Medienunternehmen zwischen Kultur und Kommerz - Unternehmensgeschichte als Verlagsgeschichte

Medienunternehmen zwischen Kultur und Kommerz - Unternehmensgeschichte als Verlagsgeschichte

Organisatoren
Historische Kommission des Börsenvereins des deutschen Buchhandels; Gesellschaft für Unternehmensgeschichte
Ort
Frankfurt am Main
Land
Deutschland
Vom - Bis
21.04.2004 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Jan-Otmar Hesse, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main

Verleger seien zu 51% Kaufleute - formulierte BERND F. LUNKEWITZ, Eigentümer des Aufbau-Verlages im Eingangsstatement der Podiumsdiskussion, die von MANFRED KÖHLER (FAZ) moderiert wurde. Köhler hatte die Frage an das Podium gerichtet, was eine gute Verlagsgeschichte ausmache und Lunkewitz in seiner Antwort mit dem Aspekt begonnen, der in den herkömmlichen Verlagsgeschichten zumeist vernachlässigt werde. Die gesamte Veranstaltung, der Workshop mit fünf Vorträgen zu einzelnen Verlagen und die abendliche Podiumsdiskussion, brachte letztlich zu Tage, dass ein Treffen der bislang fast hermetisch neben einander her forschenden Verlagshistoriker und Unternehmenshistoriker für beide Seiten ausgesprochen fruchtbar ist. So führten die Gespräche auf dem Podium immer wieder auf die Kernfrage zurück, ob denn Verlage und Medienunternehmen besondere Unternehmen seien, für die der Analyserahmen moderner Unternehmensgeschichte untauglich ist, oder ob es sich im Grunde um ganz normale Unternehmen handele, die eben nicht Waschmaschinen, Autos oder Salpetersäure produzierten, sondern Bücher. Dabei war es eben nicht nur eine Frage der Perspektive, wie man diese Frage beantwortet: Neben Lunkewitz saß mit KLAUS SAUR (Saur-Verlag, München) ein weiterer Verleger auf dem Podium, ergänzt durch zwei aus der Unternehmensgeschichte kommende Historiker, WERNER PLUMPE und JAN-OTMAR HESSE (beide Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main) und zwei weitere aus der Verlags- und Buchhandelsgeschichte kommende Wissenschaftler, GEORG JAEGER (LMU München) und REINHARD WITTMANN (LMU München).

Während die Verleger ihre kulturelle Funktion zumindest zu 49% hervorhoben, eine Aufgabe, die sie eben auch Bücher machen lässt, die sich betriebswirtschaftlich nicht rentieren, und diese Funktion als ein Spezifikum der verlegerischen gegenüber anderer unternehmerischer Tätigkeit bewerteten, standen sich bei den Wissenschaftlern unterschiedliche Positionen gegenüber. Hier betonte Georg Jäger stärker die Möglichkeit, von den Unternehmenshistorikern das Wissen über die Entwicklung von Organisationsformen, Kostenrechnung und Managementansätzen für die Verlagsgeschichte nutzbar machen zu können, Reinhard Wittmann dagegen die sozialhistorische Ebene der Verlagsgeschichte, die Bedeutung eines Verlagsprogramms für die intellektuelle Entwicklung eines Landes, zumal die Rekonstruktion der betriebswirtschaftlichen Dimension von Verlagsgeschichte in vielen Fällen an die Grenzen der Quellenüberlieferung stoße. Auch unter den Unternehmenshistorikern gab es Uneinigkeit darüber, ob aufgrund hoher Fixkostenanteile, der Verfasstheit eines politisch stark regulierten Marktes und der kulturellen Verantwortung des einzelnen Beschäftigten die Medienunternehmen strukturelle Besonderheiten gegenüber anderen Unternehmen aufweisen (Hesse), oder sich diese Unternehmen im Kern durch nichts bspw. von einem Chemieunternehmen unterscheiden, weil es auch in diesen kulturell und gesellschaftlich bestimmte Rahmenbedingungen und Grenzen des unternehmerischen Handelns gäbe (Plumpe). Im Ergebnis war letztlich diese letzte Meinung kaum zu entkräften. Wenn der Anteil kultureller Faktoren, die auf die unternehmerische Entscheidungsfindung des Verlegers einwirken auf dessen individuelle Vorgeschichte und die gesellschaftlichen Kontexte zurückgeführt wird, werden die "Besonderheiten" zu einer nur graduellen Frage, während im Kern die Ökonomie von Medienunternehmen um so deutlicher in den Vordergrund tritt und auch unternehmens- und verlagshistorisch untersucht werden kann.

Wie kommt es dann aber dazu, dass die Frage der Positionsbestimmung zwischen "Kultur und Kommerz" immer wieder und mit langer Tradition in der Verlagsgeschichte auftaucht? Zu dieser Frage lieferte der Vortrag von STEFANIE LECHNER (Universität Frankfurt am Main), der den nachmittäglichen Workshop abschloss, einen ebenso interessanten wie von den Teilnehmern kontrovers diskutierten Hinweis. Am Beispiel der Selbstbeschreibung des Suhrkamp-Verlegers, Siegfried Unseld, enthüllte sie die Rede von der "Janusköpfigkeit" der Verlegerfunktion, die Mythologisierung der Selbsteinordnung von Verlegern zwischen "Geld und Geist" als einen Akt der Selbststilisierung, die dazu dient, die eigene Rolle zu betonen und aufzuwerten, aber auch dazu führt, die ökonomischen Bestandteile des Berufs zu verdunkeln. Für die Verlagsgeschichte - so Lechners Plädoyer - sei es wichtig, diese Selbststilisierung von Verlegern als solche zu dekonstruieren und die dahinter liegenden Tätigkeiten der kaufmännischen Unternehmensführung sowie der verlegerischen Autorenpflege systematisch zu untersuchen.

