Praktiken der Selbst-Bildung im Spannungsfeld von ständischer Ordnung und gesellschaftlicher Dynamik

Praktiken der Selbst-Bildung im Spannungsfeld von ständischer Ordnung und gesellschaftlicher Dynamik

Organisatoren
Dagmar Freist, Carl-von-Ossietzky Universität Oldenburg; Graduiertenkolleg „Selbst-Bildungen. Praktiken der Subjektivierung“, Carl-von-Ossietzky Universität Oldenburg
Ort
Oldenburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
16.02.2012 - 18.02.2012
Url der Konferenzwebsite
Von
Lucas Haasis, Graduiertenkolleg „Selbst-Bildungen. Praktiken der Subjektivierung“, Carl-von-Ossietzky Universität Oldenburg

Praxeologische Ansätze in der Geschichtswissenschaft erfreuen sich zusehends einer wachsenden Beliebtheit in Historikerkreisen. Sie sind deutlich im Begriff als feste Größe in den historiographischen Kanon einzuziehen.

Mit dieser Gewissheit schloss die jüngste Historikertagung des Oldenburger Graduiertenkollegs „Selbst-Bildungen – Praktiken der Subjektivierung“, abgehalten vom 16. – 18. Februar 2012, mitveranstaltet von der Abteilung Frühe Neuzeit des Instituts Geschichte der Universität Oldenburg, organisiert von Dagmar Freist. Unter dem Konferenztitel „Praktiken der Selbst-Bildung im Spannungsfeld von ständischer Ordnung und gesellschaftlicher Dynamik“ hatten sich zuvor Wissenschaftler/innen aus dem In- und Ausland zusammengefunden, um sich vor dezidiert praxistheoretischem Hintergrund der Frage nach gesellschaftlicher Ausdifferenzierung und sozialem Wandel innerhalb ständischer Ordnungsgefüge vom 12. bis 19. Jahrhundert zu widmen – mit Schwerpunkt auf der Epoche der Frühen Neuzeit. Der praxeologische Anspruch der Tagung erwies sich dabei als durchweg aussichtsreiche Leitlinie, der Komplexität und Dynamik der ständischen Gesellschaft mit empirisch fruchtbaren neuen Erklärungsansätzen zu begegnen.

Das Erkenntnispotential von Praxistheorien mit Blick auf historische Konstellationen – so unterstrich es DAGMAR FREIST (Oldenburg) in ihrem Einführungsvortrag – liege in der Neubestimmung des Sozialen, einhergehend mit der Neubewertung der Ebene gesellschaftlicher Innovation. Nicht länger werde das Soziale nur vor strukturalistischem Hintergrund gelesen, noch versuche man es in den Köpfen der historischen Protagonisten festzumachen. Der Schlüssel zum Verständnis sozialer Gesellschaftsgefüge liege nun vielmehr im Schnittpunkt beider Bereiche. Er fände sich in der sozialen Praxis, kollektiv geregelten Handlungsmustern, in die sich die Akteure gleichsam in ihrem tagtäglichen Leben verwickeln. In der Praxis erhielten sowohl die gesellschaftlichen Ordnungsmuster ihren Ausdruck, als auch im Gegenzug die Akteure ihren Handlungsspielraum. Mehr noch, erst im Ablauf der Praxis fänden die Strukturen ihre Probe aufs Exempel, die Akteure in der Teilnahme an der Praxis ihren rechtmäßigen Status innerhalb der Gesellschaft. Hier würden sie ‚subjektiviert’, wiesen sich einer sozio-kulturell intelligiblen Position im Gefüge aus – „weben“ sich ein in kollektive ‚Subjektformen’. Gesellschaftlichen Wandel zu denken – praxeologisch könne dies nur bedeuten: den Blick auf die Transformation, „Überschreibung“ oder Neuschaffung dieser Subjektformen durch die soziale Praxis zu richten. Und eben hier träfe das theoretische Programm in Perspektive der ‚Ständegesellschaft’ auf fruchtbaren Boden. Denn besteht in der historischen Forschung zwar Konsens, dass diese seit dem Spätmittelalter einen nachhaltigen Wandel durchlief, sich ausfächerte und binnendifferenzierte, sich neue soziale Gruppen schufen während sich ‚alteingesessene’ Standesgruppen neu legitimierten, so fehlt es dennoch bisher an einer überzeugenden Erklärungsschablone für den genauen ‚Ablauf’ dieser Wandlungsprozesse. Freists praxistheoretischer Vorschlag und der Auftakt zur Tagung: Die Triebfedern des Wandels, sie liegen in den sich fortlaufend dynamisierenden ‚Praktiken der Selbst-Bildung’ historischer sozialer Gruppen. In vier Sektionen untermauerten die Beiträge diese These deutlich.

