Militärische Wissenskulturen in der Frühen Neuzeit. 9. Jahrestagung des Arbeitskreises Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit

Militärische Wissenskulturen in der Frühen Neuzeit. 9. Jahrestagung des Arbeitskreises Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit

Organisatoren
Arbeitskreis Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit
Ort
Göttingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
01.12.2011 - 03.12.2011
Url der Konferenzwebsite
Von
Sven Petersen/Stefan Droste, Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte Göttingen

Die Betrachtung von Militär, Bildung und Wissen erfolgte lange Zeit weitestgehend unabhängig voneinander. Bis heute fehlt eine grundlegende Verknüpfung von Militär-, Wissenschafts- und Bildungsgeschichte. Hierzu einen Impuls zu geben sollte Aufgabe der diesjährigen, von Marian Füssel (Göttingen) und Matthias Asche (Tübingen) organisierten Tagung des Arbeitskreises Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit (AMG) sein. Die dreizehn Vorträge der Veranstaltung gliederten sich vier Sektionen: I. „Wissensspeicher und Diffusion“, II. „Wissensträger und Profession“, III. „Wissenspraktiken und Distribution“ und IV. „Wissensorte und Sozialisation“.

DANIEL HOHRATH (Ingolstadt) sprach von der Entwicklung der militärischen Wissenskulturen in der Frühen Neuzeit und unterteilte diesen Prozess in drei Phasen. Die Renaissance (1550–1650) bildete dabei den Ausgang, der ein barocker Rationalismus (1650–1750) folgte. Erst in der „Militärischen Aufklärung“ (ab 1750) erfolgte eine Verwissenschaftlichung aller Felder militärischen Wissens. Verdeutlicht wurde dies durch MARTIN WINTER (Berlin), der eine zunehmende literarische Durchdringung des Militärs durch die Entstehung einer militärwissenschaftlich gebildeten Öffentlichkeit in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts konstatierte. Diese schlug sich in den Institutionen von Schul- und Regimentsbibliotheken sowie Lesegesellschaften nieder. Eine literaturwissenschaftliche Perspektive auf Lyrik als Wissensspeicher lieferte WILHELM KÜHLMANN (Heidelberg) mit der Betrachtung von stereotypen Darstellungen und Rollenbildern des Söldners in kritischer Dichtung des 16./17. Jahrhunderts. Im Zentrum standen dabei stets die Spannungsfelder zwischen christlicher Moral und kriegerischem Selbstverständnis. Insgesamt wurde in dieser ersten Sektion gezeigt, dass die Kumulation von militärischen Wissensbeständen einherging mit einer Verdichtung des Wissens über das Militär in der Zivilbevölkerung und einer zunehmenden Vernetzung dieser beiden Prozesse.

In der zweiten Sektion zeigte STEFANIE RÜTHER (Münster) anhand der Beispiele von Ratsherren, Büchsenmeistern und Landsknechten die Inkongruenz von Position und militärischem Wissensbestand auf. Dabei stellte sie fest, dass dieses Wissen personengebunden war, aber kaum zu einer Professionalisierung des Kriegswesens führte. An den Feldscherern als weiterer Personengruppe innerhalb dieses Vorgangs stellte SABINE SANDER (Mainz) die Entwicklung des frühneuzeitlichen Lazarettwesens dar. Die Professionalisierungsbestrebungen der Feldscherer wurden dabei als Versuche gedeutet, die Deutungshoheit akademisch gebildeter Mediziner, von denen sie sich scharf abgrenzten, zu schwächen. Auch MICHAEL SIKORA (Münster) nahm ein spezielles Wissensmilieu in den Blick: die Linieninfanterie des 18. Jahrhunderts. Konkret formulierte Sikora, beim militärischen Drill habe es sich nicht um eine erzwungene Auflösung individueller Fertigkeiten gehandelt, sondern vielmehr um ein Wissensfeld, dessen Beherrschung den Soldaten als persönliche Leistung erschien. Durch diese Eigenschaft trete auch der normkonforme Soldat, so Sikora, als „eigen-sinniges“ Subjekt zu Tage. Bei MARIAN FÜSSEL (Göttingen) stand die zunehmende Bedeutung der Bildung für das ständische Selbstbewusstsein von Offizieren in Konkurrenz zum Bürgertum im Fokus. Dabei distanzierten sich adelige Selbstentwürfe im 18. Jahrhundert vielfach vom „bürgerlich-technischen“ Wissen durch ihre Hinwendung zu den „schönen Künsten“, so dass Heroik und Künstlertum zu sich gegenseitig stützenden symbolischen Ressourcen des adeligen Offiziers wurden. Die Bedeutung des Wissens im Zuge der Ausbildung militärischen „Expertentums“ prägte diese Sektion. Es wurde deutlich, dass die entsprechenden Personenverbände aktiv Wissen rezipierten, sich dieses aneigneten und anwandten, um ihre Stellung im militärischen und gesellschaftlichen Umfeld zu definieren und zu behaupten.