Aber es gibt auch ganz anders funktionierende Verlage, wie man aus dem Vortrag von SIEGFRIED LOKATIS (Zentrum für zeithistorische Forschung Potsdam) über den DDR-Verlag Volk und Welt lernen konnte. Dieser für die Übersetzung und Veröffentlichung ausländischer Literatur auf dem Buchmarkt der DDR zuständige Verlag im Eigentum der SED zeichnete sich unter den Rahmenbedingungen der DDR-Wirtschaft durch eine hypertrophe Ausstattung mit Lektoren aus, während es eine Werbeabteilung nur in Ansätzen gab, weil man sich über den Absatz keine Sorgen machen musste. Durch geschickte Unternehmensführung, die - insbesondere was die Auswertung westdeutscher Lizenzen anbelange - sich oftmals in der Illegalität bewegte, gelang es dem Verlag, der Zensur immer größere Zugeständnisse abzutrotzen, so dass man in den 1980er Jahren sogar Freud und Beckett auf den Buchmarkt der DDR bringen konnte.

Diese aus den spezifischen Verhältnissen der DDR resultierende Kulturpolitik von Volk und Welt lässt sich aber auch an anderen Beispielen namhaft machen. FLORIAN TRIEBEL (Historisches Archiv BMW, München) stellte die Geschichte des Eugen Diederichs-Verlages zwischen 1930 und 1949 vor, ein Verlag für rechts-konservative Autoren in der Weimarer Republik, der durchaus in relativer Distanz zum NS-Regime nach dem Tod des Firmengründers Diederichs 1930 von der Konjunktur völkischer Literatur in besonderer Weise profitierte. Die Söhne des Firmengründers verstanden es, das von Diederichs mit kulturellem Engagement angesammelte und teilweise mit erheblichen Verlusten arbeitende Verlagsprogramm in den 1930er Jahren und der Kriegszeit zu popularisieren, ohne den Namen des als anspruchsvoll geltenden Verlages zu beschädigen. Die hierbei entstehenden komfortablen Gewinne führten letztlich auch zu einer grundsätzlichen Verschiebung der Unternehmensstrategie auf der Wertskala zwischen Geld und Geist.

Fast als ein Gegenteil dieser Verlagsgeschichte erscheinen die Fallstudien von UTE SCHNEIDER (Institut für Buchwissenschaften der Universität Mainz) und HELEN MÜLLER (Historisches Archiv der Firma Bertelsmann, Gütersloh). Frau Schneider stellte in ihrem Vortrag die Unternehmenspolitik der Firma Ullstein während der Weimarer Republik dar. Dieses Unternehmen, seit 1921 in der für Verlage noch heute eher unüblichen Rechtsform der Aktiengesellschaft geführt, gehörte zu jenem wichtigen Teil der Branche, der mit seiner Geschäftstätigkeit eben überhaupt keinen kulturellen, schöngeistigen Anspruch erfüllen will, sondern die Gewinnerzielung ganz explizit in den Mittelpunkt seines Interesses stellt. Aus dieser Strategie resultierte die konsequente Beschränkung des Verlagsprogramms auf populäre Lesestoffe und die Auswertung der Filmrechte für diese Stoffe in einer eigenen Tochtergesellschaft. Es entwickelte sich ein Unternehmen mit fast 10.000 Beschäftigten in Berlin, einer eigenen Sozial- und Wohlfahrtspolitik sowie einer eigenen Unternehmenskultur der "Ullstein-Familie" - ganz wie wir es von Großunternehmen ganz anderer Branchen kennen.

Eine ganz ähnliche Entwicklung machte der Bertelsmann-Konzern seit den 1960er Jahren durch, freilich unter ganz anderen gesellschaftlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen, wie Helen Müller in ihrem Vortrag berichtete. Hatte die Familie Mohn mit der Gründung des Bertelsmann-Buchklubs in den 1950er Jahren den Sprung zu einem umsatzstarken Großunternehmen mit vielen Beschäftigten geschafft, so folgte in den 1960er Jahren mit der Internationalisierung des Geschäfts und dem Einstieg in den Schallplattenmarkt ein qualitativer Sprung weg vom Buchverlag hin zum multidivisionalen Medienunternehmen, das bald sein Hauptaufgabengebiet auf den Märkten für neue Medien sah. Auch für diese Entwicklung war nicht ein kulturelles, sondern ausschließlich ein wirtschaftliches Interesse der entscheidenden Akteure Ausschlag gebend gewesen.

So zeigten nicht zuletzt die Fallstudien des Workshops, dass eine pauschalisierende Verortung von Verlegern als Unternehmer zwischen Geld und Geist ebenso wenig angebracht ist, wie die Suche nach einem letztgültigen Erklärungsmodell für die Geschichte von Verlagsunternehmen. Der Workshop lieferte gute Argumente und auch Vorschläge für die Bildung von Typologien in der Verlagsgeschichte. Vor allem aber zeigte die Veranstaltung, dass der Dialog zwischen Verlagshistorikern und Unternehmenshistorikern längst überfällig war und fortgesetzt werden soll.


Redaktion
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