Repräsentation und Bipolarität im nomadischen Kontext: Amazonen und das ganz Andere

Repräsentation und Bipolarität im nomadischen Kontext: Amazonen und das ganz Andere

Organisatoren
Charlotte Schubert, Lehrstuhl für Alte Geschichte, Historisches Seminar, Universität Leipzig; SFB 586 (Differenz und Integration. Wechselwirkungen zwischen nomadischen und sesshaften Lebensformen in Zivilisationen der alten Welt)
Ort
Selçuk
Land
Turkey
Vom - Bis
27.09.2011 - 01.10.2011
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Von
Charlotte Schubert, Lehrstuhl für Alte Geschichte, Universität Leipzig

Vom 27. September bis zum 1. Oktober 2011 fand in Selçuk (Türkei) in den Räumen der Crisler Library Ephesos eine internationale Tagung des Sonderforschungsbereichs 586 (Differenz und Integration. Wechselwirkungen zwischen nomadischen und sesshaften Lebensformen in Zivilisationen der alten Welt) statt. Veranstaltet wurde die Tagung vom Teilprojekt E7 des SFB. Das Teilprojekt beschäftigt sich im Rahmen der SFB-Forschungen mit der literarischen Darstellung des antiken Nomadenbildes. In der Regel ist die altertumswissenschaftliche Forschung, die das Thema der Nomaden (zum Beispiel Skythen) in der antiken Literatur aufgreift, bisher von der Annahme geprägt, dass die antike Literatur hier vorzugsweise Stereotypen und Topoi verwende, und unterscheidet selten zwischen Barbaren und Nomaden, sodass letztere immer unter dem unseres Erachtens viel engeren und historisch ganz anders konnotierten Begriff Barbaren subsumiert werden. Nomadismus beschreibt sowohl ein historisches Phänomen als auch ein Phänomen der Wahrnehmung und Konstruktion. Beschreibungen von Nomaden begegnen in der antiken Literatur seit Homer und sind einerseits beeinflusst von Kontakten, Austausch und Kriegen mit Nomaden in den Regionen des Donau-Schwarzmeerraums, Nordafrikas und des syrisch-arabischen Raums. Andererseits vermischen sich Selbst- und Fremdbildkonstruktionen mit dem Barbarenbild und je nach regionalem und historischem Kontext repräsentieren sie sowohl idealisierte als auch ablehnend-kritische Vorstellungen von Nomaden.

Das Bild der Amazonen weist auf die gleiche Gegensatzstruktur hin und hat auch weitere Verbindungen mit dem Nomadenbild, die in den Vorträgen der Tagung thematisiert und analysiert wurden. Die Amazonen sind quer durch alle Epochen und Gattungen der Antike paradigmatisch im Hinblick auf die Repräsentation von Gegenbildern. Dies umfasst sowohl die Thematik des SFB (Nomaden und Sesshafte) als auch Gender- und Methodenfragen.

So stellen sie einen Gegenpol zur traditionellen griechischen Welt, aber auch zu der Welt der Skythen dar. Dies kann sowohl anhand der literarischen Überlieferung als auch anhand der bildlichen Zeugnisse besprochen werden. Darüber hinaus sind sie ein weiterer Gegenpol in der griechischen Welt selbst: einerseits als Gegner der bekannten Heroen und andererseits als Erscheinung des ganz Anderen im gängigen antiken Geschlechterverhältnis. In den Untersuchungen zu dem Verhältnis von Sesshaften und Nomaden spielten die Amazonen bisher kaum eine Rolle. So bleibt – trotz der prominenten Ausstellungen – auch zu untersuchen, wie die Konzepte Fremd, Anders oder ganz Anders in der besonderen Spannung zwischen den sesshaften Griechen und den oft als Nomaden charakterisierten Amazonen verarbeitet wurden.

