Neue Forschungen zur DDR-Planungsgeschichte. 12. Werkstattgespräch

Neue Forschungen zur DDR-Planungsgeschichte. 12. Werkstattgespräch

Organisatoren
Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung Erkner
Ort
Erkner (bei Berlin)
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.01.2012 - 20.01.2012
Url der Konferenzwebsite
Von
Katja Wüllner, Internationale Graduiertenschule, BTU Cottbus

Forschungen zur Planungs- und Architekturgeschichte diskutierten etablierte Forscher, Nachwuchswissenschaftler und Zeitzeugen nunmehr zum zwölften Mal während der „Werkstattgespräche“, die am 19. und 20. Januar 2012 am Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung in Erkner stattfanden. Den Höhepunkt der diesjährigen Veranstaltung bildete dabei die prominent besetzte Podiumsdiskussion am Abend des 19. Januars zur DDR-Architektur als Gegenstand der Denkmalpflege.

Zunächst beschäftigte sich jedoch eine einleitende Sektion mit dem Thema „Kunst im öffentlichen Raum“. Am Beispiel von Halle/Neustadt arbeitete PEER PASTERNACK (Halle/Wittenberg) heraus, dass politische Propaganda in der Kunst vor allem an besonders prominenten Plätzen des Stadtraumes platziert wurde. Die Mehrzahl der über 180 Kunstwerke im Stadtraum setzte sich daher auch nicht mit politischen Themen auseinander, sondern mit alltäglichen Themen, wie Arbeit, Bildung oder Sport. Auch ANTJE KIRSCH (Dresden) betonte in ihren Betrachtungen zur bildkünstlerischen Konzeption von Dresden-Prohlis, dass es verschiedene, nach Funktion differenzierte Gestaltungsprogramme für dieses Plattenbauviertel gegeben habe. Sie stellte fest, dass eine Gesamtkonzeption aus heutiger Sicht allerdings kaum nachvollziehbar sei. Einen Einblick in internationale Entwicklungen ermöglichte LOIC VADELORGE (Paris). Er zeigte am Beispiel der Ville nouvelles den Umgang mit der Kunst im öffentlichen Raum in Frankreich von den 1960er-Jahren bis heute auf. Er hob hervor, dass 1% der Bausumme der Ville nouvelles für Kunst verwendet werden sollte und dass die Kunst als ein Instrument eingesetzt wurde, das die Identifikation der Einwohner mit den neu entstandenen Planstädten ermöglichen sollte.

Im Rahmen der sich anschließenden Sektion „Gesellschaftsbauten“ befasste sich ANNETTE MENTING (Leipzig) mit den Wechselwirkungen von architektonischem Entwurf, Bauen und Politik am Beispiel des Neuen Gewandhauses in Leipzig. Sie betonte dabei, dass sich die komplexen Planungszusammenhänge nicht allein durch die Konzentration auf den Architekten fassen lassen. Die Frage nach Akteuren und Handlungsmotiven beschäftigte auch WIEBKE JANSSEN (Halle) bei ihrer Untersuchung der Geschichte des Klinikums Halle-Kröllwitz. Sie zeigte Konfliktfelder bei der Planung auf, die mit dazu führten, dass das Klinikum bei seiner Eröffnung zwar für den kommunalen Krankenhausbau richtungsweisend war, aber nicht für den Bau von Hochschulkrankenhäusern.

Über die Grenzen der DDR hinaus blickte TOBIAS WOLF (Marburg) mit seinem Vergleich des Warenhausbaus in der DDR und der Bundesrepublik, mit dem er die Sektion „Bautypen“ eröffnete. Wolf arbeitete Gemeinsamkeiten und Unterschiede heraus und betonte, dass der Bautypus Warenhaus in der DDR in der Tradition der Moderne gestanden und sich unter anderem durch eine besondere Repräsentativität auszeichnete habe. Nicht nur die Warenhausarchitektur, sondern auch die Schalenbauten Ulrich Müthers hoben sich vom industriellen Typenbau der DDR ab. TANJA SEEBOECK (Berlin) erörterte in ihrem Vortrag die Rezeptionsgeschichte dieser Bauten mit besonderem Fokus auf die Zeit nach der Wiedervereinigung. Dabei konnte sie zeigen, dass die Formen im Umgang mit Müthers Bauten von Verfall über Abriss, wie im Fall des Ahornblattes in Berlin bis hin zur Umnutzung reichen, wie dies im Fall des zum Standesamt umgestalteten Rettungsturmes in Binz geschehen ist.

