Ufogeschichte

Organisatoren
Emmy Noether-Forschergruppe "Die Zukunft in den Sternen: Europäischer Astrofuturismus und außerirdisches Leben im 20. Jahrhundert", Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.09.2011 - 01.10.2011
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Von
Björn Blaß, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Wie historisiert man einen Gegenstand, für dessen Existenz es keinen Beweis gibt? Wie sollen Wissenschaftler mit einem Thema umgehen, das unter dem Verdacht steht, sich an der Grenze der Seriosität zu bewegen? Dies gilt besonders im Fall jener Objekte, die spöttelnd als "fliegende Untertassen" beschrieben werden: unbekannte Flugobjekte, die sogenannten UFOs. Setzt man sich ernsthaft mit ihnen auseinander, stellt sich eine Vielzahl methodischer Folgefragen: Wie ist mit der Fülle vermeintlicher Beweise wie Augenzeugenberichten, Fotografien oder Filmaufnahmen umzugehen? Wofür können sie als Quellen gelten? Wie lässt sich das UFO fassen, als Phänomen, als Tabu oder vielleicht 'nur' als Diskurs? Und bewahrheitet sich in der Auseinandersetzung mit UFOs die provokante These der Politologen Alexander Wendt und Raymond Duvall, "The UFO can be 'known' only by not asking what it is"?1

Am 30. September und 1. Oktober 2011 lud die Emmy Noether-Forschergruppe "Die Zukunft in den Sternen: Europäischer Astrofuturismus und außerirdisches Leben im 20. Jahrhundert" unter der Leitung des Historikers Alexander C.T. Geppert zu einem interdisziplinären Workshop nach Berlin ein, um diese Fragen zu erörtern. Unter dem Titel "Ufogeschichte" versuchten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht einen endgültigen Beweis für oder gegen die Existenz von UFOs zu erbringen, sondern das UFO-Phänomen als integralen Bestandteil des Space Age zu begreifen, auf seine sozio-kulturellen Folgeerscheinungen zu fokussieren und in die Geschichte europäischer Weltraumvorstellungen des 20. Jahrhunderts einzuschreiben.

Die intellektuelle Auseinandersetzung mit diesem Gegenstand ist nicht neu, sondern kann auf wenige Vorarbeiten zurückgreifen. So fällte der französische Philosoph und Schriftsteller Roland Barthes in seinem 1957 veröffentlichten Essay über die "Marsianer" ein ebenso süffisantes wie vernichtendes Urteil, als er die erhitzte Diskussion seiner Zeitgenossen über UFOs und außerirdisches Leben als einen Anthropomorphismus des Kleinbürgertums beschrieb, der von der "Unfähigkeit, sich das Andere vorzustellen" durchdrungen sei.2 Der Psychoanalytiker C.G. Jung hingegen versuchte die inflationären Berichte über UFO-Sichtungen psychisch zu ergründen und argumentierte in seinem Buch "Ein moderner Mythus: Von Dingen, die am Himmel gesehen werden" (1958), dass die Debatte um UFOs archetypische Projektionen unterbewusster Ängste und Wünsche seiner Zeitgenossen reflektiere.

ALEXANDER GEPPERT (Berlin) begrüßte die Teilnehmer und verdeutlichte, dass sich die Beschäftigung mit UFOs zwischen zwei Polen bewegt: der Bereitschaft zu glauben einerseits und der skeptischen Absage an ein Phänomen, für das es keinen empirischen Beweis gibt, andererseits. Das Oszillieren des UFOs zwischen Wissen und Glauben stelle das größte Problem für seine Historisierung dar und zwinge zur Selbstpositionierung. Als tabuisierter Mythos würden UFOs vorschnell ins Reich der Märchen und Sagen eingeordnet. Dieses Stigma des Phantastischen gelte es durch seriöse Historisierung zu überwinden. Nach Geppert ist das UFO-Phänomen auf einen doppelten (amerikanischen) Gründungsmythos zurückzuführen: den Bericht des Piloten Kenneth Arnold über die Sichtung eines nicht identifizierbaren, als "saucer-like" umschriebenen Flugobjekts im Sommer 1947 und den vermeintlichen Absturz eines solchen Objekts in Roswell im US-Bundesstaat New Mexico einige Wochen später. Berichte über UFO-Sichtungen und ihre Deutungen blieben aber nicht auf den nordamerikanischen Raum beschränkt, sondern erschienen binnen weniger Wochen auch in Europa und machten UFOs von Beginn an zu einem globalen Phänomen.

