Rathäuser als multifunktionale Räume der Repräsentation, der Parteiungen und des Geheimnisses

Rathäuser als multifunktionale Räume der Repräsentation, der Parteiungen und des Geheimnisses

Organisatoren
Verein für Geschichte der Stadt Wien; Institut für Österreichische Geschichtsforschung
Ort
Wien
Land
Austria
Vom - Bis
12.10.2011 - 14.10.2011
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Von
Herwig Weigl, Institut fuer Österreichische Geschichtsforschung / Institut für Geschichte, Universität Wien

In bewährter Zusammenarbeit zwischen dem Verein für Geschichte der Stadt Wien, dem Wiener Stadt- und Landesarchiv, dem Institut für Österreichische Geschichtsforschung und dem Institut für Geschichte der Universität Wien, denen die Organisator/innen Susanne C. Pils, Martin Scheutz, Christoph Sonnlechner und Stefan Spevak (alle Wien) jeweils in mehreren Rollen zuzuordnen sind, fand eine Tagung zum Thema Rathaus mit Tiefen und Höhen statt: Sie führte bis hinab in den Rathauskeller und endete ca. 90 Meter über dem Boden am Turm des Wiener Rathauses. Das Archiv präsentierte auch einige der Entwürfe, die im Wettbewerb um den Neubau des Wiener Rathauses im Zug des Ausbaus der Ringstraße eingereicht worden waren. Den zeitlich-geografischen Rahmen gab vorwiegend das Mitteleuropa vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart vor, und die Referierenden waren Historiker/innen, Kunsthistoriker/innen und Museumsfachleute. Es ging weniger darum, eine (oder mehrere) chronologische Entwicklung(en) des ohnehin zu vielfältigen Phänomens nachzuzeichnen, sondern um die jeweilige Funktionalität, Zeichenhaftigkeit und Bedeutung für die – und daran anknüpfend die Frage, wessen – Repräsentation. Dieses Konzept ließ den gelegentlich monierten Verzicht auf die Einbeziehung Italiens verschmerzen. Das im Titel anklingende Element von Polit-Thrillern (Parteiungen, Geheimnis) kam wenig zum Tragen, obwohl parteipolitische Vereinnahmung selbstverständlich zum Thema wurde, und das auch dort, wo man es nicht unmittelbar erwarten würde: So war der Wiener Rathauskeller ein mehrfach politisch konnotierter Ort.

MARTIN SCHEUTZ (Wien) eröffnete die Tagung mit einem souveränen Überblick über Forschungsfragen, Funktionen und Ausgestaltungen von Rathäusern zwischen Langenlois und London vom späten Mittelalter bis ins 21. Jahrhundert. Die Schwierigkeit eines solchen Unterfangens ergibt sich nicht zuletzt aus dem meist nur lokalgeschichtlichen Blick auf Rathäuser in der Forschung, so dass vergleich- und kontrastierbare Elemente der Fülle biederer, kompilatorischer Darstellungen erst mühsam abgepresst werden müssten. Scheutz hob unter anderem hervor, dass in der Frühen Neuzeit vielfach bestehende Gebäude um- und ausgebaut, ab dem 19. Jahrhundert aber wieder zahlreiche Neubauten errichtet wurden, dass ein großer Saal und ein Turm lange Zeit zum architektonischen Grundinventar gehörten und dass die künstlerische Ausgestaltung die Herrschaftslegitimation des Stadtrates, aber auch des Fürsten im Gerechtigkeitshabitus vortrug, in jüngerer Zeit derselbe Zweck aber durch demonstrative Transparenz und niederschwellige Bürgernähe verfolgt wird. Das Referat von STEPHAN ALBRECHT (Bamberg) widmete sich stärker dem repräsentativen Gestus aus kunsthistorischer Sicht, ohne jedoch den politischen Kontext zu vernachlässigen. Den Bezug zur Öffentlichkeit demonstrierte er anhand von Lauben, Balkonen, ikonografischen Programmen, der Besetzung prominenter Positionen an Plätzen und schließlich der freien Zugänglichkeit großer Teile der Gebäude.

CHRISTOPH SONNLECHNER (Wien) stellte Rathäuser als umweltwirksam allein schon durch Baumaterial und Energieverbrauch vor und zeigte sie als Träger von Erinnerungsmarken an Katastrophen. Im Hauptteil des Referats zogen freilich die Umwelt und ihre Wechselwirkung mit Städten und Städtern auf dem Umweg über das „Eisenbuch“, ein vom 14. bis ins 19. Jahrhundert geführtes, repräsentatives Stadtbuch, ins Wiener Rathaus ein, weil es als städtischer Erinnerungsort stets in diesem verwahrt werden musste und zahlreiche Einträge enthält, die Auskunft über die Interaktion von Stadt und Donau geben.

