Antike Bauornamentik: Möglichkeiten und Grenzen ihrer Erforschung

Antike Bauornamentik: Möglichkeiten und Grenzen ihrer Erforschung

Organisatoren
Institut für Klassische Archäologie, Ludwig-Maximilians-Universität München; Fachgebiet Klassische Archäologie, Technische Universität Darmstadt
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
13.10.2011 - 15.10.2011
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Von
Johannes Lipps, Ludwig-Maximilians-Universität München; Dominik Maschek, Technische Universität Darmstadt

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit antiker Architekturdekoration ist in den letzten Jahren exponentiell angestiegen. Dabei profitierte die Bauornamentikforschung in besonderer Weise von den neuen digitalen Medien. Die daraus resultierenden gesamtheitlichen Betrachtungsweisen und Methoden eröffnen gleichermaßen Schwierigkeiten wie Chancen. Dies betrifft beispielsweise die Validität des stilgeschichtlichen und formgeschichtlichen Ansatzes sowie die zunehmende Kenntnis semantischer und ästhetischer Implikationen, die nicht zuletzt auf einer genaueren Einsicht in die antiken Werkprozesse beruht. Ziel des von der Gerda Henkel-Stiftung geförderten Münchner Kolloquiums war es daher, die Schwierigkeiten und Möglichkeiten der neuen Methoden und Fragestellungen in einem größeren Kreis zu diskutieren.

Nach den Willkommensgrüßen durch den Münchner Institutsleiter Stefan Ritter wurden in einem einleitenden Vortrag von den Organisatoren Johannes Lipps (München) und Dominik Maschek (Darmstadt) die epistemologischen Grundlagen, die wissenschaftsgeschichtliche Verortung und der aktuelle status quo in der Erforschung antiker Bauornamentik resümiert.

Grundlegende methodische Überlegungen zu Ornament und Dekor wurden in Folge im Rahmen der Sektion 1 angestellt. Im ersten Vortrag definierte ANNETTE HAUG (München) das „Ornamentale“ vor dem Hintergrund gegenwärtiger theoretischer Diskussionen als Gestalt- und Wirkprinzip. Beide Aspekte exemplifizierte sie an der Domus Aurea. Als Gestaltprinzip erwies sich das Ornament darin, dass es gezielt eingesetzt wurde, um das Verhältnis zur Architektur, das Verhältnis zum Bild, aber auch das Verhältnis zu Skulptur und Betrachter zu umspielen und zu intensivieren. Als Wirkprinzip wurden Dekor und Ornament dadurch verständlich, dass sie wesentlich zur Schaffung von Raumatmosphären beitrugen. Ob ein Ambiente als luxuriös oder bescheiden, modern oder altertümlich, lokal oder exotisch wahrgenommen wurde, war letztlich stets eine Frage der Rezipientenhaltung. Dekorative Systeme erzeugten folglich nicht nur visuelle, sondern auch soziale Ordnungen.

Unter dem Titel „Was ist Bauornamentik“ reflektierte ANDREAS GRÜNER (München) anschließend das Verständnis von Bauornamentik in unterschiedlichen historischen Kontexten. Dabei beklagte er zum einen die Konzentration gerade der deutschsprachigen Forschung auf ornamentierte Bauglieder aus Stein und plädierte für eine gesamtheitliche Betrachtung antiker Lebensräume. Zum anderen bemühte er sich um eine möglichst scharfe Definition dessen, was unter Bauornamentik zu verstehen sei. Dabei kritisierte er die in der Forschung zuletzt vorgenommene Trennung von tektonisch bedingter und rein schmückender Ornamentik. Vielmehr sei Ornamentik stets unabhängig von der Tektonik gedacht worden, und lediglich der Einsatz reflexiver Elemente habe vor dem Hintergrund eines zunehmend selbstbewussten ästhetischen Diskurses im Laufe der Antike deutlich zugenommen.

Im Anschluss widmete sich die Sektion 2 unter Leitung von Hansgeorg Bankel (München) in mehreren Beiträgen dem methodischen Spektrum, den Problemfeldern und dem heuristischen Potenzial der aktuellen Grundlagenforschung. Den Anfang machte KRISTINE IARA (Rom) mit einer Präsentation zum Gartenhippodrom im Kaiserpalast auf dem Palatin in Rom. Auf der einen Seite bieten die rund neunhundert dekorierten Bauteile des Hippodroms die Grundlage für eine hypothetische Rekonstruktion der Architektur. Andererseits ist die Ornamentforschung nur eine von vielen gleichermaßen notwendigen Methoden zum Verständnis des Bauwerks: Da die Dekoration des Hippodroms in ihren Charakteristika der herkömmlichen, in flavischer und severischer Zeit verwendeten stadtrömischen Baudekoration entspricht, können die spezifischen Qualitäten dieses singulären Baus nur im Kontext der Palastarchitektur des Palatin insgesamt sowie im Kontext der Garten- und Villenarchitektur der Kaiserzeit verstanden werden.

