Vom Ordnen der Dinge. Verzeichnen – Klassifizieren – Recherchieren

Vom Ordnen der Dinge. Verzeichnen – Klassifizieren – Recherchieren

Organisatoren
Deutsches Historisches Museum Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.09.2011 - 13.09.2011
Url der Konferenzwebsite
Von
Kai-Britt Albrecht, Potsdam

Am 12. und 13. September 2011 fand im Deutschen Historischen Museum, Berlin (DHM) das Symposium »Vom Ordnen der Dinge. Verzeichnen – Klassifizieren – Recherchieren« statt. Anlass war die seit 20 Jahren bestehende Zusammenarbeit von DHM und Zuse-Institut Berlin hinsichtlich der digitalen Objektdokumentation. Grundlage der Zusammenarbeit waren zwei Datenbanksysteme, die auch heute noch im Museumsbereich Verwendung finden: HIDA MIDAS, das System, das vom Bildarchiv Foto Marburg zur Erfassung und Beschreibung von Kunst- und Bildwerken eingesetzt wird und GOS, ein Datenbanksystem, das im DHM in Kooperation mit dem ZUSE-Institut Berlin genutzt und ständig nach aktuellen Anforderungen weiterentwickelt wird.

Nach der Einführung durch DIETER VORSTEHER-SEILER (Berlin) eröffnete BARBARA SEGELKEN (Frankfurt am Main) die Sektion »Sammeln und Verzeichnen« mit zwei Beispielen, anhand derer sie Verfahren frühneuzeitlicher Sammlungspraktiken verdeutlichte. Die so genannte Plock-Bibel kann durch die Konstruktion der Montage als frühe Form eines geschaffenen Ordnungsraums gelten. Das Traktat »Inscriptiones vel Tituli Theatri Amplissimi« (1565) von Samuel Quiccheberg, Betreuer der Kunstsammlung Herzog Albrechts V. ist wohl die erste theoretische Einteilung von Sammlungen. Beide Beispiele zeigen, dass bereits in der frühen Neuzeit die Hoffnung, sich mithilfe einer Systematik die Welt als Ganzes zu erschließen die treibende Kraft darstellte, Dinge zu sammeln und zu ordnen.

CARLOS SARO (Berlin) und BURKHARD ASMUSS (Berlin) zeichneten den Weg der digitalen Dokumentation am DHM in den vergangenen 20 Jahren nach. Nachdem 1987 im neu gegründeten DHM in West-Berlin zunächst die eher rudimentäre Objektdokumentation als Verzeichnung von Sammlungsankäufen und -schenkungen im Vordergrund stand, galt es 1991, nach der Zusammenlegung von DHM und MfdG (Museum für deutsche Geschichte), eine Sammlung von einer geschätzten Million Objekte zu verwalten, was eine systematische digitale Objektdokumentation unumgänglich machte. Neben der Inventarisierung sollten alle Objektbewegungen in einer Datenbank erfasst werden. Hinzu kam die Notwendigkeit, die Sammlung auch im Internet zugänglich zu machen. Die Datenstruktur der Objektdatenbank im DHM hatte von Beginn an das Ziel, ein gemeinsames Format für alle Sammlungsbereiche zu schaffen, was durch die Einrichtung von Unterformaten für die einzelnen Sammlungsbereiche erreicht wurde. Auch Verwaltungsinformationen wie Leihverkehr, Ausstellungsplanung, Restaurierungsprotokolle u.a. sollen in der einen Datenbank gesammelt werden, mit dem Ziel, einmal erfasste Daten möglichst vielfach zu nutzen. Zur Erfüllung all dieser Aufgaben wurden seit 1991 HIDA und GOS genutzt. Der auch Dank ABM-Maßnahmen rasch anwachsende Bestand wurde ab 1996 auszugsweise im Internet zur Recherche frei gegeben und wird ständig erweitert.