In der Sektion „DDR und Denkmalpflege“ zeigte KATJA WÜLLNER (Cottbus/Erkner) am Beispiel der Stadt Weimar Spannungsfelder denkmalpflegerischen Handelns in der DDR auf. Während in diesem Beitrag der Umgang mit der historischen Bausubstanz in der DDR im Mittelpunkt stand, referierte MARK ESCHERICH (Erfurt/Weimar) den Umgang mit dem baulichen Erbe der DDR nach der „Wende“. Dabei betonte er, dass es seit dem Ende der 1990er-Jahre zu einer Wiederentdeckung der „Ostmoderne“ durch Architekturkritik und Feuilleton gekommen sei. Allerdings sei die Aneignung in der Denkmalpflege viel zögerlicher erfolgt und stellte die Denkmalpflege vor eine Reihe vor Fragen, wie zum Beispiel, ob vorrangig Charakteristisches oder Herausragendes geschützt werden sollte. Daher sei es wichtig, neben Inventarisierung und Instandsetzungsverfahren auch Fragen der Vermittlung dieser Architektur in den Blick zu nehmen.

Diese Thematik griff auch die Podiumsdiskussion auf, bei der Gabi Dolff-Bonekämper (TU Berlin), Mark Escherich (Denkmalbehörde Erfurt), Thomas Flierl, Dankwart Guratzsch (Architekturkritiker), Jörg Haspel (Landeskonservator Berlin) und Thomas Topfstedt (Universität Leipzig) unter der Gesprächsleitung von Andreas Butter über die DDR-Architektur als Gegenstand der Denkmalpflege diskutierten. Von den Teilnehmern der Diskussionsrunde wurde nahezu einhellig betont, dass die Wahrnehmung für die Moderne in Ost und West gleichermaßen geschärft werden müsse. Kontrovers diskutiert wurde im Gegensatz dazu die Frage, welches Identifikationspotenzial Plattenbauviertel bieten und ob sie für die Bewohner „Heimat“ seien können. In der Diskussion wurde allerdings auch hervorgehoben, dass die gesamteuropäische Perspektive verstärkt mit in die Debatte einbezogen werden müsse, da die Nachkriegsarchitektur auch eine Frage der gemeinsamen europäischen Kultur sei.

In den ersten Vortrag der Sektion „Transnationale Perspektiven“ floss die europäische Dimension mit ein. MARTINA METZGER (Lüneburg) kontrastierte die politische Dimension des Wiederaufbaus in Ost-Berlin und London. Eine deutsch-deutsche Geschichte nahm SYLVIA NECKER (Hamburg) in den Blick. Sie skizzierte ein Forschungsprojekt zur Geschichte der Transitautobahn Berlin-Hamburg und zeigte neben der Planungsgeschichte dieses Verkehrsprojekts eine Vielzahl von interessanten kulturgeschichtlichen Dimensionen auf, die anhand des Autobahnbaus nachvollzogen werden könnten.

HARALD ENGLER und UTE HASENÖHRL (beide Erkner) bezogen in ihrem Vortrag in der Sektion „Freiraumplanung in der DDR“ ebenfalls eine deutsch-deutsche Perspektive mit ein. Im Mittelpunkt stand die Frage nach Gemeinsamkeiten und Differenzen sowie der Bedeutung von Akteuren, Institutionen und dem jeweiligen politischen System für die Freiraum- und Erholungsplanung im Rheinland und dem Bezirk Frankfurt/Oder. AXEL ZUTZ (Berlin) fokussierte anschließend den Platz der Akademie/Gendarmenmarkt in Berlin. Ausgehend von den verschiedenen Gestaltungsphasen stellte er die aktuelle Debatte um die Platzgestaltung dar, die durch die Frage gekennzeichnet sei, welcher Zeitschicht man bei der Rekonstruktion den Vorzug geben solle.

