Zugangsweisen zur päpstlichen Schriftlichkeit

Zugangsweisen zur päpstlichen Schriftlichkeit

Organisatoren
Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Ort
Erlangen
Land
Deutschland
Vom - Bis
13.07.2012 - 14.07.2012
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Von
Cornelia Scherer / Veronika Unger, Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Das europäische Mittelalter – vor allem das Frühmittelalter – wird häufig als ‚orale Gesellschaft‘ bezeichnet. Doch diese Etikettierung greift zu kurz, was besonders ein Blick auf das Papsttum zeigt: Die Päpste können als Bewahrer antiker Schrifttraditionen im Frühmittelalter gelten, die dieses Erbe nicht nur nutzten, sondern auch weiterentwickelten. Die Formen dieser Aneignung waren Gegenstand einer Arbeitstagung des Lehrstuhls für Mittelalterliche Geschichte in Erlangen, die „Zugangsweisen zur päpstlichen Schriftlichkeit“ aus verschiedenen methodischen und zeitlichen Perspektiven auslotete.

In der ersten Sektion stellten die Stipendiaten des von der Volkswagen-Stiftung von 2009 bis 2012 geförderten Projekts „Päpstlich geprägte Integrationsprozesse in Ost- und Westeuropa (11.–13. Jh.) – Universale Einheit oder vereinheitlichte Vielfalt?“ zentrale Ergebnisse ihrer Arbeiten vor. Geleitet wurde diese Sektion von IRMGARD FEES (München), die zunächst die Entwicklung der Papsturkunde im 12. Jahrhundert umriss und der ansteigenden Nachfrage und Produktion die Enwicklung von schlichteren und daher ressourcensparenden Formen gegenüberstellte. CLAUDIA ALRAUM (Erlangen) zeigte die Integration Apuliens in die römische Kirche am Beispiel des Instruments der delegierten Gerichtsbarkeit auf. Sie machte deutlich, dass das päpstlich-kanonische Recht als Kommunikationsraum der Gesamtkirche schon vor dem Einsatz der päpstlichen delegierten Richter verbreitet sein musste, sollten deren Entscheidungen anerkannt werden. ANDREAS HOLNDONNER (Erlangen) stellte die inhaltlich verschiedenen Primatsurkunden für das Erzbistum Toledo im 12. Jahrhundert als Gradmesser für die Beziehungen zwischen Kurie und iberischer Halbinsel vor. Das Papsttum wurde in der Toledaner Erzdiözese vor allem als Rechtsgarant und Legitimationsinstanz wahrgenommen, wohingegen Seelsorge oder Liturgie bei den iberisch-päpstlichen Kontakten keine Rolle spielten. Mit dem Beitrag von GÁBOR BÁRABAS (Erlangen/Pécs) geriet eine weitere ‚Peripherie‘ des päpstlichen Einflussgebietes ins Blickfeld: Am Beispiel der electio canonica wurde deutlich, dass auch in Ungarn die römisch-kanonischen Vorschriften bekannt waren. Sie kamen jedoch nur auf Nachfrage der Betroffenen vor Ort zur Geltung. In seiner Zusammenfassung gab WERNER MALECZEK (Wien) Anstöße, auf Basis der erreichten Ergebnisse weiterführende Fragen zu stellen, zum Beispiel nach der Begründung päpstlicher Autorität oder der Bedeutung der Schismen des 12. Jahrhunderts. Die Schlussdiskussion verdeutlichte, dass sich die örtlichen Gegebenheiten in hohem Maße auf die Integration durch das Papsttums auswirkten, sei es der königliche Einfluss auf die Bischofsbesetzungen oder die Auswahl der delegierten Richter durch die Streitparteien vor Ort.

