Kultur des Kalten Krieges

Kultur des Kalten Krieges

Organisatoren
David Eugster / Sibylle Marti, Universität Zürich
Ort
Zürich
Land
Switzerland
Vom - Bis
31.05.2012 - 01.06.2012
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Von
Robert Leucht, Deutsches Seminar, Universität Zürich

Am 31. Mai und 1. Juni 2012 fand an der Universität Zürich unter der Leitung von DAVID EUGSTER (Deutsches Seminar der Universität Zürich) und SIBYLLE MARTI (Forschungsstelle für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Zürich) die internationale Tagung „Kultur des Kalten Krieges“ statt. In ihrer Einleitung verdeutlichten die beiden Veranstalter ihre spezifische Perspektive auf den globalen Konflikt: Anstatt den Kalten Krieg einmal mehr aus einer politik- und ereignisgeschichtlichen Perspektive zu erzählen, gehe es ihnen um seine soziale Wirkungsmacht; um die Frage, wann, wie und wo der Kalte Krieg in Argumentationsmuster, Metaphern, kollektive Imaginationen oder Emotionen eingedrungen sei und so für breitere Teile der Gesellschaft Bedeutung erlangt hätte. Aufgrund des Übergewichts an USA-orientierten Studien luden die beiden dazu ein, eine solche Perspektive für einmal anhand der europäischen Seite des Atlantiks zu erproben.

Die Tagung versuchte dieser Fragestellung anhand von vier thematisch ausgerichteten Panels (Metaphern, Simulakren, Emotionen, Figuren) gerecht zu werden, deren Einzelreferate jeweils von einem kurzen Kommentar und einer Diskussion gefolgt wurden. Dass Schlüsselbegriffe der Tagung (Imagination, Kultur, Wirkungsmacht) einleitend nicht festgelegt wurden, erwies sich weniger als eine Schwäche, denn als eine Stärke des Unterfangens, zumal es eine ergebnisoffene, gemeinsame Formung der Begriffe ermöglichte.

Das erste Panel (Metaphern), das der Analyse besonders wirkungsmächtiger Metaphern des Kalten Krieges gewidmet war, eröffnete NICOLA HILLE (Tübingen) mit einer Untersuchung der Bildmotive politischer Plakate aus der BRD und DDR während der Frühphase des globalen Konfliktes. Ihr Augenmerk richtete sie auf die unterschiedlichen Formen von Feindbildern (der politische Feind als Fremder, Angreifer, Tier oder als Tod) und in besonderer Weise auf das wiederkehrende Bild einer Unterwanderung durch den Gegner. In der anschließenden Diskussion wurde die Notwendigkeit hervorgehoben, stärker zwischen einer gegnerischen Unterwanderung von Außen oder von Innen zu unterscheiden.

An die Bilderlogik der Unterwanderung anknüpfend rekonstruierte DAVID EUGSTER (Zürich) verschiedene Spielarten von Metaphern des Eindringens, wie sie sich in den für den Kalten Krieg typischen Narrativen eines Schwächungskrieges oder eines unsichtbaren Angriffes (beispielsweise als „brain washing“) aufweisen ließen. Ihren Ausgangspunkt nahm Eugsters Analyse bei der Beobachtung einer in der Kultur dieser Epoche starken Präsenz sowohl gefährlicher (z.B. Labor) als auch gefährdeter Räume (z.B. Staatsterritorien), welche beide zugleich prädestinierte Orte des Eindringens darstellten. Als überzeugend erwies sich Eugsters Analyse, zumal es ihr gelang, die behauptete Wirkungsmacht bestimmter Metaphern sichtbar zu machen: So konnten für den Werbediskurs der Fünfzigerjahre eine Spielart der Metapher des Eindringens – der Griff nach dem Unbewussten des Konsumenten (Vance Packards Die geheimen Verführer) – sowie im Kontext werbekritischer Stellungnahmen in Schweizer Printmedien der selben Zeit die Selbstbeschreibung der Schweiz als ein „abwehrbereites Volk“ aufgewiesen werden.1

Anhand ostdeutscher Filme über die Volksrepublik China sowie anhand des Magazins „China im Bild“ entwarf QUINN SLOBODIANs (Wellesley, MA) Beitrag die Beziehungsgeschichte zwischen China und der BRD/DDR als eine Geschichte der Farben. Zum einen wurde eine Fülle von Farbmetaphern in den Blick gerückt – die Chinesen als Blaue Ameisen oder Gelbe Gefahr –, zum anderen wurden diesbezügliche Farbwechsel als Indikatoren für Veränderungen in den politischen Beziehungen gedeutet. Ein spezifischer Mehrwert dieses Beitrages lag darin, über die Ebene von Texten und Bildern hinaus auch die farbliche Gestaltung von Covers (das Rot der Mao-Bibel) oder Buchreihen (Suhrkamps Regenbogenreihe) in Rechnung zu stellen, wodurch implizit Ansätze zu einer Geschichte der Materialität des Kalten Krieges entwickelt wurden. In der anschließenden Diskussion wurden diese Überlegungen aufgegriffen und durch Hinweise auf die farblichen Konnotationen von Alltagsgegenständen wie Coladosen und Lippenstifte ergänzt.