Breiten Überblicken über regionale Bestände und Entwicklungen war ein eigener Abschnitt der Tagung gewidmet. JOSEF ŽEMLIČKA (Praha) zeichnete das späte Aufkommen von Rathäusern im Rahmen des böhmischen Städtewesens nach: Vielfach habe man sich lange Zeit mit dem Haus des Richters als Versammlungsort begnügen müssen. Selbst den Pragern sei es im späten 13. Jahrhundert noch nicht gelungen, eine königliche Erlaubnis zum Rathausbau zu erlangen, die sie dann erst vom Luxemburger Johann erhielten. Später konnten Rathäuser zu Brennpunkten von Konflikten zwischen Rat und Gemeinde werden. In der Diskussion wurde die Frage nach auswärtigen Vorbildern, basierend auf der Migration städtischer Eliten, aufgeworfen. Der Hinweis, dass Patrimonialstädte nicht zwangsläufig im Rathausbau nachhinkten, sondern dass umgekehrt dieser vom Stadtherrn gefördert werden konnte, fügte sich gut zum folgenden Referat. HOLGER GRÄF (Marburg) bot einen systematischen Überblick über verschiedene Aspekte des Rathausbaus in hessischen Kleinstädten, wie die topographische Lage und deren Wandel – von der Einbindung in die Häuserzeile zum freistehenden Bau am Marktplatz – und die architektonische Gestaltung und Umgestaltung zwischen Zitaten aus dem Schlossbau und einer Rationalität vor sich her tragenden Zweckmäßigkeit am Ende des Untersuchungszeitraums. Dabei sei die große Zeit des Rathausbaus mit dem massiven Ausbau des Fürstenstaates zusammengefallen, so dass man fragen müsse, ob es sich um „Denkmäler kommunalen Selbstbewusstseins“ oder um „Kompensationen für den städtischen Niedergang“ handelte, wobei vielleicht auch an Zeichen delegierter Fürstenmacht gedacht werden darf.

Die spezifische Überlieferung Ungarns präsentierte JUDIT MAJOROSSY (Budapest), wo im Zentralraum oft erst die Situation nach der habsburgischen Eroberung fassbar ist. Für die besser dokumentierten Städte im Westen und Norden des Königreichs stellte sie systematisch die Schriftquellen vor, in denen Rathäuser ihre, oft nur schwachen, Spuren hinterlassen haben können, ging im Detail und exemplarisch auf die verschiedenen Versammlungs- und Rathäuser in Sopron und Bartfa/Bardejov ein und schloss mit einem Blick nach Siebenbürgen, wo Befestigungstürme als Rathäuser genutzt werden konnten. SUSANNE CLAUDINE PILS (Wien) zeigte die Auswertungsmöglichkeiten, welche die Ausgabe des Österreichischen Städteatlas auf DVD bietet. Die Suche nach den verzeichneten Rathäusern, die das Programm auf den Stadtkarten anzeigt, ergab eine auffällige Häufung von Eckbauten, was die Referentin mit der hier gegebenen Gelegenheit zur Ausgestaltung von zwei Fassaden erklärte. KLAUS BRANDSTÄTTER (Innsbruck) schilderte die Situation in Tirol und seinen Nachbarländern, wo vielfach wirtschaftlich potente Kleinstädte unter starker Kontrolle ihrer Herren standen, die aber auch den Bau von Rathäusern oder den Erwerb geeigneter Häuser förderten. Auch für das untersuchte Gebiet zeigte der Referent die Multifunktionalität der Rathäuser, und auch hier dominieren bei der Dekoration einerseits die Tugendprogramme, andererseits dynastische Bezüge.

