Mörderinnen – Verbrechen. Körper. Inszenierung.

Mörderinnen – Verbrechen. Körper. Inszenierung.

Organisatoren
Universität Siegen, Zentrum für Gender Studies (Gestu_S)
Ort
Siegen
Land
Deutschland
Vom - Bis
13.10.2011 - 14.10.2011
Url der Konferenzwebsite
Von
Jennifer Hübner, Universität Paderborn

‚Verbrecherinnen werden nicht als Verbrecherinnen geboren, sondern dazu gemacht‘ – im Sinne dieses abgewandelten Satzes von Simone de Beauvior setzten sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei der Tagung „Mörderinnen. Verbrechen. Körper. Inszenierung.“ am Zentrum für Gender Studies der Universität Siegen (GeStu_S) am 13./14. Oktober 2011 mit Imaginationen und Narrationen von mordenden Frauen im gesellschaftlichen und literarischen Diskurs auseinander. Den Veranstalterinnen Nicola Glaubitz und Hyunseon Lee (Siegen) ist es gelungen, ein interessantes und abwechslungsreiches Programm zu präsentieren, in dessen zehn Beiträgen Mörderinnen in unterschiedlichen Kontexten analysiert werden konnten. Die Tagung wurde mit Mitteln der Gleichstellungsbeauftragten der Universität Siegen gefördert.

Mit den Schlagworten des Titels sind die Ausgangspunkte der Analysen skizziert: Neben den Mörderinnen selbst stehen vor allem ihre Verbrechen im Fokus. Hier ist zunächst zu fragen nach den Motiven der Täterinnen, wie diese bewertet und eventuell legitimiert werden. Insbesondere die Subjektposition, aus der heraus die Täterin handelt, gibt wichtige Hinweise auf die jeweiligen Bewertungsstrategien. Während von Männern ausgehende Gewalt lediglich gegen gesellschaftliche Normen verstößt, ist die mordende Frau immer auch ein Verstoß gegen herrschende Weiblichkeitsvorstellungen, wie beispielsweise der aktuelle Fall Amanda Knox’, des ‚Engels mit den Eisaugen‘, zeigt. Gerade auch unter dem Aspekt der Körperlichkeit muss der Blick darauf gerichtet werden, wie mit diesem doppelten Normverstoß umgegangen wird. Es stellt sich die Frage, wie Weiblichkeit trotz der Anmaßung männlich konnotierten Verhaltens im Mord hergestellt wird und auf welche Weise diese sich in der konkreten künstlerischen oder medialen Inszenierung der Mörderin (und ihres Körpers) niederschlägt.

Das erste Panel der Tagung drehte sich um „Weibliche Verbrechen im Bild“ und legte den Fokus auf die filmische Inszenierung der Mörderinnen-Figuren. In audiovisuellen Medien wie dem Film steht natürlich vor allem die Frage im Vordergrund, wie der Mord gezeigt wird. Dabei ist die Visualisierung geprägt von Auslassungen und Re-Präsentationen. ANDREAS BECKER (Frankfurt am Main) zeigte am Beispiel der Figuren aus Lady Snowblood und Lone Wolf and Cub die unterschiedliche Inszenierung männlicher und weiblicher Rache im japanischen Manga und deren Filmbearbeitungen auf. Weiblichkeit werde hier durch verschiedene mediale Inszenierungsstrategien unterstützt; gerade die ästhetische Inszenierung vor allem über unterschiedliche Zeitlupensequenzen und differente Farbsymboliken erwiesen sich als entscheidende Strategien. Allerdings erschienen die westlichen Geschlechterzuschreibungen nur in Teilen als gültig, auch die offensive Darstellung sowohl der männlichen als auch der weiblichen Morde sei vor allem in einem anderen, affirmativen Gewaltverständnis begründet. MARCUS STIGLEGGER (Siegen) analysierte die zweite Karriere alternder Hollywood-Diven im 1960er-Jahre-Genre des ‚Hag-Horrors‘ und wies nach, dass sich in diesem Genre der Umbruch zwischen Old und New Hollywood widerspiegele. An Filmbeispielen wie Robert Aldrichs What Ever Happened to Baby Jane? illustrierte Stiglegger, dass die mordenden Frauen hier als Perversionen des klassischen Hollywood-Ideals erschienen; Weiblichkeit sei im Alter lediglich als monströs sichtbar.