Die Sektion „Fokus Dresden – Stadtplanung und öffentlicher Raum“ eröffnete ANDREAS KRIEGE-STEFFEN (Zürich) mit einer Analyse zur Bebauung der Westseite des Dresdener Altmarktes. Er konnte dabei zeigen, dass die Bebauung aus den 1950er-Jahren einen Rückgriff auf bestehende Dresdener Architekturtraditionen darstellt und sich nicht an sowjetische Architekturtraditionen anlehnt. Mit der Eröffnung des Kulturpalastes im Jahre 1969 fand laut TANJA SCHEFFLER (Dresden) die architektonische Moderne ihren Weg in das Dresdener Zentrum. CHLOE VOISIN-BORMUTH (Dresden/Lyon) beschäftigte dann besonders die Prager Straße. So warf sie die Frage auf, wie mit sozialistischen Kunstwerken in Dresden nach 1990 umgegangen wird und erläuterte, welche neuen Planungsparadigmen sich in Dresden seitdem zeigen.

In einem kurzen Resümee betonte CHRISTOPH BERNHARDT (Erkner), dass die Konferenz den Abschied der Forschung von Großtheorien widergespiegelt habe, an deren Stelle differenzierte empirische Untersuchungen getreten seien. Er wies aber auch darauf hin, dass Macht- und Herrschaftsprozesse nur eine marginale Rolle in den Vorträgen gespielt hätten. Abschließend machte er darauf aufmerksam, dass eine Publikation zu den diesjährigen Werkstattgesprächen geplant sei und dass in zwei Jahren die Veranstaltungsreihe fortgesetzt werden solle.

Konferenzübersicht:

Sektion: Kunst im öffentlichen Raum

Peer Pasternack (Halle/Wittenberg): Stadtraumbekunstung als pädagogische Politik. Die künstlerische Bewirtschaftung des Ideenhaushalts von Halle-Neustadt

Antje Kirsch (Dresden): Kunst im Plattenbaugebiet

Loic Vadelorge (Paris): Planning public art: The case of French new towns between 1960 and 2010

Sektion: Gesellschaftsbauten

Annette Menting (Leipzig): Vom Auditorium Maximum zum Neuen Gewandhaus Leipzig. Ein Fallbeispiel für die Wechselwirkung von architektonischem Entwurf, Bauen und Politik

Wiebke Janssen (Halle): Medizinische Hochschulbauten als Prestigeobjekt der SED – das Klinikum Halle-Kröllwitz

Sektion: Bautypen

Tobias Wolf (Marburg): Bautyp DDR-Warenhaus? Deutsche Warenhausarchitektur der Nachkriegsmoderne im Vergleich

Tanja Seeboeck (Berlin): Ulrich Müthers Schalenbauten

Sektion: DDR und Denkmalpflege

Katja Wüllner (Cottbus/Erkner): Zwischen Anspruch und Wirklichkeit – Denkmalpflege in Weimar nach dem Erlass des Denkmalpflegegesetzes 1975

Mark Escherich (Erfurt/Weimar): Denkmalpflege aus der Sicht der Denkmalbehörden – Das Beispiel Thüringen

Podiumsdiskussion: Zwischen Abriss und Erhaltung – Die DDR-Architektur als Gegenstand der Denkmalpflege

Sektion: Transnationale Perspektiven

Martina Metzger (Lüneburg): Politische Dimensionen des Neuaufbaus in Ost-Berlin und London im Kontext des beginnenden Kalten Krieges

Sylvia Necker (Hamburg): Die Transitautobahn Berlin-Hamburg. Eine deutsch-deutsche Baugeschichte

Sektion: Freiraumplanung in der DDR

Harald Engler/Ute Hasenöhrl (Erkner): Erholungsplanung und Nutzungskonflikte im Ost-West-Vergleich in den 1950er und 60er Jahren

Axel Zutz (Berlin): Modern-Postmoderne Landschaftsarchitektur im Zentrum der Hauptstadt: das Beispiel Platz der Akademie (Gendarmenmarkt)

Sektion: Fokus Dresden: Stadtplanung und öffentlicher Raum

Andreas Kriege-Steffen (Zürich): Die „nationale Tradition“ in der westseitigen Bebauung des Altmarktes in Dresden

Tanja Scheffler (Dresden): Das frühe Ende der „sozialistischen“ Stadt. Von der Moderne zurück zur „historischen“ Stadt

Chloe Voisin-Bormuth (Dresden/Lyon): Vom sozialistischen zum demokratischen Raum: Versuch einer Umdeutung im Dresdner Stadtzentrum


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Deutsch
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