Im Zentrum der zweiten Sektion stand das DFG-ANR-Projekt „Epistola. Der Brief auf der iberischen Halbinsel und im lateinischen Westen. Tradition und Wandel einer literarischen Gattung (4. bis 11. Jahrhundert)“. HANNS CHRISTOF BRENNEKCKE (Erlangen) rief in seiner Einführung die frühchristlichen Wurzeln der mittelalterlichen Briefkultur in Erinnerung. MATTHIAS MASER (Erlangen) schlug zwei Lesarten für die spätantike Collectio Avellana vor: eine institutionengeschichtliche, die nach Spuren römischer Archivierungspraxis fragt, und eine erinnerungsgeschichtliche, in deren Perspektive die Sammlung als historiographisches Zeugnis für die Selbstdarstellung des Papsttums in den 550er Jahren gelesen werden kann. Letztere wurde im anschließenden Kommentar von ECKHARD WIRBELAUER (Straßburg) hinterfragt, der sich dafür aussprach, die Sammlung, beziehungsweise ihre einzelnen Teile, als eine „publizistische“ (E. Schwartz) zu deuten. Im Anschluss skizzierte CORNELIA SCHERER (Erlangen) ihr Forschungsvorhaben im Rahmen des Epistola-Projektes, das sich der Überlieferung päpstlicher Briefe auf der iberischen Halbinsel im Frühmittelalter befassen wird. Mit dem Dekretalenteil Collectio Hispana geriet dabei ein wichtiger und bisher wenig untersuchter Überlieferungsträger ins Blickfeld. In ihrem Kommentar betonte ANNETTE GRABOWSKY (Tübingen) die überragende Bedeutung dieser Kirchenrechtssammlung auf der iberischen Halbinsel bis ins 11. Jahrhundert und verwies gleichzeitig auf die schwierige Editionslage, die eine besondere Beachtung der Handschriften notwendig mache. ACHIM THOMAS HACK (Jena) widmete sich dem Codex Carolinus, wobei er insbesondere das Vorwort als einzigartiges Dokument für die Entstehung der Sammlung hervorhob sowie zentrale Punkte, die bei der Interpretation von Briefen Beachtung finden sollten, wie Anreden, Formulare oder Brieftopik. MARKUS SCHÜTZ (Erlangen) fragte im Anschluss inwiefern die Überlieferung in einer Sammlung auf den Ausgangstext, den tatsächlich gesendeten Brief, zurückwirke. Abschließend stellte VERONIKA UNGER (Erlangen) die Konzeption für eine Anthologie der Papstbriefe vor, die im Rahmen des Epistola-Projektes entstehen soll. Als Auswahlkriterien der zu übersetzenden und zu kommentierenden Stücke nannte sie deren Überlieferung, die Briefpraxis und die Briefrhetorik. FLORIAN HARTMANN (Bonn) hob in seinem Kommentar vor allem den Nutzen einer solchen zweisprachigen Ausgabe für die Lehre hervor und nannte weitere Kriterien, die eine Auswahl konturieren könnten, wie der Rhythmus oder die erkennbare Abhängigkeit von einer Vorlage. In seiner Zusammenfassung systematisierte KLAUS HERBERS (Erlangen) die Ergebnisse des Nachmittags und nannte als gemeinsame Nenner der vorgestellten Beiträge Institutionalisierungtendenzen, Fragen der Sammlungslogik und der Erinnerungsgeschichte sowie Überlieferungszusammenhänge.

