The European Backcountry and the Atlantic World

The European Backcountry and the Atlantic World

Organisatoren
Susanne Lachenicht, Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit, Universität Bayreuth; Bayreuth Institute for American Studies (BIFAS)
Ort
Bayreuth/Thurnau
Land
Deutschland
Vom - Bis
20.07.2012 - 21.07.2012
Url der Konferenzwebsite
Von
Anna Aschauer / Maximilian Krogoll / Susanne Lachenicht, Facheinheit Geschichte, Universität Bayreuth

Vom 20. bis zum 21. Juli 2012 fand an der Universität Bayreuth und am Forschungsinstitut Musiktheater (fimt) auf Schloss Thurnau der internationale Workshop «The European Backcountry and the Atlantic World» statt. Veranstalter des Workshops waren Prof. Dr. Susanne Lachenicht, Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit, Universität Bayreuth, und das Bayreuth Institute for American Studies (BIFAS), das am 19. Juli im Rahmen einer Festveranstaltung sein einjähriges Bestehen feierte. Gefördert wurde der Workshop durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und den Universitätsverein der Universität Bayreuth.

Während sich die traditionellen, im deutschsprachigen Raum weniger bekannten Early American Studies vor allem mit den Auswirkungen der so genannten Europäischen Expansion (1492-1812) auf Amerika beschäftigten[1], hat sich das Konzept Atlantische Geschichte den vielfältigen Beziehungen zwischen unterschiedlichsten Akteuren im atlantischen Raum und deren Wirkung nicht nur auf Amerika, sondern auch auf Europa und Afrika verschrieben. Es geht einerseits um zwischenstaatliche bzw. imperiale Beziehungen, andererseits aber auch um die überstaatliche, oft auch als Phase der Globalisierung verstandene Entstehung und Vernetzung von Märkten und Menschen (Stichwort Diasporen) im atlantischen Raum in der Zeit nach 1492.

Durch die Dezentralisierung der Atlantischen Geschichte, weg von kolonialen oder imperialen Kontexten (dem Spanish, Portuguese oder British Atlantic) hin zu den multiplen Verflechtungen von Menschen, Gesellschaften, Staaten, Wirtschaft und Kulturen (auch oder gerade jenseits der entstehenden (National-)Staaten) im atlantischen Raum bekommt auch die europäische Seite des Atlantiks, die Auswirkungen von Expansion und Globalisierungsprozessen auf Europa selbst – nicht nur auf die Anrainerstaaten – sondern auch auf den baltischen Raum, Zentral- und Osteuropa ein stärkeres Gewicht. Trotzdem sind bis heute in den Atlantic Studies häufig Verbindungen, Vernetzungen und ihre Auswirkungen auf die Räume vernachlässigt worden, die nicht unmittelbar mit dem Atlantik verknüpft scheinen und von Atlantikhistorikern oft als „Backcountry“ oder „Hinterland“ definiert werden.

Einige neuere Forschungsprojekte bzw. deutsche Wissenschaftler, die sich mit atlantischer Geschichte beschäftigen, haben in den letzten Jahren begonnen, atlantische Wissenswelten und Wirtschaftssysteme auch jenseits der Anrainerstaaten des Atlantik und ihre Auswirkungen auf bzw. Beziehungen mit Menschen, Gesellschaften, Politik, Kulturen und Wirtschaft genauer zu betrachten, so beispielsweise Claudia Schnurmann (Hamburg), Hermann Wellenreuther (Göttingen) und Mark Häberlein (Bamberg) in dem DFG-geförderten Projekt „Genese und Transformation atlantischer Netzwerke“ oder Klaus Weber (Frankfurt/Oder) in seinen Publikationen zu Textilgewerbe und atlantischem Sklavenhandel.

Der Workshop The European Backcountry and the Atlantic World zeigte anhand einiger Beispiele die vielfältigen Wissens- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen atlantischen Welten und ihrem europäischen „Hinterland“ auf: Wissen über die atlantische Welt und Amerika in Zentraleuropa, wie es nicht nur im 18. Jahrhundert an der Universität Göttingen generiert wurde, schlesisches und oldenburgisches Leinen, das zur Kleidung von afrikanischen Sklaven in den britischen Kolonien bzw. der gesamten Karibik verwendet wurde, neue Ackerfrüchte, die aus der „Neuen Welt" in die entlegensten Winkel Europas transferiert wurden.

