Presentation and Representation Revisited: Places, Media, Disciplines. 33. American Indian Workshop 2012

Presentation and Representation Revisited: Places, Media, Disciplines. 33. American Indian Workshop 2012

Organisatoren
Karin Isernhagen / Peter Gerber / Monika Egli
Ort
Zürich
Land
Switzerland
Vom - Bis
12.04.2012 - 15.04.2012
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Von
Stefanie Land-Hilbert, Freie Universität Berlin

Mit Eigen- und Fremddarstellungen der indigenen Bevölkerung Nordamerikas 1 befasste sich der 33. American Indian Workshop (AIW), welcher – ausgerichtet durch das Völkerkundemuseum der Universität Zürich und das North America Native Museum (NONAM) – vom 12.-15. April 2012 in Zürich stattfand. Der Workshop widmete sich damit einem Thema, das die Native Studies seit jeher beschäftigt und das auch die Arbeit des AIW 2, und dabei insbesondere die Tagung zum 25-jährigen Jubiläum im Jahr 2004 in Leuven zum Oberthema „Making it Explicit: Presentation and Representation of Native North Americans“ 3, geprägt hat. Ziel der diesjährigen Tagung war es daher, die Ergebnisse der Analysen aus dem Jahre 2004 erneut zu prüfen und der Frage nachzugehen, ob und inwieweit sich bezüglich der Darstellung indigener Gruppen neue Tendenzen feststellen lassen.

Mehr als 40 Vortragende näherten sich in insgesamt 18 Workshops der Frage von Presentation und Representation indigener Kulturen an. In ihrem Eröffnungsvortrag diskutierte DEBORAH MADSEN (Genf) die Bedeutung von Mode als „complex signifying system that constructs social bodies“ und hob dabei die Bedeutung von Mode nicht nur als zentrales Ausdruckmittel des Selbst, sondern auch als Projektionsfläche von gesellschaftlichen Normen, Kultur- und Wertvorstellungen hervor. Madsen konzentrierte ihre Analyse auf zwei historische Phasen, die in unterschiedlicher Weise die Bedeutung „indigener“ Mode aufzeigen: die Ära der „early assimilation“ in den USA der Jahrhundertwende (1880-1920) und die Phase des „postmodern multiculturalism” seit den 1990er-Jahren.

Die Bedeutung von Mode im Assimilierungsprozess indigener Gruppen in Siedlernationen demonstrierte Madsen anhand der Kleiderordnung bzw. Kleidungspolitik in US-amerikanischen Indian Boarding Schools. „Vorher/Nachher“-Aufnahmen, welche Bilder von indigenen Kindern in traditioneller Kleidung und mit traditionellen Frisuren jenen gegenüberstellten, die dieselben Kinder in westlicher Mode zeigen, sollten den erfolgreichen Assimilierungsprozess von Schüler/innen dokumentieren und dienten als wichtiges Mittel der Legitimation der Praxis jener Schulen (und wurden, worauf in der an Madsens Vortrag anschließenden Diskussion hingewiesen wurde, nicht zuletzt auch zu Werbezwecken genutzt, um Spendengelder für deren Fortbestehen zu akkumulieren). Ebenso wie „Native erasure”, also das Auslöschen von Zeichen einer indigenen Präsenz vor der Ankunft europäischer Siedler, zentral sei für den Entstehungsprozess von Siedlernationen, so schlüge sich dies auch in der Kleidungspolitik der Indian Boarding Schools nieder: Zeichen ihrer indigenen Herkunft sollten den Kindern genommen werden und an ihre Stelle eine nach westlichen Maßstäben angemessene Haltung, Kleidung und Frisur treten. Optisch an westliche Modekonventionen angepasste „Indianer” wurden zum Sinnbild einer geglückten Assimilation.

Madsen wies dabei auf das Phänomen des „double othering” hin, wie es in Boarding Schools häufig etwa bei Schulaufführungen und Paraden aufgetreten sei, in denen Native Americans „Indianer” verkörperten – und damit das europäische Konzept dessen, was Native Americans ausmache. Zudem kam Madsen auf verschiedene Formen des Widerstands gegen die Praxis der Boarding Schools seitens der Schüler/innen zu sprechen, welche sich unter anderem in der (teils im Verborgenen stattgefundenen) Verweigerung einer Anpassung an westliche Modekonvention ausdrückte.

