Lebendige Vergangenheit. Der landeskundlich-historische Film im Archiv

Lebendige Vergangenheit. Der landeskundlich-historische Film im Archiv

Organisatoren
Arbeitskreis Filmarchivierung NRW
Ort
Münster
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.11.2011 - 18.11.2011
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Von
Mareen Kappis/Ralf Springer, Bild-, Film- und Tonarchiv, Landschaftsverband Westfalen-Lippe, LWL-Medienzentrum für Westfalen

Mehr als 90 interessierte Besucher folgten Mitte November der Einladung des Arbeitskreises Filmarchivierung in den Plenarsaal des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) nach Münster. Die zweitägige Fachtagung verfolgte die Ziele, neue Netzwerke zwischen filmsichernden Institutionen zu knüpfen sowie bereits bestehende Kooperationen auszubauen. Noch unerfahrene Filmarchivare konnten sich über das bereits gesammelte Wissen informieren.

Einleitend überlegte JEANPAUL GOERGEN, Filmwissenschaftler aus Berlin, dass es die Kategorie „landeskundlicher Film“ nicht unbedingt gebe, sondern dass der landeskundliche Film vielmehr in den Augen des Betrachters entstehe und dieser vor allem eine Art und Weise sei, Filme zu betrachten.

Die Arbeit der landeskundlichen Filmarchive im Ländervergleich

Am Anfang der Archivarbeit steht die Auswahl der zu bewahrenden Filmdokumente. DIRK JACHOMOWSKI, (Schleswig) betonte die besondere Wertigkeit von Amateurfilmen mit institutioneller Anbindung. Als Beispiel nannte er den ehemaligen Mitarbeiter der Wasserbaubehörde, der fachkundig über eine gewisse Zeitspanne von Deichbau, Schleusen und Sturmfluten berichtete.

Die nächsten Schritte sind Erschließung und Sicherung. REINER ZIEGLER (Stuttgart) konnte berichten, dass die eigene Filmbewahrung von der guten Vernetzung zum SWR profitiere. So sei ein Großteil des Filmbestandes bereits heute digitalisiert und über die Datenbank FESAD erschlossen.

Gastgeber VOLKER JAKOB (Münster) verwies auf die Notwendigkeit und hauseigene Praxis, Filmquellen nicht nur zu bewahren, sondern in Form von Editionen anschließend wieder der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.

Eine andere sinnvolle Form der Nutzung von Filmdokumenten ist die pädagogische, so DIETHELM KNAUF (Bremen) und verwies dabei auf die zunehmende Bedeutung von Bildungspartnerschaften und außerschulischen Lernorten. Seine eingehende Bildanalyse an dem Beispiel „Kaiserbesuch in Bremen“ offenbarte beispielhaft die Gefahren vorschneller Verknüpfungen im Kopf des Betrachters, die von den Machern zwar eindeutig intendiert, faktisch aber nicht immer nachzuweisen seien.

Am Abend wurden Filmbeispiele aus dem Bremen der 1920er-Jahre, dem Ruhrgebiet in den 1950ern und Hannover zur Aufbruchszeit um 1970 gezeigt.

Herausforderungen und Chancen verschiedener Archivtypen

HANS HAUPTSTOCK (Köln) berichtete von der Datenbank des Archivs des Westdeutschen Rundfunks, über die der Bestand gut erschlossen sei und den Redakteuren ein schneller Zugriff auf Klammerteile gewährleistet würde. Als Produktionsarchiv des Fernsehprogramms besitze das WDR-Archiv einen umfangreichen und einzigartigen NRW- spezifischen Video- und Filmbestand.

Kleine landeskundliche Archive können über Arbeitsbedingungen wie beim WDR nur staunen. ARIE NABRINGS (Braunweiler) führte aus, dass die Bewahrung von Filmdokumenten gemessen an der Vielzahl filmführender Kultureinrichtungen im Rheinland noch einen vergleichsweise geringen Stellenwert besitze. Die Dokumentation der Filmüberlieferung voranzutreiben, die Bestandserhaltung zu fördern und Archive bzw. Besitzer von Filmen für den Erhalt zu sensibilisieren, blieben auch weiterhin die zentralen Herausforderungen.

