereits neue, eigene Ausschlussmechanismen produziert – durch ihren Zugang (Was geschieht mit den nicht-verflochtenen, nicht-transnationalen, mit den „nur“ deutschen oder europäischen Themen?), aber auch institutionell: So hat die Universität Erfurt vor einigen Jahren die Ostasien-Fächer abgewickelt, richtet nun aber einen Lehrstuhl für „Globalgeschichte des 19. Jahrhunderts“ ein.

Wie man die aktuellen Forschungstrends im Ganzen auch beurteilen mag – die Vorträge der Tagung deuten an: Auch ohne dass jedes Projekt ausdrücklich als „globalgeschichtlich“ etikettiert wäre, scheint der wissenschaftliche Nachwuchs (denn es wurden ja Postdoc-, Promotions- und Masterprojekte vorgestellt) bei Zugang und Themenwahl deren Leitideen der Verflechtung, des Anti-Eurozentrismus, des transnationalen, regionalen, und globalen Blicks bereits als einen maßgeblichen „Denkstil“ zu verinnerlichen.

Die 20. Tagung der „Initiative zur historischen Japanforschung“ wird am 3. und 4. November 2012 an der Universität Heidelberg stattfinden. Die Organisation übernehmen Anja Batram (<anja.batram@ruhr-uni-bochum.de>), Till Knaudt (<till.knaudt@zo.uni-heidelberg.de>), und Robert Kramm-Masaoka (<robert.kramm-masaoka@uni-tuebingen.de>).

Konferenzübericht:

Vorstellungen und Kurzberichte

Carola Wanke (Heidelberg): NinPu. Partnerschaftliche Rollenverteilung im Werk der Künstlerin Okada Hiroko

David Weiss (Tübingen): Susanoo: Ein Kulturheros aus Korea?

Yoshimi von Felbert (München): Chrysanthenum and the Word - John Morris‘ kulturelle Musterungen in „Traveller from Tokyo“

Historische Japanforschung und Globalgeschichte - eine Diskussion mit Harald Fuess (Heidelberg) und Unsuk Han (Tübingen)

Michael Facius (Berlin): Katastrophen und Emotionen in Japan. Ein historischer Problemaufriss

Abschluss und Ausblick

Anmerkungen:
1 James H. Grayson, Susa-no-o: a culture hero from Korea, in: Japan Forum 14,3 (2002), S. 465–487.
2 John Morris, Traveller from Tokyo, London 1943.
3 Dominic Sachsenmaier, Global perspectives on global history: theories and approaches in a connected world, Cambridge 2011.