KARIN KÜHLING aus dem Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig – dort wird ebenfalls GOS als Datenbanksystem genutzt und es werden damit alle Objektbewegungen verwaltet – konnte anhand von Beispielen belegen, dass die Präsentation der Stammdaten im Internet für das Museum von großem Vorteil sein kein. Mithilfe eines Formulars können Hinweise, Korrekturen und Anmerkungen gegeben werden, was durchaus genutzt wird und in den letzten Jahren sogar zur Rückführung eines gestohlenen Objekt-Konvoluts führte. Von den rund 520.000 Objekten sind in Leipzig bislang beachtliche 300.000 Objekte in GOS erfasst, davon sind 150.000 im Internet recherchierbar. Diese Daten fließen zudem in die nationalen Portale BAM und Kalliope mit ein sowie in das internationale Portal EUROPEANA.

LINDA VON KEYSERLINGK (Dresden) verdeutlichte am Beispiel des Militärhistorischen Museums (MHM) wie eine Museumsdatenbank als Managementtool zur Planung und Vorbereitung neuer Ausstellungen dienen kann. Da die ursprüngliche Bestandsdatenbank des MHM keine Möglichkeit beinhaltete, Ausstellungen zu planen, wurde ein neues Datenbanksystem erstellt, das unabhängig von der Bestandsdatenbank agiert und mithilfe derer die neue Dauerausstellung geplant wurde. Auch in Zukunft ist nicht geplant, beide Datenbanken zusammen zu führen.

Die zweite Sektion »Ordnen und Systematisieren« eröffnete DOROTHEE HAFFNER (Berlin) mit der Vorstellung des Studiengangs Museumskunde an der HTW Berlin. Besonderen Schwerpunkt legte sie auf die Darstellung der Lehrinhalte in der Dokumentarisierung. Dazu zählen vor allem die Bereiche der Erfassungsstandards und der Systematisierung.

BRIGITTE REINEKE (Berlin) gab mit ihrem Vortrag »Colligite fragmenta, ne pereant« (Sammelt das Verstreute, damit es nicht verloren gehe) als Leiterin der Zentralen Dokumentation Einblicke in die Praxis. Sie zeigte auf, wie es in einer großen und komplexen Sammlung möglich ist, Verstreutes mithilfe der Datenbank zu systematisieren und so (wieder) auffindbar zu machen.

Dieser Frage ging auch IRIS BLOCHEL-DITTRICH (Berlin) mit ihrem Vortrag »Und wie finde ich das Ding nun?« nach. Letztlich können nur durch Sacherschließung und Standardisierung in einem Museum mit heterogenen Sammlungsbeständen Objekte wieder auffindbar gemacht werden. Es gilt zu bedenken, dass bei der Inventarisierung häufig andere Aspekte eines Objekts im Vordergrund stehen als bei der Suche nach Objekten für eine Ausstellung oder eine Publikation, zumal viele Informationen nicht an einem Objekt haften, sondern an der Kontextualisierung.

MANFRED HARTMANN (Münster) stellte in seinem Vortrag »Die Oberbegriffsdatei – Normvokabular für Objektbezeichnungen im Museum« vor. Dabei konzentrierte er sich auf die Entwicklung der Datei, ihre Perspektiven und die dafür notwendige Gruppenarbeit, zu deren Mitarbeit er aufrief.

In der dritten Sektion »Nachfragen und Absichern« standen die Provenienzforschung und Restitutionsfragen im Mittelpunkt. Themen, die auch im Museumsbereich spätestens nach der Washingtoner Erklärung vom 3. Dezember 1998 höchst aktuell sind.

ULF BISCHOF (Berlin) eröffnete die Sektion mit rechtlichen Grundlagen für die Restitution von Museumsobjekten. Dabei waren Verluste von Museen durch Krieg, Diebstahl etc. genauso gemeint, wie Ansprüche Dritter an Museen. Grundlage zur Klärung aller Restitutionsfälle sind die Inventarisierungsbücher (inkl. belegender Unterlagen und einer eindeutigen Abbildung). Nur mit eindeutigen Beweisen lassen sich Ansprüche durchsetzen. Bischof mahnte dennoch, dass an Museen höhere Ansprüche zu stellen seien und es eine »moralische Verpflichtung« zur Restitution gäbe.