Mit Blick auf das zweite historische Momentum betrachtete Madsen die zeitgenössische Adaption von indigenen Elementen in westliche Mode, wie etwa im Rahmen der Pendleton’s Fall 2011 Collection, und die hierum entstandenen Kontroversen. Zudem analysierte Madsen John Gallianos Modenschau „A Voyage on the Diorient Express, or The Story of the Princess Pohahontas” in Paris 1998, welche „Indianer” klischeehaft und in einem nicht näher definierbarem exotisch-bunten Setting an der Seite europäischer Adliger präsentierte, und diskutierte in diesem Zusammenhang Stanley Fishs Begriff des „boutique multiculturalism”4 sowie schließlich Thesen aus Charles Taylors The Politics of Recognition5, wobei sie auf die Bedeutung von social recognition für die dialogische Konstruktion von Identität verwies.

Eine Meta-Perspektive nahm JULIE GIABICONI (Genf) ein, die sich in ihrem Vortrag mit der disziplinären Verortung der Native Studies, insbesondere in Abgrenzung zur Ethnologie, befasste. Die Native Studies charakterisierte sie eingangs als junges, interdisziplinäres Feld mit „blurred boundaries“, dessen Kern durch das Objekt bzw. Subjekt der wissenschaftlichen Untersuchung, nämlich Native Americans, definiert sei.

Ein Spannungsverhältnis ergebe sich daraus, dass die Native Studies damit nicht nur das Hauptstudienobjekt bzw. -subjekt mit der Ethnologie gemein hätten, sondern sich insbesondere auch ethnologischer Methoden bedienten – und dies obgleich die Native Studies in den 1970er-Jahren ursprünglich aus einer deutlichen Kritik an der als „daughter of imperialism“ verstandenen Ethnologie heraus entstanden, wie unter anderem Vine Delorias Custer Died for your Sins6 verdeutliche. Giabiconi zeigte auf, dass die Anthropologie bis zur Entstehung der Native Studies ein Quasi-Monopol darüber innegehabt habe, wie Indigene in der Wissenschaft dargestellt wurden – ein Monopol, das unter anderem durch die Native Studies aufgebrochen worden sei. Die Ethnologie habe etwa seit den 1960er-/1970er-Jahren, auch im Zuge des Red Power Movement, einen deutlichen Abschwung erlebt, während die Native Studies erstarkten und durch das Studium indigener Völker (wenngleich aus anderer Perspektive) eine ehemalige Nische der Ethnologie besetzten. Giabiconi wies auf ein wichtiges Abgrenzungsmerkmal der Native Studies zur klassischen Ethnologie hin, das darin bestehe, dass sich die Native Studies heute als eine Disziplin verstünden, die Forschung betreibe „that is relevant to Indigenous needs“ – und somit einen expliziten Anwendungsfokus schaffe mit dem Ziel, die Lebensumstände indigener Menschen zu verbessern.

SABINE N. MEYER (Osnabrück) widmete sich in ihrem Vortrag der populären Kinderzeichentrickserie Yakari, die nach ihrem Hauptprotagnisten, einem Sioux-Jungen, benannt ist. Basierend auf einem Comicheft, welches ab 1973 zunächst in Belgien und Frankreich erschien und schließlich aufgrund der großen Popularität in 17 Sprachen übersetzt wurde, entstand eine Fernsehserie mit 78 Folgen, die ebenfalls international erfolgreich war. Im Jahr 2011 kam es im Zuge einer Marketingkampagne von Yakari-Merchandise, insbesondere bei Kindern im Vor- und Grundschulalter, zu einem erneuten Hype um Yakari, worauf der Titel von Meyers Vortrag (Yakari Reloaded) hindeutete.

Meyer skizzierte zunächst Setting, Hauptprotagonisten und Kernthemen der Serie. Yakari arbeite mit dem „Plains-Stereotyp“ des „Indianers“ und betreibe insbesondere in seiner ursprünglichen Form als gedruckter Comic ein „chliché busting“ – nicht nur in Bezug auf die Tradierung schemen- und teils fehlerhafter Darstellung von Plains-Kulturen, sondern auch bezüglich der Porträtierung von Geschlechterrollen und der Charakterisierung männlicher Stammesmitglieder als träge und faul. Zugleich spiele die Serie weder an einem genauen Ort, noch seien klare temporale Bezüge herzustellen: Zwar deute das Vorhandensein von Pferden darauf hin, dass es sich um eine Phase nach dem ersten spanischem Kontakt handeln müsse, zugleich enthalte die Serie jedoch zu keiner Zeit Referenzen zu europäischen Entdeckern oder Siedlern oder anderen Spuren einer Kolonisierung. Auch unterhalte Yakaris Stamm keinerlei Kontakte zu anderen indigenen Gruppen. Yakaris Handlungsort erscheine somit als unberührtes exotisches Paradies.

