Polizei, Verfolgung und Gesellschaft im Nationalsozialismus. Workshop der KZ-Gedenkstätte Neuengamme

Polizei, Verfolgung und Gesellschaft im Nationalsozialismus. Workshop der KZ-Gedenkstätte Neuengamme

Organisatoren
KZ-Gedenkstätte Neuengamme
Ort
Hamburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
09.02.2012 - 11.02.2012
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Von
Christine Eckel, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg

Der Workshop bildete den Abschluss der Ausstellung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme „Dokumentation Stadthaus. Die Hamburger Polizei im Nationalsozialismus“, die vom 20. Januar bis zum 10. Februar 2012 im Hamburger Rathaus gezeigt wurde. Im Zentrum des Workshops standen Fragen nach Funktionen und Selbstverständnis von Polizeiorganen im Nationalsozialismus sowie nach deren Interaktion. Die Beiträge beleuchteten institutionelle Entwicklungen, biographische Profile und Verflechtungen mit anderen Verfolgungsakteuren im norddeutschen Raum, andere Regionen wurden für vergleichende Überlegungen herangezogen.1

Den Auftakt des Workshops bildeten am 9. Februar eine Führung durch die Ausstellung mit Herbert Diercks sowie ein öffentlicher Abendvortrag von LUDWIG EIBER (München). Eiber gab einen Überblick über die personellen Kontinuitäten und Umstrukturierungen innerhalb der Hamburger Staatspolizei und späteren Gestapo nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 und ihr Vorgehen gegen unterschiedliche Gruppen bis 1937. Er thematisierte auch den Gegensatz zwischen der großen öffentlichen Wahrnehmung und Wirkung der Gestapo und ihrer vergleichsweise geringen Personalstärke. Er lenkte den Blick auf die vielfältigen Formen der Zusammenarbeit von Gestapo mit weiteren Polizeiorganen, betonte die Bedeutung der Denunziation als Voraussetzung für den Erfolg der Verfolgungspraxis der Nationalsozialisten und bot damit Perspektiven an, die im Verlauf des Workshops vertieft wurden.

Am 10. Februar wurde der Workshop im Studienzentrum der KZ-Gedenkstätte Neuengamme mit einem Vortrag von PATRICK WAGNER (Halle) fortgesetzt. Wagner stellte die Frage, wodurch sich die nationalsozialistische Polizei von der Polizei anderer zeitgenössischer Diktaturen unterschied, und nannte folgende spezifische Merkmale: Verschmelzung von Polizei und politischer Bewegung, Personalstruktur und -entwicklung, Definition des Normen- und Maßnahmenstaates sowie Radikalisierung. Auf Basis dieser Merkmale unterteilte Wagner das polizeiliche Handeln im Nationalsozialismus in fünf Phasen: Zunächst diente der Polizeiapparat der Machtsicherung, insbesondere durch die massive Verfolgung politischer Gegner. Kennzeichnend für die Anpassungsbereitschaft der Polizei sei, dass sich alle Polizeieinheiten daran beteiligten, obwohl nur relativ wenige Entlassungen im Polizeiapparat erfolgten. Die zweite Phase (1934 bis 1936) war durch interne Machtkämpfe geprägt, insbesondere zwischen dem Reichsführer-SS Heinrich Himmler und dem Reichsinnenminister Wilhelm Frick. Im Rahmen der engeren Verzahnung von SS und Polizei und deren zunehmender Unabhängigkeit von der Justiz erfolgten in dieser Phase der Ausbau des KZ-Systems und die Bewaffnung von SS-Verbänden. 1937/38 rückte die Ausgrenzung und Verfolgung von Minderheiten als „Gemeinschaftsfremde“ in den Fokus, insbesondere die als „asozial“ und „kriminell“ definierten Gruppen sowie die jüdische Bevölkerung. Mit Kriegsbeginn wurden Polizeieinheiten zu Vollstreckern der NS-Vernichtungspolitik. Beispielsweise wären die Massenmorde in den besetzten Gebieten Osteuropas und die Durchführung von Deportationen ohne Eigeninitiative der beteiligten Polizeieinheiten und deren Radikalisierung nicht möglich gewesen. In der fünften Phase ab 1944 rückte die „Heimatfront“ in den Fokus polizeilicher Tätigkeit. Wagner betonte, dass für diese Phase zahlreiche Fragen, wie z.B. die Rolle der Polizei bei der Überwachung und Verfolgung ausländischer Zwangsarbeiter, noch unzureichend erforscht seien.