REGINE FALKENBERG (Berlin) berichtete aus der Praxis, was es im DHM heißt, sich mit Provenienzfragen auseinander zu setzen. So gilt es häufig zunächst zu klären, welche Bedeutung Einträge wie 'Altbestand', 'Übergabe', 'Übernahme' in den MfdG-Inventarisierungsbüchern im Einzelfall haben (könnten). Ebenso ist bei Begriffen 'Geschenk' oder 'Verkauf' Vorsicht geboten, denn nicht immer ist zweifelsfrei zu klären, ob diese nicht unter Zwang zustande kamen. Auch bei den Ankäufen des DHM vor 1989 ist nicht in allen Fällen geklärt, ob sie nicht aus Beständen der Kommerziellen Koordinierung der DDR stammen könnten. Die im 20. Jahrhundert immer wieder geänderten Rechtsnachfolgen verschiedener Institutionen müssen zudem hinsichtlich der Konsequenzen für ein Sammlungsobjekt im Einzelnen geprüft werden. Selbstverständlich werden in eindeutig geklärten Fällen Sammlungsstücke zurück übergeben. In der Datenbank wird die Provenienz der Objekte festgehalten – auch wenn sie das Haus wieder verlassen haben.

ANDREA VON HEGEL (Berlin) skizzierte anhand der Plakatsammlung Dr. Hans Sachs – der Fall ging ausführlich durch die Presse – Fragen zur Provenienz und die immense Bedeutung einer eindeutigen und sicheren Inventarisierung. Die Sammlung gelangte 1952 stark dezimiert ins MfdG und wurde dort nur sehr unzureichend inventarisiert, wodurch ein höherer Bestand angenommen werden musste. Die für den Rechtsstreit vorgenommene Inventarisierung stellte den Bestand richtig.

Wie wichtig dem Haus die Klärung solcher Eigentumsfragen ist, zeigten auch die Anmerkungen des Sammlungsdirektors Dieter Vorsteher-Seiler, der versicherte, dass es wichtiger sei, Eigentumsfragen eindeutig zu klären, als Objekte unbedingt im DHM zu halten.

GERHARD QUAAS (Berlin) stellte seine Arbeit am Verlustkatalog und seine Recherche zu den Kriegsverlusten aus der Zeughaus-Sammlung vor. Von den ursprünglich etwa 60.000 Stücken aus dem Zeughaus sind heute noch etwa 25.000 im DHM zu finden. Die Verluste sind auf Zerstörung durch Kriegshandlungen ebenso zurückzuführen, wie auf Plünderungen des Museums während des Krieges und auf die 1946 angeordnete Auflösung aller Kriegsmuseen in Deutschland und der damit einhergehenden Verschrottung von Waffen. Die Rückführung von Beutegut verlief unter Ausschluss deutscher Experten als verordnete Übergabe und führte in einigen Fällen zu falschen Zuweisungen, so gerieten Teile aus dem Hohenzollernmuseum, aus Dresden oder auch aus anderen kleinen Museen ins MfdG. Noch immer liegen Stücke aus dem Zeughaus in Museen in Moskau und Warschau. Auch die Kriegsverluste werden in GOS dokumentiert, wobei ein besonderer Augenmerk auf ihrer Herkunft liegt.

Die vierte Sektion »Suchen und Kontextualisieren« eröffnete BARBARA FICHTL (Berlin) mit der Frage nach der optimalen Aufbereitung von Objektdaten, so dass sie bei einer Internetrecherche leicht zu finden sind. Sie plädiert neben einer Volltextsuche auch für die Möglichkeiten explorativer Zugänge (wie Thesaurus, Stadtplan, Sammlungsstruktur, Zeitleiste etc.), um Frustrationen bei fehlender Kenntnis der Fachterminologie zu mindern.