RALF BÜLOW (Berlin) beschrieb in einem historischen Überblick das UFO-Phänomen an der Schnittstelle von technischem Fortschritt, Weltraumforschung und fiktionaler Rezeption. Dazu schlug er eine Periodisierung in vier Phasen vor: eine Vorgeschichte (1877-1946), eine Etablierungsphase (1947-1952), das 'Goldene Zeitalter' (1953-1973) und eine Spätphase (1974-heute). Als Fluchtpunkt firmierte der Bericht Kenneth Arnolds über die Sichtung nicht identifizierbarer Flugobjekte, der eine erregte Auseinandersetzung mit den "fliegenden Untertassen" sowohl in der amerikanischen Öffentlichkeit als auch in Kreisen des amerikanischen Militärs nach sich zog. Bülow betonte jedoch, dass die Geschichte des UFOs bereits in die Zeit vor den doppelten Gründungsmythos von 1947 zurückreiche. So wurde beispielsweise der Vorfall im sibirischen Tunguska von 1908 – einer nicht näher bestimmten Explosion, die mehr als 60 Millionen Bäume umknicken ließ – von dem Science-Fiction Autor Alexander Kasanzew aufgegriffen, der in seiner Erzählung "Die Explosion" (1946) und in populärwissenschaftlichen Aufsätzen den Absturz eines atomgetriebenen Raumschiffs dafür verantwortlich machte. Solche Verbindungen und Interdependenzen von Fakten und Fiktion erwiesen sich als eines der zentralen Tagungsthemen.

Obwohl ihre Existenz stets umstritten blieb, drangen UFOs ab den 1950er-Jahren immer tiefer in das öffentliche Bewusstsein vor, wie BJÖRN BLASS (Berlin) anhand von Meinungsumfragen und statistischen Erhebungen des Allensbacher Instituts für Demoskopie und des Freiburger Instituts für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e.V. (IGPP) verdeutlichte. Während das Allensbacher "Orakel vom Bodensee" (Hans Magnus Enzensberger) seit 1954 regelmäßig repräsentative Umfragen zu Herkunft und Bekanntheitsgrad nicht identifizierbarer Flugobjekte erhob, konzentrierte sich das IGPP in einer einmalig durchgeführten Befragung auf die eigentliche Zielgruppe, nämlich Besucher des vierten internationalen UFO-Kongresses in Wiesbaden im Oktober 1960. Den Umfragen beider Institute zufolge zeigten sich vor allem jüngere, gebildete Männer aus urbanen Regionen bereit, an die Existenz von UFOs und extraterrestrischen Wesen zu glauben. Gleichzeitig lässt sich ein historischer Wandel ausmachen: Schlüsselereignisse wie die Stationierung des ersten künstlichen Satelliten, Sputnik 1, im Oktober 1957, der Weltraumflug Juri Gagarins im April 1961 und die erste Mondlandung im Juli 1969 führten zu einem temporären Rückgang des UFO-Glaubens, ehe er dann in den vergangenen drei Jahrzehnten wieder anstieg.

In Abwesenheit wurden MICHAEL SCHETSCHEs (Freiburg) Thesen zur Problematik der UFO-Forschung von KATJA RIPPERT (Berlin) vorgestellt. Schetsche legte dar, warum die wissenschaftliche Beschäftigung mit UFOs im öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs immer wieder diskreditiert werde. Einen Auslöser dafür sah Schetsche im unscharfen UFO-Begriff selbst, der drei unterschiedliche Bedeutungsebenen umfasst: UFOs als alle ungewöhnlichen, nicht einfach zu klassifizierenden Erscheinungen am Himmel; als Phänomene, deren Ursprung auch militärisch-technische Experten nicht eindeutig bestimmen könnten; und drittens die Deutung ungewöhnlicher Himmelserscheinungen als von einer außerirdischen Zivilisation stammende Objekte. Die Gleichsetzung dieser drei Bedeutungsebenen werde durch die Massenmedien vorangetrieben und erschwere einen unvoreingenommenen wissenschaftlichen Umgang. Der Versuch, UFOs rein epistemologisch-diskursiv zu erforschen und dadurch Distanz zur Frage nach ihrer faktischen Existenz herzustellen, sei verständlich, reiche jedoch nicht aus. Eine Untersuchung des UFO-Phänomens könne sich nicht auf religions- oder kulturwissenschaftliche Zugänge beschränken, sondern müsse die Untersuchung der vorliegenden Augenzeugenberichte und des reichhaltigen Foto- und Filmmaterials einbeziehen. Nur mit methodischer Gründlichkeit und empirischer Genauigkeit könne einer a priori-Pathologisierung der UFO-Forschung begegnet werden.

