Asymmetrisch verflochten? Neue Forschungen zur gesamtdeutschen Nachkriegsgeschichte

Asymmetrisch verflochten? Neue Forschungen zur gesamtdeutschen Nachkriegsgeschichte

Organisatoren
Lehrstuhl für Neuere und Zeitgeschichte, Universität Leipzig
Ort
Leipzig
Land
Deutschland
Vom - Bis
21.02.2012 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Madlen Benthin, Leipzig

Inwiefern trägt eine Studie über die Prävention von Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems in Ost und West zu einer gesamtdeutschen Nachkriegsgeschichte bei? Inwiefern Soldatenerinnerungen, Transitautobahnen, Berliner Stadtteilmilieus oder das Lutherjubiläum 1983? Lässt sich die Kleßmannsche Formel einer „asymmetrisch verflochtenen Parallelgeschichte“ von DDR und alter Bundesrepublik für jedes Thema nutzbar machen? Sind derartige Detailstudien überhaupt generalisierbar? Diesen und weiteren Fragen war der Workshop „Asymmetrisch verflochten? Neue Forschungen zur gesamtdeutschen Nachkriegsgeschichte“ vom 21. Februar 2012 am Lehrstuhl für Neuere und Zeitgeschichte der Universität Leipzig gewidmet.

GÜNTHER HEYDEMANN (Dresden/Leipzig) schärfte einführend das Problembewusstsein für die vertrackte deutsche Nachkriegsgeschichte mit der Herausbildung zweier Staaten divergenter Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung bei fortbestehender Bezogenheit. Christoph Kleßmanns Konzept der „asymmetrisch verflochtenen Parallelgeschichte“ mit seinen Parametern „Abgrenzung“ und „Verflechtung“ sei im Hinblick auf eine integrale Betrachtung der Geschichte Deutschlands nach 1945 der bisher produktivste Ansatz, aber keine historiographische „Zauberformel“. Seine Eignung müsse von Fall zu Fall überprüft werden. Wie eine Anwendung des Konzeptes auf der Mikroebene aussehen kann, wollten die insgesamt acht Vorträge zeigen. Dem Charakter eines Workshops entsprechend stellten sie ganz unterschiedliche Aspekte einer deutsch-deutschen Verflechtungsgeschichte zur Diskussion.

ARND BAUERKÄMPER (Berlin) befasste sich in seinem Vortrag mit den Erinnerungen von Soldaten des Zweiten Weltkriegs in beiden deutschen Staaten, vor allem aber mit der Gedächtnispolitik ihrer Verbände. Deren Inhalte seien zwar gegensätzlich gewesen, aber in hohem Maße aufeinander bezogen. So bemühten sich in der Bundesrepublik ab 1950/51 diverse Soldatenvereinigungen um die soziale Absicherung ehemaliger Wehrmachtsangehöriger, um deren Entlassung im Fall einer Inhaftierung sowie um die Wiederherstellung der militärischen „Ehre“ von Wehrmacht und Kombattanten. Diese von Kameradschaft und „Selbstviktimisierung“ geprägte, einseitige Gedächtnispolitik der westdeutschen Veteranenorganisationen habe aber, so Bauerkämper, durch den Kontakt zu ausländischen Soldatenverbänden im Sinne des Austausches und der Versöhnung ein gewisses Korrektiv erfahren. Der DDR galten das öffentliche Auftreten organisierter Veteranen oder einzelner prominenter Wehrmachtsgeneräle ebenso als Manifestationen des Faschismus wie die Gründung der Bundeswehr 1955. Mit dem kanonisierten Antifaschismus bot sie den ehemaligen Wehrmachtsangehörigen auf ihrem Territorium eine konträre Erinnerungsfolie an. Dieser verlangte zwar eine klare Distanzierung vom Nationalsozialismus und das Bekenntnis zum Kommunismus, ermöglichte aber Integration und Aufstieg, zumal die Verantwortung für das NS-Regime und seine Verbrechen kurzerhand nach Westdeutschland oder auf eng umgrenzte Führungsgruppen verschoben wurde. Die ritualisierte Würdigung der Roten Armee habe allerdings nicht selten mit der individuellen Erfahrung von sowjetischer Kriegsgefangenschaft und Besatzungsgewalt in Konflikt gestanden.