AXEL CH. GAMPP (Basel) brachte mit den viel stärkeren Schweizer Städten, namentlich Bern, Basel und Zürich, ganz andere Akteure ins Spiel, die sich repräsentative Rathäuser leisten konnten. Ein Grundzug ihrer Geschichte sei die Trennung der zunächst gemeinsam erfüllten Gerichts- und Verwaltungsfunktionen gewesen. Erdgeschosshallen, Freitreppen und im Inneren große Säle fanden sich auch hier, doch während in Basel mit einer Gerechtigkeits-Ikonografie die traditionelle Mahnung an die Ratsherren vor Augen blieb, hätte die Oligarchisierung der Stadtregierung in den beiden anderen Städten in Architektur – namentlich im palastartigen Zürcher Neubau um 1700 – und Ausstattung deutlichen Ausdruck gefunden. Stand hier die Frage nach Gemeinde oder Oligarchie im Mittelpunkt, kontrastierte ANDREAS NIERHAUS (Wien) die Momente der Monumentalität und der Funktionalität, die er beide als „Abbreviaturen der Vorstellung der Machthaber von einer Stadt“ interpretierte – ein beträchtlicher Zuwachs an Volumen gegenüber ähnlich charakterisierbaren mittelalterlichen Stadtsiegeln. Andererseits seien rathausspezifische Bauformen vielfach abgekommen, was auch – traditioneller als den Bauherren vielleicht bewusst ist – ihre Kombination mit Einkaufszentren ermöglicht. Einem Aufgeben lokaler Spezifika zugunsten des international platzierbaren universellen Rathauses stand die im Vortrag ebenfalls vorgeführte Nationalisierung, wie bei den Rathäusern von Toruń und Berlin, gegenüber. Vordergründig weniger national, aber ein treffsicherer Ausdruck des Welt- und Wienbildes der Wiener Christlichsozialen unter dem populistischen Bürgermeister Lueger ist das ikonografische Programm der 1888/89 entstandenen Wandbilder im Wiener Rathauskeller, mit dessen subtiler Analyse INGE PODBRECKY (Wien) beeindruckte. Unter früher Aufnahme von Elementen des französischen Jugendstils sei hier ein harmonisch-gemütliches Mittelalter als Wurzelgrund des zeitgenössischen Wienertums präsentiert worden, das sogar den Verzicht auf die sonst in Österreich so zelebrierte Rolle als Bollwerk des christlichen Abendlandes gegen Feinde aus dem Osten erlaubte. Von zentraler Bedeutung war diese hingegen bei der Einrichtung städtischer Schausammlungen im damals neuen Wiener Rathaus ab 1888, wie SÁNDOR BÉKÉSI (Wien) vorführte. Hier wurde zunächst, eine Ausstellung von 1883 aufgreifend, eine Waffensammlung aus dem bürgerlichen Zeughaus aufgestellt, wozu sich dann weitere Bestände des Historischen Museums der Stadt Wien (heute Wien Museum) gesellten, bis sie 1959 ein eigenes Haus erhielten. Ein Gegenkonzept verkörperte das 1927 bis 1934 unter sozialdemokratischer Ägide im Rathaus aufgestellte Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum, das mit Schautafeln und Graphiken auf Stellwänden die Sozialwissenschaften ausstellbar machte.

Die beiden abschließenden Referate verfolgten die österreichische Geschichte des 20. Jahrhunderts im Spiegel zweier Rathäuser und ihrer Nutzungen. Anstelle des verhinderten WALTER SCHUSTER (Linz) zeichnete CATHRIN HERMANN (Linz) die Karriere des (nunmehr: Alten) Linzer Rathauses und seiner relevanten Architekturteile – vom Festsaal über den Balkon, von dem Hitler seine erste Rede in der „Ostmark“ hielt, und die Geschäfte im Erdgeschoß zum verglasten Service-Center an derselben Stelle – nach und widmete auch der Memorialausstattung wie der Serie der Bürgermeisterportraits (mit und ohne Nazis), den Gedenktafeln und einer Dependence des Stadtmuseums ihr Augenmerk. STEFAN SPEVAK (Wien) schilderte die wechselnden politischen Strömungen und Parteien, die das Wiener Rathaus nicht nur als Verwaltungs- und Regierungssitz nutzten und gestalteten, sondern es sich samt dem Rathausplatz für ihre öffentliche Selbstdarstellung aneigneten. Da konnte es zu intendiert harten Brüchen kommen, etwa wenn der ermordete austrofaschistische Diktator Dollfuss am Rathausplatz, der im „Roten Wien“ der Kulminationspunkt der 1.Mai-Feiern gewesen war, aufgebahrt wurde. Mit der fast kontinuierlichen kommerziellen Nutzung des Platzes in den letzten Jahrzehnten scheint der Brückenschlag zurück zum mittelalterlichen Kauf- und Rathaus, freilich sicher nicht intentional, vollzogen worden zu sein.

Insgesamt kam das Leitthema der Tagung, die Multifunktionalität der Rathäuser, gut zum Ausdruck. