"Two Paths of Emancipation?" (Tutzing, 09.-11.05. 2001)

"Two Paths of Emancipation?" (Tutzing, 09.-11.05. 2001)

Organisatoren
Wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft des Leo Baeck Instituts in Deutschland, Evangelische Akademie
Ort
Tutzing
Land
Deutschland
Vom - Bis
09.05.2001 - 11.05.2001
Url der Konferenzwebsite
Von
Pyka, Marcus

Two Paths of Emancipation? The Geman and French Jewish Models Reconsidered.

International Conference of the Wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft des Leo Baeck Instituts in Deutschland and the Evangelische Akademie Tutzing, 9.-11. Mai 2001.

Die Wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft des Leo Baeck Instituts in Deutschland veranstaltete in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Akademie in Tutzing vom 9. - 11. Mai 2001 eine Konferenz zur Entwicklung juedischer Emanzipation in Deutschland und Frankreich. Finanziert wurde die Tagung durch Mittel der Robert-Bosch-Stiftung und des Bayerisch-Franzoesischen Wissenschaftszentrums. Im Mittelpunkt der Ausfuehrungen stand insbesondere die vergleichende Fragestellung, ob und inwieweit es sich um zwei unterschiedliche Wege der Emanzipation von Juden gehandelt habe. Die sechs Sektionen bestanden jeweils aus zwei Vortraegen mit Responsion. Dabei war stets darauf geachtet worden, dass die jeweiligen Forschungsschwerpunkte von Referent und Respondent sich geographisch ergaenzten. Somit wurde ein Vergleich jeweils aus deutscher wie aus franzoesischer Sicht gewaehrleistet, was oft einen anregenden Dissens ermoeglichte.

Der Nutzen dieses Verfahrens zeigte sich bereits im ersten Panel, als es zu einer Diskussion um die Frage kam, inwieweit die Berliner Haskala im zeitgenoessischen Frankreich rezipiert worden ist. Betonte Simon Schwarzfuch (Bar Ilan) den geringen Einfluss der Berliner Entwicklung, setzte Sylvie Anne Goldberg (Paris) die Rezeption zumindest in einer Oberschicht franzoesischer Juden dagegen, so duenn diese auch gewesen sei. Frances Mallino (Wellesley) legte wiederum einen staerkeren Akzent auf die eigenstaendige Entwicklung in den Zentren der Aufklaerung beiderseits des Rheins, zumal in Frankreich die Staedte der Provinz im Zuge dieser Entwicklung eine weitaus groessere Bedeutung gehabt haben als in Preussen. Diesen Aspekt unterstrich Dominique Bourel (Jerusalem) nachdruecklich mit seiner Darstellung der intellektuellen Grundlagen in Berlin, die dort wesentlich guenstiger fuer das Selbstverstaendnis von Juden gewesen seien als andernorts.

Die Emanzipationspolitik und ihre Auswirkungen in Deutschland und Frankreich war das Thema des zweiten Panels. Hier stellte Pierre Birnbaum (Paris) Georg Simmel und Emile Durkheim in den Mittelpunkt seines Vortrages und zeigte an diesen paradigmatischen Beispielen die Folgen der Entwicklung auf und den unterschiedlichen Niederschlag, den sie im Oeuvre beider grossen Soziologen fanden. Peter Pulzer (Oxford) resumierte diesen Vergleich in Form einer typologischen Konturierung des deutschen und des franzoesischen Emanzipationsmodelles, welche er ueberdies mit englischen Modell verglich und auf diese Weise auch die Einbettung dieser Prozesse in der allgemein-europaeischen Geschichte betonte. Das Paper von Jacques Ehrenfreund (Bar-Ilan) verglich die Auswirkungen der Emanzipationspolitik anhand des Konzeptes der Bildung im deutschen Kaiserreich und desjenigen des Republikanismus in der Dritten Republik. Beide Konzepte seien in ihrer gemeinsamen universalistischen Ausrichtung vergleichbar, in ihren Unterschieden aber auch bezeichnend: Entsprechend sei das deutsche Judentum staerker auf den Bereich der Kultur, das franzoesische auf den Staat hin orientiert gewesen. Wenngleich Paula Hyman (Yale) einzelne Aspekte von Ehrenfreunds Ausfuehrungen kritisierte, so stuetzte sie doch seinen Kerngedanken: Aus der Dichotomie von Akkulturation durch Politik links des Rheins und von Akkulturation durch Kultur rechts des Rheins entwickelten sich zwei grundsaetzlich verschiedene Konzepte vom Judentum in der Moderne.

Der zweite Tag der Tagung begann mit der Diskussion von Akzeptanz und Zurueckweisung juedischer Emanzipationsbestrebungen in der Oeffentlichkeit. Dabei zeigten Christian Wiese (Erfurt) und Vicky Caron (Cornell) in ihren Referaten die unterschiedliche Umgehensweise beiderseits des Rheins mit dem Phaenomen des Antisemitismus auf, waehrend Silvia Cresti (Florenz) die beiden wichtigsten juedischen Zeitungen, die "Allgemeine Zeitung des Judenthums" und die "Archives Israelites", auf ihren Umgang mit dem Diskurs von Exklusion und Inklusion hin befragte. Hieran anknuepfend stellte Sandrine Kott (Paris) grundsaetzliche methodologische Ueberlegungen zur Frage der Vergleichbarkeit beider Laender mit ihren unterschiedlichen Traditionen und Gegebenheiten an.