Aus den Geschichten, die Yakari erlebe – insbesondere zusammen mit den wichtigsten Nebenfiguren, Yakaris Freundin „Regenbogen“, seinem Pony „Kleiner Donner“ und seinem Totemtier „ Großer Adler“ –, gingen als wichtigste dem Zuschauer vermittelte Werte zunächst „community courage“ und „respect for animals“ hervor. Yakari erscheine dabei auf den ersten Blick als „plea for animal rights“ und „critique of anthropocentrism“: Tiere erscheinen in Yakari als den Menschen intellektuell und moralisch überlegen, vorausschauend und weise. Yakari trete dabei als Mediator zwischen der überwiegend anthropozentrisch orientierten und den Bedürfnissen der Tiere gegenüber weitestgehend ignoranten Stammesgemeinschaft einerseits und den Tieren andererseits auf. Letztere vermittelten Yakari die Bedeutung von Toleranz, Selbstbestimmung und Freiheit und forderten einen Umgang mit ihnen als gleichberechtigte Partner.

Meyer verwies auf die Entstehung der Yakari-Zeichentrickserie zu einer Zeit, da der öffentliche Diskurs stark von der Forderung nach stärkerem Umwelt- und Tierschutz geprägt war, und argumentierte zugleich überzeugend, dass_ Yakaris_ Botschaft über diese Forderung hinausgehe. Unter dem Titel „From ‚Going Native‘ – to ‚Going Animal‘“ legte sie dar, wie in der Serie durch die Eingliederung Yakaris in die Tierwelt und seine Rolle als Übersetzer zwischen den Kulturen die Tier-Mensch-Beziehung in einer Weise dargestellt werde, dass sie eine „human logic of domination“ offenlege: Die Erfahrung einer Ethnie, nämlich der Native Americans, werde auf die verschiedener (tierischer) Spezies übertragen. In der Serie sind es die Tiere, die von „Indianern“, unterdrückt und missverstanden werden, wohingegen in der Realität Native Americans selbst einer aus einer „logic of oppression“ resultierenden Kolonialisierung und Unterdrückung ausgesetzt waren. Die Serie stelle somit die universelle These auf, dass „all human beings have a tendency for a logic of oppression and for a misunderstanding of minorities”. Tiere fungierten hierbei als „stand-ins for minorities around the world“ – inklusive der Native Americans selbst. In diesem Punkt unterscheide sich Yakari deutlich von anderen Werken des Genres.

SONJA JOHN (Berlin) befasste sich in ihrem Vortrag mit der „barren site” Wounded Knee und der hochumstrittenen und ungelösten Frage, wie Wounded Knee auf der Pine Ridge Reservation dargestellt werden soll. Der Ort des Geschehens selbst biete momentan keine Interpretation der Ereignisse, lediglich ein Schild an der Straße verweise auf das historische Ereignis. Zudem existiere seit einiger Zeit ein insbesondere unter den Nachfahren der Überlebenden umstrittenes, als Museum deklariertes Gemeinde-Gebäude unweit des historischen Schauplatzes, das nun von einer Lakota-Familie als Verkaufsstelle genutzt wird. Der Disput um das Gedenken an Wounded Knee habe bereits Anfang des 20. Jahrhundert begonnen. Drei Hauptkonfliktlinien ließen sich dabei ausmachen: erstens die Frage, ob Wounded Knee als „Kampf“ oder „Massaker“ zu klassifizieren sei, zweitens die Diskussion darüber, ob ein kommerzieller oder ein nicht-kommerzieller Weg hinsichtlich der Schaffung eines möglichen Erinnerungsortes gewählt werden solle, und drittens schließlich die Frage, ob die Errichtung eines Museums angestrebt werden oder stattdessen informelle und kontinuierliche Erinnerungspraktiken im Zentrum des Gedenkens stehen sollen. Schließlich werde auch diskutiert, inwieweit „Wounded Knee II“, also die Besetzung von Wounded Knee durch Mitglieder des American Indian Movement im Jahr 1973, Eingang in die Darstellung finden solle. Neuen Auftrieb habe die Debatte um das Gedenken an Wounded Knee mit der Verfügbarkeit von Bundesgeldern für ein mögliches Memorial Museum seit dem Jahr 2009 und der sich anschließenden Kontroverse innerhalb der Lakota-Gemeinde erlebt.