JAN SCHEUNEMANN (Leipzig) veranschaulichte deutsch-deutsche Verflechtungsgeschichte am Beispiel eines kulturpolitischen Ereignisses höchsten Ranges: der Feierlichkeiten zum 500. Geburtstag Martin Luthers im Jahre 1983. Die DDR besaß diesbezüglich einen gewichtigen Standortvorteil: Auf ihrem Gebiet befanden sich die meisten und bekanntesten Luthergedenkstätten. Diese Sachlage bewog die Evangelische Kirche in Deutschland dazu, die Vorbereitung des Lutherjubiläums vornehmlich den evangelischen Kirchen in der DDR zu überlassen. Die Bundesregierung hielt dies lange Zeit ebenso. Erst als die SED den einst verpönten Reformator im Zuge der sogenannten Erbe-Rezeption neu entdeckte und in staatlichen Jubiläumsaktivitäten zu vereinnahmen drohte, habe bei der Bundesrepublik ein Umdenken hin zu eigenen Lutherfeierlichkeiten eingesetzt. Die SED erhoffte sich vom Lutherjubiläum neben hohen Deviseneinnahmen durch Touristen aus aller Welt einen Imagegewinn in Ost und West. Dieses außenpolitische Kalkül ließ die Bundesregierung schließlich auch von der zwischenzeitlich erwogenen Teilnahme des Bundeskanzlers und des Bundespräsidenten an den Lutherfeierlichkeiten in der DDR absehen. Der DDR wollte man damit nicht zu viel Anerkennung zuteilwerden lassen.

INES LANGELÜDDECKE (Wentorf bei Hamburg) beschäftigt sich in ihrer Promotionsarbeit mit der Rückkehr adliger Familien auf ihre ländlichen Güter in Ostbrandenburg, die sie 1945 im Zuge der Enteignungen von Großgrundbesitz verlassen mussten. Dabei liegt ihr Hauptaugenmerk darauf, wie Angehörige dieser Familien und die Dorfbewohner heute Gut und Dorf erzählend deuten. Sie geht davon aus, dass diese Erzählungen von der jahrzehntelangen Trennung, verbunden mit einem Generationenwechsel, und von geschichtspolitischen Diskursen geprägt sind (Rolle der adligen Gutsbesitzer im Nationalsozialismus, Anti-Junker-Propaganda der DDR). Anhand des Briefwechsels zwischen einem ehemaligen Gutsherrn und seinen früheren Angestellten (Kutscher, Förster, Witwe des Verwalters) schilderte sie in ihrem Vortrag die beiderseitigen Bemühungen, über die örtliche und staatliche Trennung hinweg eine Verbindung aufrechtzuerhalten. Dies sei mit fortschreitender Zeit immer weniger gelungen – konnten anfangs noch erinnernd, fragend, grüßend gemeinsame Lebenswelten geschaffen werden, so habe sich spätestens Ende der 1960er-Jahre bei den ehemaligen Gutsarbeitern ein Perspektivenwechsel vollzogen. Sie berichteten verstärkt von gegenwärtigen Entwicklungen im Dorf, freuten sich über neu Geschaffenes und führten in einem Fall sogar juristische Beschwerde gegen den einstmaligen Gutsbesitzer.

JEANNETTE VAN LAAK (Gießen) vergegenwärtigte einen Ort deutsch-deutscher Begegnung besonderer Art: das Notaufnahmelager Gießen. Für 4,5 Millionen Flüchtlinge, Übersiedler und freigekaufte Häftlinge aus SBZ und DDR stellte es zwischen 1946 und 1990 das Nadelöhr in den Westen dar. Sie beantragten dort Aufnahme in die Bundesrepublik. Nach der Grenzsicherung 1952 und dem Bau der Berliner Mauer 1961 sei bei vielen DDR-Bürgern überdies eine symbolische Aufladung des Lagers zu einem „Sehnsuchtsort“ zu verzeichnen. Aus bundesrepublikanischer Sicht übte das Notaufnahmelager Gießen zuvorderst Kontroll- und Schleusenfunktionen aus. Die Mitarbeiter des Lagers bzw. des Notaufnahmeverfahrens wurden zu einer eingehenden Prüfung der Motive von Flucht und Übersiedlung angehalten, um gegebenenfalls das Eindringen von Spionen und weitere Unterwanderungsversuche abzuwehren. Van Laak geht davon aus (ihre Forschungen sind noch nicht abgeschlossen), dass sich in der Aufnahmepraxis des Notaufnahmelagers Gießen vor und nach dem Mauerbau die Wechselfälle der deutsch-deutschen Beziehungsgeschichte in nuce abbilden lassen, und zwar anhand des Verhältnisses von bundesrepublikanischer Aufnahmepolitik und den verschiedenen Ausreisewellen aus der DDR sowie von Flüchtlingen, Mitarbeitern des Lagers und Gießener Bürgern.