Sektion I verschrieb sich dabei der sozialen Praxis als Nährboden neuer gesellschaftlicher Teilräume – den ‚homines novi’ der Ständegesellschaft. Den Anfang machten die Beiträge von MICHAEL STOLBERG (Würzburg) und ANNIKA RAAPKE (Oldenburg) zur Selbstbildung frühneuzeitlicher Ärzte. Während Stolbergs Hauptaugenmerk dem Überblick zu ärztlichem „Self-fashioning“ diente, richtete Raapke den Blick aufs Detail. Sie widmete sich ärztlichen Vernetzungspraktiken in Briefwechseln des 18. Jahrhunderts. Stolberg gelang es anschaulich, die Selbstbildung frühneuzeitlicher Ärzte am Schnittpunkt der „Parallelwelten“ Gelehrtenwelt und Krankenbett festzumachen. Entscheidend für die Etablierung der Profession Arzt, so Stolberg, war der Einzug neuer Formen medizinischer Praxis, die beide Kompetenzbereiche, Gelehrtenwissen und manuelle Geschicklichkeit, miteinander verbanden. Raapkes Beitrag bildete dabei den Querverweis. Ein wesentlicher Bestandteil der brieflichen „Praktiken der Anerkennung“ unter Kollegen bestand darin, sich der Unterstützung bei Forschung und Praxis zuzusichern.

Mit der Präsentation ihres Forschungsprojektes eröffnete BABETTE HELLEMANS (Groningen) das zweite Vortragsgespann zum Gelehrtensubjekt im Einzelnen. Vor dem Konzept der „knowledge-diversity“ datierte sie dessen Geburtsstunde zurück bis ins Frankreich des 11.-12. Jahrhunderts. Als der Wissensrahmen der Universitäten noch in weiter Ferne lag und dennoch kommunale, asketische Gemeinschaften, Schulen und Klöster bereits mit vielfachen Formen und Praktiken der Wissensproduktion aufwarteten.

Was die Subjektform des Gelehrten auszeichnete, nachdem es den Kinderschuhen entwachsen war, das zeigte INGO TRÜTER (Göttingen) in seinem Vortrag zur Inkorporierung von Gelehrsamkeit um 1500. Nach der Vorstellung des theoretischen Settings aus Anrufung und Habitualisierung und der Darlegung von „Praktiken der Gelehrsamkeit“ wie Kleidungssitten oder Wohnmustern, war vor allem Trüters ‚Anwendungsbeispiel’ überzeugend. Willibald Pirckheimers Vita fungierte geradezu als ‚Blaupause’ gelehriger Selbstbildung, auch oder gerade weil, folgt man Trüter, der Nürnberger Patrizier schlussendlich gichtgeplagt seinen Lebensabend verbrachte.

Mit dem Kommentar von MARIAN FÜSSEL (Göttingen) schloss der erste Konferenztag. Füssel brachte zum Ende den Begriff des „relationalen Zeitalters“ in die Diskussion um die Dynamik der Ständegesellschaft ein und wies auf die Nähe der Konzepte von Selbst-Bildung und Self-fashioning hin.

Der Beitrag von NIKOLAUS BUSCHMANN (Oldenburg) zur Subjektivierung bürgerlicher Offiziere in der preußischen Armee im 18.-19. Jahrhundert markierte zu Beginn des Folgetages die Hinwendung zur Ebene der Amtsleute. Vor praxistheoretischer Prämisse bezog er sowohl die Rahmenbedingungen – den Wandel des Offizierswesens durch die Heeresreform – als auch die Akteursperspektive in seine Überlegungen mit ein. Letztere zeichnete er am Werdegang des „Judenmajors“ Meno Burg nach, dem trotz seiner Doppelrolle als Offizier und Jude durch selbsterzieherische Praktiken eine glänzende Militärkarriere beschienen war.