Zu Beginn des zweiten Panels, das unter dem von Jean Baudrillard geprägten Begriff der „Simulakren“ gefasst wurde und das versuchte, der Gestalt und Wirkung epochentypischer Simulationen nachzugehen, stand der Vortrag von SIBYLLE MARTI (Zürich). Marti gab einen Einblick in die Szenarien eines atomaren Krieges, wie sie in der Schweiz zwischen Mitte der Fünfziger- und Beginn der Siebzigerjahre entwickelt wurden, sowie in die aus diesen Szenarien abgeleiteten Katastrophenübungen. Auf Grundlage einer genauen Analyse von Akten zu den Schweizer Landesverteidigungsübungen (1956 bis 1971) kam Marti zu dem Schluss, dass die Landesverteidigung der Schweiz einerseits einen stark fiktionalen Charakter gehabt hätte, andererseits auf reale gesellschaftliche Prozesse bezogen geblieben ist und darüber hinaus als Mittel nationaler Selbstvergewisserung gedient hätte.

Thematisch, wenn auch nicht begrifflich ähnlich gelagert war der Vortrag von SUSANNE SCHREGEL (Weimar), die jenen Atomkriegsszenarien nachging, welche die Friedensbewegung der Achtzigerjahre entwickelt hatte. Durch Hinweise auf wiederkehrende Elemente in diesen Szenarien, etwa den Aspekt der Selbstbezüglichkeit (der eigene Standort als der am meisten bedrohte), oder jenen der Irreversibilität der imaginierten Ereignisse, wurde zunächst eine innere Logik dieser Narrative konturiert. Das in der darauf folgenden Diskussion nicht einhellig geteilte Fazit lautete, dass die für den Kalten Krieg konstitutive Ost/West-Dichotomie in solchen Szenarien durch jene von Leben/Tod transzendiert worden wäre.

Anschließend an die Analysen von Katastrophenszenarien der Schweiz (Marti) und vorwiegend Deutschlands (Schregel) richtete JOE DEVILLE (London) sein Augenmerk auf Desastersimulationen in Großbritannien. Ein Mehrwert seines Beitrages lag in der Fokussierung auf Bunker und Bunkerbauten als architektonische Materialisierung solcher Szenarien. Darüber hinaus verwies er auf die zeitgenössisch kritische Diskussion der in den Sechzigerjahren beginnenden Bunker Building Programs, wie sie sich beispielsweise in der pejorativen Rede eines „fairy tale warfare“ manifestierte. Devilles Beitrag ließ deutlich die Paradoxie erkennen, dass Katastrophenszenarien zwar einem rationalen politischen Kalkül geschuldet, aufgrund ihres imaginären Charakters aber Gegenstand heftiger Angriffe waren.

Das dritte Panel war der Frage nach der Konstruktion und Instrumentalisierung spezifischer Emotionen des Kalten Krieges gewidmet. Den Anfang machte CORNELIA KÜHN (Berlin), die anhand von Zeitungsberichten zeigte, wie Volkskunst in der Frühphase der DDR als ein Propagandainstrument und Mittel eingesetzt wurde, um ein Gefühl des nationalen Zusammenhaltes zu evozieren. Mit der Aufwertung der Volkskunstfestspiele, so Kühn, würde zugleich eine Entwertung der als „Kulturbarbarei“ bezeichneten amerikanischen Kultur korrespondieren. Die Diskussion ergab, dass sich von dieser Entgegensetzung prekäre Berührungspunkte zur Kulturpolitik des Nationalsozialismus aufweisen ließen.

