„Success without impact“? The women’s liberation movement in post-’68 societies

„Success without impact“? The women’s liberation movement in post-’68 societies

Organisatoren
Kristina Schulz/Sarah Kiani/Leena Schmitter, Universität Bern
Ort
Bern
Land
Switzerland
Vom - Bis
16.02.2012 - 17.02.2012
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Von
Fabienne Amlinger, Interdisziplinäres Zentrum für Geschlechterforschung, Universität Bern

Die Frauenbewegung der 1970er-Jahre gilt als eine der dauerhaftesten und sichtbarsten neuen sozialen Bewegungen. Doch zeitigte sie darüber hinaus auch längerfristige Wirkungen? Dies war die zentrale Frage, der die von Kristina Schulz, Sarah Kiani und Leena Schmitter organisierte Tagung nachzugehen beabsichtigte. Da eine vergleichende und transnationale Geschichte des Feminismus in Europa und den Vereinigten Staaten für die 1970er- und 1980er-Jahre noch ein Forschungsdesiderat ist, war es außerdem Ziel der Tagung, neuere Länderstudien zu den Frauenbewegungen nach 1968 in einen Dialog zu bringen und damit einen Beitrag zur Geschichte der Frauenbewegung zu leisten.

Das Eröffnungsreferat von KRISTINA SCHULZ (Bern) machte bereits deutlich, wie komplex die Frage nach Folgen und Wirkungen sozialer Bewegungen ist. Denn als fluides soziales Phänomen entziehen sie sich einerseits einer direkten Wirkungszuschreibung, da sie letztlich auf die Vermittlung anderer politischer Akteure und Akteurinnen wie etwa Verbände, Parteien oder Organisationen angewiesen seien. In Konkurrenz mit anderen Faktoren sozialen Wandels, lasse sich zudem der eigenständige Beitrag sozialer Bewegungen nur schwer isolieren. Andererseits gelte es, bei Fragen nach der Wirkung analytisch unterschiedliche Ebenen zu berücksichtigen – so etwa politische, kulturelle und biographische. Der Analyse von Wirkungen ist gemäß Schulz jedoch die Frage nach den internen Entwicklungen und Strukturveränderungen sozialer Bewegungen vorgelagert. Gerade mit Blick auf die Frauenbewegung sei es schwierig, das Ende einer sozialen Bewegung zu bestimmen. Wenn nun also Veränderungen einer Bewegung zusätzlich in die Frage nach deren Wirkung einfliesst, gestalte dies die Untersuchung noch komplexer.

Die erste der insgesamt vier Tagungssektionen stand unter dem Motto „The women’s liberation movement and institutional change“ und befasste sich mit der Frage, wo und inwieweit es der Frauenbewegung gelungen ist, institutionellen Wandel herbeizuführen und Anliegen der Frauenbewegung institutionell zu verankern.

Mit Blick auf die japanische Frauenbewegung der 1970er- und 1980er-Jahre und ihr Verhältnis zur Frauenpolitik der Vereinten Nationen zeigte ILSE LENZ (Bochum) das Zusammenspiel zwischen sozialer Bewegung, staatlichen Institutionen und überstaatlichen Strukturen auf. Dabei führte sie aus, wie japanische Feministinnen aufgrund der vorhandenen politischen Opportunitätsstrukturen, des politischen Systems sowie der Interessensgruppen mehrheitlich auf globaler Ebene agierten. Im Überblick zur Geschichte der japanischen Frauenbewegung – von der autonomen Frauenbewegung der 1970er-Jahre über die zunehmende Institutionalisierung ab 1975 bis zu den rechtlich-institutionellen Veränderungen durch internationale Normen – wurde deutlich, wie globale Normen und Diskussionen im heterogenen japanischen Kontext verhandelt und übersetzt wurden.

Im Zentrum von ELISABETH ELGÁNS (Stockholm) Ausführungen stand eine in den 1970er-Jahren aktive feministische Gruppe aus Schweden. Geprägt von der Nähe zur revolutionären Linken hielt sie an einer Klassenkampfrhetorik fest. Dagegen lasse sich der Slogan „Das Private ist politisch“, der die feministischen Bewegungen anderer Länder prägte, in Schweden nicht nachweisen. In Elgáns Vortrag deutete sich der Erkenntnisgewinn komparatistischer Untersuchungen an. Auch stellte sie die Diskrepanz zwischen der inzwischen quasi „offiziellen“ Erinnerung der – sich zu Jahrestagen jeweils äußernden – ehemaligen Aktivistinnen an die Frauenbewegung und den Archivfunden heraus und leitete daraus die Forderung nach einem Überdenken der Forschungsstrategien zur Neuen Frauenbewegung ab.