Von der männlichen Domäne des Militärs wechselte EVA LABOUVIE (Magdeburg) über zur weiblichen ‚Profession’ der Hebamme. Sie zeigte auf, wie die Reform des Medizinalwesen der Landesregierungen im 18. Jahrhundert Einzug hielt in das ländliche Hebammenwesen. Neue Arten der Wissensvermittlung, Verschulung und Verbürokratisierung bahnten sich ihren Weg in den Ausbildungsgang der Dörflerinnen und stellten damit die Weichen für einen Wandel des „Berufsethos“ Landhebamme.

Mit dem Verweis auf Kontinuitäten im militärischen Raum vom 18. bis 19. Jahrhundert, die die Bedeutung der preußischen Heeresreform für die militärische Selbstbildung zu relativieren vermögen, beendete der Kommentar von JUTTA NOWOSADTKO (Hamburg) die erste Sektion.

Adel, religiöse Eliten, Bauern – mit Sektion II richtete sich der Fokus auf die ‚altbekannten’ Grenzmarkierungen ständischer Ordnung. Der Einstieg oblag ULRIKE GLEIXNER (Wolfenbüttel) mit ihrem Vortrag über die „narrative Subjektkonstitution“ im Briefverkehr der Pietisten-Elite der dänisch-halleschen Indienmission im 18. Jahrhundert. Vor allem am Beispiel der Korrespondenz des langjährigen Direktors der Mission, Gotthilf August Francke, mit Mäzenen aus Adel und Geistlichkeit, untermauerte sie ihr Argument, dass das ‚pietistische’ Schreiben zur Normierung der pietistischen Subjektform beitrug.

Der Ständegesellschaft im Blick ‚von unten’ widmete sich MIKAEL ALM (Uppsala). Er bot Einblicke in den Quellenbestand von 73 Essays an die Königlich-Patriotische Gesellschaft in Stockholm, die die Bevölkerung 1773 dazu aufgerufen hatte, ihre Meinung zu einem schwedischen Nationalkostüm kundzutun. Die Einsendungen legten ein ‚farbenfrohes’ Potpourri ständischer Ordnungvorstellungen frei, die es zuließen, sich der „social imaginary“ historischer Protagonisten im Schweden des 18. Jahrhunderts anzunähern.

FRANK SCHMEKEL (Oldenburg) schließlich wendete sich in seinen Ausführungen der bäuerlich-ländlichen Gesellschaft zu, den friesischen „Hausmännern“, wirtschaftlich unabhängigen Großbauern, die im Nordwesten Deutschlands im 18. Jahrhundert die Spitze der Gesellschaft darstellten. Ihre „Sonderstellung“ rührte dabei nicht nur aus der schwachen Stellung des hiesigen Adels her oder fußte auf ökonomischen Erträgen, sie manifestierte sich vielmehr auch in distinktiven Praktiken großbäuerlichen Selbstverständnisses – Praktiken familiärer Überlieferung bis hin zu repräsentativem Konsum.

Mit den Vorträgen von CONSTANTIN RIESKE (Oldenburg) und EVA BRUGGER (Konstanz) beschritt die Konferenz den Übergang zu Sektion III – die sich dem Ziel verschrieb, der Frage nach sozialer Ausdifferenzierung in Subjektivierungsprozessen einer Spezifierung vor den Kategorien Religion und Gender zu unterziehen. Rieske widmete sich der Konversion als Praxis religiöser Subjektivierung im 17. Jahrhunderts, Brugger wies die mit der Wallfahrt im 18. Jahrhundert verbundenen Praktiken als Marksteine religiöser Selbstvergewisserungen aus. Beiden gemeinsam: die Forderung nach einer Relektüre altgedienter ‚Selbstzeugnisse’ vor praxeologischer Deutungsschablone. Vor dieser gelang es Rieske in Konversionsberichten den Glaubenswechsels nicht länger als Reaktion auf kollektive Normen oder als geplante Selbsterschaffungen zu deuten, sondern die religiöse Selbst-Veränderung im Prozess des „learning by doing“ festzumachen. Die Konversion vollzöge sich in der Verwicklung mit der religiösen Welt innerhalb von „Handlungspraktiken“ wie der Lektüre religiöser Schriften. Brugger nutzte Reiseberichte aufgeklärter Reisender zur Mitte des 18. Jahrhunderts um deren Subjektivierung in der Beobachtung von Wallfahrern, in der kritischen Abgrenzung zur katholisch-barocken, ländlichen Frömmigkeit festzumachen. Auf der anderen Seite verwieß sie auf Wallfahrtsanleitungen oder Gnadenbücher, die als katholische Reaktion auf die aufklärerische Kritik gelesen werden können und als Praktiken des Verzeichnens zum Quell derer Subjektivierung avancierten.