MARKUS LINDNER (Frankfurt am Main) nahm in seinem Vortrag zu Darstellung und Marketing von Lakota-Kultur in South Dakota ebenfalls auf die Erinnerung an Wounded Knee Bezug, indem er unter anderem das Wounded Knee-Museum in Wall diskutierte, welches als kommerzielles Museum geführt wird. Insgesamt betonte Lindner in seiner Präsentation den Aspekt, dass Lakota-Kulturen in Museen innerhalb South Dakotas – insbesondere in Gegenden mit einem hohen Anteil indigener Bevölkerung und somit potentiellem indigenen Publikum – als „at home“ betrachtet werden können, anders als bei Ausstellungen zu indigenen nordamerikanischen Kulturen in Europa, deren Kurator/innen sich zwangsläufig dem Problem des „othering“ der fremden Kultur gegenübersähen. Damit könnten Ausstellungskonzeptionen in der Ursprungsregion der Kulturen für europäische Kurator/innen besonders interessant sein, um verstärkt Möglichkeiten zu ergründen, indigene Perspektiven in hiesige Ausstellungen einzubinden. Insgesamt konstatierte Lindner jedoch, dass viele Museen in South Dakota, und so auch das Wounded Knee-Museum in Wall, aber genau im Gegenteil traditionelle eurozentrische Konzeptionen aufweisen. Sie seien zwar Touristenattraktionen, aber insbesondere Gegenwartsbezüge seien in den entsprechenden Ausstellungen relativ rar. Eine Ausnahme bildeten einige in Reservaten gelegene Museen. Als ein positives Gegenbeispiel für ein Museum als „contact zone“, das zeitgenössische indigene Stimmen integriere, führte Lindner das Crazy Horse Memorial an, welches neben seiner nominellen Funktion auch ein Ort sei, wo indigene Künstler mit dem amerikanischen bzw. internationalen Publikum in direkten Kontakt träten.

TRISHA R. JACOBS (Gent) beklagte in ihrer Präsentation fehlerhafte Darstellungen von Native Americans insbesondere in Hochschulkursen. Standardwerke zur Einführung in die amerikanische Geschichte, wie sie an amerikanischen High Schools und in Einführungskursen an Hochschulen verwendetet werden, beinhalteten Masternarrative einer stolzen Nationalgeschichte und wiesen teils diffamierende oder stark vereinfachende Darstellungen indigener Kulturen und Akteure auf. Von dieser Feststellung ausgehend erörterte Jacobs die Frage, in welcher Form – bzw. inwiefern überhaupt – Native Americans im Rahmen von Geschichtskursen in Europa dargestellt werden. Sie stellte die Ergebnisse einer von ihr durchgeführten Fallstudie vor, die auf einer Umfrage unter 60 Bachelor- und 14 Master-Studierenden des Studiengangs Early Modern History der Universität Gent sowie unter Professoren derselben Hochschule fußte, welche zu von ihnen benutzen Lehrwerken und Quellen zum Themenkomplex Native American History befragt wurden. Zunächst hielt Jacobs fest, dass an der Universität Gent derzeit keine Kurse angeboten würden, die sich explizit mit Native American History befassten; vielmehr werde die indigene Geschichte Nordamerikas überwiegend am Rande von Überblickskursen zur Geschichte der Neuzeit unterrichtet. Wie Jacobs erläuterte, lasse sich aus ihrer Fallstudie seitens der Studierenden ein großes Interesse, aber, erwartungsgemäß, ein stark begrenztes Wissen hinsichtlich Native American History ablesen. In Antworten auf die Frage nach berühmten Native Americans zeigte sich dabei auch die Omnipräsenz klischeehafter popkultureller Darstellungen von „Indianern“: So fanden sich hier neben Nennungen von Geronimo, Sitting Bull und Pocahontas auch Karl May, Buffalo Bill und Jommeke (Letzterer ist der Held einer flämischen Comicserie, der unter anderem Abenteuer „bei den Indianern“ erlebt). Wenngleich diese Angaben sicher scherzhaft gemeint seien, so offenbarten sie, so Jacobs, doch die Wirkkraft der betreffenden Figuren. Die Befragung der Professoren ergab, dass einige Lehrende progressive Ansätze verfolgten und auf ausgewogene Quellen und Sekundärliteratur Wert legten, andere in Bezug auf beides aber eher unkritisch vorgingen. Insgesamt konstatierte Jacobs, dass postkoloniale Ansätze ihren Weg in die Praxis der Hochschullehre in vielen Fällen erst noch finden müssten, und sprach von einem „Lippenbekenntnis“, das hier oftmals vorherrsche. Jacobs führte die Idee einer in Planung befindlichen, von der Universität Gent betriebenen Website mit Informationen zur Native American History aus, die sich speziell an Studierende richten und Informationen zu Primärquellen und Sekundärliteratur zur Native American History zur Verfügung stellen solle, um so dem vorhandenen großen Interesse der Studierenden an dieser Thematik und den gleichzeitig bestehenden Wissensdefiziten – sowohl auf Seite der Studierenden als auch oftmals auf Seite der Lehrenden – zu begegnen.