Dass diese nicht auf Filmarchive in lokaler Trägerschaft beschränkt sind, zeigte sich beim Beitrag von JENS MURKEN (Bielefeld). Er stützte seinen Bericht auf eine kleine Erhebung, die er im Vorfeld bei 65 kirchlichen und diakonischen Archiven angestellt hatte. Nach Auswertung der Rückläufe resümierte Murken, dass Filmarchivierung zwar als relevant, aber nicht als zentral eingestuft werde – was zugleich ein Spiegelbild der Bestände darstelle, die verhältnismäßig klein, sehr heterogen von Inhalt und Trägern und kaum erschlossen seien. Das Potenzial dieser Quellengattung sei jedoch groß: kirchliche Feiern im Dorf, Festumzüge, Einweihungen und Versammlungen. Perspektivisch hielt er die Bemühungen der evangelische Landeskirche im Bereich Filmarchierung noch für ausbaufähig: Denkbar wäre ein zentrales Filmarchiv, notwendiger aber sei zunächst, die vielen ehrenamtlichen Helfer für die Thematik zu sensibilisieren und fortzubilden sowie Netzwerke auszubauen.

Wie ein solches Netzwerk aussehen kann, zeigte das Beispiel der Stadt Rheine mit einer besonderen Kooperation zwischen Stadtarchiv und dem ehrenamtlichen Engagement von Bürgern, namentlich THOMAS GIEßMANN und HEINZ SCHULTE (beide Rheine), Initiator des Filmmuseums Metropoli in Rheine. Heinz Schulte und seine Filmfreunde sichten und digitalisieren Filmschätze ihrer Heimatstadt und fertigen für das Stadtarchiv Ansichtskopien auf DVD an. Auf diese Weise wurden bereits über 100 DVDs mit Filmbeiträgen an das Stadtarchiv abgegeben. Im Gegenzug erhielten die Filmfreunde einen Teil ihrer Aufwände erstattet und könnten sich der Wertschätzung der Stadt und aller Bewohner gewiss sein, denn sie seien für einen Teil der Stadtgeschichte verantwortlich, wodurch ihrer ehrenamtlichen Arbeit ein hoher Sinn vermittelt würde.

Ein Blick über die Landesgrenzen: Filmarchivierung auf Bundes- und Europaebene

MARTINA WERTH-MÜHL (Berlin) erläuterte, dass sich ihre Einrichtung nur mit ausgewählten regionalen Dokumenten beschäftigen könne, die entweder prägend oder beispielhaft für den Bund seien. Insofern sei eine enge Zusammenarbeit zwischen Bundes- und Landesebene schon allein deshalb wünschenswert, damit wertvolle Filmdokumente aus der Region nicht verloren gingen.

HARRY ROMIJNS Bericht über das Groninger Archiv belegte, wie hoch der Stellenwert ist, der den filmischen Quellen in den Niederlanden eingeräumt wird. So sei eine Mehrzahl der Bestände sehr gut erschlossen und viele Filme im Internet präsent. Das ist in Deutschland bisher nur selten der Fall und die erfreuliche Ausnahme von der Regel.

VIVIANE THILL (Luxemburg) beschrieb die für deutsche Verhältnisse ebenfalls ungewöhnliche Praxis, dass das gesamte Fernsehmaterial, das von luxemburgischen TV-Gesellschaften ausgestrahlt wurde, akquiriert würde. Interessant auch die archivinterne Übereinkunft, keine Videoformate zu übernehmen, wohlwissend, dass hier eine Überlieferungslücke ab den 1980er-Jahren drohe.

Der landeskundliche Film im Archiv – Bestandsaufnahme und Zukunftsvisionen

Nach mehreren Jahren intensiver Filmarchivarbeit liegt eine große Schwierigkeit damals wie heute in der Akquise der Filmarchivalien. Die Dokumente fallen in der Regel nicht als behördliche Abgabe an ein Archiv, sondern müssen aktiv eingeworben werden. Jede filmbewahrende Stelle muss deshalb versuchen, zahlreiche Netzwerke aufzubauen, um den Kontakt zu potenziellen Filmgebern oder vermittelnden Instanzen zu halten und dort für das Thema zu sensibilisieren. Die erste Kassationswelle findet bereits bei den potenziellen Filmgebern selbst statt, die sich zumeist nicht vorstellen können, dass ihre Privataufnahmen für andere Menschen zu anderen Zeiten interessant werden könnten.

Genauso wichtig sind Kooperationspartner, wenn es um die Digitalisierung von Filmdokumenten und Speicherung in Datenbanken geht. Hier bietet sich die Zusammenarbeit mit Filmemachern an, seien es nun professionell arbeitende Laien oder Fachmänner aus Sendeanstalten und Filmproduktionsfirmen.

Eine weitere Herausforderung betrifft den Umgang mit VHS-Filmen, über den jetzt entschieden werden muss. Für den exponentiellen Anstieg von Amateuraufnahmen nach Einführung der Videobandkassette sollten schnellstmöglich Archivierungskonzepte entwickelt werden. Diese können dann sogar richtungsweisend sein für die folgende und noch einmal hochgradig angestiegene Welle der digitalen Amateuraufnahmen mit Mobiltelefon und Digitalkamera.