Im zweiten Vortrag der Sektion beschäftigte sich BLERINA TOÇI (Tirana) mit bislang unpublizierter Bauornamentik aus dem illyrischen Apollonia und zeigte sowohl Möglichkeiten als auch Grenzen im Umgang mit dem Fundspektrum einer noch kaum erforschten archäologischen Landschaft auf. Dabei wird besonders auf die Abgrenzung möglicher lokaler Stilelemente von griechischen und römischen Elementen geachtet und eine historische Interpretation der herausgearbeiteten Interdependenzen und Brüche versucht. Das große Potenzial der bislang als Quellengattung nur unzulänglich erschlossenen Bauornamentik von Apollonia liegt folglich darin, ausgehend von einzelnen Baugliedern eine diachrone Analyse von Bauaktivitäten und städtischen Phänomenologien herauszuarbeiten, durch deren Ergebnisse auf der Makroebene schließlich auch vielfältigen Fragen nach interregionalen Kulturationsmustern nachgegangen werden kann.

Im abschließenden Vortrag der Sektion stellte URSULA QUATEMBER (Wien) neueste Ergebnisse eines laufenden Bauforschungsprojektes zum ‚Hadrianstempel‘ an der Kuretenstraße von Ephesos vor. Der Vortrag konzentrierte sich auf zwei Aspekte, die im Rahmen methodischer Überlegungen zur Beurteilung von Bauornamentik von höchstem Interesse sind: Zum einen werden am ‚Hadrianstempel‘ die marmornen Architekturglieder mittels 3D-Surface-Scanning aufgenommen. Zum anderen zeigt die Untersuchung der Baugeschichte des Hadrianstempels, dass wohl in tetrarchischer Zeit ein teilweiser Wiederaufbau erfolgte, bei dem einige originale Architekurglieder ausgetaucht werden mussten. Bei der Anfertigung dieser Ersatzstücke bemühte man sich um die Imitation der ursprünglichen Bauornamentik. Es handelt sich dabei um ein bislang kaum untersuchtes Phänomen, das im Rahmen einer kritischen Reflexion von Methoden verstärkte Aufmerksamkeit verdient.

Die Sektion 3 unter Leitung von Stefan Ritter (München) wurde von SARAH SCHRENK (Bonn) mit einem Vortrag zur westgriechischen Architekturdekoration eröffnet. Die Untersuchungen zu paradigmatisch ausgewählten Architekturgliedern ergaben, dass die westgriechische Bauornamentik eine Reihe von Spezifika aufweist, die sie von der Ornamentik anderer Regionen des griechischen Mutterlandes zum Teil unterscheidet und abgrenzt. Durch die politischen und historischen Umwälzungen im Übergang von der Klassik zum Hellenismus wurden Akarnanien, Epeiros und Teile Illyriens von einer Urbanisierungswelle erfasst. In diesem Zusammenhang kam es zur partiellen Übernahme und Verwendung von Bau- und Ornamentformen aus Makedonien und besonders der Peloponnes. Ferner lassen sich Gemeinsamkeiten mit unteritalischen Dekorformen feststellen.

Im Anschluss betonte JANINE LEHMANN (Köln) in ihrem Vortrag die Langlebigkeit frühkaiserzeitlicher Formen in der hispanischen Bauornamentik. Erschwerend fügen sich in dieses Gesamtbild die wenigen außerstilistischen Anhaltspunkte ein, welche zu einer zeitlichen Einordnung sowie Klärung des Retardierens und Wiederaufgreifens früherer Formen verhelfen könnten. Am Beispiel einer Gruppe korinthischer Kapitelle aus Obulco (Provinz Jaén, Andalusien) wurden diese Problematik und der methodische Umgang mit hispanischer Bauornamentik beleuchtet. Hier konnten besonders die heterogene Kapitellproduktion einer Stadt aufgezeigt und die möglichen Einflussfaktoren (unterschiedliche Entstehungszeiten, Werkstätten, Bautypen etc.) diskutiert werden.