JOSHUA B. NELSON (Norman) hatte in seinen Vortragstitel mit dem hinter die Namen der Autoren Alice Callahan (1864-1894)und John Oskison (1874-1947) gesetzten Klammer „(Indian Enough)“ eine ironische Spitze eingebaut, welche die Kernthese seines Vortrags auf den Punkt brachte: Nelson diskutierte die Werke Callahans und Oskisons und deren Rezeption vor dem Hintergrund, dass beide Autoren oft als „zu assimiliert“ wahrgenommen werden, um ihre Werk als „Indian“ zu klassifizieren. Er wies zudem darauf hin, dass die Einordnung als „not Indian enough“ auch noch zeitgenössische Autoren treffe. So sei etwa Sherman Alexie einer ähnlichen Kritik ausgesetzt, wenn er teilweise als „assimilated writer“ bezeichnet werde. Nelson hinterfragte diese Einordnung und problematisierte die binäre Opposition von authentisch-traditionell und assimiliert, die dieser Annahme zugrunde liege. Adaption und Assimilation seien immer Teil kultureller Traditionen gewesen, so Nelson, und seien somit gewissermaßen elementarer Teil des menschlichen Wesens.

Nelson diskutierte im Folgenden die Werke Wynema (1891)7 – das nach heutigem Kenntnisstand erste Buch einer Autorin indigener Herkunft in Nordamerika – und Brothers Three (1935) 8 und die Kritik, der sich beide Werke ausgesetzt sähen. Im Falle Wynemas betreffe dies etwa den sentimentalen Schreibstil, die stereotpyen und scheinbar aus zeitgenössischer Sicht euro-amerikanischer Betrachter gefertigten Beschreibungen indigener Kulturen, die Adaption euro-amerikanischer Verhaltensweisen seitens der Protagonistin Wynema sowie die Tatsache, dass die eigentliche Hauptfigur des Romans nicht Wynema sei, sondern die amerikanische Missionarin Genevieve. Die von Callahan und Oskison verwendeten Erzählstrukturen verstand Nelson dabei als „sly literary strategies to deny the past-ness of Indian presence and carve out space for Indian participation in the present“: Durch „ironic reversals of convention” zeigten die Autoren den positiven Einfluss auf, welchen indigene Protogonisten in ihren Werken auf „weiße” Charaktere ausübten, und höben „two-way acculturation“ als (bessere) Alternative zur Assimilation hervor. Hierbei nutzten sie einen insbesondere von heutigen Kritikern geschmähten sentimentalen Schreibstil, der Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts jedoch dem Ziel diente, Empathie der „weißen“, fortschrittlichen Leserschaft zu wecken – und diese somit als Unterstützer zu gewinnen. Insofern seien die Werke Callahans und Oskisons ein wichtiger Teil der indigenen Literatur Nordamerikas, deren Stimmen keinesfalls aufgrund einer unterstellten minderen literarischen Qualität ungehört bleiben sollten.

Einen interessanten Standpunkt nahm Nelson in Bezug auf inhaltliche Unstimmigkeiten in Wynema ein. So erscheinen, obgleich die Heldin des Romans den Muscogee Creek angehört, Tipis, welche in der Kultur der Muscogee Creek keine Rolle spielen. Zudem endet die Erzählung mit einem sprunghaften Fokuswechsel der Erzählung mit einem Bericht über Ereignisse, die an das Wounded Knee-Massaker in South Dakota angelehnt sind, welches sich unmittelbar vor der Veröffentlichung von Wynema ereignete 9 – und damit fernab des Creek-Territoriums, in der Heimat der Lakota. Diese Aspekte, welche die Geschichten verschiedener indigener Gruppen sowie deren kulturelle Unterschiede verschwimmen lassen, seien möglicherweise ein „signal to the careful reader that both [reader and author] have a great deal to learn.“

