Political Cartoons as Historical Sources

Political Cartoons as Historical Sources

Organisatoren
Deutsches Historisches Institut London
Ort
London
Land
United Kingdom
Vom - Bis
07.05.2004 - 08.05.2004
Von
Matthias Reiß, Deutsches Historisches Institut London

Historiker verwenden gerne politische Karikaturen (political cartoons). Wie kaum eine andere Quellenart scheinen diese in der Lage, ein Argument, ein historisches Ereignis, oder den Geist einer ganzen Zeitperiode zusammenzufassen, zu illustrieren und zu kommentieren. Aus diesem Grunde zieren politische Karikaturen häufig die Seiten von Schulbüchern, wissenschaftlichen Artikeln und Monographien, oder dienen dazu, auf dem Einband die Neugier potentieller Leser zu wecken. Welchen Wert haben politische Karikaturen jedoch jenseits der Illustration als eigenständige historische Quelle? Unter welchen Bedingungen werden sie in Museen und anderen Institutionen gesammelt, konserviert und ausgestellt? Welche Informationen können im Rahmen historischer Forschungsprojekte aus ihnen gewonnen werden, und wie kann man politische Karikaturen im Unterricht verwenden? Diesen Fragen widmete sich eine Konferenz mit Teilnehmern aus verschiedenen europäischen Ländern, die am 7. und 8. Mai 2004 am Deutschen Historischen Institut London stattfand. Nach der Begrüßung durch den Direktor des Instituts, Hagen Schulze, und einer kurzen Einführung durch Matthias Reiß, der die Konferenz konzipierte und durchführte, eröffnete Sheila O'Connell (London) vom Department of Prints and Drawings im Britischen Museum die erste Sektion über Museen und Forschungseinrichtungen.

Anita O'Brien (London) vom Cartoon Art Trust Museum referierte zunächst über die Möglichkeiten und Probleme, die mit dem Besuch einer Ausstellung von politischen Karikaturen verbunden sind. Als Leiterin eines kleinen, privat finanzierten Museums in der britischen Metropole betonte sie die Konkurrenz mit anderen Freizeitangeboten und die Notwendigkeit, den Museumsbesuch attraktiv zu machen. O'Brien schlug dazu u.a. vor, Besuchern selbst die Mittel zur Entschlüsselung von Karikaturen an die Hand zu geben, Ausstellungen übersichtlich zu halten, die Zeichnungen nicht mit Inhalten zu überladen und weiteres Material aus ihrem Kontext zu präsentieren. Hans Joachim Neyer (Hannover) räumte ein, dass das Wilhelm-Busch-Museum - Deutsches Museum für Karikatur und kritische Grafik von dem begrenzten Freizeitangebot in Hannover profitiert. Obwohl das von ihm geleitete Museum öffentliche Gelder erhält, ist es als private Institution ebenfalls von dem Erfolg seiner Ausstellungen finanziell abhängig. Ziel des Museums sei es, so Neyer, das Publikum zu unterhalten, nicht es zu belehren. Sein Haus behandelt die Karikatur daher nicht als Dokument, sondern als Kunstwerk, und konzentriert sich bei der Sammlung und Ausstellungsplanung auf die künstlerische Verarbeitung. Für die notwendigen Hintergrundinformationen zu den Graphiken muss sich das Wilhelm-Busch-Museum, wie auch der Cartoon Art Trust, aus Geldmangel mit traditionellen Mitteln (Katalog, Begleitheft, Texttafeln, Führungen) begnügen. Antje Neuner-Warthorst (Freiburg) berichtete im Anschluss über die geplante Ausstellung des Wilhelm-Busch-Museums über das Werk von Walter Trier.

