Papyrus, Pergament, Papier – Zur Materialität der Beschreibstoffe

Papyrus, Pergament, Papier – Zur Materialität der Beschreibstoffe

Organisatoren
Julia Becker / Carla Meyer, Heidelberg
Ort
Heidelberg
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.12.2011 -
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Von
Sandra Schultz, Institut für Fränkisch-Pfälzische Geschichte und Landeskunde, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Texte sind seit jeher Grundlage der geisteswissenschaftlichen Forschung und für sie hat die Philologie ein ausgefeiltes Instrumentarium zur Interpretation geschaffen. Nur selten rücken dagegen die Trägerstoffe in den Blick, auf denen die Inhalte geschrieben stehen; für die Analyse ihrer materialen Beschaffenheit fehlen vielfach Kriterien und Begriffe. Ziel der Heidelberger Tagung „Papyrus, Pergament, Papier“ war es daher, Spezialisten – Restauratoren und Archivare, die mit diesen Beschreibstoffen täglich Umgang haben und für ihre Erhaltung und Pflege zuständig sind – für Impulsreferate zu gewinnen. Sie sollten der Frage nachgehen, welche Aussagen die materiale Beschaffenheit von Papyrus, Pergament und Papier selbst über ihre Herstellung, den Umgang mit ihnen, ihre Qualität und Haltbarkeit zu verraten vermag. Jedem der drei genannten Beschreibstoffe wurde eine Sektion gewidmet; für jede der drei Abschlussdiskussionen waren neben den zwei Referenten weitere Experten geladen.

Die einleitenden Worte von CARLA MEYER (Heidelberg) führten in das übergeordnete Forschungsvorhaben des Sonderforschungsbereiches (SFB) 933 „Materiale Textkulturen“ ein.1 Der SFB gehe grundlegend davon aus, dass Texte und die Deutung ihrer Inhalte allein nicht genügen, um ihren kulturellen Zuschreibungen in vergangenen Kulturen auf die Spur zu kommen. Wichtige Hinweise auf ihren Sinn und ihre Bedeutung in der Welt, für die sie geschaffen wurden, gebe erst die Materialität der Artefakte, auf denen sie gespeichert seien – ob sie etwa sorgfältig Buchstabe für Buchstabe auf Pergament gesetzt oder aber etwa eilig auf Papier gekritzelt seien, ob sie für alle sicht- und lesbar sein sollten oder aber nur als persönliche Gedankenstütze dienten. Die Impulstagung solle folglich einen intensiven Blick auf die Materialität der Textträger, ihre Form, ihr Gewicht, ihre Oberflächenstruktur ermöglichen und somit den Grundstein für jede weitere Erforschung des Handelns an, mit und durch Texte legen.

Die Sektion Papyrus eröffnete JÖRG GRAF (Leipzig) mit einem Vortrag über das Herstellungsverfahren sowie die Lagerungs- und Konservierungsbedingungen von Papyri. Am Beispiel einer bestimmten Produktionsweise, bei welcher der Papyrusstiel spiralförmig aufgeschnitten wird, hob er die Bedeutung von experimentellen Studien für die Kenntnis des Herstellungsprozesses hervor. Besonders vielversprechend für die Fragestellungen des SFB war der Kriterienkatalog zur Beschreibung und Datierung von Papyri, den MYRIAM KRUTZSCH (Berlin) vorstellte. Als die aussagekräftigsten Kriterien nannte sie die Oberflächen- und Faserstruktur, die Blattklebung und die Faltung der Papyrusblätter. Durch die serielle Untersuchung von Stücken aus der Papyrussammlung Berlin konnte Myriam Krutzsch beispielsweise feststellen, dass sich die Faserstruktur und die Opazität über die Jahrtausende verändern; diese Beobachtung bietet somit ein Kriterium zur Datierung. Auch anhand der Klebung der einzelnen Blätter zu einer Rolle, das heißt der Klebstreifenbreite, lässt sich der Herstellungszeitraum ermitteln. Für die Forschungsvorhaben des SFB war des Weiteren der Hinweis interessant, dass die Art der Faltung eines Papyrusstückes häufig in Zusammenhang mit dem Inhalt des darauf Geschriebenen stehe.

Die Diskussion entzündete sich vor allem an den erstaunlich schlechten Überlieferungsbedingungen von Papyri im abendländischen Mittelalter: Noch unbeantwortet ist die Frage, ob sie klimatisch zu erklären seien – oder ob ihre Verluste durch großangelegte Kampagnen bedingt waren, in denen die Inhalte auf das dauerhaftere Pergament umgeschrieben wurden.

Gegenstand der zweiten Sektion war der für das europäische Mittelalter lange Zeit dominierende Beschreibstoff Pergament. In die chemische Zusammensetzung und mechanische Aufbereitung der Tierhaut führte ROBERT FUCHS (Köln) ein. Anschließend legte MAGDALENA LIEDTKE (Karlsruhe) aus Sicht der Restauratorin dar, welche Gefahren bei der Lagerung des an sich alterungsbeständigen Pergaments bestehen. Neben Feuer und Wasser beschädigen auch Insekten, Nagetiere, Mikroorganismen und chemische Reaktionen mit der aufgebrachten Buchfarbe das Pergamentblatt. An der Art der Schäden lasse sich die Lagerung der Kodizes, so zum Beispiel in stehender oder liegender Form, ablesen. Liedtke betonte, dass die Behebung solcher Schäden nur teilweise und unter großer Vorsicht zu leisten sei.