THOMAS WILMER (Darmstadt) fragte in seinem Vortrag nach der Notwendigkeit einer »Open Museum License«, um Probleme resultierend aus dem derzeitigen Urheberrecht zukünftig zu vermeiden. Eine solche Lizenz müsste neben Fragen nach der Exklusivität, auch solche nach Verbreitungsarten, Kopierschutz, Vergütungsregeln sowie eine Sondervereinbarung mit der VG BILD-KUNST vorsehen.

WERNER SCHWEIBENZ (Konstanz) stellte anhand von BAM (Bibliotheken, Archive, Museen), Deutsche Digitale Bibliothek und EUROPEANA drei Kulturportale vor, die Digitalisate aus diversen Kultureinrichtung gebündelt zur Recherche anbieten.

JÖRN SIEGLERSCHMIDT (Deutsche Digitale Bibliothek) schloss mit seiner Vorstellung der Deutschen Digitalen Bibliothek »Ein Beitrag zur Neorenaissance?« den Themenkreis zu Wunderkammer. Letztlich gehe es darum das kulturelle Wissen Nutzern vollständig und frei zugänglich zu machen. Ein Schlusswunsch, dem man sich anschließen kann.

Konferenzübersicht:

Sektion I: Sammeln und Verzeichnen

Einführung in die Tagung: Dieter Vorsteher-Seiler (DHM)

Barbara Segelken (Universität Frankfurt/Main): Sammeln, ordnen, darstellen. Verfahren frühneuzeitlicher Sammlungspraktiken

Carlos Saro (Zuse-Institut Berlin) / Burkhard Asmuss (DHM): 20 Jahre digitale Dokumentation am DHM

Karin Kühling (Stadtgeschichtliches Museum Leipzig): Netze, Daten, Leihgesuche – die Objektdatenbank GOS im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig

Linda von Keyserlingk (Militärhistorisches Museum Dresden): Eine Museumsdatenbank als Managementtool zur Planung und Vorbereitung neuer Ausstellungen. Ein Praxisbeispiel aus dem Militärhistorischen Museum

Sektion II: Ordnen und Systematisieren

Dorothee Haffner (HTW Berlin): Museumskunde an der HTW Berlin: Erfassungsstandards und Systematisierung in der Hochschullehre

Brigitte Reineke (DHM): »Colligite fragmenta, ne pereant« – Zur Systematisierung des Verstreuten im DHM

Iris Blochel-Dittrich (Jüdisches Museum Berlin): »Und wie finde ich das Ding nun?« Sacherschließung und Standardisierung in einem Museum mit heterogenen Sammlungsbeständen

Manfred Hartmann (LWL -Museumsamt für Westfalen): Die Oberbegriffsdatei – Normvokabular für Objektbezeichnungen im Museum: Entwicklung, Perspektiven, Gruppenarbeit, Mitarbeit

Sektion III: Nachfragen und Absichern

Ulf Bischof (Rechtsanwaltskanzlei Bischof & Paetow, Berlin): Grundlagen für die Restitution von Museumsobjekten. Wem gehört was und warum?

Regine Falkenberg (DHM): Provenienzfragen im Überblick

Andrea von Hegel (DHM): Plakatsammlung Hans Sachs: Fragen zur Provenienz

Gerhard Quaas (Berlin): Weg ist eben nicht weg. Recherche zu den Kriegsverlusten aus der Zeughaus-Sammlung

Sektion IV: Suchen und Kontextualisieren
Moderation: Dorothee Haffner (HTW Berlin)

Barbara Fichtl (Zuse-Institut Berlin): Für Experten und alle, die es werden wollen: Online-Recherche von Museumsobjekten

Thomas Wilmer (Universität Darmstadt): Museum und Internet: Ist eine »Open Museum License« notwendig?

Werner Schweibenz (Bibliotheksservicezentrum Konstanz): Institutionen und ihre Inhalte sichtbar machen: Aufgabe und Funktion von Kultur-Portalen

Jörn Sieglerschmidt (Deutsche Digitale Bibliothek): Deutsche Digitale Bibliothek: Ein Beitrag zur Neorenaissance?


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