Auch auf der Bühne ist der von Frauenfiguren ausgeübte Mord meist nicht sichtbar. Insbesondere in der Oper gibt es eine weitere Re-Präsentationsebene für den Mord, wie im zweiten Panel zu „Undoing men? Mörderinnen in der Oper“ deutlich wurde. Die Interpretation der dramatischen Handlungsebene wird hier insbesondere durch die Musik entweder gestärkt oder aber unterlaufen und in Frage gestellt. Beide Vorträge legten demzufolge den Schwerpunkt der Analysen vor allem auf die Bedeutung der musikalischen Ebene für die Inszenierung der Mörderinnen. KADJA GRÖNKE (Leipzig/Oldenburg) gab einen Überblick über die verschiedenen Arten der Bühnen-Mörderinnen in der Oper. Sie unterschied Eifersuchts- und Kindsmörderinnen, politische Täterinnen und individuelle Mörderinnen, deren komplexe Motivationen inszeniert würden. Die Inszenierung der Mörderinnen-Figuren sei dabei lange Zeit explizit auf die Moralvorstellungen des weiblichen Publikums zugeschnitten; die Morddarstellungen stünden nicht im Zentrum des Interesses. Am Beispiel von Verdis Lady Macbeth als einer individuellen Mörderin, die ihren Mann als Waffe benutzt, machte Grönke deutlich, wie die Musik, die gegen die Möglichkeiten der Sopranistin hin komponiert sei, die Bedrohlichkeit der Mörderinnen-Figur unterstütze. Das Böse sei der Musik hier als ästhetischer Diskurs eingeschrieben. Grönke plädierte abschließend für eine Zusammenschau von Dramaturgie, Musik und Ethik in der Operninterpretation. In ihrem Vortrag untersuchte ANGELA BEUERLE (Stuttgart) die Wandlungen von Gaetano Donizettis Lucia di Lammermoor von der Femme fragile zur Femme fatale und damit von einer unglücklich Liebenden schließlich hin zu einer Hysterikerin. Auch hier sei nicht der Mord Lucias zentral; auf der Bühne werde er lediglich auf musikalischer Ebene metaphorisiert und innerhalb der Handlung versprachlicht. Beuerle wies anhand der berühmten Kadenz nach, wie sich die Änderungen in der Interpretation der Figur vor allem auf der musikalischen Ebene widerspiegeln – während zunächst Edgardo als zentraler Protagonist der romantisch-tragischen Liebeshandlung erscheine, werde durch die Kadenz die Wahnsinnsszene verlängert und betont, wodurch Lucia als wahnsinnige Mörderin zentral werde. Lucia erweise sich auf diese Weise als Brückenfigur hin zu anderen Femme-fatale-Figuren wie Salome oder Elektra.