Während das Wilhelm-Busch-Museum hofft, in absehbarer Zeit seine Sammlungen elektronisch zu inventarisieren und das Ergebnis online zugänglich zu machen, stellt das Centre for the Study of Cartoons and Caricature an der Universität von Kent in Canterbury mittlerweile 120.000 Karikaturen für 16.500 registrierte Benutzer im Internet bereit. Nicholas Hiley zufolge, der das Zentrum leitet, soll in den nächsten Jahren die gesamte Sammlung auf diese Weise zugänglich gemacht werden. Hiley berichtete u.a. über das Problem des Urheberrechts sowie über das jüngste Projekt des Hauses, der Digitalisierung von ca. 85.000 Seiten aus Magazinen des 19. Jahrhunderts (Punch, Judy etc.), durch die die Karikaturen in ihrem Kontext erhalten bleiben. In der folgenden Diskussion berichteten auch Sheila O'Connell über das British Museum, Tim Benson (Herts) über die Political Cartoon Society und Severin Heinisch (Krems) über das österreichische Karikaturenmuseum.

Die Sektion über Karikaturen in Forschungsprojekten gliederte sich in zwei Teile. Im ersten Abschnitt, der von Colin Seymour-Ure (Canterbury) geleitet wurde, beschäftigten sich Stefanie Schneider (Bochum) und Torsten Riotte (Cambridge/Deutsches Historisches Institut London) mit der Darstellung von Nationen und Ländern. In ihrem Vortrag über "Michel meets John and Jonathan: National Symbols in 19th Century Political Cartoons and the Study of International Relations" argumentierte Schneider, dass sich wiederholende Themen in Karikaturen Aufschluss über die gegenseitige Wahrnehmung von Nationen geben können, auf deren Basis wiederum außenpolitische Entscheidungen getroffen werden. Dies verdeutlichte sie anhand von englischen und amerikanischen Karikaturen über die Beziehungen zwischen Deutschland, Großbritannien und den Vereinigten Staaten im 19. Jahrhundert, in denen Emotionen wie Verwandtschaft, Abneigung, Liebe und Freundschaft ausgedrückt wurden. Besonders konzentrierte sich Schneider dabei auf die Darstellung von Nationen als (männliche) Nationalfiguren, (weibliche) Idealisierungen oder Tiere, und führte das Verhältnis dieser Personifizierungen zueinander an Beispielen aus.

Riotte konzentrierte sich dagegen in "The Electorate of Hanover in British Political Caricature, 1792-1815" auf die sich wandelnde Darstellung des hannoverischen Pferdes. Dieses wurde, so Riotte, in der britischen Karikatur zunächst häufig verwendet, um die Trennung von britischen und hannoverischen Interessen darzustellen und das Interesse der Krone am Kurfürstentum zu kritisieren. Nach der Jahrhundertwende, als die Monarchie ihr kontroverses Potential verlor und zum Vehikel der Ausbildung einer nationalen Identität wurde, verschwand das weiße Pferd jedoch aus der oppositionellen Karikatur. "Hanover" sei in der Folge durch Text in der Karikatur identifiziert und als Bestandteil Großbritanniens dargestellt geworden, während sich Georg III. zur englischen Nationalfigur "John Bull" wandelte. Riotte hob hervor, dass beide Prozesse eng mit dem Schicksal und Charakter dieses Königs verbunden waren und so die Verbindung von Kunst und realer Welt aufzeigen.

Im zweiten Teil dieser Sektion, die von Ursula E. Koch (München) geleitet wurde, beschäftigten sich Bernhard Fulda (Cambridge) und Janusz Kazmierczak (Poznan, Polen) mit Zeichnungen aus dem Nationalsozialismus und dem Stalinismus. Fulda referierte über "Hans Schweitzer: A Cartoonist in the Weimar Republic", der unter dem Pseudonym "Mjölnir" der bedeutendste Graphiker der Nationalsozialisten wurde und eine enge Freundschaft mit Goebbels pflegte. Gleichzeitig zeichnete Schweitzer unter dem Kürzel "S" aber auch für die Hugenberg-Presse, so dass ihn Fulda als den einflussreichsten Karikaturisten der Weimarer Republik bezeichnete. Schweitzers Zeichnungen, so Fulda, variieren, je nachdem für welches Blatt sie bestimmt waren, zeigen aber auch Gemeinsamkeiten, die er anhand zahlreicher Beispiele verdeutlichte. Fulda schloss u.a. mit dem Hinweis, dass eine große Anzahl von Bildern ein Hindernis bei der Publizierung von Forschungsergebnissen darstellt. Dies führe zu einem ernsthaften Kommunikationsproblem für Historiker, die sich wie er z.B. mit der visuellen Dimension der Weimarer Zeit beschäftigen und der Frage, wie diese Dimension zugängig gemacht werden kann.