CHRISTIAN SAMMER (Bielefeld) fragte in seinen Ausführungen nach verflochtener Gesundheitsaufklärung und -erziehung. Die Existenz zweier deutscher Staaten in Abgrenzung und Austausch habe sich sogar auf diesem Gebiet ausgewirkt. Die populärwissenschaftliche Vermittlung von hygienischen, biologischen und medizinischen Sachverhalten gehörte traditionell zum Aufgabenbereich des Deutschen Hygiene-Museums Dresden (DHM). Das Deutsche Gesundheitsmuseum Köln (DGM) wurde erst 1948 gegründet, jedoch in Anlehnung an das DHM. Dessen gewachsenes Know-how sollte durch die Personalie Georg Seiring, bis 1947 Leiter des DHM, ausgeglichen werden. Mit ihm kam auch der Präparator des sogenannten Gläsernen Menschen, Fritz Tschakert, nach Köln. Diese beiden Institutionen verbanden also einerseits das gemeinsame Tätigkeitsfeld und personelle Kontinuitäten an wichtigen Schnittstellen wie Leitung und Modellbau. Auf fachlicher Ebene führte dieser Umstand fast notwendigerweise zu Austausch und Zusammenarbeit. Andererseits trennte die Museen die Eingliederung in divergente, miteinander konkurrierende Gesundheitssysteme. Hatte sich das DGM bei einer internationalen Messe angemeldet, so musste auch das DHM vertreten sein und umgekehrt. Der Kooperationswille der Fachleute, so Sammer, sei schließlich an diesen politischen Rahmenbedingungen und der ideologischen Aufladung der Gesundheitsaufklärung von außen gescheitert. Erst die Aufnahme der DDR in die WHO 1973 habe – freilich mittelbar im internationalen Gewande – gemeinsame Präventionsmaßnahmen ermöglicht.

JEANNETTE MADARÁSZ-LEBENHAGEN und ANTJE KAMPF (beide Mainz) bestätigten mit ihrer Analyse diesen Befund einer Annäherung ab den 1970er-Jahren. Im Kalten Krieg hingegen sei der deutsch-deutsche Wettstreit um die bessere Gesundheitsversorgung ausgeprägt gewesen und oft auch über unterschiedliche Präventionsauffassungen und -maßnahmen ausgetragen worden. Madarász-Lebenhagen und Kampf verdeutlichten dies am jeweiligen Umgang mit chronischen Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems und beobachteten eine Anreicherung der Präventionskampagnen mit bestimmten Körper- und Geschlechterbildern. So weitete die „klassenlose“ und „emanzipierte“ DDR das Konzept der sogenannten Managerkrankheit auf alle gesellschaftlichen Schichten und auf beide Geschlechter aus. Die Rivalität der beiden deutschen Staaten habe über die Jahre schließlich zur Angleichung der Präventionspraktiken geführt. Die genaue Beobachtung der gesundheitspolitischen Maßnahmen der je anderen Seite und die minutiöse Evaluation von deren Erfolgen und Misserfolgen beeinflussten offenbar die Präferenzen der Forschung und strukturierten den Gesundheitsdiskurs neu. Im Vergleich zur Psychiatrie etwa sei der Verflechtungsgrad in der Kardiologie aber immer geringer gewesen, hauptsächlich weil die wichtigsten Vertreter der deutschen kardiologischen Forschung in der Bundesrepublik arbeiteten.

