The Role of Experts in Dealing with the Past

The Role of Experts in Dealing with the Past

Organisatoren
Regula Ludi, Universitäten Bern und Zürich; Stephan Scheuzger, ETH Zürich; Center for Global Studies, Universität Bern
Ort
Bern
Land
Switzerland
Vom - Bis
18.11.2011 - 19.11.2011
Url der Konferenzwebsite
Von
Elife Biçer-Deveci / Edith Siegenthaler, Historisches Institut, Universität Bern

Am 18. und 19. November 2011 tagte in Bern die internationale Konferenz „The Role of Experts in Dealing with the Past“. Experten und Expertinnen wird in Konflikten oft eine deeskalierende, neutrale Rolle zugeschrieben, die sie besonders geeignet zur Ausführung und Konzeptualisierung von transitional justice und Vergangenheitsbewältigung macht. Dabei wird oft ausgeblendet, dass diese eine hidden agenda haben können, die die epistemologischen Voraussetzungen ihres Expertenwissens beeinflusst. Zudem ist umstritten, ob es einen einheitlichen Diskurs über die Ziele von transitional justice gibt1, und da es sich oft um transnationale Bemühungen handelt, stellt sich auch die Frage nach der Rolle von kulturellen Differenzen. Schließlich fragt sich, welche Rolle Historiker und Historikerinnen in diesen Prozessen haben, ob sie sich eignen, um vor Gericht auszusagen und welches Gewicht ihre Beiträge zur Vergangenheitsbewältigung haben sollen und können.

Nach einer Begrüßung durch Thomas Späth (Bern) vom Center for Global Studies und einer Einführung in die Thematik von Regula Ludi (Bern/Zürich), in der das Ziel der Verknüpfung von Wissenschaft und außeruniversitären Erfahrungen unterstrichen wurde, widmete sich das erste Panel der Konstitution von Experten. Unter der Leitung von Regula Ludi beleuchtete zunächst CASPAR HIRSCHI (Zürich) die allgemeine Konstitution von Experten im 18. Jahrhundert in Frankreich, wo der Begriff „expert“ vorwiegend im Zusammenhang mit Zeugenaussagen vor Gericht verwendet worden sei und laut Hirschi ein guter Experte Unvoreingenommenheit und Kompetenz verbinden musste. Von seiner eigenen Tätigkeit als historischer Experte sprach LUTZ NIETHAMMER (Jena), wobei er ein Mandat als Experte bei der Aufarbeitung der sowjetischen Vergangenheit des Konzentrationslagers Buchenwald, ein Mandat bei der historischen Untersuchung der Verantwortung von Jenapharm für das Doping von DDR-Spitzensportlern und -sportlerinnen und das Mandat in der Vergangenheitsbewältigung der Zwangsarbeit von Fremdarbeitern und Fremdarbeiterinnen in der Industrie in Nazideutschland verglich. Als Experte sei er gefragt gewesen, weil er keine spezifischen Forschungen zu diesen Themen gemacht und noch nichts dazu publiziert hatte und deshalb das zu erwartende Resultat als offen und er selbst als unvoreingenommen gelten konnte. Gleichzeitig waren für ihn eine ethische Haltung, Erfahrungen mit Medien und Politik sowie kulturelle Übersetzungsarbeit wichtige Voraussetzungen, um die Mandate erfolgreich zu bestreiten. Die Präsentation des dritten Papers von DEBORAH POSEL (Cape Town) konnte nicht stattfinden.

Das zweite Panel war unter der Leitung von Frank Haldemann (Genf) der Bedeutung und der Wirkung des Expertenwissens im Prozess der Vergangenheitsbewältigung gewidmet. JOSÉ ZALAQUETT (Santiago de Chile) ging auf die Rolle der Juristen innerhalb dieses Prozesses ein. Die Bedeutung der Juristen bezüglich der Normsetzung auf der innerstaatlichen Ebene konkretisierte Zalaquett mit Fallbeispielen aus Chile, Ungarn und Südafrika und führte aus, inwiefern dieser Prozess mit internationaler Rechtsprechung verbunden ist. Hier spiele besonders die transitional justice eine Rolle, bei der sozial- und geisteswissenschaftliche Experten und verschiedene Nichtregierungsorganisationen (NGOs) aktiv beteiligt sind.