ANGELA STRAUSS (Potsdam) präsentierte die Rolle von ehemaligen Feldpredigern als Teil der Volksaufklärung des 18. Jahrhunderts. Die Feldprediger wurden als aufgeklärte, dem Nützlichkeitsgedanken verschriebene Pädagogen charakterisiert. Die selbst zugeschriebene Fähigkeit der Feldprediger zur Vermittlung praktischer aufgeklärter Ideale und der Erziehung zum „vernünftigen“ und „nützlichen“ Menschen sollte das Fortbestehen des Amtes gegen Ende des Jahrhunderts rechtfertigen. Mit dem Tenor einer sich ständig im Sinne der Aufklärung und dem entstehenden Professionalismusgedanken fortentwickelnden Einrichtung sprach ANDREAS DETHLOFF (Rostock) über die institutionelle Entwicklung des sächsischen Kadettenkorps von seiner Gründung bis in die Koalitionskriege. Aufklärung, wenngleich in rein militärischem Sinne verstanden, war auch das Thema von EWA ANKLAM (Braunschweig). Geheimnis und Publizität bildeten dabei die zwei wesentlichen Elemente militärischen Informationswesens. Leichte Truppen und Parteigänger fungierten als Träger einer auf Face-to-Face-Kontakten beruhenden Informationskultur. Publizität hingegen wurde von Obrigkeiten aller Kriegsparteien wissentlich zur Meinungssteuerung der an militärischen Neuigkeiten interessierten Öffentlichkeit genutzt. ULRICH NIGGEMANN (Marburg) hinterfragte das Narrativ einer „säkularen Heilsgeschichte“ der Hugenotten im Kontext englischer Militärgeschichte. So sei die personelle Durchdringung der englischen Armee durch die Exilanten wesentlich geringer gewesen als gemeinhin dargestellt und habe somit nur äußerst geringen Einfluss auf deren Reform gehabt. Diesen Beiträgen war gemein, dass auch Personengruppen der militärischen Sphäre Wissen im Sinne der Aufklärung nutzbar machten und verbreiteten, dabei allerdings nie die alleinige Deutungshoheit innehatten.

In Sektion IV hingegen stand nicht die Person, sondern die Institution obrigkeitlich bestimmten Wissens als Akteur im Mittelpunkt. Anpassung an deren geltende Wissensnormen steigerte sich innerhalb militärischer Lebenswelten zu einem immer bedeutenderen Distinktionsmittel. THOMAS WEISSBRICH (Berlin) zeichnete die Bedeutung von Wissensvermittlung durch Bilder in diesem Kontext nach, indem er sie anhand der Kategorien Imagination, Abstraktion und Repräsentation gliederte. Jedes dieser Felder sollte dem jeweiligen Betrachter dabei ein eigenes Wissensfeld erschließen, welches idealtypisch vereinfacht und somit besser vermittelbar werden sollte. CARMEN WINKEL (Potsdam) interpretierte anhand der Regimentsvergabe die militärische Ämterverleihung als Bindemittel des Adels in Preußen. Hier wurde zwar militärische Eingliederung vom Adel gefordert, seine Sozialisation aber auch über höfische Kanäle bewirkt, bei dem die persönliche Nähe zum König ein besonderes Privileg darstellte. Ebenfalls in ihrer Funktion als Sozialisationsinstanz widmete sich FREDERIC GROSS (Tübingen) der Hohen Karlsschule in Stuttgart. Von Herzog Carl Eugen wurde sie gezielt zu einer Militärakademie und Universität ausgebaut, um ein Gegengewicht zur württembergischen Landesuniversität Tübingen zu schaffen. Nicht zu Unrecht fürchteten die Landstände eine allein durch den katholischen Landesherrn kontrollierte Heranziehung fürstentreuer Eliten und deren Dominanz in Staatsämtern.