Kritisch setzte sich SARAH KIANI (Bern) in ihrem Beitrag mit der Metapher von „Wellen“ der Frauenbewegung auseinander. So zeigte sie am Beispiel der Implementierung der schweizerischen Gleichstellungsgesetze, dass einerseits die „Alte“ und die „Neue“ Frauenbewegung gleichzeitig daran beteiligt waren und diese beiden Generationen von Feministinnen nicht, wie in vielen westlichen Ländern, klar voneinander getrennt auftraten. Andererseits können die jeweiligen Generationen keinesfalls als homogen betrachtet werden, denn zu unterschiedlich präsentierten sich alleine schon deren Positionen gegenüber einer auf juridischem Weg erzielten Gleichstellung. Der Aktivismus im Rahmen der Kampagnen zu den Gleichstellungsgesetzen war es aber letztlich, der einen Institutionalisierungsprozess des Feminismus einläutete, der auch vormals autonome Frauengruppen erfasste.

Beendet wurde der erste Konferenztag mit einem Keynote-Vortrag von KAREN OFFEN (Standford), in welchem sie einen mehrere Jahrhunderte umfassenden und verschiedene Länder berücksichtigenden Blick auf den Feminismus warf. Aus einer solchen Perspektive wurden sowohl die Vielfältigkeit an Themen wie auch die Errungenschaften von Feministinnen offensichtlich. Doch trotz diesen nachhaltigen sozio-politischen und kulturellen Veränderungen – so monierte die Referentin – werde nach wie vor Geschichte unter Auslassung von Frauen geschrieben und gelehrt. Zudem sei das durch den Feminismus Erreichte stets gefährdet durch Backlashes. Diese Bilanz ziehend, fragte Offen folglich mit Bezug auf den Tagungstitel, ob dem Feminismus „success without impact“ beschieden sei. Ihren Ausführungen fügte sie schließlich den Aufruf an, weiterhin überzeugt feministische Positionen zu vertreten und feministische Wissenschaft zu betreiben.

Die zweite Sektion „The women’s liberation movement between counter- and mainstream culture“ thematisierte am folgenden Tag den Erfolg feministischer (Gegen-)Kultur. Seit den 1970er-Jahren haben feministische Anliegen und sogenannte Frauenthemen Einzug in die Medien, in Ausstellungen oder in Verlage gefunden. Zur Debatte stand, ob diese Erzeugnisse einer ehemals feministischen Gegenkultur Eingang in eine Kultur des Mainstreams gefunden haben und ob sie damit ihre subversive Zielsetzung erreichten oder vielmehr verloren.

Der Beitrag von CHRISTA BINSWANGER (Basel) und KATHY DAVIS (Utrecht) stellte mit Verena Stefans Häutungen (1975) und mit Feuchtgebiete (2008) von Charlotte Roche zwei Bücher vor, die den feministischen Diskurs über Sexualität stark prägten. Der Vortrag befasste sich mit der Frage, wie die beiden Texte feministisch gelesen werden können und suchte nach Resonanzen und Differenzen zwischen den Werken. Im Zentrum standen in den Büchern enthaltene Möglichkeiten sexueller Selbstermächtigung und die Kritik an normierter Sexualität. Den Werken gemein sei die Suche nach einem Narrativ über erwachsen werdende Frauen, das Rütteln an sexuellen Tabus und an der Sprache über Sexualität sowie deren Bezug zum Feminismus. Während Stefans Werk als prototypische Erzählung über weibliche sexuelle Selbstermächtigung gelesen werden könne, spiele Roches Buch mit pornographischen Bezügen und mit dem Element des Schockierens.

Ebenfalls um die Funktion von Sprache als feministisches Instrument für gesellschaftliche Veränderungen ging es im Referat von KRISTINA SCHULZ (Bern). Nach theoretischen Auseinandersetzungen um Möglichkeiten einer kulturgeschichtlichen Erweiterung der sozialen Bewegungsforschung fokussierte sie auf die literarische „Szene“ im feministischen Milieu der Schweiz in den 1970er- und 1980er-Jahren. Stand beim feministischen Schreiben anfänglich die Sichtbarmachung von Frauen, die Bewusstseinsbildung und die Mobilisierung unter Feministinnen im Vordergrund, ging es in den 1980er-Jahren stärker um die Vermittlung weiblichen Denkens, Schreibens und Wissens. Schön illustrierte die Referentin diese Veränderungen und die Wirkung des weiblichen Schreibens und der damit assoziierten kulturellen Praktiken am Beispiel der von einem feministischen Kollektiv ab Mitte der 1970er-Jahre herausgegebenen Zeitschrift Frauezitig und der Gründung des Frauenbuchverlags eFeF Ende der 1980er-Jahre.