Kazmierczak analysierte in seinem Vortrag "Stalinist Cartooning: From Churchill's cigar to Cultural History" polnische Zeichnungen aus der stalinistischen Periode. Als theoretisches Modell dienten ihm dabei die Überlegungen, die Raymond Williams in The Long Revolution (London 1961) zur Analyse von Kulturen entwickelte. Kazmierczak begann mit einigen Bemerkungen zu der Rolle von Karikaturen in der historischen Forschung und anderen Disziplinen, bevor er die Kultur Polens während der stalinistischen Zeit anhand der Verhältnisse zwischen Karikaturen und anderen Bereichen der stalinistischen "whole organization" (Williams) diskutierte. Dabei konzentrierte Kazmierczak sich auf die von Williams entwickelten Schlüsselkategorien, wie z.B. "selective tradition", dem Zusammenspiel von politischer und sozialer Geschichte und kulturellen Institutionen, sozialem Charakter und der "structure of feeling".

Unter der Leitung von Dietrich Grünewald (Koblenz) referierten Harald Husemann (Osnabrück), Oliver Näpel (Münster) und Vic Gatrell (Essex) am folgenden Tag zur Verwendung von Karikaturen im Unterricht. Husemann betonte den Charakter von Karikaturen als zeitgenössische historische Quellen, die er als ebenso authentisch wie Tagebücher und Briefe bezeichnete. Als pointierte Aussagen können Pressekarikaturen Diskussionen im Unterricht initiieren. Sie müssen jedoch im textlichen Kontext gesammelt und entschlüsselt werden, und das nötige Handwerkszeug, d.h. ein Verständnis der Ikonologie, muss vorhanden sein. Auch Näpel hob den Wert von Karikaturen für den problemorientierten Unterricht hervor, wobei er Zeichnungen von der Antike bis zur Gegenwart einschloss. Wie Husemann sieht auch er in ihnen ein Mittel, Selbst- und Fremdbilder bewusst zu machen und zu untersuchen. Zudem fördern sie die kritische Auseinandersetzung mit Quellen und helfen so Schülern bei der Entwicklung von Medienkompetenz. Ihre Verwendung im Unterricht ist daher nach Näpel nicht nur legitim, sondern auch nötig. Lehrer müssen allerdings den gegenwartsbezogenen Charakter von Karikaturen berücksichtigen und sicherstellen, dass z.B. verleumderische Zeichnungen von den Schülern als solche erkannt werden. Die knappe Unterrichtszeit an deutschen Schulen verbietet, so Näpel, zudem die Verwendung von zu komplexen Karikaturen, und abstoßende sowie Zeichnungen mit sexuellem Inhalt sind nach seiner Erfahrung ebenfalls schlecht für die Verwendung im Unterricht geeignet.