ANDREAS HOLZEM (Tübingen) betonte in seinem Kommentar die Rolle von Macht im Kontext religiösen Handelns und verwies auf die Narrativität der Quellenarten. Ob anhand derer tatsächlich Rückschlüsse über „beobachtbare“ Praktiken möglich sind, versah er mit einem großen Fragezeichen. Schließlich handele es sich um „Gläubige im Spiegel der Texte“, die ihrer Lebensgeschichte Gewähr verschafften.

Den Auftakt zur Rubrik ‚Gender’ bildete der Vortrag von CHRISTINA BECKERS (Oldenburg) zum Einfluss von Mutterschaft auf die Selbstbildung und Selbstpositionierung frühneuzeitlicher Frauen. In normativer Literatur zur Pflicht erhoben und bei Nichteintritt folgenschwer hielt die frühneuzeitlichen Mutterschaft ‚in praxi’ dennoch, so zeigte Beckers, ein gesteigertes Maß an Flexibilität offen. Zur Frage stünde: Ab wann ließe sich von der Genese des Muttersubjektes als einheitliche, kollektive, unreflexive „Handlungsgrammatik“ weiblicher Identitätsbildung sprechen?

Vom Fokus auf die Elterngeneration wechselte der Beitrag von LUCAS HAASIS (Oldenburg) über zum familiären Nachwuchs. Haasis richtete den Blick auf die „Wiege“ des kaufmännischen Subjekts: die Auslandslehre. Weniger der elterliche Einfluss als vielmehr das Mitspracherecht der Peer-Group trete hier als maßgebliche Entscheidungsinstanz jungkaufmännischer Selbstbildung ein. Als „Überlebenselixier“ in der Fremde fungiere dabei noch vor der handwerklichen Kompetenz die ‚gelungene’ Ausstellung von Männlichkeit.

Auch die Hauptdarstellerin des Beitrags von MAREIKE BÖTH (Kassel) verbrachte ihr Leben fernab der Heimat: am französischen Hof. Böth befasste sich mit der Körperpraxis Elisabeth Charlottes von der Pfalz vor kombinierter Lektüre von Erziehungsinstruktionen und ‚Liselottes’ Briefen. Mit doppeltem Praxisverständnis im Blick auf Selbstzeugnisse – Briefen als Artefakte der Schreibpraxis sowie als Zeugnisse der Alltagspraxis – gelang es Böth Liselottes Umgang mit dem eigenen Körper als „Inkorporierung von Verwandtschaft“ herauszustellen.

Mit dem Doppelkommentar von DAVID WARREN SABEAN (Los Angeles) und CLAUDIA OPITZ (Basel) schloss die Sektion und der zweite Konferenztag. Sabean lobte das theoretische Programm der Tagung als fruchtbaren Weg in eine neue Art der Sozialgeschichte. Das Potential des Konzepts ‚Selbst-Bildungen’ fände sich in der gelungenen Vermittlung zwischen Selbstschöpfung und Selbstvermittlung. Dadurch läge ein Erkenntnisraum frei, der zur Relektüre historischer Quellen einlüde und der Möglichkeit zur Umdeutung historischer Subjektentwürfe die Bahn weise. Opitz stimmte in dieses Argument mit ein und bekräftigte, gerade die Kenntlichmachung vergeschlechtlichender Prozesse in historischen Quellen durch die praxeologischen Ansätze bezeuge deren Relevanz.