Anschließend untersuchte Joachim Schröder, ob die Münchner Polizei, wie die NSDAP in München oder das KZ Dachau, für die Nationalsozialisten „Modellcharakter“ besaß. Zwar seien die Polizisten in allen Ländern der Weimarer Republik durch die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs und häufig durch die anschließende Mitgliedschaft in Freikorpsverbänden geprägt, jedoch hätten die Erfahrungen der Niederschlagung der Münchner Räterepublik 1919 und des Hitler-Ludendorff-Putsches von 1923 die Einstellung der bayerischen Polizei in besonderer Weise beeinflusst. Somit seien die „Säuberungen“ innerhalb des bayerischen Polizeiapparates bereits vor 1933 erfolgt und die Kontinuität nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Polizeiapparat daher größer als in anderen Ländern. Nichts desto trotz kam Schröder zu dem Schluss, dass die Münchner Polizei nur bedingt als Prototyp bezeichnet werden könne, da sie sich in ihrer Entwicklung und Kontinuitäten nicht wesentlich von den anderen Länderpolizeien unterschied.

STEPHAN LINCK (Kiel) untersuchte im Panel „Vorbeugende Kriminalitätsbekämpfung“ den Wandel von der klassischen Verbrechensbekämpfung der Kriminalpolizei zur „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“. Letztere richtete sich gegen Gruppen, die als potenzielle Feinde der nationalsozialistisch definierten Volksgemeinschaft angesehen wurden; ein Tatnachweis war nicht mehr nötig, abweichendes Verhalten reichte für die Verfolgung aus. Anhand von Tätigkeitsberichten der Kripostelle Flensburg stellte Linck den Leistungsdruck der Beamten dar, der sich in den Berichten widerspiegelte. Mit Kriegsbeginn erweiterte sich das Betätigungsfeld der Kripo massiv, auch weil bisher legale Handlungen nun strafbar wurden. Die Kripo gelangte nun in ein bisher unbekanntes Verhältnis zur Bevölkerung, z.B. bei der Verfolgung von „Kriegswirtschaftsdelikten“ und der Anwendung der „Volksschädlingsverordnung“. Deutlich wurde bei Lincks Vortrag, wie sich die politischen Zielvorgaben in der konkreten Arbeit der Kripo niederschlugen.

DAGMAR LIESKE (Berlin) gab zunächst einen umfassenden Überblick über die Möglichkeiten, die der Kriminalpolizei bereits ab 1933 für „präventive Maßnahmen“ gegen vermeintliche „Delinquenten“ zur Verfügung standen (v.a. polizeiliche Überwachung, Einweisung in Konzentrationslager als befristete Vorbeugungshäftlinge). Sie betonte, dass die NS-Forschung den Blick bisher zu sehr auf den reichsweiten Grunderlass zur „Vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ vom 14. Dezember 1937 gerichtet habe, der die in den Ländern bereits praktizierten Verfolgungen sogenannter „Berufsverbrecher“ reichsweit vereinheitlichte. Anhand von Hamburger Beispielen stellte Lieske Personen vor, die als „Berufsverbrecher“ verfolgt wurden und skizzierte als Konsequenz dieser Verfolgung ihre nicht erfolgte Anerkennung als NS-Opfer nach 1945. Sie präsentierte weiterhin den Werdegang von Hamburger Kripobeamten nach dem Krieg und gab einen Ausblick auf die Rezeptionsgeschichte der Kripo nach 1945.

Das Panel „Politische Gegner und Gegnerinnen im Fokus der Geheimen Staatspolizei“ eröffnete Reimer Möller mit dem Vortrag des verhinderten HANS-PETER KLAUSCH (Oldenburg). Die “A-Kartei“ der Gestapo, eine von der Wehrmacht initiierte Kartei, sammelte im Rahmen der Vorbereitungen für den Kriegsfall („A-Fall“) Daten von Menschen, die ein polizeiliches oder sicherheitspolitisches Risiko darstellten. 1937 waren reichsweit circa 46.000 Personen in der Kartei erfasst. Bei Kriegsbeginn wurden dann aufgrund dieser Kartei reichsweit 1.200 Personen verhaftet und in Konzentrationslager überführt. Die Gründe für die relativ geringe Zahl an Festnahmen können in der laufenden Aktualisierung der Kartei und Neubewertung von Fällen gesehen werden sowie darin, dass zahlreiche in der Kartei erfasste Personen aus anderen Gründen schon vor Kriegsbeginn verhaftet worden waren.