Im Festvortrag zur Eröffnung sprach ROBERT FLEISCHER (Mainz) über das Artemis-Heiligtum von Ephesos, das vom 5. Jahrhundert v.Chr. bis zum 4. Jahrhundert n.Chr. als Asyl fungierte. Wesentlich für die lange Geschichte des Heiligtums ist die Verbindung mit den Amazonen, dazu betrachtete Fleischer vier Monumente im Detail:

Der Amazonenfries, der am sogenannten Hadrianstempel angebracht war, ist nach Fleischer theodosianisch und in seinen Bezügen auf Androklos als den Ktistes von Ephesos, Herakles und die fliehenden Amazonen, den Rückzug der Amazonen aus Indien und ihre Niederlage in Ephesos als Hinweis auf einen paganen Polispatriotismus in Westkleinasien zu verstehen. Als zweites ging Fleischer auf die ephesischen Amazonen ein, deren Statuen nach dem Bericht des Plinius (n.h. 34,75) aus dem Wettstreit des Phidias, Polyklet und Kresilas hervorgegangen waren und nach Plinius in templo Dianae Ephesiae aufgestellt waren. Aus der Tatsache, dass Phidias trotz seiner Reputation nicht als Sieger aus dem Wettbewerb hervorging sowie aus dem Bildprogramm friedlicher, asylsuchender Amazonen leitete Fleischer eine ephesische Lesart ab, die in klarem Gegensatz zu der attischen Amazonomachie steht. Als drittes besprach Fleischer den Giebel des Artemisions, in dem nach den Münzdarstellungen ein Figurenschmuck mit einer Darstellung der geretteten Amazonen angebracht war. Ihre Höhe, etwa 3 Meter, lässt sich laut Ulrike Muss aus den gefundenen Fragmenten rekonstruieren. Als viertes ging Fleischer ausführlich auf das Kultbild der Artemis von Ephesos ein, von dem zwei römische Kopien im Prytaneion von Ephesos gefunden wurden. Von den zahlreichen Attributen der Kultstatue weisen vor allem die Wollbinden auf das Asyl hin. Darin müsse auch die Verbindung zu dem Amazonenmythos gelegen haben, die als Asylsuchende für das Heiligtum der Artemis wohl seit dem 5. Jahrhundert zu wichtigen Repräsentationselementen des Kultes wurden.

Ebenfalls aus archäologischer Perspektive wandte sich WOLFRAM MARTINI (Gießen) dem Thema zu. Das zeitgleiche Einsetzen der Amazonomachie mit den anderen mythischen Machien, wie der Kentauromachie oder der Gigantomachie, aber auch der Hoplomachie gegen 570 v.Chr. in den Vasenbildern legt nach Martini die Vermutung nahe, dass ihr Auftreten nicht auf ein spezifisches Interesse an den Amazonen, sondern auf ein allgemeines Interesse an dem Kampf mit realen und mythischen Feinden zurückzuführen ist. Im hochklassischen Athen zeigten das Bild Athenas und das der Amazonen zwei völlig gegensätzliche Entwürfe von Weiblichkeit, die im Götterbild durch die wehrhafte Athena und die erotisch konnotierte Aphrodite repräsentiert werden. Mit der bildlichen Annäherung der Amazonen an Aphrodite kontrastierten die Wunde unter dem erhobenen Arm und die ermattete Haltung, die sie als Besiegte kennzeichneten. Wie diese Verbindung von Eros und gebrochener Wehrhaftigkeit zu interpretieren sei, müsse zunächst offen bleiben. Die gängige Tendenz der aktuellen (Gender-)Forschung, die Amazonomachie als Kampf der Geschlechter zu deuten, erscheine allerdings nicht überzeugend. Die Amazonen seien offenbar Teil einer Gegenwelt, die den griechischen Kosmos bedroht und daher bekämpft werden muss. In weit höherem Maße als die in ihrem Erscheinungsbild eindeutig als nichtmenschlich charakterisierten Giganten oder Kentauren unterlägen die Amazonen dem Einfluss der sich wandelnden athenischen Wertvorstellungen zur gesellschaftlichen Funktion der feindlichen Gegenwelt.

