“What Do We Really Know About Herta Herzog?” Symposium für eine Pionierin der empirischen Kommunikationsforschung

“What Do We Really Know About Herta Herzog?” Symposium für eine Pionierin der empirischen Kommunikationsforschung

Organisatoren
Fachbereich Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg; Kommission für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW)
Ort
Wien
Land
Austria
Vom - Bis
01.12.2011 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Martina Thiele, Fachbereich Kommunikationswissenschaft, Universität Salzburg

“What Do We Really Know About Herta Herzog?”, so der Titel einer Tagung, die Anfang Dezember 2011 in Wien stattfand und auf eine berühmte Rezipientinnen-Studie der Kommunikationswissenschaftlerin Herta Herzog anspielt, die sie Anfang der 1940er-Jahre in den USA durchführte: „What Do We Really Know About Daytime Serial Listeners?“

Die Frage, was wir über die 1910 in Wien geborene, 1935 in die USA emigrierte und 2010 in Leutasch/Tirol verstorbene Wissenschaftlerin tatsächlich wissen, kommt in einer Zeit auf, in der im Fach Kommunikationswissenschaft über KlassikerInnen, Kanonisierung und Karriereverläufe von WissenschaftlerInnen nachgedacht wird.1 Ein Beitrag, der Werk und Person vor dem Vergessen bewahrt hat, ist der von Elisabeth Klaus 2008 in der Medien- und Kommunikationswissenschaft-Klassiker-Reihe erschienene Artikel über Herta Herzog, der deutlich macht, welche wichtigen methodischen Anstöße Herzogs Studien lieferten und welche theoretischen Neuorientierungen sie ermöglichten.2 So können mit dem Namen Herta Herzog inzwischen zumindest Stichworte wie „Audience Research“, „Focus Interview“ und „Uses and Gratifications Approach“ verbunden werden; im kollektiven Fachgedächtnis scheinen die Titel ihrer berühmtesten Studien zur „Invasion from Mars“, zu „Daytime Serial Listeners“ oder HörerInnen der Radio Show „Professor Quiz“ verankert.

Herta Herzogs Leben und Werk haben jedoch sehr viel mehr zu bieten als es die wenigen Schlagworte, die im Zusammenhang mit ihr abgerufen werden, vermuten lassen. Diesen weniger bekannten Aspekten widmeten sich WissenschaftlerInnen aus den USA, Israel, Deutschland und Österreich während einer Tagung, die Elisabeth Klaus (Leiterin des Fachbereichs Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg) und Josef Seethaler (Kommission für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften) initiiert haben. Zu Beginn der eintägigen Konferenz erhielten die TeilnehmerInnen Einblicke in Leben und Werk Herta Herzogs durch die Grußworte der Familie, die PETER OSTENDORF (Hamburg) überbrachte, und den mit Bild- und Tondokumenten angereicherten Vortrag von ELISABETH KLAUS (Salzburg), in dem die verschiedenen Stationen in Herzogs Karriere nachgezeichnet wurden: Kindheit und Jugend in Wien während und nach dem Ersten Weltkrieg, Studium und frühe wissenschaftliche Studien zum damals neuen Medium Radio an der Wiener „Wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle“, 1935 Emigration in die USA, dann die äußerst produktive Phase am „Office of Radio Research“ und dem „Bureau of Applied Social Research“, 1943 der Wechsel in die Marktforschung, wo Herzog zur wichtigsten Ideengeberin, zur „Gray Eminence of Market Research“ wurde, schließlich ihre Rückkehr nach Europa in den 1970er-Jahren und die letzten Lebensjahrzehnte, in denen sie neben akademischer Lehre in Tübingen und Wien auch wieder Forschung betrieben hat.

Auf einzelne Phasen ihres langen Forscherinnenlebens sowie Forschungsschwerpunkte, berühmte Studien und methodische Innovationen gingen im Verlauf der Konferenz verschiedene ReferentInnen ein: CORNELIA EPPING-JÄGER (Bochum) bewertete Herzogs Dissertation „Stimme und Persönlichkeit“ von 1933 als wegweisend für ihre weitere Forschung, denn schon in der stark phänomenologisch geprägten Arbeit standen die HörerInnen und ihre Einschätzungen bezüglich der RadiosprecherInnen im Mittelpunkt des Interesses. Diese rezipientenorientierte Sicht prägte auch die in den USA entstandenen Studien, wie CHRISTIAN FLECK (Graz) herausstrich. Zugleich gab Fleck Einblicke in die Zusammenarbeit der zu dieser Zeit am „Office of Radio Research“ und dem „Bureau of Applied Social Research“ beschäftigten ForscherInnen sowie in ihre wissenschaftlichen Erfolge gemessen am Umfang und der Honorierung der Publikationen pro Seite. Herzog war, was die Seitenzahlen anbelangte, äußerst produktiv. Anders als bei ihren Kollegen ließ sich dieser Erfolg aber nicht in der Bezahlung und Erwähnung als Herausgeberin oder Autorin erkennen. Fleck berichtete von Konflikten zwischen Herzogs damaligen Ehemann Paul Felix Lazarsfeld und Hadley Cantril, der als alleiniger Herausgeber der Studie „Invasion from Mars“ firmierte.