Der Historiker DIETHARD SAWICKI (Paderborn) griff Schetsches Argumente auf, widersprach jedoch in einigen zentralen Punkten. Sawicki plädierte für eine Betrachtung des UFO-Phänomens als Mythos, jedoch nicht im religiösen Sinne, sondern als Narration, welche von einer Vielzahl von Autoren seit den 1950er Jahren fortgeschrieben wurde. In dem so entstandenen enthierarchisierten Diskurs sei die Unterscheidung von Fiktion und Faktum hinfällig geworden. Angenommene Sichtungen, Expertenmeinungen und Science-Fiction würden als gleichwertige Quellen behandelt. Die narrativen Verknüpfungen innerhalb dieses Diskurses beschrieb Sawicki mit dem Konzept der "paranoischen Vernunft" des Literaturwissenschaftlers Manfred Schneider. Dieses Konzept hebe nicht auf das Fehlen von Rationalität innerhalb des UFO-Diskurses ab, sondern betone eine Überfunktion jener verknüpfenden Ratio, welche geradezu hyperaktiv Verbindungen zwischen Sichtungsberichten, szientistischen Erklärungsversuchen, medialen Repräsentationen und anti-autoritären Verschwörungstheorien herstelle.

Der Literaturwissenschaftler MATTHIAS SCHWARTZ (Berlin) ergänzte den Workshop um einen Blick hinter den Eisernen Vorhang. In den Zeitungen der UdSSR und der Staaten des Warschauer Paktes fänden sich zwar keine Berichte über massenhafte UFO-Sichtungen, dennoch habe 1946 eine Auseinandersetzung mit UFOs und Außerirdischen eingesetzt, die von der westlichen abwich. Es entstand eine diskursive Formation, die sowohl von 'factual fiction' als auch von populärwissenschaftlichen Einflüssen gespeist wurde. Auffällig sei, dass die sowjetische UFO-Debatte eindeutig positiv besetzt war. Berichte über traumatische Entführungserlebnisse, so genannte Abduktionen, fehlten genauso wie westliche Verschwörungstheorien und die damit einhergehende Entfremdung zwischen Bürger und Staatsapparat. Dennoch wurde die aufkommende UFO-Begeisterung von staatlicher Seite bis zum Ende der Stalinzeit argwöhnisch behandelt und zensorisch unterbunden. Gleichzeitig waren die sowjetischen Debatten deutlich religiöser geprägt als im Westen und knüpften an ältere Ereignisse wie das von Tunguska an.

Der Religionswissenschaftler ANDREAS GRÜNSCHLOSS (Göttingen) beschrieb das UFO-Phänomen ebenfalls als diskursive Formation mit starker religiöser Aufladung, wobei eine Verbindung von Technik und Spiritualität charakteristisch sei. Grünschloß identifizierte vier Strömungen: erstens reine UFO-Sichtungsberichte, die zwischen gläubig und skeptisch einzuordnen sind; zweitens die Protologie, das heißt die Suche nach dem Ursprung menschlicher Zivilisation, welche die technologisch-wissenschaftliche Entwicklung der Menschheit auf extraterrestrische Interventionen in der Ur- und Frühgeschichte der Menschheit zurückführt; drittens Abduktionsberichte über Entführungserfahrungen durch UFOs; sowie viertens "Kontaktlergruppen", welche behaupten, in direktem Austausch mit UFOs und ihren Besatzungen zu stehen. In den Berichten dieser so genannten Kontaktler treten Extraterrestrische als hilfsbereite Wesen auf, die der Menschheit spirituell und moralisch überlegen sind und ihr Wissen bereitwillig mit einem auserwählten Kreis teilen. Grünschloss zufolge basieren solche Aufstiegserzählungen auf weit älteren esoterisch-eschatologischen Narrationsmustern, welche dann auf die UFO-Sichtungen übertragen wurden: Außerirdische ersetzen Engel. Zu den Extremformen zählen millenaristische Glaubensgemeinschaften wie die Gruppe Heaven's Gate, deren Heilserwartungen sich aus vagen religiösen Sehnsüchten und verschwörungstheoretischen Annahmen speisten und 1997 im kollektiven Suizid ihrer Mitglieder mündete.

