Historische Rechtssprache

Historische Rechtssprache

Organisatoren
Forschungsstelle Deutsches Rechtswörterbuch
Ort
Heidelberg
Land
Deutschland
Vom - Bis
29.02.2012 - 02.03.2012
Url der Konferenzwebsite
Von
Stefanie Frieling, Forschungsstelle Deutsches Rechtswörterbuch/ Heidelberger Akademie der Wissenschaften

Was eigentlich ist historische Rechtssprache? Dieser zentralen Frage ging die Tagung der Forschungsstelle Deutsches Rechtswörterbuch nach. Und da das fokussierte Thema sowohl eines der Rechts- als auch der Sprachhistoriker ist, formulierten auch Vertreter beider Wissenschaftsdisziplinen ihre Antworten darauf. Während der dreitägigen Veranstaltung wurden einerseits grundlegende Punkte diskutiert und andererseits Untersuchungen zu einzelnen Aspekten der historischen Rechtssprache – von der Antike bis zum 20. Jahrhundert hin einen „chronologischen Bogen“ spannend – vorgestellt.

Bei ihrer Eröffnung der Tagung sprach SILKE LEOPOLD (Heidelberger Akademie der Wissenschaften, HAW), die über hundert Jahre alte Geschichte des Deutschen Rechtswörterbuchs (DRW) an. Die Akademie, die sich als „Hort“ der Förderung wissenschaftlicher Langzeitprojekte sehe, würdige das Ergebnis der Bemühungen etlicher Mitarbeiter, die das DRW über Jahrzehnte hinweg zu einem Grundlagenwerk für mehrere Disziplinen machten.

ANDREAS DEUTSCH (Heidelberg), Tagungsorganisator und Leiter der Forschungsstelle Deutsches Rechtswörterbuch, wies bei seiner Begrüßung auf die Verflechtung von Rechtssprache und Allgemeinsprache hin. Juristische Fachbegriffe, die auch allgemeinsprachlich verwendet werden, bedürften eines sensiblen Umgangs, sowohl seitens der Sprachwissenschaftler als auch der Juristen. Folglich diene die Tagung mit Vertretern beider Disziplinen auch dem fachübergreifenden Dialog über den gemeinsamen Forschungsgegenstand „Sprache“.

Die beiden ersten Vortragenden widmeten sich dem Aspekt Rechtssprache und Bedeutung. So ging EKKEHARD FELDER (Heidelberg) der Frage nach, wie Bedeutung im Recht entsteht, also wie juristische Funktionsträger rechtliche Wirklichkeit über Bedeutungsermittlung und -festsetzung herstellen. Der Germanist stellte in diesem Zusammenhang sein Modell der bedeutungskonstituierenden Rechtspraxis vor, in deren Zentrum die These der „unendlichen Semiose“ steht. Ihr zufolge ist die Interpretation eines sprachlichen Zeichens einem nie endenden Prozess unterworfen, die Festlegung der Bedeutung eines Wortes im rechtlichen Kontext könne demnach auch seitens einer Normierungsinstanz wie der eines Richterspruches stets nur vorläufig sein, wenngleich diese Festlegung für die betroffenen Verfahrensbeteiligten von abschließender Gültigkeit sein kann.

In welcher Form die Bedeutungen von Wörtern im Rahmen eines Wörterbuchs dennoch festgelegt, also beschrieben werden können, war Thema von OSKAR REICHMANN (Heidelberg). Am Beispiel des DRW stellte der Sprachwissenschaftler die verschiedenen Möglichkeiten bei der Gestaltung einer Bedeutungserklärung dar. Während die Erklärung durch Synonyme die Gefahr berge, historische Konstanzen zu konstruieren, sei die Erklärung mittels einer phrastischen Beschreibung hoch verdichtet. Häufig stoße man im DRW auf die Kombination beider Optionen – auf diese Weise scheine man der Besonderheit der komplexen historischen Rechtssprache gerecht werden zu wollen.

Der Beitrag von INGRID LEMBERG (Heidelberg) knüpfte an die vorgestellte Thematik der lexikographischen Praxis unmittelbar an. Die Mitarbeiterin der Forschungsstelle Deutsches Rechtswörterbuch erläuterte, welche Wortschatzgruppen innerhalb der historischen Rechtssprache im DRW im Einzelnen wie bearbeitet werden; Fachtermini, Schlüsselwörter der Rechtskultur sowie Wörter der Allgemeinsprache mit einem rechtlichen Bezug seien hierbei unterschiedlich zu behandeln. Welche Aspekte es durch die Heterogenität der zu beschreibenden Lexeme bei der Formulierung der Bedeutungserläuterung oder bei der Artikelgliederung zu beachten gilt, konnte die Sprachwissenschaftlerin deutlich machen und gab somit einen anschaulichen Einblick in den Alltag des DRW.

Auch der Vortrag von ANJA LOBENSTEIN-REICHMANN (Heidelberg/ Mannheim) zur Metapher in der Rechtssprache hatte unmittelbaren Bezug zum Deutschen Rechtswörterbuch. Im ersten Teil ihrer Ausführungen zeigte die Sprachwissenschaftlerin auf, dass Metaphern als „Bausteine der Rechtssemantik“ zu begreifen seien: Ohne sie sei keine Fachsemantik möglich, war der Anfang der Rechtssprache doch stark von Metaphern geprägt. Dass auch das DRW die Entwicklung der Metapher im Recht widerspiegelt, legte die Referentin im zweiten Teil dar: Etliche Wörterbuchartikel illustrierten, dass diverse Bildspender, etwa der menschliche Körper inklusive der Sinnesorgane und der Kleidung, der Rechtssprache immanent sind.

Der Bedeutung eines einzelnen Wortes nahm sich GERHARD KÖBLER (Innsbruck) an. Der Rechtshistoriker skizzierte den Weg von der „Sache“ zum „Sachenrecht“ nach: Zwar existierten Sachen, also Gegenstände, schon seit jeher, die Bezeichnung „Sachenrecht“ kam allerdings erst Ende des 17. Jahrhunderts auf. Ursächlich hierfür könnte das Nebeneinander von lateinisch „res“ und althochdeutsch „sahha“ gewesen sein, die bis 1684 beide ‚Angelegenheit, Rechtsstreit’ bedeuteten. In der Folgezeit lassen sich jedoch verstärkt Quellen finden, in denen „Sache“ auch auf das körperliche Ding rekurriert, das Rechtsgegenstand ist.

Wie historische Rechtssprache mithilfe moderner Recherche-Tools analysiert werden kann, illustrierte ALMUTH BEDENBENDER (Heidelberg). Sie stellte die Möglichkeiten vor, die das Projekt „DRQEdit – Deutschsprachige Rechtsquellen in digitaler Edition“ (www.drqedit.de) für die juristische Literatur des 15. und 16. Jahrhunderts bietet. Am Beispiel des aus dem römischen Recht stammenden Kalumnieneides konnte veranschaulicht werden, wie sich einander ähnelnde Textstellen auffinden lassen und dass diese häufig über Textabhängigkeiten in Beziehung zueinander stehen.

Der „chronologische Bogen“ wurde am zweiten Tag von MICHELE FINO (Aosta) eröffnet. Er widmete sich der „Transactio“, mit der im römischen Recht die Verabredung zwischen zwei miteinander in einer Rechtssache streitenden Parteien, ihren Streit zu beenden, gemeint ist. Während die romanischen Sprachen zur Übersetzung auf Wörter aus dem Lateinischen zurückgreifen, wird im Deutschen mit „Vergleich“ übersetzt. Indem das Bürgerliche Gesetzbuch von 1896 den Vergleich als einen „Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird” festlegt, wird der Terminus um ein Charakteristikum ergänzt und somit ein Vergleich, bei dem die eine Partei auf alles verzichtet, unmöglich.

Der Fachsprache in frühmittelalterlichen Zeugnissen des römisch-justinianischen Rechts wandte sich im Anschluss WOLFGANG KAISER (Freiburg im Breisgau) zu. Er erläuterte, dass die Terminologie der Gesetzgebung Kaiser Justinians nach dem Verfall des weströmischen Reiches nicht mehr lange verstanden wurde: Im siebten Jahrhundert fände man in Italien in begrenztem Maße noch einen Fortbestand spätantiker Fachterminologie (Summa Perusina zum Codex Iustinianus, Summaria capitum zur Epitome Iuliani). In späteren Werken sind zwar Rechtsbegriffe zu finden, die nicht unmittelbar aus den Quellen entnommen sind, diese sind freilich nicht spezifisch römischrechtlich, sondern auch in der anderweitigen Rechtssprache bezeugt.