Im ersten Panel des zweiten Tages zum Thema „Mord-Lust“ ging es vor allem um Narrationen von weiblichen Lust- und Serienmörderfiguren. Da diese grundsätzlich der eigentlichen genuin männlichen Konstruktion zuwiderlaufen, wird hier die Genderverschiebung auf die Spitze getrieben. Eingeleitet wurde das Panel durch KATHRIN HOFFMANN-CURTIUS (Berlin), die sich den Verschiebungen in der Inszenierung weiblicher Täterschaft seit dem 19. Jahrhundert widmete. Dabei bezog sie sich vor allem auf die Mystifizierung der mordenden Frau als Femme fatale in Form der Sphinx. Durch die (auch visuelle) Animalisierung der Frau als Sphinx werde die kriminalisierte Weiblichkeit der Frau gleichsam entschärft und könne so gefahrlos rezipiert werden. Die Animalisierung werde im Weiteren schließlich implizit mitgedacht und so in den Frauenkörper ‚eingeschrieben‘. Hoffmann-Curtius verstand insbesondere das Bild des tugendhaften Ritters als Gegenbild zur Femme fatale und zeigte auf, wie mit Nietzsche auch der männliche Lustmörder als positive reaktive Figur auf die fatale Weiblichkeit gesehen werden könne. An zahlreichen Bildern, dem Film Geheime Staatsaffären und der massenmedialen Inszenierung insbesondere Vera Brühnes demonstrierte sie, dass die Femme fatale gerade als Projektionsfläche für aus der Gesellschaft Auszugrenzendes erscheine und ihr als Nationalallegorie auch eine politische Bedeutung zugeschrieben werde. JENNIFER HÜBNER (Augsburg) zeigte auf, wie im deutschsprachigen Kriminalroman die Inszenierung weiblichen Gewalthandelns in sexuellen Kontexten zwischen Überspitzung und Nicht-Sagbarkeit changiert. Während Thea Dorn in Die Hirnkönigin die Lustmörderin durch die Einschreibung in den literaturhistorischen Diskurs über Gewalttäterinnen letztlich dekonstruiere, spiegele die Nicht-Sagbarkeit des weiblichen Gewalthandelns in Jan Seghers Ein allzu schönes Mädchen die Unmöglichkeit eines weiblichen Lustmordes wider. RUTH NEUBAUER-PETZOLD (Erlangen) beschäftigte sich mit der Frage, ob ein weiblicher Hannibal Lecter möglich sei. Am Beispiel der zwei Mörderinnen Anna Przygodda und Elfriede Blausteiner sowie der Serienmörderin Eileen Wuornous verdeutlichte sie die spezifisch auf Frauen angewandten (massen-)medialen Inszenierungsstrategien, die sich rigide an traditionellen Rollenbildern orientierten. Insbesondere in der Benennung von Mörderinnen als ‚Blaubärtin‘ finde eine diffizile Genderverschiebung statt. Da die Mörderinnen sich durch ihre Tat männliches Verhalten anmaßten und so letztlich als ‚monströs‘ erschienen, verneint Neubauer-Petzold (zumindest für den Moment) die Möglichkeit einer weiblichen Lecter-Figur. IRINA GRADINARIs (Trier) Vortrag beschäftigte sich mit lustmörderischen Täterinnen und Opfern. Ausgehend von der Entstehung des Lustmorddiskurses um 1900 und seiner Diskreditierung als analytischer Kategorie demonstrierte sie am Beispiel der Lustmörderinnen in Thea Dorns Die Hirnkönigin und Helmut Kraussers Schmerznovelle sowie des lustmörderischen Opfers in Thomas Hettches Der Fall Arbogast, wie der Lustmord als ästhetisches Sujet in der gegenwärtigen Literatur aktualisiert wird.

Das die Tagung abschließende Panel beschäftigte sich dann im Kontrast zum vorhergehenden mit einem explizit dem Weiblichen zugeschriebenen Verbrechen. Obwohl Kindstötungen auch durch Männer ausgeführt werden, bestimmt die Kindsmörderin die gesellschaftliche und künstlerische Wahrnehmung. Der Schwerpunkt des Panels lag dabei auf der Beziehung zwischen „Kindsmörderinnen und Massenmedien“. KATHLEEN HEFT (Berlin) zeigte in ihrem Vortrag über die mediale Inszenierung des Kindsmords die subtile Verortung der Thematik in den neuen Bundesländern, auf welche Weise die Inszenierung der Morde als ‚Folgeschäden der DDR-Sozialisierung‘ die Tat kulturalisiere und so alle ostdeutschen Frauen als abweichend von normaler (westdeutscher) Mütterlichkeit diskreditiere. EVA TOLASCH (München) untersuchte die Mutterbilder, die sich in verschiedenen Diskursen über Kindsmörderinnen wiederfinden, und zeigte die subtilen Verschiebungen in den Mutterimaginationen auf: Die Täterin werde entweder selbst als Opfer verhandelt, deren Motive dann unerklärlich blieben, oder als ‚monströse‘ Täterin. Auf diese Weise werden, so Tolasch, anhand der Kindsmörderinnenzuschreibungen in Zeiten der sozialen Krise im Sinne zunehmender Kinder- und Erwerbslosigkeit letztlich restaurative sozial- und geschlechtsspezifische Rollenbilder gefestigt.