HERBERT DIERCKS (Hamburg) begann seinen Vortrag mit der Beobachtung, dass der geringe Personalbestand der Hamburger Gestapo (August 1944: 260 Angestellte, ohne Bewachungspersonal) im Gegensatz zum Gefühl der „Allgegenwärtigkeit“ stand, das die Gestapo in der Bevölkerung vermittelte. In Übereinstimmung mit Ludwig Eiber sah Diercks den Hauptgrund für die „Ermittlungserfolge“ der Gestapo – neben der guten Vernetzung mit anderen Polizeisparten, Betrieben und Behörden – in der Zusammenarbeit mit V-Leuten. Die Gestapo griff damit auf gegen die KPD bereits in der Weimarer Republik angewandte Ermittlungsmethoden zurück. Die genaue Zahl der V-Leute ist für Hamburg nicht überliefert, Diercks vermutete eine mit Frankfurt (1200) vergleichbare Anzahl. Die V-Leute genossen in ihrem Milieu Vertrauen und waren dort für ihre antifaschistische Gesinnung bekannt. Zum Teil waren ihrer Mitarbeit Haftstrafen, KZ-Haft und Folterungen vorangegangen. Für ihre Arbeit wurden sie von der Gestapo bezahlt und vor Verfolgung geschützt. Von einzelnen Beispielen (Alfons Pannek, Gerda Gromberg u.a.) abgesehen sind die Lebenswege von V-Leuten ebenso wenig bekannt wie die genaue Funktionsweise des Systems der V-Leute in Hamburg.

THOMAS KÖHLER (Münster) eröffnete das Panel „Feuerwehr, Werkschutz, Luftschutz als Hilfspolizei“ mit der Bemerkung, dass der Forschungsstand zur Feuerwehr im Nationalsozialismus noch vergleichsweise gering sei. Bekannt ist, dass die Berufsfeuerwehr als „Feuerschutzpolizei“ am 23. November 1938 formal in den Polizeiapparat integriert wurde, die freiwilligen Feuerwehren ihren Status als Verbände oder Vereine verloren und als Hilfspolizeitruppe fungierten. Köhler zeigte anhand des Wehrkreises VI, wie die Feuerwehren vor ihrer formalen Unterstellung unter die Polizei beim Pogrom in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 vorgingen. So versuchten die Feuerwehren unter anderem in Münster zu Beginn noch, Synagogenbrände zu löschen, nach Intervention der SA verhinderten sie jedoch nur noch, dass die Brände auf andere Gebäude übergingen. Instruktionen seien nicht in jedem Fall an die Feuerwehren gegeben worden; so wurden die Fernschreiben mit den Anweisungen zum „spontanen Volkszorn“ nicht immer übermittelt, was Köhler als Zeichen von Misstrauen wertete. Für eine Vielzahl an Städten in Niedersachsen lässt sich belegen, dass die Feuerwehren für den Objektschutz und in beratender Funktion herangezogen wurden, ebenso wie für „geordnete“ Brände am Folgetag des Pogroms. Köhler interpretierte das Verhalten der Feuerwehren als moralischen Tiefpunkt, da sie, auch wenn sie in wenigen Fällen zunächst Löschbereitschaft signalisierten, bald an der Zerstörung von Synagogen mitwirkten.

MARTINA METZGER (Lüneburg) arbeitete heraus, dass bei den Luftschutzgesetzen im Nationalsozialismus nicht mehr die Rettung des Lebens von Zivilisten im Mittelpunkt stand, sondern die Aufrechterhaltung der Kampf- und Arbeitskraft sowie des „Durchhaltewillens“ der Bevölkerung. Der Luftschutz unterstand der Polizei, so war der Ortspolizeiverwalter gleichzeitig der Luftschutzleiter, dem die Kontrolle von Luftschutzwarten, die Einteilung von Luftschutzgemeinschaften und die Durchsetzung der Luftschutzdienstpflicht oblag. Die Polizei koordinierte die Sofortmaßnahmen bei Großbränden, die Trümmerbeseitigung und die Bergung von Opfern, sie bestimmte die Löscharten und hielt Schulungen ab. Im Luftschutz habe sich die Vermischung von polizeilichem Handeln, Front und „Heimatfront“ gezeigt, die zu einem Konflikt zwischen zivilem Luftschutz und militärischer Verteidigung geführt habe und den Luftschutz als Ausdruck von Repression und Kontrolle verdeutliche.

CHRISTIAN KRETSCHMER (Freiburg) stellte heraus, dass die Rolle der Hilfspolizei noch wenig erforscht sei. Die 5 Millionen Kriegsgefangenen (Reichsgebiet und besetzte Gebiete) und 9 Millionen Zivilarbeiter hätten ein hohes sicherheitspolitisches Risiko dargestellt. Mit der Bombardierung der deutschen Städte stiegen die Erfolgsaussichten für Fluchten, so kann die Zahl gelungener Fluchten auf 250.000 im Reichsgebiet und 500.000 in den besetzten Gebieten angesetzt werden. Die Bewachung wurde zunehmend zu einer zentralen Aufgabe: 240.000 Landesschützen und 400.000 Hilfspolizisten wurden zur Bewachung, insbesondere von Kriegsgefangenen, eingesetzt. Die Fahndung nach geflohenen Kriegsgefangen lag in der Hand der Wehrmacht, die jedoch eng mit der Gestapo und Kripo kooperierte. So war das Reichskriminalamt z.B. für die Veröffentlichung der Fahndungsaufrufe und die Erstellung einer Fahndungskartei zuständig. Ab 1942 stimmte die Wehrmacht der vorbeugenden Fluchtprävention zu, so erhielt die Kripo Zugang zu Kriegsgefangenenlagern; im selben Jahr wurden zur Entlastung der Polizei die Land- und die Stadtwacht aufgestellt, die ab 1944 kaserniert und im Januar 1945 zum Volkssturm herangezogen wurden. Am Beispiel der Fluchtprävention zeigte Kretschmer die enge Verzahnung von militärischem und polizeilichem Handeln sowie die tragende Bedeutung von Hilfspolizeidiensten im Nationalsozialismus auf.

Das Panel „Frauen in der Kriminalpolizei und Gestapo“ eröffnete BETTINA BLUM (Münster). Sie betonte zunächst, dass die Entwicklung der weiblichen Kriminalpolizei (WKP) seit Beginn des 20. Jahrhunderts durch gesellschaftliche Vorstellungen von Weiblichkeit geprägt gewesen sei. So waren Polizistinnen zunächst „Polizeifürsorgerinnen“ und bearbeiteten von den Aufgabengebieten männlicher Polizisten abgetrennte Bereiche: Jugendkriminalität und Prostitutionsverdacht galten als weibliches Terrain. Nach 1933 zeigte sich die WKP anpassungsfähig und sicherte damit ihren Fortbestand als Teil der Kripo. So wurden die bisherigen Maßnahmen zur Kriminalprävention mit der „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ verknüpft: Kinder von „Berufsverbrechern“ und „Asozialen“ rückten verstärkt in den Fokus. Ende 1938 erstellte die WKP eine Jugendkartei, in der sie Jugendliche, die in irgendeiner Form mit der Polizei „in Berührung“ gekommen kamen waren, nach rassistischen Kriterien erfasste. Die weiblichen Kriminalbeamtinnen waren dann für die Einweisung von Jugendlichen in die „Jugendschutzlager“ Moringen und Uckermark verantwortlich. In ihrem Ausblick auf die Zeit nach 1945 stellte Blum dar, wie die WKP an die Weimarer Tradition anzuknüpfen versuchte und den Bruch nicht etwa 1933, sondern 1945 mit der Umstrukturierung durch die Alliierten ansetzte.

ELISABETH KOHLHAAS (Leipzig) richtete den Blick auf die Tätigkeiten, die sozialen Daten, die Personalpolitik und die Motive der weiblichen Gestapo. Im Gegensatz zu Kripobeamtinnen übernahmen Gestapomitarbeiterinnen keine polizeilichen Regelaufgaben, sondern waren in erster Linie als Sekretärinnen, Stenotypistinnen und Verwaltungsangestellte tätig, in seltenen Fällen als Sachbearbeiterinnen. Der Anteil der Mitarbeiterinnen stieg von 10% vor 1939 auf 40% während des Krieges an. Absolute Zahlen sind schwer zu ermitteln, da die Fluktuation in dieser Gruppe hoch war – Kündigungen waren relativ einfach zu erreichen, und mit zunehmendem Kriegsverlauf waren auch die beruflichen Erfahrungen für die Einstellung nicht mehr ausschlaggebend. Kohlhaas machte die Möglichkeit der Frauen deutlich, ihre Versetzungen und Arbeitsgebiete durch Eigeninitiative mitzubestimmen. Gestapomitarbeiterinnen erstellten unter anderem Deportationslisten, Enteignungslisten, führten Karteien und protokollierten Verhöre – damit waren sie Zeuginnen von Gewalt und Terror. Mit Kriegsbeginn erhöhte sich ihre Eigenständigkeit, besonders in den besetzten Gebieten konnten sie eigeninitiativ handeln und exekutive polizeiliche Tätigkeiten ausüben, wie Kohlhaas an exemplarischen Beispielen darlegte.