Herzog arbeitete in dieser Zeit unter anderem mit Kollegen zusammen, die zur Frankfurter Schule gerechnet werden: Siegfried Kracauer, Rudolf Arnheim, Leo Löwenthal, Theodor W. Adorno, Max Horkheimer. Ihren Studien, insbesondere „On Borrowed Experience“ (1941), sei dieser Einfluss anzumerken, so TAMAR LIEBES (Jerusalem). Dennoch werden Herzogs Soap Opera-Studien als grundlegend für die Entwicklung des Uses and Gratifications Approach erachtet.

Die Frage nach der theoretischen Positionierung Herzogs – zwischen Kritischer Theorie und Uses and Gratifications Approach – lässt sich nicht ohne weiteres beantworten, zumal es keine eindeutigen Stellungnahmen ihrerseits dazu gibt. Herzogs empirische Forschung, insbesondere ihr Ideenreichtum, was Methoden anbelangt, sichert ihr, so Klaus in ihrem Vortrag, einen Platz als Begründerin einer qualitativen Publikums-, Unterhaltungs- und Genreforschung. GERHARD KLEINIG (Hamburg) zeigte im Detail, welche Methoden Herzog entwickelte, einsetzte und kombinierte. Er berichtete, Herzog habe kurz vor ihrem Tod in einem Telefonat ihm gegenüber erwähnt, dass im Alter zwar nicht mehr so wichtig sei, wer wann was erfunden habe, sie sich aber schon zugute halte, die Methode des Focus-Interviews entwickelt und später in der RezipientInnen- und Marktforschung eingesetzt zu haben. DIRK ENGEL (Frankfurt), Unternehmensberater, der wie Herzog für Universal McCann gearbeitet hat, bestätigte aus Sicht der Praxis, wie neu und bahnbrechend Herzogs Herangehensweisen waren. Bis heute spielten ihre Überlegungen zu Motiven und Entscheidungen von KonsumentInnen eine wichtige Rolle in der Marktforschung.

PETER SIMONSON (Boulder), Kommunikationshistoriker und Co-Produzent des Dokumentarfilms „Out of the Question: Women, Media, and the Art of Inquiry“3 verwies auf weitere Begriffe und Forschungsbereiche, die Herzog durch ihre Arbeit maßgeblich geprägt hat. So durchzieht ihre Studien von der frühen RezipientInnenforschung über die Markt- und Motivationsforschung bis hin zu ihrer Studie über Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus in Österreich (1994) die Frage nach dem Bild, das wir von anderen, aber auch von uns selbst haben. „Image Research“ war daher ein Forschungsgebiet, dem sich Herzog durchgängig widmete. Dennoch sei über Herzog wie über andere frühe Kommunikationsforscherinnen vieles noch nicht, bzw. nicht ausreichend bekannt.

So zeigten auch FRIEDRICH KROTZ (Bremen) und MARTINA THIELE (Salzburg) am Ende der Tagung in ihren Schlussstatements auf, welche Antworten bereits gefunden und welche Fragen bestehen bleiben oder aber neu hinzugekommen sind: Wie lassen sich die Wechsel in Herzogs Berufsleben von akademischer Forschung und Auftragsforschung zu Marktforschung und wieder mehr akademischer Forschung im Zusammenhang mit ihren wissenschaftlichen Überzeugungen und theoretischen Positionierungen verstehen? Welche Rolle spielten die durch die politischen Umstände erzwungene Emigration sowie die durch die Krankheit ihres zweiten Mannes, Paul Massing, bedingte Rückkehr nach Europa für ihre berufliche Karriere? Auf welche Schwierigkeiten stieß Herzog als Wissenschaftlerin, welche Möglichkeiten eröffnete ihr die Marktforschung? War trotz männlicher Dominanz in beiden Bereichen letztere offener für Frauen? Oder war das Geschlecht, wie Herzog meinte, nachrangig? Schließlich die Frage nach dem, was bleiben wird von Herzogs Forschung, welche Texte wert sind, erinnert und tradiert zu werden: War Herzog in vielem ihrer Zeit voraus? Wie aktuell bzw. anschlussfähig sind ihre Arbeiten?