Die verschiedenen Beiträge illustrierten die Bandbreite und Komplexität der Mörderinnen-Inszenierungen. Die dabei nicht immer trennscharfe Unterscheidung von fiktiven und realen Mörderinnen ist dem Diskurs selbst geschuldet, ist die Vermischung doch hier schon angelegt. Grundsätzlich ließ sich feststellen, dass Weiblichkeit durch die Gewalthandlung uneindeutig wird. Gerade diese Uneindeutigkeit wird häufig genutzt, um die etablierten Geschlechterzuschreibungen neu zu verhandeln. Dabei erweist sich auffälligerweise gerade die Figur der liebenden, umsorgenden Mutter bei vielen Bearbeitungen als Gegenfolie, die letztlich als zu bestätigende Zuschreibung implizit mitverhandelt wird. Dennoch wird durch die Mörderinnen-Figuren Geschlecht als Konstruktion und Zuschreibung sicht- und verhandelbar. Mörderinnen, das wurde durch die Tagung erwiesen, sind also noch immer fragwürdige Figuren. So ließen sich zum Abschluss der Tagung auch keine eindeutigen Thesen formulieren, mit denen man der Mörderin habhaft werden kann; vielmehr wurden einige Fragen aufgeworfen, die eine Perspektive bieten für die weitere Auseinandersetzung mit mordenden Frauenfiguren. Leidenschaftlich diskutiert wurde insbesondere die Frage, ob man den weiblichen Mord als emanzipatorische Handlung verstehen könne, da Frauen sich durch einen Mord Handlungsspielräume aneignen würden, die ihnen traditionellerweise nicht zugestanden würden. Allerdings sei die einfache Aneignung männlichen Handelns noch kein emanzipativer Akt. Die Wahrnehmung der Mörderinnen und der Morde als rein ästhetische Codierungen in den neueren Gender Studies vernachlässige dabei die erforderliche politische Ebene der Inszenierung einer solchen Figur. Es stellt sich also die Frage, inwieweit die Frauenfiguren in ihrem Ausbrechen aus dem patriarchalen Regelwerk eigenständig weibliche gewalttätige Handlungsweisen erschaffen. Davon ausgehend lässt sich auch nach den spezifisch weiblichen Imaginationen weiblichen Mordes fragen – denn die während der Tagung besprochenen Werke stammten mit wenigen Ausnahmen durchweg von männlichen Autoren bzw. Künstlern. Man kann neugierig sein, inwieweit sich die Veränderungen der Geschlechterzuschreibungen auch auf das Handeln und die Wahrnehmung von mordenden Frauen in Gesellschaft und Kunst auswirken.

Konferenzübersicht:

Prorektor der Universität Siegen, Haring Bolívar: Grußworte

Hyunseon Lee, Nicola Glaubitz: Begrüßung

Weibliche Verbrechen im Bild

Andreas Becker (Frankfurt): Lady Snowblood und Kozure Ôkami. Ein Vergleich zwischen weiblicher und männlicher Rache im Manga und in der Filmadaption

Marcus Stiglegger (Siegen): Whatever Happened to Bette Davis? Die zweite Karriere der Hollywood-Diven im Psychothriller der 1960er Jahre

Undoing men? Mörderinnen in der Oper

Kadja Grönke (Leipzig/Oldenburg): Die mordende Frau auf der Opernbühne – ein Rollenprofil im Spannungsfeld von Ästhetik und Moral

Angela Beuerle (Stuttgart): Lucia di Lammermoor – von der femme fragile zur femme fatale

Mord-Lust

Keynote: Kathrin Hoffmann-Curtius (Berlin): Vorstellungen des Lustmordes

Jennifer Hübner (Augsburg): Mord aus Lust (?) – Zur Inszenierung des weiblichen Sexualmordes im deutschsprachigen Kriminalroman

Ruth Neubauer-Petzold (Erlangen): Ist ein weiblicher Hannibal Lecter denkbar? Die mediale Inszenierung von Serienmörderinnen

Irina Gradinari (Trier): Maskerade des Begehrens. Lustmörderische Täterinnen und Opfer in Die Hirnkönigin (Thea Dorn), Die Schmerznovelle (Helmut Krausser) und Der Fall Arbogast (Thomas Hettche)

Kindsmörderinnen und Massenmedien

Kathleen Heft (Berlin): „Tatort: Die neuen Bundesländer“ – Medienberichterstattung über die ‚ostdeutsche Kindsmörderin‘

Eva Tolasch (München): Neue gute Mütter? Das Wissen der Experten, der Leute und der Medien über Kindstötungen