Der Beitrag von CAROLA SACHSE (Wien) handelte von der Bedeutung des Expertenwissens bezüglich der öffentlichen Entschuldigung bei der Vergangenheitsbewältigung von nationalsozialistischen medizinischen Verbrechen im Umfeld der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, dem Vorläufer des Max-Planck-Instituts. Sachse ging auf die Forschungsprojekte ein, die das Verhältnis der Max-Planck-Gesellschaft mit ihrer NS-Vergangenheit historisch aufgearbeitet haben. Die personelle Verbindung zur NS-Vergangenheit und die Ereignisse seien von der Forschungsgruppe des Max-Planck-Instituts aus verschiedenen Perspektiven analysiert worden. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit habe dazu geführt, dass gesetzliche Grundlagen für den Umgang mit der Wissenschaft bezüglich der Experimente an Menschen erarbeitet wurden. Die Rekonstruktionsarbeit der Historiker und Historikerinnen habe innerhalb der biomedizinischen Wissenschaft zu einer kritischen Haltung gegenüber der „Eugenik“ geführt.

STEPHAN SCHEUZGER (Zürich) bewertete die Funktion der Wahrheitskommissionen am Beispiel von Südafrika als ein wichtiges Instrument der Vergangenheitsbewältigung. Die Wahrheitskommission in Südafrika, die zur Aufarbeitung des Apartheid-Regimes eingerichtet wurde, sei in einem transnationalen Netzwerk von NGOs etabliert gewesen. An der Arbeit der Wahrheitskommission lasse sich der Transfer von Wissen, der durch die Globalisierung möglich wurde, verfolgen. Der Gründung einer Wahrheitskommission in Südafrika sind solche in Lateinamerika vorausgegangen. Das Expertenwissen habe dazu beigetragen, dass transitional justice professionalisiert wurde. Dabei sei der international ausgerichtete Charakter der Wahrheitskommissionen ein wichtiger Motor bei der Kanonisierung von Wissen über Vergangenheit. So gesehen seien die Wahrheitskommissionen wichtige Instrumente für die Vergangenheitsbewältigung.

Das dritte Panel diskutierte unter der Leitung von Regula Ludi Modalitäten der Wissensproduktion und den Einfluss von Experten und Expertinnen auf die historische Interpretation. MICHAEL MARRUS (Toronto) untersuchte in einem ersten Paper die Frage, was doing justice to the past sei und mit welchem juristischen Konzept man der Vergangenheit gerecht werde. Diesen Fragen ging er unter dem juristischen Aspekt nach. Im Eichmannprozess sowie in den Nürnberger- und den Schadenersatzprozessen der 1990er-Jahre sah er drei Paradigmen bei der Bewältigung der nationalsozialistischen Vergangenheit. Während bei den Nürnbergprozessen historische Dokumente wichtige Mittel der Untersuchung gewesen seien, hätten beim Eichmannprozess die Zeugenaussagen der Opfer eine zentrale Rolle gespielt. Erst in den Schadenersatzprozessen sei das Expertenwissen in Frage gekommen, um aufzuklären, wie Industrien, Großbanken und internationale Institutionen in den Holocaust involviert waren. Bei diesen Paradigmen handle es sich um verschiedene juristische Mechanismen, Geschichte zu produzieren und mit „Repräsentanten“ der Vergangenheit auszuhandeln. Dieser juristische Approach der Geschichte ziele jedoch nicht darauf, reale Vergangenheit zu rekonstruieren, was das Hauptanliegen der Opfer war.