Martinis Beobachtung, dass sich die Verwendung des Amazonenmotivs keineswegs primär mit dem Genderdiskurs verbinden lasse, sondern häufig andere Fragen thematisiert werden, stellte eines der wichtigen Ergebnisse dieser Tagung dar und wurde auch in anderen Vorträgen gemacht.

Von althistorischer Seite widmete sich CLAUDIA TIERSCH (Berlin) der Bedeutung des Amazonenmythos für den griechischen Geschlechterdiskurs und kam zu dem Ergebnis, dass ihre Bedeutung für reale Diskurse über weibliche Identitäten gering geblieben sei, da sie trotz ihrer weiblichen Identität eher als außerweltliche Heroinen wahrgenommen worden seien, sich Diskurse über weibliche Geschlechterrollen aber eher über die großen Frauengestalten des griechischen Mythos vollzogen hätten.

Aus Sicht der klassischen Archäologie bestätigten Jochen Fornasier und Martin Langner diese Sichtweise. JOCHEN FORNASIER (Frankfurt) zeigte in seiner Untersuchung von Gefäßen des sogenannten Kertscher Stils, die in Attika speziell für den Export gearbeitet wurden und vor allem in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts v.Chr. in großer Stückzahl ihren Weg in die Schwarzmeerregion fanden, wie sehr diese formal wie thematisch die örtlichen Sehgewohnheiten bedienten. Auffällig sei dabei vor allem die bewusste Offenheit der Darstellungen, die es sowohl dem griechischen Betrachter als auch dem lokalen Auftraggeber erlaubt habe, jeweils Motive der eigenen Vorstellungswelt zu entdecken. Dies sei durch die immer stärker werdende ‚Unschärfe‘ der Amazonendarstellungen ermöglicht worden, die eine klare Unterscheidung in Amazone, Skythe oder Perser vielfach nicht mehr beabsichtigt und die nur durch den jeweiligen Kontext eine spezifische Konnotation erfahren habe. Weitere Belege für diese Offenheit seien die Aquarellpeliken aus dem Bosporanischen Reich, das Kampfrelief aus Jubilejnoe und die Leoxos-Stele aus Olbia.

MARTIN LANGNER (Berlin) zeigte anhand des figürlich bemalten Tafelgeschirrs aus Athen, wie sich die Darstellung der Amazonen im Lauf der Zeit wandelte. Während die Amazonen im 5. Jahrhundert v.Chr. unter dem Einfluss der Perserkriege als aggressive Gegner dargestellt worden seien, lokalisierten die Vasenbilder des 4. Jahrhunderts sie in einer sagenhaften Umgebung mit riesigen Goldvorkommen und Fabeltieren. Dabei entwickelten die Vasenmaler eine gemeinsame Bildformel für die Bewohner am Rande der griechischen Welt, indem sie diese in ein orientalisch anmutendes Einheitskostüm kleideten, und hätten damit den exotischen Reiz dieser Bilder verstärkt. Die politische Bedeutung des Mythos sei nun zugunsten märchenhafter Unterhaltungsgeschichten mit teilweise erotischen Komponenten aufgegeben worden. Im Bosporanischen Reich, in direkter Nähe der Reiternomaden, lassen die lokal produzierten Imitationen attischer Importvasen Rückschlüsse auf die dortige Lesart zu, so Langner. Die bosporanischen Mythenbilder hätten keinen erzählenden Charakter gehabt, sondern die Figuren hätten losgelöst von einander bestimmte Eigenschaften zur Darstellung gebracht.

Neben mythischen Erzählungen über die Amazonen entstanden schon in der Antike und dann ebenso in der modernen Wissenschaftsgeschichte Mythen, die durch methodisch fehlerhafte Interpretationen literarischer und archäologischer Quellen hervorgerufen wurden. Ihnen ging ASKOLD IVANTCHIK (Bordeaux/Moskau) in seinem Vortag nach. So sei das bei Homer den Amazonen beigefügte Epitheton antianeirai nicht so zu verstehen, dass die Amazonen eine Gegenwelt zur männerdominierten griechischen Gesellschaft bildeten, sondern analog zu ähnlichen epischen Wortbildungen sei das Kompositum mit männergleich zu übersetzen. Die Verbindung der Amazonen mit den Skythen und Sauromaten sei jünger als der Amazonenmythos selbst, wie sich aus den Homerischen Epen zeigen lasse.