Die dritte Sektion richtete den Blick auf die Papsturkunden des frühen und hohen Mittelalters. JUDITH WERNER (Erlangen) sprach sich für eine stärkere Beachtung der äußeren Merkmale von Papsturkunden aus. Diese müssen – jenseits des Inhalts – als Träger der päpstlichen Autorität angesehen werden. Für auf das im Juli 2012 gestartete, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt „Schrift und Zeichen. Computergestützte Analyse von hochmittelalterlichen Papsturkunden“ umriss THORSTEN SCHLAUWITZ (Erlangen) zunächst die Agenda des Forschungsvorhabens. Dann stellte er die Regesta Pontificum Romanorum online vor, eine Datenbank, die unter der Schrimherrschaft der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen entsteht und verschiedene Regestenunternehmen zur Papstgeschichte zusammenführen soll. Der am Projekt „Schrift und Zeichen“ beteiligte Informatiker VINCENT CHRISTLEIN (Erlangen) ging in seinem Beitrag von technischer Seite auf die Funktionsweise und den Nutzen automatisierter Schrifterkennung in der Mediävistik ein. GEORG VOGELER (Graz) entwarf anhand der von ihm betreuten Datenbank monasterium.net seine Vision einer „virtuellen Diplomatik“, bei der die digitale Abbildung am Beginn vielfältiger Forschungfragen stehe. Dabei betonte er insbesondere die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit der Forschung im Entstehungs- und Weiterentwicklungsprozess solcher Online-Projekte. Mit der Vorstellung der Sammlung des Göttinger Papsturkundenwerks durch DANIEL BERGER (Göttingen) wurde abschließend auf den Wert dieser (noch) analogen Sammlung verwiesen, in der das Wissen ganzer Forschergenerationen bewahrt ist.

Die Tagung zeigte, wie vielfältig der Zugang zur „päpstlichen Schriftlichkeit“ sein kann, sei es im Hinblick auf Gattungen wie Urkunden oder Briefe, in kommunikationstheoretischer Perspektive am Beispiel von Intergrationsprozessen oder Netzwerken oder unter Beachtung der materiellen Komponente der Überlieferung. Die Potenziale dieser verschiedenartigen Herangehensweisen wurden auf der Erlanger Tagung deutlich.

Konferenzübersicht:

Sektion 1: "Von der Vielfalt der Bitten zur Einheit der Antworten?"

Irmgard Fees (München): Einleitung

Claudia Alraum (Erlangen): Vereinheitlichung durch Jurisdiktion – Päpstliche delegierte Richter in Apulien im 12. Jahrhundert

Andreas Holndonner (Erlangen): „Dignitatem et iustitiam servare“ – Das Papsttum und der Primat Toledos im 12. Jahrhundert (1088–1192)

Gábor Bárabas (Erlangen/Pécs): Die päpstliche Delegationsgerichtsbarkeit in Ungarn (erste Hälfte des 13. Jh.). Allgemeine Tendenzen und das Beispiel der electio canonica

Werner Maleczek (Wien): Zusammenfassung

Schlussdiskussion Sektion 1; Diskutanten: Marta Font (Pécs), Marie Blahova (Prag), Gergely Kiss (Pécs)

Sektion 2: „Päpstliche Briefe (5.-9. Jh.) – Antike Traditionen und karolingische Neuanfänge“

Hanns Christof Brennecke (Erlangen): Einführung

Matthias Maser (Erlangen): Die Collectio Avellana (Kommentar: Eckhard Wirbelauer, Straßburg)

Cornelia Scherer (Erlangen): Die Briefe der Collectio Hispana (Kommentar: Annette Grabowsky, Tübingen)

Achim Thomas Hack (Jena): Die Briefsammlung des Codex Carolinus (Kommentar: Markus Schütz, Erlangen)

Veronika Unger (Erlangen): Päpstliche Briefe des 9. Jahrhunderts – Konzeption einer Anthologie (Kommentar: Florian Hartmann, Bonn)

Klaus Herbers (Erlangen): Zusammenfassung und Schlussdiskussion Sektion 2

Sektion 3: Digitale Paläographie – Neue Wege in der digitalen Diplomatik

Judith Werner (Erlangen): Schrift als paralinguale Botschaft. Zur visuellen Sprache früh- und hochmittelalterlicher Papsturkunden

Thorsten Schlauwitz (Erlangen): Die Regesta Pontificum Romanorum online – ein Werkstattbericht

Vincent Christlein (Erlangen): Handschrift und EDV – Möglichkeiten der Mustererkennung für paläographische Studien

Georg Vogeler (Graz): Kollaborative Diplomatik – monasterium.net als virtuelles Urkundenportal

Daniel Berger (Göttingen): Das akkumulierte Wissen von mehr als hundert Jahren – die Sammlungen des Göttinger Papsturkundenwerkes

Schlussdiskussion Sektion 3


Redaktion
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