Darüber hinaus gilt es aber auch, keine Ressourcen im Alltagsgeschäft zu verschwenden, in dem durch Unkenntnis beispielsweise Mehrfachkopien archiviert und digitalisiert werden – eine Vernetzung zumindest der größeren Filmarchive im Lande ist darum sinnvoll. Dazu gesellt sich abschließend noch ein weiteres Argument: Ein Großteil der Amateurfilme, die landeskundliche Bilder aufgezeichnet haben, befindet sich gewissermaßen im falschen Archiv, z.B. dann, wenn es sich um Reiseaufnahmen handelt. Hier könnte ein Austausch regionaler Archive untereinander wahre Schätze für die Region zu Tage fördern.

Und solche Schätze müssen zum Beispiel in Form von Filmeditionen oder aber pädagogisch für den Schulunterricht aufgearbeitet der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Denn nur dann ist das Filmarchiv eine Kultur(-stiftende) Einrichtung.1

Konferenzübersicht:

Begrüßung
Markus Köster (Leiter des LWL-Medienzentrums für Westfalen)

Jeanpaul Goergen (Autor und Filmhistoriker, Berlin): Von der Lokalaufnahme zum Europafilm: Filmgeschichte und Landeskunde

Volker Jakob (Referatsleiter des Bild-, Film- und Tonarchivs des LWL-Medienzentrums): Visuelle Erinnerungen einer Provinz - Zur Theorie und Praxis eines regionalen Filmarchivs in Westfalen Lippe

Dirk Jachomowski (Leiter des Landesfilmarchivs im Landesarchiv Schleswig-Holstein): Bestandsaufbau und Kooperation: Von der Bedeutung einer institutionalisierten Filmarchivierung für die regionale Identität

Reiner Ziegler (Leiter der Landesfilmsammlung Baden-Württemberg, Haus des Dokumentarfilms, Stuttgart): Die Welt im Auge des Filmamateurs? – Private Filmüberlieferung in der Landesfilmsammlung Baden-Württemberg

Diethelm Knauf (Leiter des Landesfilmarchivs und didaktischen Archivs im Landesinstitut für Schule in Bremen): Historische Bildung mit Filmdokumenten. Ein Beitrag zur Entwicklung von Medienkompetenz

Peter Stettner (Leiter des Kulturarchivs an der Fachhochschule Hannover): Jetzt wird alles anders. Der Aufbruch um 1970 im Spiegel historischer Filmdokumente aus Hannover

Arie Nabrings (Leiter des LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrums, Brauweiler): Die kommunale Filmüberlieferung - eine Aufgabe für das Rheinland

Thomas Gießmann (Leiter des Stadtarchivs, Rheine) / Heinz Schulte (Filmmuseum Metropoli, Rheine): Filmsicherung in einem Stadtarchiv - Das Beispiel Rheine

Jens Murken (Leiter des Landeskirchlichen Archivs der Evangelischen Kirche von Westfalen): Amtlich und ehrenamtlich. Filmarchivierung für die Landeskirche

Hans Hauptstock (Leiter der Fachgruppe "Dokumentation und Video" in der WDR-Abteilung "Dokumentation und Archive", Köln) : Lokale, regionale Filmüberlieferung im WDR-Fernseharchiv

Martina Werth-Mühl (Stellv. Leiterin im Bundesarchiv-Filmarchiv, Berlin): Perspektiven landeskundlicher Filmarchive aus Sicht des Bundesarchivs-Filmarchivs

Robert Weiss (Filmemacher und Filmdozent an der Université de Provence, Département SATIS, Frankreich): Das Filmmuseum "Albert Kahn", Boulogne

Harry Romijn (Stellv. Direktor des RHC Groningen Archiven, Abt.-Leiter Neue Medien, Bild und Ton, Niederlande): Das Regionaal Historisch Centrum Groninger Archieven und seine audiovisuellen Bestände

Viviane Thill (Stellv. Direktorin des Centre national de l'audiovisuel (CNA), Luxembourg): Das Centre national de l'audiovisuel (CNA), Luxemburg

Anmerkung:
1 Die Beiträge einiger Referenten sind ausformuliert oder in Form von Präsentationsfolien über die Homepage des LWL-Medienzentrums abrufbar: <http://www.lwl.org/LWL/Kultur/LWL-LMZ/Bild_Film_Tonarchiv/Tagung_Filmarchiv> (29.02.2012).


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