Im Hinblick auf die Rolle der Skythen und Sauromaten in der späteren Entwicklung des Amazonenmythos haben insbesondere mehrere Nekropolen und Kurgane, die im Gebiet des Don in jüngster Zeit ergraben worden sind und Frauengräber mit Waffenbeigaben enthalten, eine Rolle gespielt. Diese sind vor allem von Jeannine Davis-Kimball als archäologische Zeugnisse für Kriegerfrauen, mithin als Hinweis auf einen möglichen historischen Kern der Amazonen-Mythen gedeutet worden. Eine exakte Auswertung der Funde aus den Nekropolen zeige allerdings, dass sich dort sowohl Männer- als auch Frauenbestattungen befänden, und unter den Bestattungen mit Waffenbeigaben machten die Frauengräber nur etwa ein Fünftel aus. Die Waffenbeigaben in Frauengräbern könnten also auf lokale Gebräuche, wahrscheinlich aber auch nur in Extremsituationen, zurückzuführen sein, und es sei methodisch fragwürdig, sie mit Kriegerfrauen oder gar dem mythischen Volk der Amazonen in Verbindung zu bringen. Zu vermuten sei daher, dass es bei den Skythen, aber mehr noch bei den Sauromaten aufgrund der zahlreichen militärischen Auseinandersetzungen zu einer zunehmenden Militarisierung gekommen ist, in deren Kontext in Ausnahmesituationen auch Frauen an den Kämpfen beteiligt waren. Nachrichten darüber könnten über die Skythen, die Nachbarn der Griechen im pontischen Raum, im griechischen Bereich bekannt und in den eigenen Mythos integriert worden sein.

Dass es möglich war, eine kämpfende Frau gerade nicht als Amazone darzustellen, zeigte ALEXANDER WEISS (Leipzig) anhand der christliche Märtyrerin Perpetua, die etwa im Jahre 203 in der römischen Provinz Africa hingerichtet wurde. Sie hat über ihre Zeit im Gefängnis bis zur Hinrichtung eine Art Tagebuch verfasst. Darin erzählt sie unter anderem von vier Visionen, wohl literarisch stilisierte Traumschilderungen, deren letzte von ihrem Kampf in der Arena gegen einen 'Ägypter' handelt, welcher den Teufel symbolisiert. In der bisherigen Diskussion um diese Vision sei nie berücksichtigt worden, dass Auftritte von Gladiatorinnen und 'Amazonen' in der Arena zum Alltag von Gladiatorenspielen gehörten. Perpetua musste davon gewusst haben. In ihrer Vision scheine sie aber ein christliches Gegenbild zu den Amazonen in der Arena zu entwerfen und sich gerade nicht als solche zu stilisieren. Stattdessen biete sie in der Vision eine Versinnbildlichung der neutestamentlichen Formel "in Christus"; sie habe den Teufel 'in Christus' überwunden und nicht als Amazone.