Danach stellte JOHANNES LIPPS (München) in seinem Vortrag die snychrone Existenz formal unterschiedlicher Bauornamentik als methodisches Problem vor. Für die frühkaiserzeitliche Basilica Aemilia am Forum Romanum wurde die Gleichzeitigkeit bislang unterschiedlich datierter, formal sehr verschiedener Dekorformen aufgezeigt. Diese Gegebenheit stellt das in den vergangenen Jahren für den Stadtraum Rom erarbeitete, engmaschige Chronologiesysteme frühkaiserzeitlicher Bauornamentik in Frage und verlangt nach alternativen Erklärungsansätzen. Vor allem der städtebauliche Kontext von Architektur wurde dabei abschließend hervorgehoben und die Frage aufgeworfen, ob und inwiefern dieser urbanistische Zusammenhang ausschlaggebend für die Konzeption und Ausführung von Bauornamentik gewesen sein kann.

Der folgende Vortrag von HOLGER WIENHOLZ (Berlin) beschäftigte sich mit der Architekturornamentik des Jupiterheiligtums in Baalbeck. Die im Jahre 1921 erschienene Grabungspublikation hat eine Idealrekonstruktion der Bauten und ihrer ornamentalen Ausschmückung vorgelegt, der nun die Masse an Abweichungen gegenübergestellt und die Rolle von individuellen Eigenheiten besser bewertet werden kann. Architekturornamentik wird dabei nicht als ein abstrakt zu betrachtendes Kunstprodukt, sondern als ein Resultat menschlichen Handelns verstanden. Basierend auf der Prämisse, dass Bauornamentik kein selbstdatierender Gegenstand ist, wird ihre Bearbeitung mit einer Bauaufnahme gekoppelt, so dass die Ergebnisse der Analysen sich gegenseitig stützen können. Ziel ist keine vom Bauwerk isolierte typologische Reihung datierender Details, sondern ein substantieller Beitrag zur Bau- und Kulturgeschichte Baalbeks.

Den Umgang mit einer ähnlich großen Menge an ornamentierten Architekturgliedern demonstrierte in weiterer Folge REINHARD KÖSTER (Mainz). Anhand ausgewählter Bauteile aus dem römischen Milet sollten methodische Probleme, die sich generell bei der Bearbeitung von Bauornamentik ergeben, und die Wege zu ihrer pragmatischen Lösung aufgezeigt werden. Dabei standen sowohl die Unsicherheiten bei vermeintlich durch Inschriften fest datierten Bauten als auch die Schwierigkeit, sich bei stilistischen Vergleichen auf einen strengen Kanon bestimmter Kriterien zu beschränken, im Vordergrund. Daneben wurde der Frage nachgegangen, inwieweit zurückhaltend ornamentierte Fassaden einem bewussten Dekorationskonzept folgen oder auf eine unterbliebene Ausarbeitung zurückgehen. In diesem Zusammenhang wurde evident, dass es häufig zu Missinterpretationen kommen kann, wenn stilistische Entwicklungen anderer Kunstgattungen auf nur eine bestimmte Dekoration eines Baues übertragen werden, ohne dessen restliche Ornamentik mit zu berücksichtigen.

Als abschließender Referent der Sektion 3 stellte schließlich GEORG BREITNER (Trier) die Bauornamentik von Felix Romuliana (Gamzigrad) vor. Das bislang mehrheitlich galerisch datierte Material kann in unterschiedliche zeitliche Gruppen geteilt werden. Hierbei spielen sowohl zeit- wie regionalstilistische Merkmale eine Rolle. Neben einigen wiederverwendeten mittelkaiserzeitlichen Baugliedern aus Importmarmor folgen die mehrheitlich aus lokalen Sand- oder Kalkstein hergestellten Bauglieder in ihrem Formenspektrum vergleichbaren tetrarchischen Bauprogrammen. Daneben lassen sich deutlich lokale Züge in der Auswahl der Motive und stilistischen Formgebung feststellen. Mitunter sind jedoch auch Formen erkennbar, die offenbar bewusst ältere Vorlagen übernehmen und innerhalb desselben Baukonzeptes im Kontrast zu zeitgenössischen Arbeiten stehen.