Einen wichtigen Denkanstoß für die Fragestellungen des SFB gab der Restaurator und Pergamentspezialist ANDREA GIOVANNINI (Lumino). Er kritisierte, dass bei den Untersuchungen von Pergament bisher vor allem die Frage im Fokus stand, aus welcher Tierhaut der Beschreibstoff hergestellt sei, obwohl es darauf technisch noch immer keine befriedigende Antwort gebe. Kulturhistorisch weitaus aufschlussreicher sei hingegen die Frage nach der Position, die der Beschreibstoff auf der Haut hatte. Von der ursprünglichen Lage hängen auch die Dicke des Pergaments und damit der Verwendungszweck ab, so dass sich hier ein vielversprechendes Untersuchungsfeld hinsichtlich der Verwendungs- und Rezeptionspraktiken eröffne. Hierzu fehle allerdings, und darauf wies Andrea Giovannini besonders hin, ein angemessenes Vokabular. Robert Fuchs erinnerte daran, dass es bisher noch nicht möglich sei, Texte anhand ihres Trägerstoffes Pergament zu datieren und zu lokalisieren. Dies sei durchaus möglich, erfordere jedoch eine umfassende Untersuchung und Dokumentation aller Pergamentbestände.

Dem Beschreibstoff Papier war die dritte und letzte Sektion des Tages gewidmet. Im Zentrum des Vortrages von MARTIN KLUGE (Basel) stand die klassische Frage der Papierforschung nach der Datierung und Lokalisierung von Papier anhand der Wasserzeichen. Er hob jedoch zugleich an Beispielen hervor, dass Wasserzeichen auch über diese Fragen hinaus in ihrem semiotischen und ikonographischen Gehalt wertvolle Quellen darstellen. THOMAS KLINKE (Köln) stellte zu Beginn seines Vortrages die Dreidimensionalität des Papiers, dass häufig nur als ‚flache‘ Ware gesehen werde, in den Vordergrund. Die Materialität des Papiers berge wichtige Informationen: So lasse sich anhand der Dicke, des Gewichts und der Oberflächenstruktur der Herstellungsprozess erschließen. Hierbei wies Thomas Klinke darauf hin, dass eine exakte Bestimmung der Maße und eine Konturenskizze des oft unregelmäßig geformten Papieres sowie eine detaillierte Beschreibung nicht nur der Wasserzeichen, sondern auch der Kettlinien, der Ripplinien und des Stegschattens für die Erforschung – und damit Datierung und Lokalisierung – des Papiers unumgänglich seien.

In der Diskussion wies Thomas Klinke nochmals darauf hin, dass das haptische und optische Moment, aber auch der Geruch und der Klang zu einer näheren Bestimmung des Beschreibstoffes beitragen. So liefern zum Beispiel die ertastete Oberflächenstruktur, die Ansicht bei Streiflicht und das Geräusch des bewegten Papierblattes Indizien für die Art der Leimung aus. Auch die für den SFB essentielle Frage nach dem Umgang mit den Textträgern könne durch eine genaue Analyse der Benutzungsspuren auf dem Papier beantwortet werden. Der Gebrauch von Papier und Papierschriften lasse sich beispielsweise an Fingerabdrücken, Wachsflecken und Einstichen erkennen und beleuchte somit auch die Rezeptionsweise der darauf gespeicherten Texte.

In ihrer Zusammenfassung betonte JULIA BECKER (Heidelberg), dass der dicht gedrängte Nachmittag erste Bausteine für eine artefact biography von Textträgern geliefert habe. Inwiefern diese Impulse weiterwirken und sich entfalten lassen, wird nicht zuletzt die Arbeit in den Teilprojekten des Heidelberger SFB „Materiale Textkulturen“ zeigen müssen.2

Konferenzübersicht:

Veit Probst (Heidelberg): Begrüßung

Carla Meyer (Heidelberg): Einführung

I. Papyrus

Jörg Graf (Leipzig)

Myriam Krutzsch (Berlin)

Diskussion mit Elke Fuchs (Heidelberg) und Joachim Friedrich Quack (Heidelberg)

II. Pergament

Magdalena Liedtke (Karlsruhe)

Robert Fuchs (Köln)

Diskussion mit Andrea Giovannini (Lumino)

III. Papier

Thomas Klinke (Köln)

Martin Kluge (Basel)

Diskussion mit Peter Rückert (Stuttgart), Bettina Wagner (München), Margit Krenn (Heidelberg) und Karin Zimmermann (Heidelberg)

Julia Becker (Heidelberg): Zusammenfassung

Anmerkungen:
1 <http://www.materiale-textkulturen.de> (08.02.2012).
2 Vgl. für eine Übersicht über die Teilprojekte: <http://www.materiale-textkulturen.de/teilprojekte.php> (08.02.2012)


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