Sozialismus aus christlicher Verantwortung? Die (Ost-)CDU und die Kirchenpolitik in Thüringen

Sozialismus aus christlicher Verantwortung? Die (Ost-)CDU und die Kirchenpolitik in Thüringen

Organisatoren
Evangelische Akademie Thüringen
Ort
Neudietendorf
Land
Deutschland
Vom - Bis
02.12.2011 - 03.12.2011
Url der Konferenzwebsite
Von
Cornelia von Ruthendorf-Przewoski, Theologische Fakultät, Universität Leipzig

Die Tagung der Evangelischen Akademie Thüringen stand unter zwei Hauptfragestellungen: 1. Gab es einen eigenständigen Handlungsspielraum für die Ost-CDU? 2. Bildet die Zwei-Fronten-These von Widerspruch zwischen Führung und Basis ein sachliches Deutungsmuster für die CDU ab, oder ist diese These ein apologetischer Gründungsmythos? Diesen Fragen wurde in drei aufeinander aufbauenden Clustern nachgegangen. Das erste Cluster war dabei historischen Längsschnitten, das zweite mikrohistorischen Tiefenschnitten und das dritte einem auf die aktuelle Situation reflektierenden Podium gewidmet.

KLAUS FITSCHEN (Leipzig) schlug vor, anstelle von einer Selbstverortung von einer Fremdverortung der CDU durch die SED zu sprechen. Die Frage nach eigenen Handlungsspielräumen exemplifizierte er anhand der SED-Volksbildung. Da sich zeige, dass sich die CDU in aller Regel mit der SED gegen Kinder christlicher Eltern gestellt habe, lasse sich hier ein eigenständiger Handlungsspielraum verneinen. Die CDU verzichtete auf eine eigene politische theoretische Grundlegung, gab sich politisch selbst auf und machte sich tatsächlich zum Transmissionsriemen für die SED. Anhand von Autobiographien von CDU-Funktionsträgern zeige sich allerdings, dass diese einen völlig anderen Wahrnehmungshintergrund hatten. Die Mitglieder der CDU wurden aus dieser Perspektive nur wahrgenommen, wenn sie sich verweigerten und nicht zustimmten, was einem persönlichen politischen Aus gleichkam. Genauer ausloten ließen sich eine etwaige Distanz zwischen Funktionselite und Basis und auch der Einfluss der CDU auf Kirche, Gemeinde und Pfarrer jedoch nur aufgrund bisher fehlender regionalgeschichtlicher Studien. In der Diskussion zu diesem Vortrag wurde die Emotionalität der anwesenden Zeitzeugen deutlich, die in verschiedenen Voten doch vorhandene Handlungsspielräume erklärten. Allein an der Emotionalität der Debatte lässt sich erkennen, wie wenig aufgearbeitet die Frage nach den Möglichkeiten und Begrenzungen von eigenständigem Handeln in der Ost-CDU noch ist.

UTE SCHMIDT (Berlin) analysierte in einem Dreischritt die Prozesse der strukturell-organisatorischen Ebene, der Eliten und der Mitglieder. Sie charakterisierte die CDU als „Wurmfortsatz“ der SED, deren Wandlung zu einem Herrschaftsinstrument der SED in den 1950er-Jahren abgeschlossen worden sei. Im Umstrukturierungsprozess der CDU kategorisierte Schmidt unterschiedliche Typen von Eliten, die 1989/90 vorübergehend oder permanent an die Macht kamen und erläuterte diese detailreich an Einzelbeispielen. Die Zwei-Fronten-These habe sich inzwischen zum Gründungsmythos verfestigt. Ob jedoch Ortsgruppen sich trauten, Kritik zu äußern, und damit versuchten sich trotz Risiko neue Handlungsräume zu erschließen, hing stark vom Mut einzelner Personen ab. Schmidt führte aus, dass die CDU nicht zu den treibenden Gruppen des Herbstes 1989 gehörte. Wirkliche Kritik von seiten der Basis habe erst nach Bekanntwerden des Weimarer Briefes im September 1989 begonnen. Erst Göttings Sturz am 2. November 1989 habe den Weg für Neuerungen freigemacht. Es bleibt, so auch hier der Impuls, Forschungsbedarf auf der Mikroebene. Die Diskussion drehte sich im Anschluss vor allem um die Funktion des Weimarer Briefes. Gerade die Rolle von Oberkirchenrat Martin Kirchner, der gleichzeitig IM war, benötige weitere Nachforschung. Während Zeitzeugen wiederum eher um Verständnis ihrer damaligen Situation warben, hinterfragten jüngere Historiker diesen Prozess als Verklärungsstrategie zunehmend. Aus ihren Blick sei der Neuanfang der CDU nach 1989 Legendenbildung, während – so wiederum auch einige Zeitzeugen – auch die Negation eines Neuanfanges Legendenbildung sei. Hier stießen unterschiedliche Wahrnehmungen aufeinander, die nicht angenähert werden konnten.

Das zweite Cluster wurde von JAN SCHÖNFELDER (Erfurt) eröffnet. In einem exzellent ausgeführten Beitrag exerzierte er die Handlungsspielräume der Ortsgruppe Pösneck an einem breiten Spektrum von Einzelbeispielen unterschiedlicher Konfliktfelder in der DDR durch. Schönfelder bescheinigte der CDU eine Funktion als Beschwichtigter und als eines „verständnisvollen Blitzableiters“ selbst in jenen staatlichen Aktionen, von denen sie überrascht wurde. Eigenständigen Handlungsspielraum sah er nur in ideologiefreien Räumen wie Aufräumaktionen nach Unwettern etc. In einem Fazit attestierte Schönfelder der CDU fehlendes politisches Profil und Konfliktscheue bis 1989. Die Auseinandersetzung suchte sie nicht mit der SED, sondern mit christlichen Bürgern und der Kirche. Sie war keine Trägerin der friedlichen Revolution. Mit der Aussage, dass auch untere Ebenen der CDU fest in den Herrschaftsapparat der SED verankert gewesen seien, lehnte er eine Zwei-Fronten-These ab. In den Diskussionsbeiträgen zeigten sich die Teilnehmer von Schönfelders Ausführungen beeindruckt. Angefragt wurde allerdings seine Quellenbasis, die allein auf Berichten eines Ortsverbandes fußte.

Eine zweite eher kirchliche Ebene brachte CHRISTIAN DIETRICH (Nohra) ein. In einer kaleidoskopartigen Form suchte er den schillernden Begriff des Thüringer Weges, die Verflechtung der Ost-CDU mit der Landeskirche anhand der Person des Oberkirchenrates Gerhard Lotz sowie Wesen, Inhalt und Arbeitsform des Weimarer Arbeitskreises miteinander zu verbinden. Es zeigte sich dabei, dass zur Figur des Landesbischof Mitzenheims noch erheblicher Forschungsbedarf besteht. Die Überlegungen zum Weimarer Arbeitskreis blieben noch unscharf, was vor allem der marginalen Quellenbasis zu schulden ist. In der Diskussion zeigte sich, wie weit die Deutungen Bischof Mitzenheims in der Thüringer Kirche noch immer auseinanderklaffen. Für den Weimarer Arbeitskreis wurde der weitere Forschungsbedarf zu seinem Kirchenverständnis, aber auch zu seiner Form und seinem Netzwerk bestätigt.

Die dritte Fallstudie wurde von SUSANNE BÖHM (Großkröbitz) vollzogen. In einem Dreischritt fragte Böhm nach Publikationen, Akteuren und den kulturpolitischen Möglichkeiten und Beiträgen der CDU. An drei Gedenkstätten arbeitete sie die unterschiedliche Beteiligung und Rezeption der CDU heraus. Die CDU wich dabei auf den ideologisch von der SED nicht so stark besetzten Albert Schweitzer aus. Sie arbeitete maßgeblich im Albert-Schweitzer-Komitee und an der Eröffnung einer Gedenkstätte in Weimar 1984 mit. In einem Fazit betonte Böhm zum einen, dass durch die Gedenkstätten auch auf diesem Feld Christen in die DDR eingepasst werden sollten. Zum anderen hielt die CDU die Erinnerung an Paul Schneider, Albert Schweitzer und Martin Luther lebendig, allerdings um den Preis der politischen Indienstnahme, des Zurückdrängens des theologischen Erbes und der Verdiesseitigung des Christentums. In der Diskussion wurde noch stärker herausgearbeitet, dass die Theologen nur als „Legitimitätsbeschaffer“ inhaltlich jedoch nicht erwünscht waren und das kirchliche Gedenken an die Geschwister Scholl als zusätzlicher Faktor benannt.