SYLVIA NECKER (Hamburg) stellte ihr ambitioniertes Projekt einer dichten Beschreibung der A24 zur Diskussion. Die Autobahnstrecke zwischen Hamburg und Berlin als deutsch-deutsches Kooperationsprojekt sei in vielfacher Hinsicht geeignet, „asymmetrisch verflochtene Parallelgeschichte“ aufzuzeigen. Für die Bundesrepublik bedeutete die 1982 eröffnete Transitverbindung zuallererst eine Lebensader zum abgetrennten (West-)Berlin und einen Versuch, die DDR durch Autobahnen zu unterminieren (Stichwort „Wandel durch Annäherung“). Im Fokus der DDR stand hingegen die Abschirmung und bessere Kontrolle des Transitverkehrs samt seiner deutsch-deutschen sowie internationalen Begegnungsmöglichkeiten. Die konträre Interessenlage, so Necker, habe die A24 schließlich zu einem hochgradig begrenzten und bewachten deutsch-deutschen Kommunikations- und Erfahrungsraum werden lassen. Dessen ebenso begrenzten wie bewachten Begegnungen zwischen Ost und West möchte Necker demnächst durch lebensgeschichtliche Interviews mit ganz unterschiedlichem Autobahnpersonal zutage fördern (mit Reisenden, Fernfahrern, Angestellten der Raststätten und Tankstellen, mit ehemaligen Angehörigen der Grenztruppen der DDR, westdeutschen Zollbeamten und Autobahnpolizisten).

HANNO HOCHMUTH (Potsdam) widmete sich in seinem Vortrag dem Wechselverhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit in den benachbarten und bis zur Fusion 2001 eigenständigen Berliner Stadtbezirken Friedrichshain und Kreuzberg. Das Diktum einer integrierten Nachkriegsgeschichte machte er damit auf stadtgeschichtlicher Ebene konkret. Dabei fragte er nicht nur nach den Differenzen zwischen den seit 1949 durch eine Staatsgrenze und seit 1961 durch eine Mauer getrennten Berliner Stadtbezirken, etwa in der Verfassung des Gemeinwesens, sondern auch nach Überlappungszonen und Verflechtungsprozessen, die er anhand zweier Beispiele demonstrierte. Erstens habe bis 1961 die Vergnügungskultur als „Integrationsmaschine“ fungiert, insonderheit die Kreuzberger Grenzkinos. Sie waren von der Vergnügungssteuer befreit, gewährten ostdeutschen Bürgern verbilligten Eintritt und zählten in der Tat monatlich bis 600.000 Besucher aus der DDR. Den ostdeutschen Grenzkinos, als bewusste Konkurrenz errichtet, blieb ein derartiger Erfolg verwehrt. Zweitens seien Austauschprozesse auf dem Gebiet des Wohnens sowie der Verteidigung privater Wohn- und Lebensstile vor öffentlichen Zugriffen zu beobachten. So gründeten Kinder von hohen Funktionären und bekannten Dissidenten, darunter der Sohn Robert Havemanns, im Frühjahr 1969 in Friedrichshain die Kommune 1 Ost nach dem Vorbild der Kommune 1 in West-Berlin. Als Klammer bzw. als Medium dieses Lebensstiltransfers dienten vor allem die Massenmedien.

Günther Heydemann und Detlev Brunner (Leipzig) systematisierten in ihren abschließenden Betrachtungen die Befunde der Detailstudien. Wie schon die einzelnen Vorträge mündeten sie in eine lebhafte Diskussion. Die breite Aufstellung der Themen zeige zunächst einmal die Produktivität des Konzeptes einer „asymmetrisch verflochtenen Parallelgeschichte“. Es lasse sich aber nicht – wie wohl zu erwarten war – für alle Fragestellungen gleichermaßen nutzbar machen. Im Übrigen, dies sei hier hinzugefügt, könnten für das ein oder andere Problem „benachbarte“ historiographische Ansätze, etwa der klassischen Beziehungsgeschichte oder der Kulturtransferforschung, sogar von größerem heuristischem Wert seien. Der in den letzten Jahren zunehmende Gebrauch des Begriffs „asymmetrisch verflochtene Parallelgeschichte“, zum Teil missverstanden, gemahne daher immer mal wieder zu seiner – im doppelten Wortsinne – Klärung. Heiße asymmetrisch etwa automatisch und in jedem Fall die Bundesrepublik als Norm und Bezugspunkt des Vergleichs zu setzen? Dass der Blick in die umgekehrte Richtung lohnenswert sein kann, habe der Vortrag über die Gesundheitsaufklärung durch das Deutschen Hygiene-Museum Dresden und das Deutsche Gesundheitsmuseum Köln bewiesen. Was sei ferner unter Verflechtungsgeschichte zu verstehen – die jeweilige Bezogenheit von Bundesrepublik und DDR, ihre gegenseitige Wahrnehmung, Adaptionen, Übernahmen, Aneignungen? Auf welchen Ebenen lassen sich so oder so verstandene Verflechtungsprozesse überhaupt beschreiben? Und was bedeute schließlich Parallelgeschichte, worin unterscheide sie sich von der Kontrast- und Konkurrenzgeschichte – etwa in der Beschreibung genuin ostdeutscher bzw. genuin westdeutscher Phänomene? Kleßmanns Begriffsbildung sei eine Zustandsbeschreibung, die in vielen Fällen zutreffe, etwa was die Freizeit- und Konsumentwicklung anbelangt, bei dem schon früh getrennten Wirtschaftssystem beispielsweise stoße sie aber an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit.