HANS PETER HAHN (Frankfurt am Main) eröffnete mit seiner Key-Lecture zu Ambivalenzen der Dingwelten die letzte Sektion – zu Artefakten als soziale Partizipanden. Hahns Ausgangspunkt bildete die Hinwendung zur Dingbetrachtung jenseits ihrer semiotischen Aufladung. Das Problem der bisherigen semiotischen Theorien wäre, dass sie dem materiellen Eigensinn und der zeitweilen Unleserlichkeit der Dinge einen zu geringen Wert beimäßen. Sein Vorschlag: eine Neuperspektivierung materieller Forschung auf die Dimension der Dinge innerhalb alltäglicher Umgangsweisen.

Für den Vortrag von ULINKA RUBLACK (Cambridge) bot sich dadurch der willkommene Einstieg, sie widmete sich dem Zusammenhang von Stofflichkeit und Gebrauchsweisen frühneuzeitlicher Kleidung. Wie erlebten die Akteure die Stofflichkeit ihrer Kleidung? Ihre Antwort: so deutlich das Modebewusstsein während der Renaissance anstieg, so deutlich wuchs das Interesse für das Material, für feines Gewebe und hochwertige Rohstoffe – in denen man sich zeigen konnte und in denen man sich bewegen konnte. Das sollte insbesondere für Schuhwerk gelten, was sie am Beispiel Hans Fuggers belegte.

Auch BEVERLY LEMIRE (Alberta) sprach den Dingen in ihrem Vortrag „agency“ zu. Ihren Forschungsgegenstand bildete der Einzug indischer Baumwollprodukte in den europäischen und japanischen Markt und den damit verbundenen sozio-kulturellen Veränderungen. Japan wurde durch die Baumwollimporte zwischen 1600 und 1900 geradezu „indianized“. Die Baumwolltextilien drangen in sämtliche Bevölkerungsschichten ein und bewirkten einen nachhaltigen Modewandel. In Europa war das Gleiche zu beobachten. Männer trugen nun Kimono und Frauen zeigten sich öffentlich und nicht unumstritten mit bestickten Baumwolltextilien.

CHRISTINE GÖTTLER (Bern) schließlich richtete den Blick auf Artefakte als Mittler kultureller Identität. Sie gewährte Einblicke in die Sammlung des portugiesischen Kaufmannes Emmanuel Ximenes in Antwerpen, anhand derer sich sowohl dessen Verbundenheit mit der portugiesischen Nation vor Ort als auch dessen Selbstbild als „Kosmopolit“ ablesen ließe. Wurde Ximenes von seinen Zeitgenossen seines umfangreichen Wissens in den Wissenschaften gerühmt, so fand sich im Inventar seines Palastes dafür die Entsprechung.

Der letzte Konferenzvortrag gebührte MELANIE MARSHALL (Cork) und sie bescherte den Tagungsgästen einen stimmigen Ausklang. Mit Gesangseinlagen untermauerte sie ihre Ausführungen zur Subjektivierung durch Musik. In ihrem Beitrag machte sie deutlich, welche Möglichkeiten italienischen Komponisten des 16. Jahrhunderts offenstanden um ihrem ‚Selbst’ trotz patronaler Einschränkungen musikalisch Geltung zu verschaffen und welcher Bedeutung Musik zur ‚Selbstpflege’ im rechtlich-gesellschaftlichen Diskurs zuteilwurde.

Als Fazit der dreitägigen Oldenburger Tagung bleibt: Ob als neues Erklärungsmodell gesellschaftlicher Dynamisierungen, willkommener Aufruf zur Re- und Neulektüre historischen Quellenmaterials oder als Garant für fruchtbare Neujustierungen in der Gender-, Alltags- oder Religionsforschung, der praxeologische Ansatz zeugt von gesteigerter theorie- und empiriegestützter Relevanz für die historische Forschung. Mit breiter Zustimmung fand das Oldenburger Programm Anklang bei den Tagungsgästen. Nunmehr darf man auf weitere Reaktionen aus Historikerkreisen nur gespannt sein.