Als Keynote Speaker konnten herausragende Vertreter der Atlantischen Geschichte gewonnen werden, deren Vorträge sich allerdings mit generellen Themen der atlantischen Geschichte befassten: Nicholas Canny (Galway), unter anderem ehemaliger Präsident der Royal Irish Academy, korrespondierendes Mitglied der British Academy und Mitglied des European Research Council, und Philip Morgan (Johns Hopkins University und Visiting Harmsworth Professor der Universität Oxford), beides international anerkannte Koryphäen auf dem Gebiet der Atlantischen Geschichte, die gerade die neueste und wichtigste Publikation zur Atlantischen Geschichte (das Oxford Handbook of the Atlantic World, 2011) herausgebracht haben.

RAINALD BECKER (Bayreuth) ging in seinem Vortrag der Frage nach der Rezeption der Neuen Welt in Süddeutschland nach. Fünf Gruppen wurden als Rezipienten der „Neuen Welt“ vorgestellt: die Jesuiten, welche Amerika besonders unter dem Gesichtspunkt zukünftiger Missionsbemühungen sahen, Pietisten, welche Amerika als Asyl für Glaubensflüchtlinge betrachteten, städtische Eliten, welche Amerika mit Sorge betrachteten, nämlich als eine Gefahr für die bestehende Weltordnung, und schließlich höfische und akademische Eliten, welche Amerika im Rahmen der Aufklärung rezipierten.

Im Vortrag von CSABA LÉVAI (Debrecen) wurde der Versuch Österreichs beschrieben, unter Joseph II. eine Handelsallianz mit den Vereinigten Staaten aufzubauen, welche langfristig Wirtschaft und Konsum in den habsburgischen Erblanden und dem Heiligen Römischen Reich hätten verändern sollen. Ein Versuch, der letztendlich scheiterte, unter anderem an mangelnder Kommunikation, ineffektiver Verwaltung, der Veränderung der Regierungsstruktur in den Vereinigten Staaten und der sich wandelnden Einstellung Thomas Jeffersons, einen exklusiven Handelsvertrag mit Kaiser Joseph II. abzuschließen. Dass der Handel zwischen Österreich bzw. dem Heiligen Römischen Reich und den Vereinigten Staaten trotzdem intensiv war, zeigt, wie sehr Wirtschaft im 18. Jahrhundert unabhängig von zwischenstaatlichen Verträgen funktionierte.

JULIEN BÉRARD (Bayreuth) stellte in seinem Vortrag das Theatrum Orbis Terrarum (TOT) des Abraham Ortelius vor. Es gilt als der erste moderne Atlas. Dieser kommerziell sehr erfolgreiche Atlas erschien in mehreren Sprachen und Ausgaben und prägte das Bild von Alten und Neuen Welten weit in das europäische „Hinterland“ hinein.

CARSTEN SCHLIWSKI (Köln) erläuterte den Versuch des Genueser Juden Joseph ha-Kohen, die Entdeckung Amerikas gebildeten jüdischen Kreisen zu vermitteln. Eingang in ha-Kohens Werk fanden unter anderem Berichte von Erstkontakten der Europäer mit der indigenen Bevölkerung Amerikas. Die christliche Mission wurde jedoch kritisch betrachtet. In ha-Kohens Schriften findet sich das erste Mal in der jüdischen Rezeption Amerikas eine Karte des Kontinents. Letztendlich war der Versuch ha-Kohens, die Entdeckung Amerikas einer breiten jüdischen Öffentlichkeit zugänglich zu machen, jedoch nicht von Erfolg gekrönt. Seinem Buch war keine besonders große Verbreitung beschert.

In der ersten Keynote des Workshops zeigte NICHOLAS CANNY (Galway) auf, welchen Beitrag Iren und Schotten zur Entstehung des ersten britischen Empire im 16., 17., und 18. Jahrhundert leisteten. Er betonte hierbei die unterschiedlichen Interessen von Engländern, Iren und Schotten, wie auch die politischen und religiösen Konflikte, in welche diese ganz und gar nicht homogenen „nations“ immer wieder verwickelt waren. Insbesondere der Einfluss von religiösen Konflikten auf Migrationsbewegungen wurde von Canny herausgestellt. Als Ergebnis hielt Canny fest, dass das Britische Empire durch keine einheitliche Ideologie geformt worden, sondern von religiösen, nationalem und politischem Pluralismus geprägt gewesen sei.

OLIVER SCHULZ (Paris) zeigte anhand dreier Beispiele, die Integration westfälischer Kaufleute aus dem so genannten europäischen Hinterland in die atlantische Wirtschaft: Peter Hasenclever (1716-1793) exportierte Leinen nach Baltimore und Philadelphia; Peter Sandhövel aus Lüdenscheid betrieb ein Kommissionsgeschäft, verkaufte Draht, Schaufeln, Sensen und hatte Kunden in Nordamerika; Friedrich (von) Romberg (1729-1819) handelte mit Textilien, Textilbleiche, organisierte Transportunternehmen innerhalb Europas und war darüber hinaus als Sklavenhändler tätig. Er importierte Sklaven aus Mozambique und Sklaven vom Kap der guten Hoffnung nach Amerika.