Das Panel „Kriegs- und Nachkriegskarrieren“ eröffnete MARTIN HÖLZL (Berlin/Münster) mit einem Vortrag über Julius Wohlauf. Hölzl konzentrierte sich auf die Nachkriegszeit, da Wohlaufs Beteiligung an den Morden des Polizeibataillons 101 bereits gut erforscht sei. Von der britischen Militärregierung aus dem Polizeidienst entlassen, beantragte Wohlauf mehrfach erfolglos seine Wiedereinstellung, bis er schließlich 1955 doch noch an seine Karriere vor 1945 anknüpfen konnte. Wohlauf machte sich einen Namen in der polizeilichen Verkehrsaufklärung und -erziehung, bis er 1963 im Rahmen der Ermittlungen gegen das Polizeibataillon 101 seines Dienstes enthoben und 1968 wegen Beihilfe zum Mord an 9200 Menschen zu acht Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Im Oktober 1974 vorzeitig entlassen, verstarb Wohlauf 2002 in Hamburg. Wohlauf, so zeigte Hölzl, begriff sich als Opfer; als Polizist, der nur seine Pflicht erfüllt habe und für andere büßen musste. In den Fotoalben und Diasammlungen, die er über die Kriegsjahre anlegte, blendete er den Einsatz des Polizeibataillons in Polen aus. Hölzl endete mit der Feststellung, dass die Wiedereinstellung von Julius Wohlauf in den Polizeidienst vergleichsweise spät erfolgte, aber insgesamt typisch sei für die Nachkriegskarriere von Angehörigen der Schutzpolizei, seine Verurteilung hingegen sei atypisch.

CHRISTOPH KOPPE (Brandenburg) begann mit einem vergleichenden Überblick zu Ermittlungsverfahren in der BRD und DDR. Als Beispiel der justiziellen Ermittlungen in der BRD stellte Koppe das Verfahren gegen Heinz Kasper vor, der als Hauptmann einer Kompanie des Polizeibataillons 310 vorstand, das ab Sommer 1942 zur „Partisanenbekämpfung“ in den besetzten Gebieten eingesetzt war. 1945 kurze Zeit in sowjetischer Kriegsgefangenschaft, kehrte er bald darauf als Beamter im höheren Dienst in Schleswig-Holstein in den Polizeidienst zurück. Als gegen Angehörige des Polizeibataillons 310 ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, verteidigte sich Kasper damit, dass er an Mordaktionen nicht beteiligt gewesen sei, und diese auch nicht angeordnet habe. Er habe lediglich Dokumente abgezeichnet und Befehle weitergegeben. Für die Morde machte er bereits Verstorbene verantwortlich. Dies entsprach der geläufigen Verteidigungsstrategie von Beschuldigten, die in den meisten Fällen, so auch bei Kasper, zu einem Freispruch aus Mangel an Beweisen führte.

ANDREAS MIX (Münster) setzte den Schwerpunkt auf die vergangenheitspolitischen Bedingungen der 1950- und 1960er-Jahre und wies darauf hin, dass die Biografie des Generalleutnant der Polizei und Waffen-SS Heinz Reinefarth nicht dem gängigen Typus des Täters der „Kriegsjugendgeneration“ entspreche. So war Reinefarth als Jurist freiberuflich tätig und trat relativ spät, 1932, der SA und SS bei. Zuerst als Wehrmachtsangehöriger im Kriegseinsatz, wurde er 1942 im Reichssicherheitshauptamt tätig. Ab 1943 Höherer SS- und Polizeiführer im Warthegau, fallen in seine Amtszeit z.B. die Räumung des Getto Lodz und die Niederschlagung des Warschauer Aufstands. 1945 in US-amerikanischer Kriegsgefangenschaft und bis 1948 interniert, erlangte er als Politiker und Bürgermeister von Westerland auf Sylt hohes Ansehen. Auslieferungsanträge von Polen an die BRD blieben in den 1950er- und 1960er-Jahren erfolglos, auch die Ausstrahlung einer Dokumentation (DDR/Polen, 1958) wurde politisch bekämpft. Erste Ermittlungen gegen ihn wurden 1958 eingestellt, wenige Tage nach seiner Wahl zum Abgeordneten des schleswig-holsteinischen Landtags. Anfang der 1960er-Jahre wurde seine Immunität als Abgeordneter aufgehoben und er 1963 als Bürgermeister abgewählt, weitere Ermittlungen endeten 1967 jedoch ebenfalls mit der Einstellung des Verfahrens. Mix machte deutlich, dass Reinefarth als einziger hochrangiger ehemaliger SS-Führer nach 1945 eine hohe politische Position erlangen konnte.