Dies leitete geradewegs über zum nächsten Diskussionspunkt, und zwar zu der Frage danach, was in der Zeit der deutschen Teilung konvergent geblieben sei bzw. was sich auseinander entwickelt habe. Der 1989 skandierte Ruf „Wir sind ein Volk“ spreche für die Annahme einer Basiskonvergenz zwischen Ost- und Westdeutschland. Insofern sei es hoch an der Zeit, dieses verbindende Substrat zu definieren, freilich ohne zwanghaft Konvergenz zu erzeugen. Die deutsche Sprache oder die vielfachen Verwandtschaftsbeziehungen haben hierbei wohl eine gewichtige Rolle gespielt, die gemeinsame Geschichte schon weniger.

Überdies wurde diskutiert, ob die Verflechtungsgeschichte die Geschichte der alten Bundesrepublik und der DDR überflüssig mache oder ob sie ein bloßes Konstrukt der Historikerzunft darstelle, das über den mittlerweile eingetretenen Sättigungsgrad der DDR-Forschung hinweghelfen soll. Kann eine historiographische Erzählung über gemeinsame Erfahrungs- und Handlungsräume zwischen 1945 und 1990 auch nationale Erzählbedürfnisse integrieren? Weitere Fragen, die in der Diskussion leider nur angerissen werden konnten, zielten auf den Aussagewert von Mikrogeschichte für eine deutsch-deutsche Meistererzählung nach 1945, auf eine Phaseneinteilung und Zäsurensetzungen, auf die Relevanz von Alter und Generationserfahrung oder auf die Bedeutung regionaler Identitäten. Deutlich machte der Workshop schließlich, dass von einer transnationalen Ausweitung der Verflechtungsgeschichte noch nicht die Rede sein könne, hat er doch eine beachtliche Zahl von methodischen Problemen angesprochen, die es erst einmal auf nationaler Ebene zu lösen gilt. Außerdem harre das Kleßmannsche Konzept noch immer einer adäquaten historiographischen Umsetzung.

Konferenzübersicht:

Günther Heydemann (Dresden/Leipzig) und Detlev Brunner (Leipzig): Begrüßung

Vormittag
Moderation: Udo Grashoff (Leipzig)

Arnd Bauerkämper (Berlin): Verflechtung und selektive Erinnerung. Soldaten des Zweiten Weltkriegs und ihre Verbände in der Bundesrepublik und der DDR

Jan Scheunemann (Leipzig): Asymmetrisch verflochtene Geschichtskultur. Das Lutherjubiläum 1983 in der Bundesrepublik und der DDR

Ines Langelüddecke (Wentorf bei Hamburg): „Die Rückkehr der Adligen aufs Land“ – Verbindungen zwischen ehemaligen Gutsbesitzern und Dorfbewohnern (1945–1990)

Jeannette van Laak (Gießen): Das Notaufnahmelager Gießen – ein Seismograph deutsch-deutscher Beziehungen?

Nachmittag
Moderation: Andreas Kötzing (Leipzig)

Christian Sammer (Bielefeld): Verflochtenes Körperwissen? Gesundheitsaufklärung und -erziehung im Deutschen Gesundheitsmuseum Köln und im Deutschen Hygiene-Museum Dresden, 1946–1967

Jeannette Madarász-Lebenhagen/Antje Kampf (beide Mainz): Prävention im deutsch-deutschen Vergleich: Der Umgang mit chronischen Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems als Beispiel für eine asymmetrisch verflochtene Parallelgeschichte?

Sylvia Necker (Hamburg): Nächste Ausfahrt DDR! Die Autobahnstrecke A24 zwischen Hamburg und Berlin in den deutsch-deutschen Beziehungen von den 1970er bis in die 1990er Jahre

Hanno Hochmuth (Potsdam): Öffentlichkeit und Privatheit in Friedrichshain und Kreuzberg 1961–2001. Eine integrierte deutsche Stadtgeschichte

Schlussdiskussion
Moderation: Detlev Brunner (Leipzig)