ANNE SOPHIE OVERKAMP (Frankfurt/Oder) analysierte in ihrem Beitrag die Verbindungen zwischen dem europäischen „Hinterland“ und dem Atlantik am Beispiel der Firma Abraham & Gebr. Frowein (Herzogtum Berg) für den Zeitraum zwischen 1760 und 1830, der zunächst mit Philadelphia, New York und Baltimore (1790er-Jahre), ab 1816 dann vor allem mit Südamerika (Rio de Janeiro) erfolgte. Ebenso thematisierte sie die Auswirkungen dieses Handels auf das „Hinterland“ selbst, das heißt die Einführung neuer Konsumgüter und letztendlich die Veränderung von Gesellschaft und Alltagskultur(en).

CHRISTOF JEGGLE (Bamberg) zeigte, wie Münster und Osnabrück bereits im 16. und 17. Jahrhundert durch Produzenten von qualitativ hochwertigen Leinen mit dem atlantischen Handel verbunden waren und Ereignisse im atlantischen Raum Wirtschaft und Gesellschaft in diesen Teilen des Reiches veränderten bzw. Produktionszentren im „Hinterland“ sich auf Ereignisse mit „globaler“ Wirkung einzustellen suchten.

In der zweiten Keynote Address zeichnete PHILIP MORGAN (Baltimore/Oxford) ein differenziertes Bild von Sklaverei in der Karibik für den Zeitraum von 1500 bis 1870. Während erste Generationen von Sklaven zum größten Teil noch aus der indigenen Bevölkerung Amerikas stammten, änderte sich dies im 17./18. Jahrhundert. Nun wurde Sklaven vor allem aus West- bzw. Zentralafrika in die Karibik gebracht. Morgan machte deutlich, dass afrikanische Sklaven in der Karibik nicht nur im Zuckerrohranbau beschäftigt waren, sondern auch als „Cowboys“ auf Ranches arbeiteten, Tabak und Kaffee (Jamaika) anbauten und in der Fischerei tätig waren. Dazu kamen Sklaven in den großen Städten der Karibik. Sklaverei in der Karibik hatte viele, sehr unterschiedliche und widersprüchliche Gesichter. Sie brachte nicht eine Kultur, sondern unterschiedliche afro-amerikanische und kreolische Kulturen hervor.

Insgesamt machte der Workshop deutlich, wie facettenreich und wichtig für das Verständnis des Wandels von Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kulturen der Frühen Neuzeit die Analyse von Wechselbeziehungen von „Atlantischem Raum“ und „Hinterland“ ist bzw. wie sehr Area Studies generell keine zu klaren Abgrenzungen zwischen und Hierarchisierung von Räumen vornehmen sollten, wenn sie Prozesse von Vernetzung, Austausch und Reziprozität bzw. deren Wirkungen analysieren. Ein Band zum Thema „The European Backcountry and the Atlantic World“, der neben den Tagungsbeiträgen weitere Aufsätze umfassen wird, ist in Vorbereitung.

Konferenzübersicht:

Hinterland Knowledge: Central Europe
Chair: Hermann Wellenreuther (Göttingen)

Rainald Becker (Bayreuth): New Worlds Turning Southern German: Knowledge on the Americas in Early Modern Franconia and Swabia

Csaba Lévai (Debrecen): The European Backcountry (the Habsburg Empire) and the Atlantic World (the United States) in the 1780s

Hinterland Knowledge: Western and Southern Europe
Chair: Susanne Lachenicht (Bayreuth)

Julien Bérard (Bayreuth): Abraham Ortelius and the Mapping of the Atlantic World in late sixteenth century Antwerp

Carsten Schliwski (Cologne): Joseph ha-Kohen and the Discovery of the Americas

First Keynote:
Nicholas Canny (Galway): Competing for Empire; English Scottish and Irish engagement in the 16th, 17th and 18th centuries

Chair: Claudia Schnurmann (Hamburg)

Oliver Schulz (Paris): Atlantic Trade and the back-country in the Rhineland and Westphalia: the Duchy of Berg, the County of Mark and North American trade in the eighteenth century

Anne Sophie Overkamp (Frankfurt/Oder): „Abr. & Gebr. Frowein“ from Elberfeld and Atlantic trade (1760-1830)

Christoph Jeggle (Bamberg): The Westphalia Hinterlands and the Atlantic Linien Trade

Second Keynote:
Philip Morgan (Baltimore/Oxford): The Caribbean in the Atlantic World in the Early Modern Era

Chair: Susanne Lachenicht (Bayreuth)