Die Beiträge des Workshops zeigen die enge Kooperation zwischen den einzelnen Institutionen des Terrors im Nationalsozialismus, besonders aber von Polizei, SS und Wehrmacht. Es wurde deutlich, dass in allen Bereichen polizeilicher Tätigkeit eine Radikalisierung stattfand. Zugleich wurde deutlich, dass insbesondere hinsichtlich der Einbindung hilfspolizeilicher Akteure, der Vermischung von polizeilichen und militärischen Aufgaben an der „Heimatfront“ bei Kriegsende, der Rolle von Frauen innerhalb des Polizeiapparates und auch bezogen auf Kontinuitäten und Brüche nach 1945 noch zahlreiche Fragen offen sind. Hier können weitere Forschungen ansetzen.

Konferenzübersicht

Herbert Diercks (Hamburg), Führung durch die Ausstellung „Dokumentation Stadthaus. Die Hamburger Polizei im Nationalsozialismus“

Ludwig Eiber (München), Die Geschichte der Hamburger Gestapo 1933–1937

Begrüßung und Moderation: Detlef Garbe (Hamburg)

Patrick Wagner (Halle), Die Rolle, das Selbstverständnis und die Macht der Polizei im Nationalsozialismus

Joachim Schröder (München), Die Münchner Polizei: Prototyp im NS-Staat?

Panel 1: Die „vorbeugende Verbrechensbekämpfung“ der Kriminalpolizei
Moderation: Detlef Garbe (Hamburg)

Stephan Link (Kiel), Wandel der Kriminalitätsverfolgung 1933–1945 am Beispiel der Kripostelle Flensburg

Dagmar Lieske (Berlin), Hamburger Kriminalpolizei und vorbeugende Verbrechensbekämpfung – Täter und Opfer

Panel 2: Politische Gegner und Gegnerinnen im Fokus der Geheimen Staatspolizei
Moderation: Ludwig Eiber (München)

Hans-Peter Klausch (Oldenburg), Die A-Kartei der Gestapo

Herbert Diercks (Hamburg), V-Leute in der Hamburger Gestapo 1943-1945

Panel 3: Feuerwehr, Werkschutz, Luftschutz als Hilfspolizei
Moderation: Oliver von Wrochem (Hamburg)

Thomas Köhler (Münster), Der Novemberpogrom 1938 und die Feuerwehr

Martina Metzger (Lüneburg) Polizeiliche Organisationen im Berliner Luftschutz 1940-1945. Strukturen Wirksamkeit und Grenzen der Handlungsfähigkeit

Christian Kretschmer (Freiburg), Kriegsgefangene im Visier von Werkschutz, Kriminalpolizei und Landwacht – Bewachung, Fluchtprävention und Kriegsfahndung

Panel 4: Frauen in der Kriminalpolizei und Gestapo
Moderation: Jutta Mühlenberg (Hamburg)

Bettina Blum (Münster), „Weibliche Sonderaufgaben zum Nutzen des Volksganzen“? Weibliche (Kriminal)-Polizei 1927-1952

Elisabeth Kohlhaas (Leipzig), Frauen bei der Gestapo: Tätigkeiten, biographische Profile, Personalpolitik

Panel 5: Kriegs- und Nachkriegskarrieren
Moderation: Christl Wickert (Berlin)

Martin Hölzl (Berlin/Münster), Julius Wohlauf – Nachkriegslebensweg eines Hamburger Polizisten und NS-Täters

Christoph Koppe (Brandenburg), Heinz Kasper und das Polizeibataillon 310

Andreas Mix (Münster), Von Warschau nach Westerland – die Karriere des Heinz Reinefarth

Anmerkung:
1 Die Ergebnisse werden im Heft 15 der Zeitschrift „Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland“ im Frühjahr 2013 veröffentlicht.


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