Die Tagung hatte das Ziel, die Verknüpfungen von Bildung, Wissenschaft und Militär in der Frühen Neuzeit aufzuzeigen. Dabei wurde deutlich, dass diese drei Felder wesentlich stärker miteinander verzahnt waren als gemeinhin angenommen. Dennoch dürfen viele der Vorträge nicht als abschließende Ergebnisse der Erforschung dieses Themenkomplexes, sondern im Gegenteil als deren Beginn verstanden werden, steht dieses Vorhaben doch erst noch am Anfang. Als vorläufiges Fazit aber wurde betont, dass nicht nur das Militär selbst, sondern auch und besonders das militärische Wissen sehr heterogen war und sich allzu simplen Klassifizierungen entzieht. Das gleichberechtigte Nebeneinander verschiedenster Wissensarten und ihrer Träger muss somit als charakteristisch für das frühneuzeitliche Militärwesen gelten.

Begleitet wurde die Tagung durch die Verleihung der 1. Hannelore-Otto-Preise an drei hervorragende Magister- oder Staatsexamensarbeiten. Die Preisträger waren Steffen Leins (Tübingen, „‘Pecunia nervus belli‘ – das Prager Münzkonsortium von 1622/23. Über Möglichkeiten und Grenzen privater Kriegsfinanzierung im 17. Jahrhundert“), Karsten Süß (Potsdam, „‘mit gefangen, mit gehangen‘: Verfolgung von Deserteurshelfern in Brandenburg-Preußen im 18. Jahrhundert“) und Sune Erik Schlitte (Göttingen, „Die Propaganda des Britischen Empire. Koloniale Helden und ihre Visualisierung im Langen 18. Jahrhundert“).

Konferenzübersicht:

Sektion I. „Wissensspeicher und Diffusion“

Daniel Hohrath (Ingolstadt): „Von der ‚Art de la Guerre‘ zum System der Kriegs-Wissenschaften. Militärtheoretische Schriften und ihre Leser“.

Martin Winter (Berlin): „Zu militärischen Bibliotheken, ihren Sammlern und Nutzern im 18. Jahrhundert“.

Wilhelm Kühlmann (Heidelberg): „Kampf und Ethos – Militärische Chargen in der Versdichtung des 16./17. Jahrhunderts“.

Sektion II. „Wissensträger und Profession“

Stefanie Rüther (Münster): „Krieg als Profession? Zur Differenzierung militärischer Funktionsrollen am Übergang zur Frühen Neuzeit“.

Sabine Sander (Mainz): „‘So viele Verwundungen und Zufälle.‘ Militärmedizin in der Frühen Neuzeit“.

Michael Sikora (Münster): „Wissen in Reih und Glied. Formen des Wissens einfacher Soldaten im stehenden Heer“.

Marian Füssel (Göttingen): „Feder contra Degen? Bildungshorizonte gelehrter Offiziere im 18. Jahrhundert“.

Sektion III. „Wissenspraktiken und Distribution“

Angela Strauß (Potsdam): „‘Wie nutzreich kann das Lehramt würdiger Feldprediger seyn!‘. Preußische Feldprediger als Pädagogen der Aufklärung“.

Andreas Dethloff (Rostock): „Zwischen adeliger Standesbildung und aufgeklärter Kriegswissenschaft – das Dresdner Kadettenkorps als Bildungsanstalt kursächsischer Offiziere im 18. Jahrhundert“.

Ewa Anklam (Braunschweig): „‘Battre lʾestrade.‘ Militärische Aufklärung zwischen Geheimnis und Publizität“.

Ulrich Niggemann (Marburg): „Wissens- und Kulturtransfer durch importierte Militäreliten? Das Beispiel der Hugenottenoffiziere".

Sektion IV. „Wissensorte und Sozialisation“

Thomas Weißbrich (Berlin): „Militärische Wissenskulturen und visuelle Medien in der Frühen Neuzeit“.

Carmen Winkel (Potsdam), „Das Regiment als Sozialisationsinstanz für den deutschen Hochadel“.

Frederic Groß (Tübingen): „Von einer Militärakademie zur herzoglichen Vorzeigeuniversität – Institutionen, Personal und Lehrinhalte der Hohen Karlsschule in Stuttgart (1770–1794) im Wandel“.


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