Das dritte Cluster weitete die Tagung auf die aktuelle Situation und zog ein Tagungsfazit. Aus den beiden bisher genannten Fragestellungen ergab sich die Frage nach der Aufarbeitung innerhalb der CDU. MICHAEL KRAPP (Ilmenau), Thüringischer Kultusminister a.D., berichtete von den eher von Pragmatismus geprägten parteipolitischen Überlegungen Anfang der 1990er-Jahre. Für die heutige CDU beklagte er den fehlenden Geist der Transformationseliten und ein Defizit innerparteilicher Demokratie. Statt Aufarbeitung stehe Machterhalt an erster Stelle. JOSEF PILVOUSEK (Erfurt) stellte heraus, dass eine Zusammenarbeit zwischen katholischer Kirche und CDU sich schwierig gestalte, denn es habe während der DDR eine „Reihe an Formen des nachbarschaftlichen Geheimnisverrates“ gegeben. Heute sei für Katholiken jede politische Partei wählbar. Das Eichsfeld sei ein Sonderfall und müsse gesondert betrachtet werden. Pilvousek betonte die Wichtigkeit von Geschichte als identitätsstiftendem Faktor.

JOACHIM GOERTZ (Berlin) setzte die CDU in Beziehung zu der biblischen Geschichte der Heilung eines Gelähmten. Sie hätte zur Heilung getragen werden müssen. Noch immer fehle die Aufarbeitung. Die Kirche könnte im Bemühen um Aufarbeitung Vorbild sein. Fitschen sah die Situation der CDU 1989/90 zwar pragmatisch, doch gehöre zur Aufarbeitung theologisch vor einer Vergebung ein Sündenbekenntnis. Dies stehe in der CDU noch aus. Bei der Aufarbeitung zu helfen, sei jedoch nicht Aufgabe der Kirchen. Im Prozess der Säkularisierung und Pluralisierung warnte er vor der Gefahr einer „Gespensterdiskussion“, denn es sei verkehrt, CDU und Kirche zu sehr aufeinander zu beziehen.

Als Fazit der Tagung lässt sich dreierlei anführen: 1. Für ein demokratisches Selbstverständnis ist historische Aufarbeitung von genuiner Bedeutung. 2. Die CDU hat die Frage der Aufarbeitung noch vor, nicht schon hinter sich. 3. Mikrohistorische Studien fehlen auf breiter Front. Sie könnten helfen, die Diskussion ohne Apologetik oder Verurteilung zu verorten.

Konferenzübersicht:

Susanne Böhm (Großkröbitz): Einführung

Klaus Fitschen (Leipzig): Christliche Existenz im atheistischen Staat. Die Selbstverortung der Ost-CDU und ihre kirchenpolitische Funktion in der DDR

Ute Schmidt (Berlin): Die Ost-CDU nach der friedlichen Revolution. Der Umgang mit dem Erbe der Blockpartei in Thüringen

Jan Schönfelder (Erfurt): Die Ost-CDU in lokalen Konflikten am Beispiel des Bezirkes Gera

Pfarrer Christian Dietrich (Nohra): Der Weimarer Arbeitskreis, die Ost-CDU und der Thüringer Weg der evangelischen Kirche

Susanne Böhm (Großkröbitz): Paul Schneider – Albert Schweitzer – Martin Luther. Beiträge der Ost-CDU zur Erinnerungskultur

Generationenwechsel, Integration und Identität der Ost-CDU nach 1989/90. Podiumsgespräch mit: Michael Krapp (Ilmenau), Josef Pilvousek (Erfurt), Klaus Fitschen (Leipzig), Joachim Goertz (Berlin) und Michael Haspel (Neudietendorf)


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