Symbolik und Repräsentationen der Marienburg: Rivalität – Konfrontation – Kooperation

Symbolik und Repräsentationen der Marienburg: Rivalität – Konfrontation – Kooperation

Organisatoren
Eugen Kotte; Christine Vogel; Bernd Ulrich Hucker
Ort
Vechta
Land
Deutschland
Vom - Bis
18.11.2011 - 20.11.2011
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Von
Lukas Aufgebauer / Izabela Mittwollen-Stefaniak, Universität Vechta

Als größter aus Backstein erbauter Burg der Welt und ehemaligem Machtzentrum des Deutschen Ordens im heutigen Polen kommt der Marienburg und ihrem Funktionswandel in verschiedenen Epochen im Kontext nationaler Rivalitäten, Konfrontationen und Kooperationen eine bis in die Gegenwart wichtige Rolle gerade für die polnisch-deutsche Beziehungsgeschichte zu. Den zahlreichen mit diesem Umstand verbundenen Fragen zu „Symbolik und Repräsentationen“ widmete sich die von der Gerda-Henkel-Stiftung und der Universität Vechta geförderte Tagung vom 18.-20.11.2011 an der Universität Vechta. Aus verschiedenen disziplinären und nationalen Perspektiven wurden Forschungsergebnisse vorgestellt und diskutiert. So konnten die vom Mittelalter bis in die Gegenwart vielfachen Wandlungen unterworfenen Funktionen des Bauwerks unter dem epochenübergreifenden Anspruch der Tagung erörtert werden.

Im Eröffnungsvortrag gab TOMASZ TORBUS (Gdańsk/Leipzig) einen Überblick über die neueren architekturgeschichtlichen Forschungsergebnisse zur Marienburg und weiteren Burgen des Deutschen Ordens. Im Vergleich der architektonischen Mittel und Prinzipien zeigte sich besonders im Kontext neuerer Grabungen eine erstaunliche Heterogenität der Bauten, sodass eine Typologie der Deutschordensburgen nach wie vor nicht abschließend vorgenommen werden konnte. In jüngerer Zeit habe es allerdings wieder verstärkt Systematisierungsversuche gegeben, die nach Auffassung Torbus‘ jedoch „national kontaminiert“ geblieben seien.

Der Beitrag von MIROSŁAW HOFFMANN (Olsztyn) und SYLWIA TATARA (Kwidzyn) erweiterte diese Perspektive am Beispiel der archäologischen Ausgrabungen von Waldemar Heym vor 1939 und Antoni Pawłowski nach 1945. Dabei legten sie den Fokus vor allem auf die Grabungen in Kwidzyn, dessen Altschloss Heym ausgegraben hat. Pawłowski gilt als Heyms polnisches Pendant und fand neben seinen Grabungen in Prabuty und Dzierzgoń vor allem auch dadurch große Beachtung, dass er in einer Kapelle der Kirche in Kwidzyn ein Dreifachgrab mit Würdenträgern des Deutschen Ordens entdeckte. Dieser Fund ist bis heute noch nicht vollständig ausgewertet, sodass die Frage, welche offenbar bedeutenden Ordensherren dort bestattet wurden, noch einer Klärung bedarf.

Anschließend erläuterte BERND HUCKER (Vechta), dass die durch Friedrich II. geförderte Expansion des Deutschen Ordens sich in der programmatischen Benennung von Ordensburgen (Turon, Marienburg, Kreuzburg etc.) widerspiegelt. Als Indiz wertete Hucker, dass Friedrich die eroberten Gebiete als reichszugehörig bezeichnete. KLAUS MILITZER (Köln) untersuchte die Frage nach der Bedeutung der Marienburg als politisches, religiöses, repräsentatives und wirtschaftliches Zentrum des Ordens und des deutschen Adels und erörterte den Verlust des zentralen Stellenwerts der Burg, nachdem diese an die Danziger verkauft worden und danach in den Besitz des polnischen Königs übergegangen war.

Den Übergang zur Frühen Neuzeit und das durch Reformation und Gegenreformation geprägte Leben in Marienburg nach Beginn der polnischen Herrschaft thematisierte ANDRZEJ KOPICZKO (Olsztyn), der neben der konfessionellen Vielfalt und der Bedeutung der schwedischen Besatzungszeit auch die Rolle der Jesuiten deutlich herausarbeitete. CHRISTINE VOGEL (Vechta) stellte danach die Frage nach der Funktion der Marienburg für die Herrschaftsrepräsentation der polnischen Könige. Am Beispiel der Festarchitektur beim Einzug August des Starken in Danzig im Frühjahr 1698 thematisierte sie die Marginalisierung der Marienburg in der politischen Kultur des frühneuzeitlichen Preußen königlichen Anteils.