Der Frage, inwieweit die Frauenbewegung ein neues Verständnis (weiblicher) Körper sowie von Intimität und Sexualität entfaltet hat, ging die dritte Tagungssektion „New Corporeality?“ nach. Dabei stand auch die Thematisierung des Körpers in den Kampagnen der Bewegung zur Debatte.

HILDE DANIELSEN (Bergen) nahm in ihrem Beitrag die Diskussionen in der norwegischen Frauenbewegung über Intimität und Sexualität sowie die Konstruktion neuer weiblicher Subjektivitäten und neuer sexueller Praktiken in Betracht. Das Sprechen über Sexualität fungierte unter Feministinnen einerseits als verbindendes Element, etwa im Kampf gegen das Patriarchat, gegen Pornographie oder für das Recht auf Abtreibung. Andererseits gingen damit auch Konflikte innerhalb der Bewegung einher, die sich um Fragen rund um sexuelle Fantasien, Normen und Utopien von Frauen drehten.

Die Transformationen in der feministischen Debatte um das Recht auf Abtreibung standen im Zentrum des Beitrags von LEENA SCHMITTER (Bern). Seit den späten 1960er-Jahren kämpfte die Frauenbewegung in der Schweiz für den straffreien Schwangerschaftsabbruch im Namen der Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Dieses Argument wurde in den 1980er-Jahren durch das Aufkommen neuer reproduktiver Technologien herausgefordert. Denn durch diese Technologien geriet die feministische Konzeption der Selbstbestimmung einerseits unter den Verdacht, eugenische Maßnahmen zu unterstützen. Andererseits war die als Wahl der Frauen suggerierte Entscheidung für oder gegen eine Abtreibung von medizinischen Experten forciert. Parallel zu dieser Entwicklung erhielt der Fötus einen eigenen, legalen Subjektstatus zugesprochen und wurde nicht mehr länger als Teil des weiblichen Körpers betrachtet.

Im zweiten Keynote-Vortrag widmete sich SYLVIE CHAPERON (Toulouse) Simone de Beauvoirs Rolle in und Einfluss auf die neue Frauenbewegung. Beauvoir antizipierte in ihrem Werk Le deuxième sexe bereits vieles, was die Frauenbewegung später aufnahm. Nebst dem inhaltlich Verbindenden ging die Referentin auch auf das Trennende zwischen Simone de Beauvoir und den Feministinnen ein. Dabei beleuchtete sie insbesondere den generationellen Unterschied, der sich in unterschiedlichen Visionen für eine feministische Politik manifestierte, sowie Beauvoirs Status eines Idols, den ihr die jüngeren Feministinnen verliehen. Aus einer mikrohistorischen Perspektive leuchtete Chaperon lebendig das feministische Milieu und die stets von Zurückhaltung geprägten Beziehungen aus, die Beauvoir darin pflegte.

Die Beiträge der letzten Sektion „Challenges of the women’s movement“ stellten bewegungsinterne Widersprüche und Kontroversen in den Mittelpunkt. Diese wurden zwar bereits in anderen Sektionen thematisiert, sollten nun aber systematischer analysiert werden.

NATHALIE TOMLINSON (Cambridge) stellte die problematische Konstruktion eines feministischen „Wir“ anhand der englischen Frauenbewegung dar. So reklamierten etwa farbige Feministinnen, dass sie von weißen Mitstreiterinnen als inexistent betrachtet und ihre spezifischen Anliegen übergangen wurden. Eine weitere Trennlinie zwischen Feministinnen zeigte die Referentin am Beispiel des in England meistverkauften feministischen Magazins Spare Rib auf. Durch den thematischen Schwerpunkt auf Feminismus und Antizionismus löste das Heft Proteste bei jüdischen Feministinnen aus. Diese beiden Exempel illustrierten die Problematik der vielgepriesenen feministischen „Sisterhood“ und machten Dominanzstrukturen entlang der Kategorie „Race“ innerhalb der Bewegung deutlich.