Dass Geschlechterfragen aber nicht völlig beiseite gelassen werden dürfen, zeigte CHARLOTTE SCHUBERT (Leipzig), die sich den frühesten griechischen Amazonenbeschreibungen in einem nicht-poetischen Kontext bei Herodot und dem medizinischen Autor der dem Corpus Hippocraticum zugerechneten Schrift De aeribus zuwandte. Beide setzen ein Volk der Amazonen in den Kontext ihrer Beschreibung skythischer Nomaden. Ihnen geht es nach Schubert dabei um ein Verstehen fremder Kulturen. Das Verstehen des Fremden werde durch ein epistemisches Modell ermöglicht, das Fremdes, Anderes, Unverständliches konzeptualisiere. Beide gingen dabei allerdings sehr unterschiedlich vor: Sie beschrieben ein wechselseitiges Verhältnis zwischen Mann und Frau am Beispiel der Amazonen bzw. ein wechselseitiges Verhältnis zwischen Griechen und skythischen Nomaden. Dieses Verhältnis werde anhand von Grenzüberschreitungen erläutert, im Fall der weiblichen Amazonen mit männlichen Verhaltensweisen und im Fall der männlichen Anaries/Enarer bei Herodot mit der Bezeichnung als androgynoi und in De aeribus mit eunuchenähnlich. Dies führe zu einer Verunklarung der üblichen, geschlechtlichen Verortung. Der Autor von De aeribus lege dem Ganzen ein geographisch-klimatisches Modell zugrunde, innerhalb dessen er eine männlich-weibliche Taxonomie aufstelle. Damit würden kulturelle Unterschiede, die der Autor ja durchaus kenne und berücksichtige, in den Rang von Naturordnungen gehoben. Herodot hingegen deute die kulturellen Unterschiede historisch und politisch. Das Wechseln der geschlechtlichen Identität diene beiden Autoren als entscheidendes Darstellungsmerkmal des ‚Anderen’. Als Grundüberzeugung beider Autoren ergebe sich, dass sie keine unveränderliche, menschliche Natur in einer biologisch festgelegten Geschlechtlichkeit voraussetzten.

Ein zweites Ergebnis der Tagung stellt die bereits bekannte, allerdings keineswegs immer ausreichend berücksichtigte Erkenntnis dar, dass die Verwendung und inhaltliche Füllung des Amazonenmotivs einem zumindest dreifachen Wandel unterworfen ist. So muss erstens zwischen literarischen Darstellungen (Schubert, Tiersch), Abbildungen auf Keramik (Martini, Fornasier, Langner) und Plastiken (Fleischer) differenziert werden. Je nach Quellengattung können Amazonendarstellungen völlig unterschiedlich konnotiert sein. Zweitens muss zwischen der Verwendung in verschiedenen geographischen Regionen, vor allem Athen (Martini, Tiersch, Langner), dem Nordschwarzmeergebiet (Fornasier, Langner) und der kleinasiatischen Westküste (Fleischer) unterschieden werden. Auch hier variiert die inhaltliche Füllung je nach politischem und kulturellem Kontext. Drittens gibt es auch innerhalb einer geographischen Region und einer Quellengattung eine Veränderung in der Darstellung und damit bei der Verwendung des Motivs entlang der Zeitachse, wie vor allem Martini und Langner anhand athenischer Keramik aufzeigten. Dort wandelten sich Amazonen vom 6. bis zum 4. Jahrhundert v.Chr. von in griechischer Hoplitenrüstung gekleideten zu „orientalisch“ (skythisch, persisch) gewandeten Kriegerinnen und schließlich zu märchenhaften Fantasiegestalten.

Dass der antike Amazonenmythos in eine Reihe teils widersprüchlicher Motive zerfällt, zeigte auch CHRISTINE TAUBE (Leipzig) anhand der städte- und heiligtumsgründenden Amazonen Ioniens einerseits und der kriegerischen Frauen der Attischen Amazonomachie andererseits, aber auch anhand der verschiedenen antiken Etymologien des Namens „Amazones“. Die Amazonen seien fremde, kriegerische Frauen – aber eben nicht immer, überall und ausschließlich.

Verbindungslinien von Ephesus zur Welt der Nomaden zogen ANTON BAMMER (Wien) und ULRIKE MUSS (Wien), welche vier – aus dem Kontext eines Heiligtums singuläre –Elfenbeinobjekte im sogenannten Tierstil mit Motiven der Steppenkunst vorstellten. Die Objekte können als materielle Belege für sonst ausschließlich historisch überlieferte Kontakte mit den Kimmeriern in Ephesos gelten.