Am zweiten Tag zeigte JAN WERQUETH (Berlin) den Wandel der Marienburg zum nationalen Symbol an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert auf, indem er die Wiederentdeckung der Burg sowie die Planungen zum Umbau bzw. zur Wiederherstellung der Bauruine durch Karl Friedrich Schinkel und Theodor von Schön erläuterte. Die monarchischen Vorstellungen des aristokratischen Rittertums mit nationalem Impetus spiegelten sich programmatisch in dem am Vorbild der Marienburg orientierten Umbau der Burg Stolzenfels am Rhein. Diesen Befund ergänzte und erweiterte EUGEN KOTTE (Vechta), indem er anhand belletristischer Texte August von Kotzebues, Max von Schenkendorffs, Joseph von Eichendorffs, A.G. Schreckenbachs und Rudolph Genées sowie historiografischer Veröffentlichungen Johannes Voigts und Heinrich von Treitschkes herausarbeitete, wie trotz gewisser Kritik am Orden insbesondere die Persönlichkeit Heinrich von Plauens als Inkarnation der propagierten deutschen Kulturmission im Osten eine positive Umwertung erfuhr. Dies geschah durch Abgrenzung gegenüber Polen und durch Stimulation antipolnischer Tendenzen unter anderem unter Nutzung des Assoziationsfeldes zum Stereotyp „Polnische Wirtschaft“. Durch die gleichzeitige Hervorhebung der Verteidigung der Marienburg im Anschluss an die nun marginalisierte Schlacht von Grunwald wandelte sich die symbolische Bedeutung der Burg und des Ordens hin zum nationalen Bollwerk.

Diese Tendenz unterstrich SIGITA BARNIŠKIENĖ (Kaunas), indem sie anhand von Ernst Wicherts Heinrich von Plauen herausstellte, wie durch narrative Mittel ein Antagonismus geschaffen wird, der dem als ehrbar charakterisierten Ordensritter einen moralisch unterlegenen, weil verräterischen polnischen Widerpart in König Władisław Jagiełło gegenüberstellt. Kontrastierend dazu zeigte CHRISTOPH GARSTKA (Heidelberg) die polnische Gegenseite auf, indem er die Darstellung des Deutschen Ordens in der polnischen Literatur von Mickiewicz bis Sienkiewicz untersuchte. Hier wurde der christliche Ordensritter im Kontext des polnischen nation building zur Kristallisationsfigur antideutscher Stereotype und mutierte gleichsam zum diabolischen Feind und Zerstörer der polnischen Nation. Die Marienburg als Hauptquartier des Deutschen Ordens erscheine dabei zugleich als Mahnmal und – metaphorisch überhöht – als „Höllenschlund“.

CHRISTOPH KIENEMANN (Oldenburg) wandte sich wieder der deutschen Gegentradition zu, indem er die Konstruktion des Mythos Marienburg als Bollwerk gegen das Slawentum und zur Legitimation der Deutschen als Kulturträger und -verbreiter herausarbeitete. Die somit sinnstiftende Ursprungserzählung bediente sich dabei vielfältiger nationaler Stereotypen, um die Legitimationsfunktion für den preußisch-deutschen Staat zu erfüllen.

Den dritten Tag eröffnete PAWEŁ KOSIŃSKI (Warszawa) mit einem Beitrag zu polnischen Reiseberichten aus dem 19. Jahrhundert. Diese Schriften seien vor allem durch eine ambivalente Faszination für das Bauwerk geprägt, die sich auch im Plädoyer für einen Wiederaufbau niederschlug. Der deutschen Literatur nach 1945 wandte sich danach JÜRGEN JOACHIMSTHALER (Heidelberg) zu. Ausgehend von der Beobachtung, dass der Deutsche Orden seit dem Zweiten Weltkrieg hier kaum noch eine Rolle spielte, suchte Joachimsthaler im Werk von Johannes Bobrowski nach Spuren der Marienburg. Ohne auf der eigentlichen Textoberfläche zu erscheinen, werde bei Bobrowski die Geschichte des Deutschen Ordens in Preußen im Kontext der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg als eine Art „Sündenfall der deutschen Geschichte“ implizit reflektiert.

Die gegenwärtige Funktion der Marienburg als europäischer Erinnerungsort in Form eines multithematischen Museums stellten IZABELA MITTWOLLEN-STEFANIAK und LUKAS AUFGEBAUER (Vechta) dar. Diese im Konzept des Museums festgelegten Funktionen spiegeln sich in den vielfältigen Aktivitäten, der internationalen Vernetzung und in der Dauerausstellung des Hauses wider, wobei gezielt der vielschichtige Bedeutungswandel der Burg in den unterschiedlichen Epochen transparent gemacht wird. Die symbolischen Bedeutungen der Marienburg für die jeweiligen Besitzer werden erklärt, dekonstruiert und einander ergänzend gegenüber gestellt. Dies beuge neuerlichen Mythifizierungen und Vereinnahmungen der Burg vor, da die jeweiligen Motive für diese Bedeutungszuschreibungen neutral und sachlich offengelegt und dadurch zugleich demaskiert werden. Diese „Funktionsberaubung“ gehöre zu den großen Stärken und Verdiensten des Museums und sei die Voraussetzung dafür, dass Museum und Burg als europäischer Erinnerungsort auch in Form eines Gedenkorts gegen nationalistische Abgrenzung wahrgenommen werden könne.

