Neue Forschungen zur Geschichte Lateinamerikas

Neue Forschungen zur Geschichte Lateinamerikas

Organisatoren
Professur für Geschichte Lateinamerikas und dem Zentralinstitut für Lateinamerkastudien, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Ort
Eichstätt
Land
Deutschland
Vom - Bis
20.10.2011 - 22.10.2011
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Von
Benedikt Rieß, Eichstätt

Die Tagung für Nachwuchswissenschaftler/innen „Neue Forschungen zur Geschichte Lateinamerikas", welche an der Geschichts- und Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt von der dortigen Professur für Geschichte Lateinamerikas und dem Zentralinstitut für Lateinamerkastudien (ZILAS) organisiert wurde, setzte eine langjährige Tradition der Treffen von Doktorand/innen mit dem Schwerpunkt in der Geschichte Lateinamerikas fort. An der diesjährigen Zusammenkunft nahmen 20 Promovenden aus der Freien Universität Berlin, der Universität Bielefeld, der Universität Bremen, der Leibnitz Universität Hannover, der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, der Universität Hamburg, der Universität zu Köln sowie der Universität Münster teil. Außerdem waren als Kommentatoren, Workshopleiter und Diskutanten insgesamt sechs Betreuerinnen und Betreuer anwesend.

Zur Eröffnung der Tagung wurden, aufgeteilt in zwei Workshops, aktuelle Forschungsfragen der lateinamerikanischen Geschichte behandelt und diskutiert. Großen Zuspruch fanden der Workshop von Christine Hatzky (Leibnitz Universität Hannover) zur „Geschichte Lateinamerikas als Global History“ sowie der Workshop von Ulrich Mücke (Universität Hamburg) über die „Geschichte des politischen Denkens in Lateinamerika“. Der eigentliche Fokus der Tagung lag aber auf der Präsentation der Projekte von 20 Nachwuchswissenschaftler/innen, die zur Diskussion gestellt wurden. Als kleinsten gemeinsamen Nenner der verschiedenen Beiträge lässt sich in der Tat nur der Bezug zur Geschichte Lateinamerikas festhalten; Thematik, verwendete Methodik und Stand der Forschung variierten ebenso wie die in den Blick genommenen Zeiträume und Regionen naturgemäß stark. Einige der vorgestellten Dissertationsprojekte befanden sich noch in der Orientierungsphase und stellten lediglich erste Vorhabensbeschreibungen dar, andere wiederum zeugten bereits von fundierten Erkenntnissen.

Der Tagungsort, das ehemalige Kapuzinerkloster in Eichstätt, hatte selbst eine Relevanz für die Tagung: So berichtete JOHANNA UMBACH (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt) von ihren diskursgeschichtlichen Untersuchungen zum Gegensatz von Zivilisation und Barbarei in Südchile zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In ihrer Dissertation stützt sie sich bislang hauptsächlich auf Bildquellen der Kapuziner, die sie in Eichstätt und Südchile entdeckte. Dieses wertvolle Material ist bisher noch nicht wissenschaftlich ausgewertet worden. Anhand der Fotografien und ihrer Verwendungen seien Entwicklungen des Diskurses sowie technologische und vermeintlich zivilisatorische Fortschritte durch die Christianisierung zu beschreiben. Auch müsse die Umdeutung der Bildmotive durch spätere Generationen von Missionaren auf ihre Intentionalität hin untersucht werden. In der sich an den Vortrag anschließenden Diskussion wurde allerdings im Hinblick auf die Themenwahl angeregt, nicht ausschließlich Fotografien der Kapuziner als Quellenbasis zu verwenden.

Ein ähnliches diskursgeschichtliches Thema wurde von IMKE RATH (Universität Hamburg) behandelt, die neu-spanische Einflüsse während der spanischen Missionierung in den philippinischen Tagalog-Provinzen aufzuzeigen versuchte. Die Missionierung habe unter anderem durch bestimmte Kommunikationsprozesse christliche Wissenssysteme vor Ort etabliert. Raths Ziel ist es, das homogenisierte Verständnis der vorspanischen philippinischen Regionen zu dekonstruieren und zu differenzieren.