Von den letzteren hatte Vic Gatrell einige zu bieten, da das 18. Jahrhundert, wie er betonte, keinen "polite humour" pflegte. Wie Husemann schilderte auch Gatrell zunächst, wie er über Umwege zum Studium von Karikaturen kam, für das er nie eine formelle Ausbildung erhalten habe. Gatrell bezeichnete Karikaturen ebenfalls als Texte, hob aber auch den künstlerischen Wert der Zeichnungen aus der Frühen Neuzeit hervor, während er die späteren Pressekarikaturen im Vergleich als blass und langweilig ansieht. In einer bilderärmeren Zeit wurden diese verhältnismäßig teuren Zeichnungen als Schätze gesammelt und gewürdigt, und sie bieten Historikern heute Informationen über Politik, Einstellungen, Umgangsformen und viele andere Bereiche. Gatrell berichtete dann über den Kurs "'The Politics of Laughter: English Satirical Prints from Hogarth to Cruikshank", den er in Cambridge zwischen 2000 und 2003 unterrichtete, wobei der die Bedeutung der umfangreichen Begleitliteratur hervorhob, die von den Studenten zu bewältigen gewesen war.

Im Anschluss an die einzelnen Panels gab es jeweils ausführliche, zum Teil auch heftig geführte Diskussionen. In der ersten Sektion dominierten die Fragen des Copyrights, der Digitalisierung, der zu verbessernden Zusammenarbeit zwischen den Institutionen, sowie vor allem der Finanzierung. In vielen Institutionen muss oft ein erheblicher Anteil der Zeit zum Einwerben von Geldern aufgewendet werden. Ungeachtet dessen fehlen in der Regel Mittel für didaktische Konzepte und Sponsoren sind zögerlich, Gelder für technische oder strukturelle Verbesserungen zur Verfügung zu stellen. Gelegentlich wird auch der Sinn der Sammlung und Ausstellung von Karikaturen generell in Frage gestellt, wie z.B. Hiley aus eigener Erfahrung zu berichten wusste.

In der Sektion zu Forschungsprojekten standen dagegen andere Fragen im Mittelpunkt. Diskutiert wurde unter anderem, welche Grenzen der Quellenwert von Karikaturen hat und welche Erkenntnisse sich nur aus ihnen gewinnen lassen. Spiegeln Karikaturen wirklich den Zeitgeist wider oder gestalten sie ihn auch? Ein weiterer Diskussionspunkt war die Bedeutung biographischer Informationen über die Zeichner für das Verständnis ihrer Werke. Können qualitativ hochwertige Karikaturen in einem totalitären Regime entstehen? Inwieweit stellt die Verwendung von Karikaturen durch die damit verbundenen Kosten ein Publikationshemmnis dar und wie kann dies überwunden werden?

In der Diskussion der Unterrichtssektion wurde unter anderem erörtert, ob der zu starke Einsatz von Karikaturen als "historical junk food" die Geschichte trivialisiert. Gleichzeitig wurden viele Punkte aus vorhergehenden Diskussionen aufgegriffen, wie z.B. der Zusammenhang zwischen Medien, Massenmarkt und Karikaturen, die Rolle des Humors, die Bedeutung der Chronologie, sowie das Problem der oft fehlenden Anerkennung der Karikatur als Kunstform.

In seinem Schlusskommentar bündelte Peter Catterall (London) noch einmal die im Verlauf der Konferenz angesprochenen Aspekte und wies auf die Punkte hin, die seiner Ansicht nach zu wenig Beachtung gefunden hatten. Dazu gehörte z.B. die Frage, was Karikaturen erreichen wollten und wie man mehr über ihr Publikum und ihre Verbreitung erfahren könne. Es war jedoch nicht das Ziel der Tagung gewesen, endgültige Antworten auf diese und andere Fragen zu geben. Statt dessen sollten bestehende Forschungslücken und Probleme aufgezeigt sowie etablierte Theorien und Methoden vor einem Fachpublikum zur Diskussion gestellt werden. Da es eine vergleichbare Tagung noch nicht gegeben hatte, trafen sich viele der Teilnehmer zum ersten Mal und erörterten Möglichkeiten der Kooperation. Es bleibt zu hoffen, dass diese Projekte dazu beitragen werden, politische Karikaturen als historische Quellen weiter zu etablieren.

http://www.unibw-hamburg.de/PWEB/hiswes/index.html
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Englisch, Deutsch
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