Ergänzend zu den Vorträgen des American Indian Workshop fand eine Führung durch das NONAM statt. Die Leiterin des NONAM, HEIDRUN LÖB, führte, unterstützt durch Museumspädagogin VERONIKA EDERER, durch die Dauerausstellung, während FLORIAN GREDIG die Sonderausstellung „Faszination Indianer: Vorstellungen, Darstellungen – Ein Streifzug durch die Jahrhunderte“ vorstellte. Dieser unmittelbare Einblick in die Museumsarbeit und insbesondere in die Kuratierung beider Ausstellungen bot spannende Einblicke für die Teilnehmer und die Grundlage für angeregte Diskussionen. Im Rahmen der Führung durch die Dauerausstellung wurde unter anderem die Problematik der Erwartungshaltung des überwiegend sehr jungen Publikums angesprochen (das NONAM wird intensiv von Schulklassen aus Zürich und Umgebung genutzt – ein Aspekt, der dem Lehrer Gottfried Hotz, Besitzer der ehemals privaten Sammlung, welche später im Indianermuseum (2003 umbenannt in NONAM) aufging, sehr wichtig war), das überwiegend Ausstellungsobjekte aus Plains-Kulturen erwarte. Das NONAM möchte die indigenen Kulturen Nordamerikas jedoch bewusst in ihrer Vielfalt darstellen und dabei auf romantisierend-verklärende Darstellungen ebenso verzichten wie auf den Eindruck von Statik jener Kulturen. Beindruckend waren für Zuschauer und -hörer insbesondere die zeitgenössischen Werke zweier Künstler der Nordwestküste Kanadas, Donald Varnell (Haida) und Bruce Alfred (Kwakwaka'wakw), und die von Hein Schoer arrangierten Soundscapes: Ein Klangraum bietet den Museumsbesuchern die Möglichkeit, ohne Ablenkung durch visuelle Eindrücke die Alltagskulturen von Native Americans und Inuit sowie die Natur ihrer Heimatregionen akustisch zu erleben.

Die Sonderausstellung zum europäischen Indianerbild skizzierte die Vorstellungen von „Wilden“ in Antike und Mittelalter, die die Grundlage bildeten für spätere Konstruktionen des „Indianers“, und ging ein auf den Mythos der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus und die Berichte über amerikanische Ureinwohner, wie sie von europäischen Entdeckern und Missionaren verfasst wurden. Der Topos des „Vanishing Indian“ wurde ebenso diskutiert wie die Zeichnungen von Karl Bodmer und George Catlin sowie deren ethnographische Genauigkeit und Einfluss auf die Etablierung des Bildes des „Prärieindianer[s] als Sinnbild des Indianers.“ Schließlich fanden Darstellungen von „Indianern“ in verschiedenen Medien Eingang in die Ausstellung – in Abenteuerromanen des 19. Jahrhunderts wie etwa in jene Karl Mays, in Wildwestshows, Hollywood- und Zeichentrickfilmen – und es wurde Einblick gegeben in die Welt der „Möchtegern-Indianer“, in der eine Wildwestsehnsucht insbesondere auch in Ostdeutschland in Zeltlagern und Indianer-Vereinen ihren Ausdruck gefunden habe. Ein eindrücklicher Fundus von Indianer-Darstellungen im Bereich von Kinderspielzeug und Produktwerbung bildete den Abschluss der Ausstellung; die Exponate reichten von der Tütensuppe mit Pocahontas-Nudeln über eine mit dem Slogan „ein Indianer kennt keinen Schmerz“ werbende medizinische Salbe hin zur Cornflakes-Verpackung mit Anleitung zum „indianischen Kriegstanz“ (inklusive Coupons für einen Federschmuck).

Sehr profitiert hat der diesjährige American Indian Workshop von der disziplinären Vielfalt der Vorträge, der direkten Anbindung an die beiden ausrichtenden Museen und dem großen Engagement der Veranstalter/innen. In einigen Workshop-Sessions hätte man sich durch die Chairs noch einen stärkeren Verweis auf bzw. eine stärkere Anbindung an das Rahmenthema des Workshops und insbesondere auf den Aspekt der neuen Tendenzen seit 2004 gewünscht. Vielleicht wäre eine gemeinsame Abschlussdiskussion hilfreich gewesen, um die Ergebnisse des Workshops auch über die einzelnen Sessions hinaus noch einmal übergreifend festzuhalten. Der nächste American Indian Workshop wird vom 14.-17. Mai 2013 zum Thema „Art of Indians – Indians of Art“ in Helsinki stattfinden und maßgeblich von Riku Hämäläinen vorbereitet.