RICHARD A. WILSON (Connecticut) stellte seine Forschungsergebnisse zur Beteiligung von Historikern und Historikerinnen als Zeugen vor Internationalen Gerichtshöfen vor. Historikerinnen und Historiker seien wichtig bei der Rechtsprechung, um zu verstehen, in welchen historischen Zusammenhang Aussagen vor Gericht gestellt werden können und damit das Verbrechen in einem Narrativ zu situieren. Besonders wichtig sei der historische Hintergrund gewesen, um im Internationalen Strafgerichtshof zum Jugoslawienkrieg bei den Tätern eine spezielle Absicht (special intent) auszumachen und ihnen somit den Tatbestand des Völkermords nachweisen zu können. Die Spannung zwischen der Funktionsweise von Justiz und derjenigen von Geschichtswissenschaft mache den Auftritt von Historikern und Historikerinnen vor Gericht jedoch problematisch.

Der dritte Beitrag zu diesem Panel kam von ELAZAR BARKAN (New York) und beschäftigte sich mit der Frage, welche Funktion die Aufarbeitung der Geschichte bei der Bewältigung von Konflikten haben könne. Dabei stellte er fest, dass das gemeinsame Erarbeiten und Aushandeln von Geschichte zu einem individuell besseren Verständnis der gegnerischen Position führen könne und sich insbesondere für die Aufarbeitung von Lokalgeschichte eigne. Gleichzeitig produziere eine solche Geschichtsschreibung bessere Narrative von allen Konfliktseiten und könne damit den nationalistischen Diskurs ändern. Am Beispiel der Aufarbeitung des armenisch-türkischen Konflikts zeigte er, wie ein solcher nationalistischer Diskurs trotz heftiger Kontroversen herausgefordert wird und wie seitens der Bevölkerung eine passive Entschuldigung geleistet wird. An diesem Fall werde ersichtlich, dass Geschichtswissenschaft notwendig ist, um Konflikte zu lösen.

Das vierte und letzte Panel beschäftigte sich unter der Leitung von Stephan Scheuzger (Zürich) mit Expertenwissen, Wissenstransfer und dem Auftauchen von globalen Epistemen. Zum Stand der Diskussion in der transitional justice sprach PABLO DE GREIFF (New York). Er verstehe transitional justice als konsolidiertes Feld, das zwar insbesondere dank der internationalen Geldgeber und Geldgeberinnen globale Dimensionen annehme, aber vor verschiedenen Herausforderungen stehe, insbesondere vor der Aufgabe, seine Wirksamkeit zu zeigen, und der zunehmenden Bedeutung der Ökonomie gegenüber der Justiz sowie der zunehmenden Fragmentierung des Felds durch die immer zahlreicheren Aufgaben. Grundlegende gemeinsame Ziele seien die Anerkennung der Opfer und die Wiederherstellung von Vertrauen in Justiz und Staat.

FRANK HALDEMANN (Genf) unterzog die aktuellen Tendenzen in den Debatten über transitional justice einem kritischen Blick, insbesondere maximalistische Anforderungen, die Idealisierung, die Normalisierung und den universalistischen Anspruch, der den lokalen kulturellen Kontext vernachlässige. Dagegen schlug er eine philosophia minor vor, die sich aus den Elementen des moralischen Kompromisses, der negativen Moral im Sinne der Frage, was nicht so sein soll, und einer minimalen Bescheidenheit mit der Forderung nach Vermeidung von untolerierbarem Leiden zusammensetzt. Die Perspektive der transitional justice würde sich damit laut Haldemann dem Leiden der Opfer zuwenden und wäre kritisch gegenüber Utopien.

Zum Abschluss des vierten Panels und der Tagung präsentierte BRIONY JONES (Bern) ihre Untersuchung des Brčko-Distrikts in Bosnien-Herzegowina, der in der internationalen Gemeinschaft als Beispiel für eine gelungene Aussöhnung gilt, insbesondere weil viele ehemalige Bewohner und Bewohnerinnen zurückgekehrt sind und die Koexistenz verschiedener Ethnien möglich ist. Allerdings seien die Einwohner und Einwohnerinnen des Brčko-Distrikt laut Jones nur bedingt dieser Meinung und hinterfragten die verschiedenen Ausgleichsysteme zwischen den Ethnien, wenn etwa das multiethnische Schulsystem verlange, dass schlechtere dreisprachige Schulbücher benutzt würden, obwohl es bessere einsprachige Lehrmittel gäbe.