Antworten auf diese Fragen könnten in den nächsten Jahren gesucht werden. Grundlage weiterer Forschung war aber, Herzog durch die Publikationen der letzten Jahre4 und die Wiener Tagung im Dezember 2011 vor dem Vergessen zu bewahren und somit eine Grundlage zu schaffen, von der aus wir noch mehr Wissen über Herta Herzog, Vergangenheit und Zukunft der Kommunikationswissenschaft – und auch über uns selbst als an Kanonisierungsprozessen Beteiligte – erfahren können.

Konferenzübersicht:

Begrüßung durch die Organisatoren / Welcome Adresses by the Organizers (Elisabeth Klaus / Josef Seethaler)

Peter Ostendorf (Hamburg): Grußwort der Familie Herzogs / Greetings from Herzog’s family

Elisabeth Klaus (Salzburg): Herta Herzog: Stationen eines Lebens / Herta Herzog – Lifelines

Session 1: From Austria to the USA and Back Again
Chair: Josef Seethaler (Wien)

Christian Fleck (Graz): Transatlantische Herausforderungen: Herta Herzog und die Emigration in die USA

Peter Simonson (Boulder): Transatlantic Challenges: Herta Herzog and the Women in Communication Research

Tamar Liebes (Jerusalem): The Soap Opera Study: A Canonical Text Rooted in Two Conflicting Theories

Session 2: Adressing the Audience and the Consumer: Herzog’s Role in Audience and Marketing Research
Chair: Thomas Steinmaurer (Salzburg)

Cornelia Epping-Jäger (Bochum): Stimme und Persönlichkeit: Herta Herzog und die Wiener Radioforschung

Elisabeth Klaus (Salzburg): From Listeners to Viewers: Herzog als Begründerin der qualitativen Unterhaltungs- und Publikumsforschung

Gerhard Kleining (Hamburg): Beiträge Herta Herzogs zu einer qualitativen Sozialpsychologie

Dirk Engel (Frankfurt am Main): … und ein Zwischenruf aus der Praxis

Closing Session: “What Do We Really Know About Herta Herzog?”
Chair: Josef Seethaler (Wien)
Commentaries: Friedrich Krotz (Bremen), Martina Thiele (Salzburg)

Anmerkungen:
1 Vgl. Martina Thiele / Elisabeth Klaus / Claudia Riesmeyer, Wie Öffentlichkeit für die kommunikationswissenschaftlichen Gender Studies herstellen? Überlegungen zur Kanonisierung, in: Tanja Maier / Martina Thiele / Christine Linke (Hrsg.), In Bewegung: Medien – Öffentlichkeit – Geschlecht, Bielefeld 2012 (im Erscheinen); Claudia Riesmeyer / Nathalie Huber (Hrsg.), Karriereziel Professorin. Wege und Strategien in der Kommunikationswissenschaft, Köln 2011; Michael Meyen / Maria Löblich (Hrsg.), Klassiker der Kommunikationswissenschaft. Fach- und Theoriegeschichte in Deutschland, Konstanz 2008.
2 Elisabeth Klaus, What Do We Really Know About Herta Herzog? – Eine Spurensuche, in: Medien & Kommunikationswissenschaft (2) 2008, S. 227-252 (= Reihe „Klassiker der Kommunikations- und Medienwissenschaft heute“).
3 <http://outofthequestion.org/Women-in-Media-Research/Office-of-Radio-Research-Bureau-of-Applied-Social-Research.aspx#HERZOG> (18.01.2012)
4 Elisabeth M. Perse, Herta Herzog, in: Nancy Signorelli (Hrsg.), Women in Communication: A Biographical Sourcebook, Westport 1996, S. 202-211; Tamar Liebes, Herzog’s “On Borrowed Experience”. Its Place in the Debate over the Active Audience. In: Elihu Katz u.a. (Hrsg.), Canonic Texts in Media Research. Are There Any? Should There Be? How About These?, Cambridge 2003, S. 39-53; Susan J. Douglas, Personal Influence and the Bracketing of Women’s History, in: The ANNALS of the American Academy of Political and Social Science (6) 2006, S. 41-50.


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