Die Sektion 4 unter der Leitung von Michael Pfanner (Leipzig) wurde von GEORG A. PLATTNER (Wien) eröffnet. Bei der Bewertung von Bauornamentik trennte er methodisch drei grundsätzliche Ebenen: die Syntax der Ornamente und Bauteile, die Ikonographie des einzelnen Dekorelementes und die „Handschrift“ des ausführenden Steinmetzen. Die durch Vermischung dieser unterschiedlicher Ebenen entstandenen Missverständnisse wurden an Beispielen von Ephesos und Rom vorgeführt. An Einzelmotiven kann der rasche Austausch von Mustern in der Architekturdekoration in Kleinasien und Rom belegt werden. Das Wandern von Handwerkern wiederum ist sowohl durch die „Handschrift“ der Steinmetze als auch durch epigraphische Belege glaubhaft zu machen. Bei der Bewertung von Neuerungen und Einflüssen „fremder“ Architekturformen muss die Motivation der Auftraggeber ebenso hinterfragt werden wie die Voraussetzungen in der jeweiligen rezipierenden Landschaft. Lokale Traditionen stellen dabei einen bedeutenden Faktor dar, ebenso das Vorkommen von Rohstoffen und damit verbunden die Erfahrung im Umgang mit dem jeweiligen Material.

Vergleichbare Fragestellungen behandelte CHRISTOPH BAIER (Wien/Cottbus). Allerdings stellte er die technischen Grundlagen der Produktion von Bauornamentik ins Zentrum seiner Überlegungen. Anhand eines ausgewählten Beispiels aus Ephesos, dem Nymphäum des Laecanius Bassus aus flavischer Zeit, wurde ein Ansatz zur Analyse der Arbeitsorganisation zur Diskussion gestellt, der die bewährte ikonographische Methode mit einem computergestützten, multivariaten Analyseverfahren kombiniert. In der Interpretation der Ergebnisse trat der Versuch, einzelne Befundkomplexe innerhalb ihres historischen Kontexts zu verstehen, an die Stelle einer Suche nach allgemein gültigen Regeln zur Rekonstruktion von Werkstätten und Werkstättenbeziehungen.

Der anschließende Vortrag von TOBIAS BITTERER (München) galt den Herstellungsprozessen von marmorner Wandverkleidung im kaiserzeitlichen Rom. Ziel der Beschäftigung mit solchen Inkrustationen ist, eine detaillierte Vorstellung von deren Herstellungsprozessen zu erarbeiten, um mit diesem Wissen das ursprüngliche Erscheinungsbild so weit als möglich rekonstruieren zu können, und Entwicklungslinien aufzuzeigen, die es ermöglichen, auch neu zu erforschenden Gebäuden einen Platz in einer Tradition der Ausschmückung und ornamentalen Ausgestaltung von Innenräumen zuzuweisen. Der Vortrag konnte auf eindrucksvolle Art und Weise zeigen, in welch komplexem Wechselspiel zwischen Technologie und dekorativen Normen sich die Produktion von architektonischem Schmuck und Raumatmosphäre in der repräsentativen Baukunst der römischen Kaiserzeit von Fall zu Fall vollzog.

Zum Abschluss der Sektion präsentierte NATALIA TOMA-KANSTEINER (Kiel) einen neuen Vorschlag zum Entwurf und zur Herstellung von korinthischen Kapitellen in der Kaiserzeit. Der Schwerpunkt des Vortrags lag auf der Beurteilung von Werkzeichnungen, die sich auf den Lagerflächen einiger Kapitelle erhalten und den Steinmetzen als Konstruktionslinien gedient haben. Es wurden drei, in Leptis Magna, Priene und Sabratha gefundene Kapitelle unterschiedlichen Bearbeitungsgrads vorgestellt, um zum einen die Abfolge zu erörtern, in der diese Ritzlinien angelegt worden sind, und zum anderen ihre Rolle für den Kapitellentwurf und für den Herstellungsprozess zu veranschaulichen. Im Anschluss daran wurde auf die Verwendung plastischer bzw. zeichnerischer Vorlagen bei der Herstellung von Kapitellen und Bauornamentik eingegangen und der Frage nach der Existenz von „Musterstücken“ bzw. „Musterbüchern“ nachgegangen.