Eine von der Gegenüberstellung deutscher Volkskunst und amerikanischer Popkultur geradezu abweichende Konstellation bildete den Gegenstand von SOPHIE LORENZ’ (Heidelberg) Referat: Mit der von 1970 bis 1972 von der DDR-Führung geschlagenen Kampagne für die amerikanische Bürgerrechtskämpferin Angela Davis rückte Lorenz eine politische Aktion in den Blick, die besonders stark auf Emotionen abzielte, und zugleich eine Allianz über die Grenzen des Kalten Krieges hinweg repräsentierte. Nicht zuletzt anhand von Gegenständen, etwa den vorgefertigten Postkarten, um der inhaftierten Davis zum Geburtstag zu gratulieren, konnte Lorenz sichtbar machen, mit welchen konkreten Mitteln die DDR-Regierung versuchte, unter ihren Bürgern Emotionen der Solidarität hervorzurufen.

Mit Blick auf die westdeutsche Nachrüstungsdebatte in der Nachfolge des NATO-Doppelbeschlusses von 1979 analysierte JUDITH MICHEL (Berlin) einige der von Friedensaktivisten entworfenen atomaren Bedrohungsszenarien. Ihr Hauptaugenmerk richtete sie dabei auf deren emotionale Effekte: Zum einen konnte sie das mitunter stark psychoanalytische Vokabular aufweisen, wie es sich beispielsweise in der Rede vom „verdrängten Atomkrieg“ manifestierte, zum anderen konnte sie zeigen, dass die Friedensbewegung in Deutschland einen Beitrag dazu leistete, die Dichotomie von Rationalität und Gefühl innerhalb der Politik abzubauen. Die gezielte Herstellung von Gefühlen wurde als Bestandteil der bundesdeutschen Politik des Kalten Krieges sichtbar.

Ungeachtet der Neuartigkeit einiger der diskutierten Quellen sowie der analytischen Schärfe einzelner Beiträge blieb in den Panels Simulakren und Emotionen auf einer Ebene von höherer Allgemeinheit unklar, worin das Spezifische sowohl der Simulations- als auch der Emotionsbildungen im Kalten Krieg bestand. Inwiefern – so könnte man anders fragen – sind das Entwerfen extremer Szenarien sowie emotionale Partizipation zu grundsätzlichen Dimensionen politischen Handelns geworden? Inwiefern liegt in ihnen etwas für den Kalten Krieg Spezifisches bzw. während dieser Phase besonders Ausgeprägtes?

Das vierte und letzte Panel richtet sein Augenmerk auf typische Figuren des Kalten Krieges und bildete die in sich homogenste Sektion der Tagung. RALF FORSTER (Potsdam) lenkte das Augenmerk auf DEFA-Spielfilme der Jahre 1959 bis 1963, genauer: auf die Inszenierung der Figur des Republikflüchtlings. Verstanden als eine Zwischenfigur, die von einem Machtblock des Kalten Krieges zum anderen überwechselte, vermochte Forster aufzuweisen, dass diese Figur in den DDR-Filmproduktionen in ein überaus negatives Licht getaucht wurde; sei es, indem das Fluchtverhalten als eine überkommene Lebenseinstellung ausgewiesen, oder aber dem Republikflüchtling positive Figuren entgegen gestellt wurden.

Eine die ideologischen Grenzen des Kalten Krieges ebenso überschreitende Figur nahmen GÜNTHER STOCKER und STEFAN MAURER (beide Wien) in den Blick, wobei es den beiden – anders als Forster – nicht um eine fiktionale Figur, sondern um eine Position im kulturellen Feld Österreichs der Nachkriegszeit ging. Am Beispiel Friedrich Heers machten die beiden sichtbar, wie sehr die Position eines zwischen den Machtblöcken vermittelnden Intellektuellen mit Negativzuschreibungen (Wirrköpfigkeit, Unklarheit) belegt worden ist. Heers Versuch, sich der Logik des Kalten Krieges zu entziehen, musste nicht zuletzt auch karrieretechnisch, mit dem Verzicht auf eine Position am Burgtheater, bezahlt werden.

Eine weitere Variation einer die Dichotomien des Kalten Krieges überschreitenden Figur bildete den Gegenstand von MANUEL KLAUS’ (Basel) Vortrag, in dem es um die Wahrnehmung von chilenischen Flüchtlingen in der Folge des Militärputsches von 1973 in der Schweiz ging. Klaus sah in der Figur des „roten Chilenen“ eine Projektionsfläche für die Ängste der Schweizer Öffentlichkeit und verwies auf die Renaissance einer schon den damaligen Asyldiskurs prägenden Metapher, die Formulierung „Das Boot ist voll“.