Einen relativ einheitlichen Block bildeten einige vorgetragene Projekte zu Lateinamerika im Kontext der kulturellen Globalisierung. SYLVIA DÜMMER (Freie Universität Berlin) berichtete beispielsweise über die verschiedenen Formen und Methoden der mexikanischen Propaganda während der Präsidentschaft von Lázaro Cárdenas (1934-1940). In dieser Phase der Stabilisierung und Institutionalisierung der mexikanischen Revolution, die freilich auch von Verstaatlichungen in der Öl- und Energiebranche geprägt war, habe die Propaganda gegenüber den USA ein wichtiges Instrument auf staatlicher, ökonomischer und sozialer Ebene dargestellt und gleichzeitig den kulturellen Transfer begünstigt.

STEPHAN FENDER (Hamburg) baut seine Dissertation auf den Ergebnissen seiner Magisterarbeit auf. Er berichtete über seine Überlegungen zu Verknüpfungen zwischen Globalisierung und der Arbeiterschaft in Mexiko-Stadt zu Zeiten der Revolution. Dem aktuellen Stand seiner Forschung nach sei die Arbeiterschaft, vor allem die anarchistisch geprägte, durchaus ein eigenständiger Akteur in Bezug auf die symbolische Konstruktion einer weltweiten Arbeiterbewegung und der mexikanischen Einbettung in eben diese gewesen.

Ebenfalls über einen kulturgeschichtlichen Ansatz näherte sich CHRISTIAN HELM (Hannover) dem „Zeitgeistphänomen Nicaraguasolidarität“(Helm) im Deutschland der 1980er-Jahre an, wobei er sich vor allem auf die transferierten Bilder und Projektionen sowie deren Konstruktionsmechanismen fokussiert. Dieses Thema führte zu einer angeregten Diskussion unter den anwesenden Professoren, welche als Zeitzeugen einen fundierten Überblick der Thematik einbrachten. Hans-Joachim König riet, nicht nur den lateinamerikanischen Kontext, sondern gerade auch den deutschen stärker miteinzubeziehen. Auch sei die im Laufe der Zeit einsetzende Desillusionierung der sich mit Nicaragua solidarisch zeigenden Zeitgenossen zu bedenken. Thomas Fischer vermisste in dem Vortrag eine klarere Konturierung der beteiligten Akteure, insbesondere der jugendlichen Aktivisten der Post-68er-Generation.

Als Folge eines transnationalen Kulturtransfers wurden von ANNA WINKLER (Berlin) weibliche Emanzipationsbestrebungen in Argentinien dargestellt. Sich verändernde Vorstellungen von Weiblichkeit und Modernität haben, zusammen mit bewussten Grenzüberschreitungen, zu einer Entwicklung der Frauen vom Objekt zum Subjekt, respektive Akteurinnen, begünstigt. Hierbei habe die kulturelle Globalisierung die notwendigen europäischen und US-amerikanischen Verknüpfungen auf thematischer und ideologischer Ebene ermöglicht. So seien die in Argentinien von „fortschrittlichen“ Frauen aufgegriffenen Themen durchaus Nationen übergreifender Natur gewesen, was wiederum für einen in der Globalisierung bedingten Legitimationsrahmen gesorgt habe.

Wiederum andere weibliche Akteure standen bei BEA WITTGER (Köln) im Mittelpunkt. Sie berichtete über die brasilianische Hausbesetzerszene in Form einer Milieustudie mit Fokus auf Rio de Janeiro. Die von ihr untersuchte Bewegung mache dort durch ihre Aktionen auf die Diskrepanz zwischen dem in der Verfassung festgeschriebenen Grundrecht auf Wohnraum und der realen, prekären Lage auf dem Wohnraummarkt aufmerksam. Wittger sucht eine Antwort auf die Frage, ob die Wohnraumbewegung, deren treibenden organisatorischen Kräfte großenteils Frauen sind, einen signifikanten Einfluss auf das Genderverständnis der beteiligten Akteure ausübt und auf diese Weise eventuell ein neues Genderbewusstsein entstanden ist.