Konferenzübersicht:

Keynotes

Dr. Gerald McMaster: Curating the 18th Biennale of Sydney: all our relations
Prof. Dr. Deborah Madsen: Fashioning the Native Body: ‘Indianness’, Assimilation, and Ontological Trauma

Workshop 1
Eszter Szenczi: The Métis Women’s Ordeal in Beatrice Culleton Mosionier’s ‘In Search of April Raintree’
Maryann Henck: Culture’s Price Tag – Peddling Native Culture in Drew Hayden Taylor’s ‘The Berlin Blues’
Sabrina Völz: Sherman Alexie’s ‘Flight’: Fighting the Frontier in the 21st Century

Workshop 2
Nina Reuther: Are ‘Indigenous Methodologies’ and ‘Native Studies’ Incompatible?
Julie Giabiconi: ‘Native Studies’: Disciplinary Locations
Isabelle Schulte-Tenckhoff: Applied Anthropology and Canada’s Founding Dilemma

Workshop 3
Claudia Ulbrich: A Place to Present and Represent Indigenous Pennsylvania: The Case of the Lenape Cultural Center in Easton, PA
Julia Emberley: Breaking the Frame of Representational Violence: E-media Coverage of the Pickton Trial and Rebecca Belmore’s ‘Vigil’
David Rettig: Allan Houser: His Influence on 20th Century American Indian Art and his Reception within the Native American Community

Workshop 4
Sabine N. Meyer: ‘Yakari’ Reloaded: Representations of Native Americans in a Children’s Cartoon TV Series
Frank Usbeck: Representing the Indian, Imagining the Volksgemeinschaft. Indianthusiast Nazi Propaganda in German Print Media 1933–1945
Andrea Blätter: Savages in Transition: Ethnographic Perspectives on 100 Years of Cinematic Representations of American Indians

Workshop 5
Hartwig Isernhagen: Representation Between Stereotype and Irony/Parody: The Museum as a Dangerous Place

Workshop 6
Rani-Henrik Andersson: Lakota Voices: Representations of the Ghost Dance of 1890
Sabine Lang: Re-Gendering Sacred Space: An All-Women’s Sun Dance

Workshop 7
Birgit Däwes: ‘Mysterious Shadows Move Around the Museum’: Bio/historiography and Representation in Gerald Vizenor’s ‘Ishi and the Wood Ducks’
Renata Herman: Narrative Strategies and Ironic Subversion in Sherman Alexie’s Work
Georg Hauzenberger: Of Ghostly Presences: First Nations Gothic and the Representation of Culture, Trauma and Loss

Workshop 8
Eduardo Fichera: Running Barefoot Across the Arctic Ice: Zacharias Kunuk’s ‘Atanarjuat’ and the Challenging of Colonial Representations
Renae Watchman: Indigenous Landscape mis-represented and dislocated in Film: Tacit Colonization all over again?

Workshop 9
Sonja John: Wounded Knee – A Barren Site
Chad Stephen Hamill: Resisting Colonization: Ceremony and Sovereignty in the Columbia Plateau

Workshop 10
Amina Grunewald: ‘Representing First Nations Regalia’ – The U’Mista Cultural Centre Potlatch Collection at Dresden’s Kunsthalle
Andrea Zittlau: What’s in a Name? The Cultural Center and the Museum

Workshop 11
Stefanie Öttl: Contemporary Expressions of U.S. and Canadian Indigenous Cultures: Joane Cardinal-Schubert – Reclaiming and Regaining Indigenous Voice and Space through Art
Heidrun Mörtl: The Representation of the ‘Oldest Old’ in Literature – Native vs. Non-Native?

Workshop 12
Susan E. Gray: Performing Citizenship: Andrew J. Blackbird and the Politics of Anishinaabe Persistence, 1850–1887
Scott Manning Stevens: Hemispheric Indigeneity, Imagined and Proclaimed
Jochen Kemner: The Working Group on Indigenous Populations seen from an Inter-American Perspective

Workshop 13
John S. Gilkeson: Performing Native American ‘Texts’: Dell H. Hymes’s Ethnopoetics
Alexia Theis: Poems and Mysteries from the Desert – Various Representations of the Tohono O’odham Homeland
Jana Jetmarova: Contemporary Andean Music as Representation of Specific Form of Panindianism

Workshop 14
Nicole Goude: Whose Museum? Negotiating Self-Representation at a Non-Tribally Owned Museum on Native Lands
Elzbieta Wilczynska: The Mashantucket Pequot Museum and Research Center: Representation and the Poetics of Exhibiting of the Mashantucket Pequot Tribe

(Heidrun Löb, Veronika Ederer, Florian Gredig: Führung durch die Dauerausstellung des NONAM sowie durch die Sonderausstellung „Faszination Indianer: Vorstellungen, Darstellungen – Ein Streifzug durch die Jahrhunderte“)

Workshop 15
Hein Schoer: The Sounding Museum: Coeval Soundscapes – Outrunning Distance in the acoustic (re-)Presentation of contemporary indigenous cultural and artistic Practice; with Trevor Isaac and Heidrun Löb