Die Tagung beleuchtete auf eine innovative Art und Weise die Themen Vergangenheitsbewältigung und transitional justice, indem sie die Bedeutung des Wissens von Experten und Expertinnen ins Zentrum ihrer Untersuchungen stellte. Einerseits präsentierte die Tagung einen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung in den verschiedenen Feldern der Vergangenheitsbewältigung, wo neue Ansätze zur Untersuchung des Gegenstands vorgestellt wurden. Andererseits wurden praktische Erfahrungen von Expertentätigkeiten präsentiert, die die Forschungen mit der Praxis verbanden und so die gesellschaftspolitische Relevanz und die Aktualität der Tagung zeigte.

Die einzelnen Panels waren von spannenden und kontroversen Diskussionen begleitet. Im Zentrum vieler Diskussionen standen Fragen nach der Bedeutung der Narrativen bei der Vergangenheitsbewältigung durch Experten, Juristen und Opfer. Normative Konzepte, die Rolle der Politiker und kulturelle Differenzen in der Herstellung der Narrativen seien bisher zu wenig aufgearbeitet worden. Sachse betonte auch die Frage nach der Berücksichtigung der vergeschlechtlichten Gewalt (gendered violence) bei den Wahrheitskommissionen und in der Kanonisierung des Wissens. Die Panels und die Diskussionen haben dazu beigetragen, verschiedene Mechanismen der Vergangenheitsbewältigung bezüglich der Konfliktlösung zu reflektieren und eine kritische Bilanz zu ziehen.

Konferenzübersicht:

Begrüßung durch Thomas Späth (Bern)

Einführung durch Regula Ludi (Bern und Zürich)

Panel 1: The Constitution of Experts
Chair: Regula Ludi (Bern und Zürich)

Caspar Hirschi (Zürich): How to combine Competence and Impartiality? On the Early Organization of Official Expertise

Lutz Niethammer (Jena): Three Ways of Becoming an Historical Expert: Experiences and Observations

Deborah Posel (Cape Town): Expertise and Authority in the South African Truth and Reconciliation Commission

Panel 2: The Significance and Impact of Expertise in Processes of Dealing with the Past
Chair: Frank Haldemann (Genf)

José Zalaquett (Santiago de Chile): The Role of the Legal Profession in Dealing with the Past

Stephan Scheuzger (Zürich): From Transfer to Canonization of Knowledge? Expertise and Truth Commissions

Carola Sachse (Wien): The Meaning of Apology: the Survivors of Nazi Medical Crimes and the Max Planck Society

Panel 3: Modalities of Knowledge Production and the Impact of Experts on Historical Interpretation
Chair: Regula Ludi (Bern und Zürich)

Michael Marrus (Toronto): Doing Justice to the Nazi Past: Three Paradigms for Contending with Historic Wrongs

Richard A. Wilson (Connecticut): Historians as Expert Witnesses in the International Criminal Courtroom

Elazar Barkan (New York): History and Conflict Resolution: Experts as Civil Society Advocates

Panel 4: Expertise, Knowledge Transfer and the Emergence of Global Epistemes
Chair: Stephan Scheuzger (Zürich)

Pablo de Greiff (New York): Theorizing Transitional Justice – and Why It Matters, Practically

Frank Haldemann (Genf): The Expertism Trap: Critical Reflections on the Normalization of Transitional Justice Discourse

Briony Jones (Bern): Brčko District, Bosnia-Herzegovina as a Model of ‚Success’: Interrogating Expertise, Agency and Resistance

Anmerkung:
1 Christine Bell, Transitional Justice, Interdisciplinarity and the State of the ‘Field’ or ‘Non-Field’, in: The International Journal of Transitional Justice 3, 1 (2009), S. 5-27.


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