So überzeugend das Anliegen der Tagung, die Geschichte des Kalten Krieges nicht auf der Ebene politischer Akteure, sondern auf einer der sozialen Wirkungsmacht epochentypischer Metaphern, Szenarien, Figuren und Emotionen zu erzählen, so wenig entwickelt haben sich die Instrumentarien erwiesen, um eine solche Ebene angemessen beschreiben zu können. Dieses Manko ist allerdings nicht den Veranstaltern anzulasten, vielmehr haben sie es durch ihre innovative Fragestellung überhaupt erst in den Blick rücken können. Besonders die anhand engerer, lokal ausgerichteter Korpora erstellten Vorträge müssten, um die These von der sozialen Wirkungsmacht und Verästelung bestimmter diskursiver Komplexe auch einlösen zu können, entsprechend erweitert werden.

Mit Blick auf die Heterogenität des während dieser Tagung präsentierten Materials, sowohl in lokaler (BRD, DDR, Großbritannien, Österreich, Schweiz) als auch in ideologischer Hinsicht, wäre darüber hinaus zu überlegen, ob es nicht angemessener wäre, anstatt von Kultur des Kalten Krieges von Kulturen des Kalten Krieges zu sprechen. Das würde es ermöglichen, das Interesse an der Wirkmächtigkeit und Instrumentalisierung bestimmter Metaphern, Szenarien, Figuren oder Emotionen aufrechtzuerhalten, zugleich aber auch die diversen Besetzungs- und Umbesetzungsstrategien innerhalb dieser Komplexe schärfer zu konturieren. Anders gesagt könnten dadurch die Rivalitäten, welche etwa zwischen staatlichen, populärkulturellen, subkulturellen und autobiografischen Darstellungen zu beobachten wären, ernst genommen werden. Eine solche Differenzierung könnte dazu beitragen, den Widerstreit innerhalb weit verbreiteter Metaphern, Szenarien oder Figuren sichtbar zu machen und die heißen, emotional aufgeladenen Kriege der Darstellung, die im Kalten Krieg geführt wurden, und auf welche diese Tagung erste Schlaglichter werfen konnte, noch genauer in den Blick zu nehmen.

Konferenzübersicht:

David Eugster, Sibylle Marti: Begrüssung

Panel 1: Metaphern

Kommentar: Silvia Berger, Moderation: Manuel Klaus

Nicola Hille: Die Metapher der Unterwanderung in politischen Bildplakaten und Karikaturen der BRD und SBZ/DDR (1945-1955)

David Eugster: Unsichtbare, unterirdische Operationen: Verkopplungen der Werbekritik mit den Bedrohungsmetaphoriken des Kalten Krieges in der Schweiz

Quinn Slobodian: Red Flowers, Blue Ants, Yellow Peril: The Colors of Chinese Communism in the Cold War Germanies

Panel 2: Simulakren

Kommentar: Annette Vowinckel, Moderation: Sophie Lorenz

Sibylle Marti: Katastrophenübungen als nationale Selbstvergewisserung in der Schweiz des Kalten Krieges

Susanne Schregel: Atomkriegsszenarios in friedenspolitischer Absicht. Grossbritannien und Bundesrepublik in den 1980er Jahren

Joe Deville: Simulating Nuclear War: Problems in Preparing for the Apocalypse

Panel 3: Emotionen

Kommentar: Holger Nehring, Moderation: Sibylle Marti

Cornelia Kühn, „Kunst ohne Zonengrenzen“- Die Verwendung der Volkskunst als Propagandamittel für die Kulturpolitik der DDR in den fünfziger Jahren

Sophie Lorenz: „Rote Rosen für die schwarze Rose“: Nationale Identität, Emotion und Inszenierung im Kontext der DDR-Solidaritätskampagne für Angela Davis 1970-1973

Judith Michel: Angst als Perzeptionsfaktor und Instrument in der westdeutschen Nachrüstungsdebatte der 1980er Jahre

Panel 4: Figuren

Kommentar: Torsten Hahn, Moderation: David Eugster

Ralf Forster: Menschen zweiter Klasse: Zur Figur des Republikflüchtlings im DEFA-Spielfilm

Günther Stocker/Stefan Maurer: „Neutralisten“, „Fellow Traveller“, „trojanische Pferde“. Figuren des Dritten in der österreichischen Cold War Culture

Manuel Klaus: Das erneute „volle Boot“ und der „Judenstempel für die Chilenen“: Die Schweizer Diskussionen um die Sozialfigur des „roter Chilenen“ nach dem Militärputsch Pinochets im Jahr 1973

Anmerkung:
1 Vance Packard, Die geheimen Verführer. Der Griff nach dem Unbewussten in Jedermann, Düsseldorf 1958.


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