Workshop 16
Susanne Berthier-Foglar: Representation and Power: A Case Study of the New Mexican Pueblos
Markus Lindner: ‘The Legend Lives…’ – Representing and Marketing Lakota Culture in South Dakota
Nausica Zaballos: A Walk in Beauty at the Museum of Northern Arizona in Flagstaff. Representing and Explaining Navajo Culture at the 62nd Annual Navajo Festival

Workshop 17
Simon Ortiz & Gabriele Schwab: Presentation from ‘Children of Fire, Children of Water’

Workshop 18
Trisha R. Jacobs: ‘They gave us Syphilis’. Misrepresenting Native American History in the Classroom
Joshua B. Nelson: Keeping Oklahoma Indian Territory: Alice Callahan and John Oskison (Indian Enough)

Anmerkungen:

1 Im Folgenden werden vorwiegend die Begriffe Native Americans, Indigene bzw. indigene Bevölkerung Nordamerikas oder der Name des jeweiligen spezifischen Kulturkreises (Sioux, Muscogee Creek etc.) verwendet. Der Begriff „Indian“ bzw. „Indianer” wird seit mehr als vier Jahrzehnten kritisch diskutiert. Wenngleich er inzwischen auch in der Fachliteratur wieder häufiger zu finden ist – und auch im Titel des American Indian Workshop selbst weiterhin geführt wird – , so möchte ich bewusst diejenigen Terminologien verwenden, die nach meinem Verständnis als überwiegend neutral wahrgenommen und von Native Americans selbst überwiegend verwendet werden. Angelehnt an die Arbeiten von Robert F. Berkhofer, Hartmut Lutz und Daniel Francis verstehe ich den Begriff „Indian” bzw. „Indianer“ als Beschreibung eines Konstrukts – einer spezifisch euro-amerikanischen Sichtweise dessen, was die indigene Bevölkerung Nordamerikas charakterisiert und die öffentliche Wahrnehmung von Native Americans seit Jahrhunderten prägt. (Vgl. hierzu Robert F. Berkhofer, The White Man’s Indian: Images of the American Indian from Columbus to the Present, New York 1978; Hartmut Lutz, „Indianer” und „Native Americans”: Zur sozial- und literarhistorischen Vermittlung eines Stereotyps, Hildesheim 1985; und Daniel Francis, The Imaginary Indian: The Image of the Indian in Canadian Culture, Vancouver 1992.) Wenn im Bericht der Begriff „Indian” bzw. „Indianer” verwendet wird, dann zumeist als Zitat einer Originalquelle; in Anführungsstriche gesetzt steht er für das „weiße“ Konstrukt von Native Americans, in Abgrenzung zu Native Americans als Ethnie.
2 Hervorgegangen ist der AIW als weitestgehend informelles, interdisziplinäres und inzwischen wohl bedeutendstes europäisches Forum der American Native Studies aus einer Konferenz der European Association for American Studies (EAAS) im Jahr 1980; seitdem finden jährliche Treffen des Workshops statt. Eine Übersicht der vergangenen Veranstaltungen findet sich auf der Website des AIW: http://www.american-indian-workshop.org/workshops.html (11.06.2012).
3 Ein Tagungsband anlässlich des 25. AIW erschien im Jahr 2004 unter dem Titel „The Challenges of Native American Studies.” Barbara Saunders / Lea Zuyderhoudt (Hrsg.), The Challenges of Native American Studies: Essays in the Celebration of the Twenty-Fifth American Indian Workshop, Leuven 2004.
4 Stanley Fish, Boutique Multiculturalism, or Why Liberals Are Incapable of Thinking about Hate Speech, in: Critical Inquiry 23, Nr. 2 (1997), S. 378-395.
5 Charles Taylor, The Politics of Recognition, in: Amy Gutmann (Hrsg.), Multiculturalism: Examining the Politics of Recognition, Princeton 1994, S. 25-73.
6 Vine Deloria, Custer Died for Your Sins: An Indian Manifesto, New York 1974.
7 S. Alice Callahan, Wynema: A Child of the Forest, Lincoln 1997. [Nachdruck]
8 John Milton Oskinson, Brothers Three, New York 1935.
9 Eine ausführliche Diskussion der Darstellung von Wounded Knee in Wynema findet sich in Lisa Tatonetti, Behind the Shadows of Wounded Knee: The Slippage of Imagination in Wynema: A Child of the Forrest, Studies in American Indian Literature 16 (1) (2004 ), S. 1-31.


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