Die abschließende Sektion 5 unter Leitung von Rolf Michael Schneider (München) wurde von JON ALBERS (Bonn) eröffnet, der sich mit der Gebälkdekoration etruskischer Tempel und den damit verbundenen weiterführenden kulturgeschichtlichen Implikationen auseinandersetzte. Die Terrakottaverkleidungen etruskischer Heiligtümer zeigen seit ca. 580 v.Chr. bis zum Ende des 6. Jh. v.Chr. Friese mit Kriegergruppen, Prozessionsszenen und Bankettdarstellungen und werden dann von ornamentalem, zumeist floralem Dekor abgelöst. Im Rahmen des Vortrags wurden die möglichen kulturhistorischen Ursachen für diesen markanten Übergang eingehend untersucht und analysiert. Vor allem die Monumentalisierung der Bauten, die Veränderung der kulturellen Einflüsse und das Aufkommen neuer Dekorationsprinzipien standen dabei im Fokus. Gleichzeitig wurde der Versuch unternommen, bestimmten Dekorationsformen feste Bereiche und Anbringungsmöglichkeiten innerhalb der Bauordnung etruskischer Heiligtümer zuzuweisen.

Im Anschluss widmete sich JOCHEN GRIESBACH (München) dem semantischen Spektrum von Statuenbasen im hellenistischen Osten. Anhand ausgewählter Beispiele aus dem ägäischen Raum wurde geprüft, inwieweit sich im überregionalen Vergleich verallgemeinerbare Tendenzen in der Entwicklung hellenistischer Statuenbasen nachzeichnen lassen. Als Ausgangspunkt dienten jüngste Beobachtungen zu den wechselnden Repräsentationsstrategien hellenistischer Porträtdenkmäler: Demnach folgte auf eine Phase sehr individueller, um möglichst auffällige Lösungen ringender Monumente im frühen Hellenismus eine gewisse Vereinheitlichung und Harmonisierung der Postamente, während am Ende des 2. Jhs. v.Chr. erneut eine Tendenz zu mehr Differenzierung und insbesondere Exklusivität in der Inszenierung der Bildnisse zu beobachten ist. Ein genauerer Blick auf die Profile stellte dieses Entwicklungsmodell auf den Prüfstand, wobei sich für die Basenkonturen nicht nur ein chronologischer, sondern auch ein entsprechender semantischer Gehalt postulieren ließ. Andererseits wurden aber auch grundsätzlich die methodischen Probleme verdeutlicht, die sich angesichts der Möglichkeit faktischen Recyclings oder stilistischer Rückgriffe auf frühere Profilformen für die rein typologisch ausgerichtete Analyse ergeben.

Unter dem Titel „Der Tempel neue Kleider?“ ging DOMINIK MASCHEK (Darmstadt) im Anschluss den rezeptionsästhetischen und semantischen Aspekten von Bauornamentik im spätrepublikanischen Mittelitalien nach. In bisherigen Forschungen zu republikanischer Tempelarchitektur wurde zumeist zwischen ‚indigenen‘ und ‚hellenistischen‘ Formen des Baudekors unterschieden, die in materieller wie konzeptueller Hinsicht aufeinander gefolgt seien. Anhand von exemplarisch ausgewählten Bauten und ihrer Dekoration wurde im Zuge des Vortrags gezeigt, dass derartige Postulate in mehrfacher Hinsicht zu differenzieren sind: Erstens müssen punktueller Einsatz und langfristige Wirkung verschiedener Dekorformen chronologisch und geographisch gegeneinander abgestuft werden. Zweitens ist der Dekor in semantischer Hinsicht nach den jeweiligen Ornamentträgern, also den Bauwerken und ihren unterschiedlichen Funktionen zu differenzieren, und drittens können motivische Abhängigkeiten sowie regionale Produktionsspezifika isoliert und in ihren Abhängigkeiten analysiert werden.

In eine vergleichbare Richtung ging der abschließende Vortrag von PATRIC-ALEXANDER KREUZ (Bochum). Ausgehend von einem exemplarischen Argumentationsmuster zu einer kleinen Kapitellgruppe und der an diese überwiegend geknüpften Frageinteressen wurden methodische Probleme im Umgang mit lokal gefertigter Bauornamentik veranschaulicht. Zugleich führte eine detaillierte architektonische Analyse zu fruchtbaren Fragefeldern urbanistischen Schwerpunkts, die im Wesentlichen auf den Bereich der Wahrnehmung dekorierter Monumentalarchitektur im öffentlichen Raum abzielten. Dabei standen jedoch nicht nur Rezeptionsbedingungen und -potential der Ornamentik im Kontext konkreter Bauten oder die Frage nach ihrer bewussten, beiläufigen oder durch alltägliche Gewohnheit geradezu fehlenden Wahrnehmung im Vordergrund. Vielmehr wurde der grundlegende Aspekt historischer Tiefe sich verändernder urbaner Ästhetik thematisiert, zu der in maßgeblicher Weise auch Architekturornamentik beitrug. Am Ende des Beitrags stand die Frage nach den Möglichkeiten einer Annäherung an diese Facette von Architekturwahrnehmung, die zugleich einen ausgezeichneten Bogen zu den grundsätzlichen methodischen Überlegungen des ersten Kolloquiumstages zu schlagen vermochte.