Der Beitrag von MICHAELA RÜCKER (Leipzig) erläuterte anhand von drei ausgewählten Beispielen die Bipolaritäten von eigen/fremd, sesshaft/nomadisch und Realität/Fiktion. Dabei stand die Frage im Mittelpunkt, inwieweit antike Autoren Kontrast und Gegensätzlichkeit benutzen, um das Eigene zu betonen und welchen Einfluss die „Faszination für das Wunderliche“ auf die Beschreibungen hatte. Die Beispiele illustrierten die Darstellung einiger nomadischer Völker wie der Blemmyer, in deren Beschreibungen sich Vorstellungen von Randvölkern und andersartiger Lebensweise vermischten. Der Vortrag sollte verdeutlichen, dass sich nicht hinter jedem fantastischen Volk eine real existierende Ethnie verbirgt, sich aber in den Quellen reale Namen und wunderliche Vorstellungen vermischen können.

Dass der antike Mythos der Amazone weiterlebte bzw. wiederbelebt wurde, zeigte HILDEGARD FRÜBIS (Berlin) in ihrer Diskussion der visuellen Repräsentation der Entdeckung Amerikas zu Beginn der Frühen Neuzeit. Die Figur der Amazone sei im Kontext eines ganzen Repertoires von Figuren und Vorstellungen betrachtet worden, die als „geografische Mythen“ zu bezeichnen seien und zu denen sowohl die Amazone als auch die Fabel- und Wunderwesen (Blemmyer, Akephale oder Kynokephalen) zählten, die durch das christliche Mittelalter tradiert und in der „Entdeckungszeit“ wiederbelebt worden seien. Die Renaissance der antiken Mythen über die Bewohner fremder Länder, ihrer Sitten und Gebräuche sei ein charakteristisches Merkmal der visuellen wie literarischen Narration der Entdeckungsgeschichte Amerikas gewesen. In dieser sei ein Prozess der Angleichung und Assimilierung des Unbekannten und Fremden an das Bekannte gestaltet – was zu neuen, hybriden Formationen wie beispielsweise der Allegorie „Amerika“ geführt habe.

Die von Doktoranden und Masterstudenten aus Leipzig verantwortete Abschlussdiskussion ergab, dass die Forschung zur Amazonenthematik, trotz ihrer Allgegenwärtigkeit, im Hinblick auf ihr Verhältnis zum Mythos und auch im Hinblick auf die erkennbaren Verarbeitungsprozesse in den verschiedensten historischen Kontexten bisher kaum weiterführende Paradigmen entwickelt hat, welche die historisch durchgängige Präsenz der Amazonen erklären könnte. Der Zusammenhang mit dem Thema des Nomadismus, der Anlass und Ausgangspunkt der Tagung war, hat sich dabei als ein neuer und fruchtbarer Weg erwiesen und weitere Perspektiven für die interdisziplinäre Arbeit an dem Thema eröffnet.

Konferenzübersicht:

Eröffnungsvortrag
Robert Fleischer: Die Amazonen und das Asyl des Artemisions von Ephesos

Panel I: Bipolarität und Geschlechterdiskurs

Michaela Rücker: Nomaden als das ganz Andere?

Claudia Tiersch: Von den Gründen, eine Amazone zu besiegen – Bezähmung des gefahrvoll Weiblichen?

Hildegard Frübis: Die Amazonen in Amerika – Mythen, Legenden und ihre Bilder

Alexander Weiß: Perpetua – Keine Amazone

Panel II: Die Amazonen und Ephesos

Ulrike Muss: Tierstil und Kontext

Anton Bammer: Zur Stratigraphie der Tierstilkunst aus dem Artemision

Wolfram Martini: Die visuelle Präsenz der Amazonen in Athen im 6. und 5. Jhs.v.Chr

Panel II: Amazonen und Kunst

Jochen Fornasier: Der Amazonenmythos in der Kunst griechischer Schwarzmeerstädte

Martin Langner: Amazonen im Bosporanischen Reich

Panel IV: Amazonen, Nomaden und Skythen

Christine Taube: Die attische Amazonomachie

Askold Ivantchik: Amazonen, Skythen und Sauromaten – Alte und moderne Mythen

Charlotte Schubert: Amazonen und Transvestiten – Zur Konstruktion von Mythen, Riten und Krankheiten

Comments und Abschlussdiskussion
Bolko Fietz; Friedrich Meins; Fritz Oldemeier, Patrick Pfeil; Andreas Gerstacker; Marie Lemser