Fachsprachlichen Begriffen eines gänzlich anderen Rechtsgebietes ging CLAUSDIETER SCHOTT (Zürich) nach, indem er verschiedene deutsche Bezeichnungen für die ‚Adoptio’ vorstellte, wie sie in zentralen Rechtstexten vom Laienspiegel bis in die Gegenwart zu finden sind. Beim Gang durch diese Begriffsgeschichten ließ sich feststellen, dass bereits früh das Bedürfnis bestand, deutsch zu formulieren, und dass die Verwendung des Fremdwortes ‚Adoptio(n)’ möglichst vermieden wurde. Beispiele für die fachsprachliche Vielfalt sind etwa „Anwünschung eines Kindes“, „Annahme als Kind“, „Wahlkindschaft“ oder „Ankindung“.

Dass dem Wort in der Rechtsgeschichte häufig eine entscheidende Unterstützung durch das Bild – in all seinen unterschiedlichen Ausprägungen – zuteil wurde, machte der Vortrag „Wort und Bild im alten Recht“ von ADOLF LAUFS (Heidelberg) offenkundig. Er kehrte den Stellenwert des Bildes in der mündlich geprägten Welt des Mittelalters heraus. Dieser Umstand wird etwa bei der Betrachtung mittelalterlicher Bilderhandschriften oder symbolträchtiger Siegel deutlich. In Bezug auf die Gegenwart beklagte der Referent die „Bilderlosigkeit des Rechts“, mit der seiner Ansicht nach auch die Rechtsferne der heutigen Gesellschaft zu erklären sei.

Einer besonderen historischen Rezipientengruppe widmete sich EVA SCHUMANN (Göttingen) bei ihren Ausführungen zum Sprach- und Rechtstransfer am Beispiel der frühneuzeitlichen Praktikerliteratur: Diese Texte richteten sich – anders als die sogenannte „gelehrte Literatur“ – vornehmlich an die nichtstudierten Rechtsanwender, unter anderem Anwälte und Notare. Mit rund 400 ermittelten Werken sei die Praktikerliteratur eine Textsorte, die weit verbreitet gewesen ist, und gerade auch hinsichtlich der historischen Rechtssprache in der Forschung noch mehr Aufmerksamkeit verdiene, so die Referentin.

Der Tag wurde durch den Vortrag von ULRICH KRONAUER (Karlsruhe) abgerundet, der sich den Gefühlswörtern in der Rechtssprache und im Deutschen Rechtswörterbuch verschrieb. Dabei ging der ehemalige DRW-Mitarbeiter beispielsweise auf den Begriff „Verzweiflung“ ein, dem man in Rechtstexten oft im Zusammenhang mit zum Tode verurteilten Delinquenten begegne. Die Ausführungen zum Stichwort „Zigeuner“ machten darauf aufmerksam, dass bei der lexikographischen Bearbeitung eines Wortes ein sensibler Umgang mit dem Belegmaterial geboten ist, will man im Wörterbuchartikel kein ‚Feindbild’ zeichnen.

Dass eine verständlich formulierte Rechtssprache in unmittelbarem Zusammenhang mit der sozialen Gleichheit des Rechts steht, illustrierte GERNOT KOCHER (Graz). Der Rechtshistoriker skizzierte die Geschichte der Rechtsvereinheitlichung in Österreich von ihrem Beginn unter Maria Theresia bis zu ihrem Ende unter Franz Joseph I. nach und thematisierte dabei verschiedene Bemühungen, die Sprache des Rechts und damit das Recht selbst möglichst vielen Bürgern mittels einer Vereinheitlichung der Terminologie verständlich zu machen. In dem Vielvölkerstaat war diesbezüglich auch die Übersetzung der Gesetze notwendig, wobei die deutsche Version stets die verbindliche darstellte.