Die Verbindungen zwischen UFOs und Verschwörungstheorien zeichnete DANIEL BRANDAU (Berlin) nach. Der Reiz von Verschwörungstheorien läge in der Abweichung von etablierten wissenschaftlichen Erklärungsmustern. Beide lieferten vermeintlich logische und abstrahierende Welterklärungsmodelle, kreierten jedoch divergierende und konkurrierende Formen von Realität. Als entscheidendes Merkmal der Verschwörungstheorien gilt dabei das verdeckte Wirken feindlicher sozialer Gruppen, das in einer Zentralsteuerungshypothese kulminiert: die Verschwörung wird nur von wenigen Mächtigen gelenkt. Derartige Theorien zeichneten sich durch starke explikatorische Vereinfachung, paranoisches Misstrauen sowie der Immunisierung gegenüber Gegenargumenten aus. UFOs und Außerirdische stellen ein beliebtes Motiv dar, gelten Regierungsinstitutionen doch lange als Unterdrücker sensationeller Wahrheiten. Diese Auffassung verstärke jedoch die gesellschaftliche Marginalisierung des UFO-Phänomens, so Brandau. Für die Verschwörungstheoretiker birgt das UFO das Versprechen, den Ist-Zustand einer korrupten Welt zu überwinden. Diese Erlösungsvorstellung gilt dabei als Ausdruck politischer Ohnmacht, die im Eskapismus der UFO-Verschwörung kanalisiert wird.

Wie weit Beweisführungen für die Existenz von UFOs in die Vergangenheit zurückgreifen, verdeutlichte der Religionswissenschaftler JONAS RICHTER (Göttingen) in seinem Beitrag über Erich von Dänikens "Prä-Astronautik". Von Däniken zufolge sind Außerirdische bereits in der Vorzeit auf der Erde gelandet und haben die menschliche Entwicklung entscheidend beeinflusst. Für seinen Bestseller "Erinnerungen an die Zukunft" (1967) zog von Däniken mythische und biblische Erzählungen heran. Seine Argumentation bewegte sich in einem Spannungsfeld zwischen Non-Fiktion und Fiktion einerseits, zwischen Religion und Wissenschaft andererseits. So führte von Däniken archäologische Artefakte wie die Grabplatte von Palenque (Mexiko) als Belege für seine These eines paläontologischen Kontaktes mit Außerirdischen an. Wissenschaftlichkeit diente von Däniken indes nur der Plausibilisierung, nicht aber der Überprüfbarkeit seiner Thesen. Jedoch war von Däniken keineswegs der Erste, der diese vertrat, denn ähnliche Ideen lassen sich bereits 1919 bei Charles H. Fort oder 1963 bei Robert Charroux nachweisen.

Der Filmwissenschaftler MATTHIAS HURST (Berlin) untersuchte das UFO als cineastischen Gegenstand des 20. Jahrhunderts und verwies auf das Verschwimmen von Phantasie und Realität. Filme steigerten das Unbehagen gegenüber vermeintlichen photographischen Beweisen: waren UFO-Bilder (zu) deutlich und detailliert, wurden sie für fiktionale Filmbilder und damit für Fälschungen gehalten, waren sie indes 'realistisch', das heißt leicht verwackelt und unscharf, zeigte sich der Betrachter von ihrer dokumentarischen Ungenauigkeit enttäuscht. Mit diesem Dilemma spielte etwa Steven Spielberg in "Close Encounters of the Third Kind" (1977), wenn er im Film auf einer Pressekonferenz gefälschte Fotografien präsentieren und kurz darauf Helikopterscheinwerfer als UFOs fehldeuten ließ, um am Ende UFOs und Außerirdische jedoch in voller Pracht zu präsentieren. Filme wie dieser prägten die Vorstellungen von UFOs, Außerirdischen und ihrem möglichen Verhalten, spielten mit den Erwartungen der Zuschauer und boten zugleich Raum für die Verarbeitung zeitgenössisch relevanter Themen.

RÜDIGER ZILL (Berlin) versuchte in einer geistesgeschichtlichen Betrachtung unterschiedliche Sinnaufladungen des UFO-Phänomens zu erfassen. Hierfür griff er auf die Unterscheidung von "Sinn" und "Bedeutung" nach Frege zurück. UFOs waren Sinnkonstruktionen, deren gemeinsame Bedeutung umstritten blieb, wie Zill an den Positionen der Philosophen Roland Barthes und Günther Anders verdeutlichte, welche die UFO-Debatte der 1950er-Jahre vehement kritisierten. Anders stimmte mit Barthes Ablehnung von UFOs als kleinbürgerlichen Sinnkonstruktionen überein und gab die anthropomorphe Vorstellung raumfahrender Außerirdischer der Lächerlichkeit preis. Dieser Kritik stellte Zill die Sichtweise des Philosophen Hans Blumenberg gegenüber, der in seinem Buch "Die Vollzähligkeit der Sterne" (1997) für eine "geheime Moralistik der Astronautik" plädierte.3 In der zuvor gescholtenen anthropomorphen Vorstellung außerirdischer Wesen sah Blumenberg vielmehr ein nützliches Gedankenexperiment, das der Menschheit einen moralischen Spiegel vorhalten könne.