In der von ROLF MICHAEL SCHNEIDER geleiteten Abschlussdiskussion wurden die während des Kolloquiums angesprochenen Fragen und Perspektiven noch einmal resümiert. Als zusätzliches Forschungsfeld machte Schneider besonders auf die fundamentale Rolle antiker Baustellen als Teil urbanistischer Erfahrungen aufmerksam.

Über die gesamte Länge der Veranstaltung betrachtet sind sowohl die große Anzahl an Teilnehmern und Interessierten als auch die lebhaften und überaus ergiebigen Diskussionen hervorzuheben. Abgesehen von den Vortragenden und den Sektionsleitern waren angemeldete TeilnehmerInnen aus ganz Deutschland und Österreich vertreten. Darüber hinaus wurde die Tagung von einer signifikanten Zahl an HörerInnen aus München und Umgebung besucht. Die positive Resonanz betraf nicht zuletzt die Tatsache, dass eine derartige, methodengeleitete und -reflexive Tagung zur Erforschung antiker Bauornamentik bislang stets ein Desiderat der entsprechend ausgerichteten Forschung war.

Konferenzübersicht:

Sektion 1: Forschungsgeschichte, Grundfragen, Impulse

Johannes Lipps (München), Dominik Maschek (Darmstadt): Bemerkungen zum status quo in der Erforschung antiker Bauornamentik

Annette Haug (München): Das Ornamentale und die Produktion von Atmosphäre

Andreas Grüner (München): Was ist Bauornamentik?

Sektion 2: Bauforschung und Rekonstruktion

Kristine Iara (Rom): Der Beitrag der Ornamentforschung zur Rekonstruktion des Gartenhippodroms auf dem Palatin (Kristine Iara, Rom)

Blerina Toçi (Tirana): Architectonic fragments from Apollonia monuments (Albania)

Ursula Quatember (Wien): Reparatur oder Ersatz? Die Imitation von Ornamentformen am Beispiel des sog. Hadrianstempels in Ephesos

Sektion 3: Form, Zeit und Raum

Sarah Schrenk (Bonn): Das Erfassen antiker Lebensräume durch die Darstellung der Formgenese westgriechischer Bauornamentik (4.-3. Jh. v.Chr.)

Janine Lehmann (Köln): Die Gleichzeitigkeit des Unzeitgleichen: Konstanten und Dynamiken in der hispanischen Baudekoration

Johannes Lipps (München): Zeitstil versus Semantik

Holger Wienholz (Berlin): Die Architekturornamentik des Jupiterheiligtums in Baalbek

Reinhard Köster (Mainz): Kaiserzeitliche Bauornamentik Kleinasiens: das Beispiel Milet

Georg Breitner (Trier): Die Bauornamentik von Felix Romuliana. Ein tetrarchisches Bauprogramm

Sektion 4: Arbeits- und Entwurfsprozesse, Baumaterial

Georg A. Plattner (Wien): Werkstatt und Muster. Zur Methode der Scheidung von Arbeitsprozessen und Stilelementen

Christoph Baier (Wien/Cottbus): Kaiserzeitliche Konsolgesimse in Ephesos. Entwurf und Fertigung

Tobias Bitterer (München), Herstellungsprozesse von Wandverkleidungen im kaiserzeitlichen Rom

Natalia Toma-Kansteiner (Kiel), Vom Marmorblock zum Halbfabrikat. Ein neuer Vorschlag zum Entwurf und Herstellungsprozess eines korinthischen Kapitells in der Kaiserzeit

Sektion 5: Die Bedeutung der Form – Interpretation von antikem Baudekor im architektonischen und historischen Kontext

Jon Albers (Bonn): Zwischen Figürlich und Ornamental: Die Gebälkdekoration etruskischer Tempel

Jochen Griesbach (München): Profilierungssucht? Zum semantischen Spektrum von Statuenbasen im hellenistischen Osten

Dominik Maschek (Darmstadt): Der Tempel neue Kleider? Rezeptionsästhetische und semantische Aspekte von Bauornamentik im spätrepublikanischen Mittelitalien

Patric-Alexander Kreuz (Bochum), Die Handhabung regionaler Eigenheiten: Eine norditalienische Perspektive

Abschlussdiskussion


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