Juedische Politik mit ihren Methoden der Repraesentation und Kommunikation stand anschliessend im Mittelpunkt. Hier entspann sich eine Kontroverse um die Deutung der verschiedenen historistischen Baustile fuer Syngogen im 19. Jahrhundert. Sah Richard Cohen (Jerusalem) eher Unterschiede in der Kontstruktion eines Zusammengehoerigkeitsgefuehls mittels Architektur, so interpretierte Jakob Vogel (Berlin) diese als Unterschiede eher in der Ausformung denn in der Substanz. Einig waren sich hingegen Eli Bar-Chen (Muenchen) und Aron Rodrigue (Stanford) in der Funktion internationaler juedischer Organisationen wie der "Alliance Israelite Universelle" oder des "Hilfsvereins der Juden in Deutschland" als Informationsuebermittler zwischen den in Europa und dem Orient verstreuten Gemeinden. Dabei wurde deutlich, wie stark die Debatten innerhalb dieser Organisationen Teil eines allgemeinen orientalistischen Diskurses und somit auch ein Diskurs ueber das Selbstverstaendnis juedischer Gemeinden in Europa waren. Das Selbstverstaendnis juedischer Intellektueller untersuchte Steven Aschheim (Jerusalem). Er diagnostizierte einen immer noch existenten Germanozentrismus gerade auf diesem Feld und plaedierte fuer eine staerkere Beruecksichtigung von Persoenlichkeiten, die sich vornehmlich oder gar ausschliesslich mit universalen, nicht spezifisch-juedischen Themen beschaeftigten. Damit nahm er etwa den Faden auf, den schon Birnbaum in seinem Referat gesponnen hatte. Gerade hier freilich, dies unterstrich auch Nancy Green (Paris) in ihrem Coreferat, muss klarer herausgearbeitet werden, was jeweils mit ,juedisch' gemeint sein soll. Ueberhaupt bedarf - dies machte Green deutlich - das Instrumentarium des Vergleichs noch einer weiteren Verfeinerung, um den reichen Moeglichkeiten dieses Ansatzes gerecht zu werden. Insbesondere darf die Kontextualisierung nicht aus den Augen verloren werden, es gelte etwa, auch die Beziehungen zu Katholiken und Protestanten sowie der Konfessionen untereinander im Blick zu behalten.

Den dritten Tag eroeffnete jenes Panel, das sich gleichsam mit den offiziellen Schoepfern juedischen Selbstverstaendnisses beschaeftigte: den Vertretern juedischer Wissenschaft. Auch hier ergab sich ein anregender Dissens auf Grund der unterschiedlichen Perspektive. Perrine Simon-Nahum (Paris) betonte in ihrem Vergleich der "Etudes Juives" mit der "Wissenschaft des Judentums" vor allem die Unterschiede zwischen beiden Ansaetzen, beruhend auf dem divergierenden Verhaeltnis von Theologie und saekularer Wissenschaft. Dieses sei in Frankreich wesentlich enger gewesen als in Deutschland. Dem stellte Nils Roemer (Southampton) die Wirkung Joseph Salvadors gegenueber, durch dessen Rezipierung beiderseits des Rheins ein starkes universalistisches Element praegend fuer den wissenschaftlichen Umgang mit juedischer Geschichte und Kultur geworden sei. Uri Kaufmann (Berlin) zeigte in seinem anschliessenden Vortrag ueber die konkrete Ausformung juedischen Selbstverstaendnisses, welche Bedeutung die regionale und lokale Ebene fuer diesen Prozess hatte; auf dieser Ebene gelang es ihm zudem, auch den jeweiligen Befund fuer die schweizerischen Gemeinden zu einem fruchtbaren Vergleich heranzuziehen.

Der Schlusspunkt bot zugleich einen Ausblick auf die Zukunft: Diana Pinto (Paris) fragte nach der Moeglichkeit eines juedischen Aequivalents zum franzoesisch-deutschen Motor im Prozess der europaeischen Integration. Zwar seien die Voraussetzungen hierfuer guenstig, stellen doch die Juden bei weitem nicht mehr die einzige Minderheit in Europa dar und haben dennoch auf Grund ihrer schieren Existenz eine hohe symbolische Bedeutung. Die Erinnerung an die Shoah und der Umgang mit dem Staat Israel seien mittlerweile Themen von allgemein-europaeischer Relevanz. Andererseits traf Pinto bei ihrem Vergleich des Staatsverstaendnisses in Frankreich und Deutschland die ueberraschende Diagnose, dass sich hier mittlerweile ein Austausch der Paramenter vollzogen habe: Waehrend das wiedervereinigte Deutschland den Weg zu einem kulturell weltoffenen Selbstverstaendnis gefunden habe, sei Frankreich gleichsam zur ,Kulturnation' geworden.

Als Ergebnis laesst sich ein vielfaeltiger Ertrag konstatieren. Bereits das blosse Zustandekommen der Tagung muss als Fortschritt angesehen werden, hat sich doch hier erstmals ein Historiker-Kongress mit der juedischen Emanzipation in Deutschland und Frankreich im Vergleich beschaeftigt. Wie die einzelnen Panels gezeigt haben, ist dieser Ansatz ungemein fruchtbar. Wenn letztlich in der produktiven Arbeitsatmosphaere von Tutzing mehr Fragen aufgeworfen worden sind, als Antworten gegeben werden konnten, so ist dies nur weiterer Ausdruck des Nutzens solcher Herangehensweise. Es bleibt zu hoffen, dass die Forschung die von hier ausgehenden Anregungen umsetzen kann. Die Moeglichkeit hierzu wird durch die Publikation der Beitraege gegeben sein.


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