Als abschließender Eindruck der Tagung lässt sich festhalten, dass die Nachwuchsgeneration der Lateinamerikahistoriker/innen in ihrer Methodik, aber auch in ihrer Diskussionskultur zu einem guten Teil in den bereits erprobten Fußspuren ihren Doktormütter und -väter folgt, ohne dabei jedoch moderne Entwicklungen und Prozesse zu vernachlässigen. Bezüglich der sich an die jeweiligen Ausführungen anschließenden Diskussionen ließe sich vielleicht eine stärkere Beteiligung der anwesenden Dissertanten wünschen, doch ist es gleichzeitig auch verständlich, dass die teils sehr speziellen Themengebiete einer gewissen Einarbeitung benötigt hätten, um fundierte Dialogbeiträge beisteuern zu können. So kam das Feedback zu den einzelnen Inhalten und Herangehensweisen vornehmlich von Seiten bereits etablierter Wissenschaftler.

Nichtsdestotrotz erfüllte diese Tagung sicherlich ihre verschiedenen Zwecke zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Zum einen bot sie die günstige Gelegenheit, Kritik nicht nur aus dem vertrauten Umfeld der Heimatuniversität zu erfahren, sondern auch von anderen Fachkollegen. Dies fördert gleichzeitig die Netzwerkbildung und somit die Integration in den Wissenschaftsbetrieb. Insgesamt stellte die Tagung somit eine willkommene Plattform des Austausches dar, durch die und auf deren Basis die aktuelle Forschung zur Geschichte Lateinamerikas im Grunde ausschließlich profitieren kann.

Konferenzübersicht:

Thomas Fischer (Eichstätt), Eröffnung der Tagung.

Ulrich Mücke (Hamburg), Workshop: Geschichte des politischen Denkens in Lateinamerika.

Christine Hatzky (Hannover), Workshop: Geschichte Lateinamerikas als Global History.

Sylvia Dümmer (Berlin), Mexicanos pobres. Imagen de nación presente en la propaganda de México hacia Estados Unidos durante el gobierno de Lázaro Cárdenas (1934-1940).

Anna Winkler (Berlin), Bilder von 'bedrohlichen Frauen' in Argentinien im Kontext der kulturellen Globalisierung 1880-1930.

Stephan Fender (Hamburg), Arbeiterschaft als Träger der kulturellen Globalisierung während der Mexikanischen Revolution.

Christian Helm (Hannover), Bei den Erben Sandinos. Die transnationale Konstruktion des Nicaraguabildes durch die bundesdeutsche Solidaritätsbewegung und die FSLN (1978-1990).

Bea Wittger (Köln), Citizenship und Gender in Brasilien. Frauen im Kampf um urbanen Wohnraum.

David Grewe (Münster), Staatsbürgerschaft und Ethnizität als politische Ressourcen. Indigene und afromestizische Gemeinen in Mexiko zwischen 1812 und 1846.

Felipe Vanderhuck (Bielefeld), La literatura como oficio: Colombia 1930-1946.

Dennis Arias (Berlin), De héroes y monstruos, o la caceria de las criaturas. Metáforas de la subjetividad y de las ideas en la (bio/zoo) politica costarricense (1900-1960).

Valentin Kramer (Eichstätt), Deutsche Einwanderer in Argentinien und Konstruktion der argentinidad, 1870-1930.

Lukas Rehm (Bielefeld), Politische Gewalt und state formation. La Violencia in Tolima, Kolumbien 1946-1964.

Abeldardi Baldizón (Bremen), Die Parteien in Nicaragua im frühen 20. Jahrhundert.

Mario Peters (Hannover), Sozialräumliche Segregation und die Einwirkung von stereotypen Imaginationen und Repräsentationen auf urbane Wohnraumpolitik in Brasilien, ca. 1920-1970.

Barbara Rupflin (Münster), Die katholische Kirche in Argentinien unter der Militärdiktatur 1976-1983.

Johanna Umbach (Eichstätt), Mission und „Zivilisation“: Der Bilddiskurs der Kapuziner in Südchile.

Andrea Nicklisch (Hamburg), Kulturkontakt am Altar. Silberarbeiten als Medien des Bedeutungstransfers im bolivianischen Altiplano des 17. und 18. Jahrhunderts.

Imke Rath (Hamburg), Christliche Wissenssysteme und „Strategien des Verstehens“ im Missionierungskontext: Tagalog-Provinzen, 17. und 18. Jahrhundert.


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