Abschließend analysierte der Religionshistoriker HELMUT ZANDER (Fribourg) die wissenschaftlichen und religiösen Traditionen der Ufologen. Dafür stellte er sie in eine Linie mit den frühneuzeitlichen Astronomen Tycho Brahe und Thomas Digges, welche maßgeblich zur Entsakralisierung des Himmels im 16. Jahrhundert beigetragen hätten. Brahes Entdeckung einer Supernova und Digges gescheiterter Versuch, deren Entfernung von der Erde zu berechnen, führten zu der mathematischen Schlussfolgerung über die Unendlichkeit des Weltalls. Verstärkt durch Giordano Bruno, der in "De l'infinito, universo e mondi" (1584) die Einzigartigkeit des irdischen Lebens in Zweifel zog, wurde der Himmel nicht länger als Teil der göttlichen Sphäre begriffen. Die kategoriale Unterscheidung von Erde und göttlichem Himmel war die Folge und führte zur strikten Trennung von Diesseits und Jenseits. An dieser Differenzierung partizipierten auch die Ufologen, wenn sie von belebten Planetenwelten ausgingen und dennoch dezidiert naturwissenschaftlich argumentierten. Gleichzeitig drückte die Annahme extraterrestrischen Lebens auch "die Angst vor der interstellaren Leere und der transzendentalen Obdachlosigkeit" aus, was das Changieren des UFO-Phänomens zwischen technischer und religiöser Deutung erkläre.

Der Workshop eröffnete erste Wege zu einer Historisierung des globalen UFO-Phänomens und zeigte mögliche Schwerpunkte einer zukünftigen "Ufogeschichte" auf. So diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wiederholt die transzendentalen Strömungen und den Einfluss von Heilserwartungen innerhalb der Ufologie, die sowohl bei den Verschwörungstheoretikern als auch bei religiösen Gruppen und in der Geistesgeschichte des UFOs eine zentrale Rolle spielten. Die Tagung verdeutlichte, dass der UFO-Diskurs als zeitgenössischer Reflex auf das Atomic Age oder den Kalten Krieg verstanden werden kann, in seiner Gesamtheit aber nicht auf eine simplifizierende Formel ("UFOs gleich Kalter Krieg plus Atomic Age") reduziert werden sollte. Vielmehr seien UFOs ein internationales, medial beeinflusstes, diskursives Phänomen, womit sich die eingangs formulierte These von Wendt und Duvall bestätigte. Aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive ist nicht die Frage nach der faktischen Existenz entscheidend, sondern wie das 'Tabu' UFO verhandelt, gelesen und gedeutet wurde.

Konferenzübersicht:

Alexander C.T. Geppert (Berlin): UFOs in Europa: Zur Historisierung eines tabuisierten Mythos

Ralf Bülow (Berlin): Watch the Skies: Eine kleine Geschichte des UFO-Phänomens

Björn Blaß (Berlin): UFO-Statistik, 1954-2001

Michael Schetsche (Freiburg): UFOs als Problem: Sieben Thesen

Diethard Sawicki (Paderborn): Mythos des Misstrauens: Medien- und wissensgeschichtliche Überlegungen zur Genese des UFO-Narrativs

Matthias Schwartz (Berlin): UFOs jenseits des Eisernen Vorhangs: Einige Thesen zu ihrer Verortung

Daniel Brandau (Berlin): UFOs und Verschwörungstheorien

Andreas Grünschloß (Göttingen): Engel in Raumanzügen? Zur Eigenart religiöser UFO-Diskurse

Jonas Richter (Göttingen): Erich von Däniken und die ufologische Urgeschichte

Matthias Hurst (Berlin): UFOs im Kino

Rüdiger Zill (Berlin): Drei Weise aus dem Morgenland auf dem Weg zum Weltraumkommando S.H.A.D.O.: Vorläufige Überlegungen zu einer Symbolgeschichte des UFOs

Helmut Zander (Fribourg): UFOs brauchen ein unendliches Weltall: Überlegungen zu einer historischen Einordnung der Fliegenden Untertassen

Anmerkungen:
1 Alexander Wendt und Raymond Duvall, "Sovereignty and the UFO", in: Political Theory 36 (August 2008), 4, S. 607-633, hier 607.
2 Roland Barthes, Mythen des Alltags (1957), Frankfurt am Main 2010, S. 55.
3 Hans Blumenberg, Die Vollzähligkeit der Sterne, Frankfurt am Main 1997, S. 157.


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