Eine literaturwissenschaftlich-linguistische Couleur verlieh der Tagung der Beitrag von JOCHEN A. BÄR (Aachen), in dessen Zentrum der Rechtswortschatz in der Literatur stand. Die Erzählung „Die Judenbuche“ Annette von Droste-Hülshoffs, die um das Thema Recht und Gerechtigkeit kreist, diente dabei als Grundlage für die Untersuchung des Rechtsbegriffes der Autorin. Mittels einer exemplarischen semantischen Analyse des Wortfeldes ‚Recht’, die in einem Wortartikel ‚Recht’ resultierte, stellte der Linguist seine Methode einer sprachwissenschaftlichen Literaturinterpretation vor.

Die Betrachtung der historischen Sprache des Rechts schloss HEINZ MOHNHAUPT (Frankfurt am Main) ab. Der Rechtshistoriker machte deutlich, dass – will man die Fachsprache der Juristen in der Wissenschaft verorten – auch der Blick auf die Fachsprachen anderer Disziplinen nötig sei. Unter Rückgriff auf juristische Texte des 19. Jahrhunderts veranschaulichte er, wie die Rechtssprache dieser Zeit von der Sprache und der Bilderwelt der Naturwissenschaft beeinflusst worden ist, was an (zum Teil heute noch geläufigen) Formulierungen wie „Auge des Gesetzes“ oder „Aggregatzustand der Rechtssätze“ ablesbar sei.

Im Laufe des Symposiums zeigte sich deutlich, dass die historische Sprache des Rechts mehrere Forschungsdisziplinen angeht, deren wissenschaftlicher Austausch – etwa im Rahmen einer Zusammenkunft wie jener in Heidelberg – gepflegt werden sollte. Die verschiedenen angesprochenen Forschungsdesiderata machen für die Zukunft einige einzelne Forschungsvorhaben erwartbar, von deren Ergebnissen sowohl die Rechts- als auch die Sprachhistoriker profitieren dürften.

Konferenzübersicht:

Sektion 1: Zur Einführung

Ekkehard Felder (Heidelberg): Juristische Fachsprache – oder: Wie entsteht Bedeutung im Recht?

Oskar Reichmann (Heidelberg): Die Bedeutungserklärung – dargestellt am Beispiel des Deutschen Rechtswörterbuchs

Sektion 2: Zugänge zur historischen Rechtssprache

Ingrid Lemberg (Heidelberg): Einblicke in die Rechtssprach-Lexikographie

Anja Lobenstein-Reichmann (Heidelberg/ Mannheim): Die Metapher im Recht – ein linguistischer Versuch

Gerhard Köbler (Innsbruck): Zur Sache

Almuth Bedenbender (Heidelberg): DRQEdit – ein Hilfsmittel zur Erkundung der Rechtssprache im 15. und 16. Jahrhundert

Sektion 3: Ein chronologischer Bogen

Michele Fino (Aosta): Das Wort „Vergleich“ als Übersetzung der römischen „Transactio“

Wolfgang Kaiser (Freiburg im Breisgau): Zur Fachsprache in frühmittelalterlichen Zeugnissen des römisch-justinianischen Rechts

Clausdieter Schott (Zürich): Von der Affatomie zur Kindesannahme – fränkische und deutsche Entsprechungen zur „Adoptio“

Adolf Laufs (Heidelberg): Wort und Bild im alten Recht

Eva Schumann (Göttingen): Sprach- und Rechtstransfer am Beispiel der frühneuzeitlichen Praktikerliteratur

Ulrich Kronauer (Karlsruhe): Gefühlswörter in Rechtstexten

Gernot Kocher (Graz): Rechtsvereinheitlichung und Rechtssprache von Maria Theresia bis Franz Joseph I.

Jochen Bär (Aachen): Rechtswortschatz in der Literatur – dargestellt am Beispiel Annette von Droste-Hülshoffs

Heinz Mohnhaupt (Frankfurt am Main): Naturwissenschaftliche Begriffe und Sprache in juristischen Texten im 19. Jahrhundert

Angelika Storrer (Dortmund): Nominalisierungsverbgefüge in der deutschen Rechtssprache des 20. Jahrhunderts [entfallen]