Zum Abschluss fasste UDO ARNOLD (Bonn) die Ergebnisse der Tagung zusammen und betonte, dass sich neben der interdisziplinären Perspektive gerade auch der epochenübergreifende Austausch vom Mittelalter bis in die Gegenwart als fruchtbar erwiesen hat, da so der säkulare Entstehungsprozess eines zentralen ostmitteleuropäischen Erinnerungsortes in seinen Brüchen und Konjunkturen nachgezeichnet werden konnte. Die Tagung hat Forschungslücken aufgezeigt und damit nicht nur wissenschaftliche Desiderate entfaltet, sondern auch bereits innovative Impulse gesetzt. Die frühneuzeitliche Geschichte der Marienburg bedarf gewiss weiterer Aufarbeitung und die Funktion des Bauwerks in der ideologischen Instrumentalisierung des Dritten Reiches sollte intensiver erforscht werden. Hier zeigen sich Perspektiven für künftige Auseinandersetzungen mit der Marienburg.

Konferenzübersicht:

Eröffnung der Konferenz – Grußwort durch die Präsidentin der Universität Vechta Marianne Assenmacher

Tomasz Torbus (Kunstgeschichte, Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas, Universität Leipzig): Neue Erkenntnisse zur Baugeschichte der Marienburg

Mirosław Hoffmann/Sylwia Tatara (Archäologie, Uniwersytet Warmińsko-Mazurski w Olsztynie/Muzeum Zamkowe w Kwidzynie): Die wichtigsten Entdeckungen von Relikten der klösterlichen und bischöflichen Ansiedlung in Pomesanien im Lichte der archäologischen Ausgrabungen von Waldemar Heym (1883-1967) und Antoni Pawłowski (1950-2008)

Bernd Ulrich Hucker: (Mittelalterliche Geschichte, Universität Vechta): Die Marienburg im Spiegel des Burgenbauprogramms und der Symbolik des Deutschen Ordens im 13. Jahrhundert

Klaus Militzer (Mittelalterliche Geschichte, Universität zu Köln): Die Marienburg als Zentrale des Ordens im 14. und 15. Jahrhundert

Andrzej Kopiczko (Kirchengeschichte, Uniwersytet Warmińsko-Mazurski w Olsztynie): Das Religionsleben in Marienburg im 16. bis 18. Jahrhundert

Christine Vogel (Geschichte der Frühen Neuzeit, Universität Vechta): Die Marienburg in der deutschen Publizistik des 17. und 18. Jahrhunderts

Jan Werqueth (Kunstgeschichte, Deutsches Historisches Museum Berlin): Die „romantische“ Restaurierung der Marienburg im 19. Jahrhundert (Arbeitstitel)

Eugen Kotte (Neuere und Neueste Geschichte/Didaktik der Geschichte, Universität Vechta): Die Marienburg in der Historiographie und Belletristik des 19. Jahrhunderts

Sigita Barniškienė (Germanistische Literaturwissenschaft, Vytautas-Magnus-Universität Kaunas): Die Marienburg in Ernst Wicherts „Heinrich von Plauen“

Christoph Garstka (Slawistische Literaturwissenschaft, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg): Das Kreuz mit den Rittern. Die Darstellung des Deutschen Ordens in der polnischen Literatur des 19. Jahrhunderts: Von Mickiewicz zu Sienkiewicz

Christoph Kienemann (Osteuropäische Geschichte, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg): „Basis und Grundstein zum jetzigen preußischen Staate“ – Die Konstruktion des Mythos Marienburg in der antipolnischen Stereotypie des 19. Jahrhunderts.

Paweł Kosiński (Neuere und Neueste Geschichte, Instytut Pamięci Narodowej, Warszawa): Polnische Besucher auf dem Schloss Marienburg im XIX. Jahrhundert. Motive – Eindrücke – Kommentare

Jürgen Joachimsthaler (Germanistische Literaturwissenschaft/ Fremdsprachenphilologie, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg): Bobrowskis „Deutscher Orden“

Lukas Aufgebauer/Izabela Mittwollen-Stefaniak (Neuere und Neueste Geschichte/Didaktik der Geschichte, Universität Vechta): Die Marienburg im Rahmen des europäischen Museumswesens

Udo Arnold (Arbeitsstelle für Geschichte und ihre Didaktik, Univeristät Bonn): Zusammenfassung und Schlussbetrachtung