Konferenzübersicht:

Begrüßung: Dagmar Freist (Oldenburg)

Einführungsvortrag: Dagmar Freist (Oldenburg): Praktiken der Selbst-Bildung im Spannungsfeld von ständischer Ordnung und gesellschaftlicher Dynamik

SEKTION I – Ärzte, Gelehrte, Amtsleute: Praktiken der Selbstbildung und gesellschaftliche Teilräume
Moderation: Constantin Rieske (Oldenburg)

Ärzte

Michael Stolberg (Würzburg): Schillernde Identitäten. Ärztliches Self-fashioning in der Frühen Neuzeit

Annika Raapke (Oldenburg): Unter Kollegen. Praktiken der Anerkennung und Vernetzung in Ärztekorrespondenzen des 18. Jahrhunderts

Gelehrte

Babette Hellemans (Groningen): Shaping Life from Scratch. Self-Building of Scholars and the Birth of the Intellectual in 12th c. Paris

Ingo Trüter (Göttingen): Zwischen Selbst-Bildung und Anrufung. Die Inkorporierung von Gelehrsamkeit um 1500

Kommentar: Marian Füssel (Göttingen)

Amtsleute
Moderation: Annika Raapke (Oldenburg)

Nikolaus Buschmann (Oldenburg): Zwischen Professionalisierung, Loyalität und Selbstbehauptung. Zur Selbst-Bildung bürgerlicher Offiziere in der preußischen Armee

Eva Labouvie (Magdeburg): „Mehr gifft dann hülffe“. Über Zwänge zu neuem Wissen, Kompetenzen und Konkurrenzen bei der Aus- und Selbstbildung von Hebammen im 18. Jahrhundert

Kommentar: Jutta Nowosadtko (Hamburg)

SEKTION II – Adlige, Bürger, Bauern: Praktiken und soziale Räume im Wandel
Moderation: Martin Wrede (Berlin/Gießen)

Ulrike Gleixner (Wolfenbüttel): Selbstentwurf in Kommunikation. Briefnetzwerke pietistischer Eliten

Mikael Alm (Uppsala): Thoughts on a national dress. Social imagination in late 18th century Sweden

Frank Schmekel (Oldenburg): Was macht ein(en) Hausmann? Konsum und soziale Distinktion einer ländlichen Elite im 18. Jahrhundert

Kommentar: Gesa Stedmann (Berlin): entfiel

SEKTION III – Mütter, Väter und Söhne, Konvertiten. Anforderungsprofile, Bildungsarbeit und die glaubhafte Verkörperung von Subjektformen
Moderation: Ines Weber (Oldenburg)

Religiöse Praktiken und Subjektivierung

Constantin Rieske (Oldenburg): „All that wee are bound to belieue and doe“. Konversion und Glaubenswechsel als Praxis religiöser Subjektivierung im 17. Jahrhundert

Eva Brugger (Konstanz): „Beobachten und Verzeichnen“. Praktiken der Subjektivierung in der Wallfahrt des 18. Jahrhunderts

Kommentar: Andreas Holzem (Tübingen)

Gender Praktiken und Subjektivierung

Christina Beckers (Oldenburg): Erfunden und aufgeführt? Vorstellungen von Mutterschaft in der Frühen Neuzeit

Lucas Haasis (Oldenburg): „ ... auf das auch ein mensch und recht mann auss mir werd“. Von jungen Kaufmannsanwärtern in der Fremde, dem Ruf nach Anerkennung und den ernsten Spielen männlicher Alltagspraxis

Mareike Böth (Kassel): „ ... daß mein leib mein seye“. Selbstbildungsprozesse im Spiegel erzählter Körperpraxis am Beispiel der Briefe Liselottes von der Pfalz (1652-1722)

Kommentar: David Warren Sabean (Los Angeles) und Claudia Opitz (Basel)

SEKTION IV – Artefakte als Partizipanden des Sozialen
Moderation: Nikolaus Buschmann (Oldenburg)

Key-Lecture: Hans Peter Hahn (Frankfurt am Main): Soziale Bedeutungen und der Umgang mit Dingen – Bemerkungen zur Ambivalenz der Dingwelten

Mode und Lebensstil

Ulinka Rublack (Cambridge): Uses of the Visual in Renaissance Germany

Beverly Lemire (Alberta): Fashioning Early Modern Societies: Indian Cottons, Material Politics and Consumer Innovation in Tokugawa Japan & Early Modern England

Kultur und Kunst

Christine Göttler (Bern): Artefakte und kulturelle Identität: Die Sammlung des portugiesischen Handelskaufmannes Emmanuel Ximenes (1564-1632) in Antwerpen

Melanie Marshall (Cork): Subjectivation and Music – Suggestive Song and Care of the Self


Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Klassifikation
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Englisch, Deutsch
Sprache des Berichts