Auf die italienische Frauenbewegung konzentrierten sich MARICA TOLOMELLI (Bologna) und ANNA FRISONE (Genua) in ihrem Beitrag. Während der 1970er-Jahre stand in Italien der Klassenkonflikt im Zentrum der politischen Auseinandersetzungen. Die Frauenbewegung hatte sich in dieser Situation über einen doppelten Abgrenzungsprozess zu formieren: nicht nur – wie in anderen Ländern – gegenüber der Studentenbewegung, sondern auch gegenüber der alten Tradition der sozialistischen Arbeiterbewegung. Während einige feministische Gruppen das Paradigma des Klassenkampfes als geschlechterblind verwarfen, hielten andere Feministinnen an der Relevanz der Kategorie „Klasse“ fest und kooperierten mit Institutionen der Arbeiterbewegung. Daraus entwickelte sich eine spezifische Form des „Arbeiter-Feminismus“, der vor allem in den Gewerkschaften seinen politischen Einfluss ausübte.

Wie BRIGITTE SCHNEGG (Bern) in ihrer Abschlussrede resümierte, verwies die Tagung eindrücklich auf die Vielfalt unterschiedlicher Feminismen. Was gemeinhin als neue Frauenbewegung bezeichnet wird, zeigt große Heterogenität, wenn nationale Kontexte sowie generationelle oder thematische Spezifika reflektiert werden. Aber auch Aktionsformen, gesellschaftliche Visionen und politische Orientierungen waren im Post-68-Feminismus divers. So appellierte Schnegg denn auch, bei der Forschung zur Frauenbewegung die je spezifischen Kontexte nicht zu vernachlässigen, vermehrt komparativ zu arbeiten und den transnationalen Transfers und Interaktionen nachzugehen.

Kann in Bezug auf die Frauenbewegung nach 1968 nun also von einem Erfolg gesprochen werden? Die der Tagung zugrundeliegende Frage erwies sich als schwierig. Denn wie etliche Referate zeigten, fehlen Kriterien, um Erfolg zu messen. Sich einstellender Erfolg kann sich außerdem längerfristig als problematisch herausstellen, Errungenschaften können wieder in ihr Gegenteil umschlagen. Die Kategorie der Wirkung erweist sich hier gegenüber der des Erfolges als brauchbarer, da sie es erlaubt, Einfluss jenseits von Wertungen zu betrachten. Die von Kristina Schulz am Anfang der Tagung vorgeschlagene, auf die Politologen Marco Giugni und Lorenzo Bosi1 zurückgehende analytische Trennung in kulturelle, politische und biographische Wirkungen muss sich in zukünftiger Forschung erst noch bewähren.

Konferenzübersicht:

Begrüßung und Einleitung: Kristina Schulz

Sektion I: The women’s liberation movement and institutional change (Leitung Brigitte Studer)

Ilse Lenz: Women’s movement, the UN and the State in Japan

Elisabeth Elgán: What they forgot to tell: The new feminist movement of the 70’s in the archives

Sarah Kiani: Waves of feminism? The campaign for equality in Switzerland’s 1980s

Keynote I
Karen Offen: Writing the History of Feminism: Impact and Impatience

Sektion II: The women’s liberation movement between counter- and mainstream culture (Leitung Ingrid Gilcher-Holtey)

Christa Binswanger und Kathy Davis: Sexy Stories: Feminism from Häutungen to Wetlands

Kristina Schulz: Female Writing in Switzerland: Towards a Cultural History of the Social

Sektion III: New Corporeality? (Leitung Kathy Davis)

Hilde Danielsen: Intimacy and sexuality in the Norwegian women’s liberation movement

Leena Schmitter: Female bodies – fetal subjects. The body as imagery in the Swiss abortion debates

Keynote II
Sylvie Chaperon: Simone de Beauvoir, d’une vague à l’autre

Sektion IV: Challenges of the women’s movement (Leitung Lucy Delap)

Nathalie Tomlinson: ‚Sisterhood is Plain Sailing’: Race, feminism and Spare Rib

Marica Tolomelli und Anna Frisone: Gender and class in the Italian women’s movement

Closing Debate: Brigitte Schnegg

Anmerkung:
1 Marco Giugni/Lorenzo Bosi, The Impact of Protest Movements on the Establishment: Dimensions, Models, and Approaches, in: Kathrin Fahlenbrach/Martin Klimke/Joachim Scharloth (Hrsg.), The ‘Establishment’ Responds – Power, Politics and Protest since 1945, Oxford/New York 2012, S. 17-28.


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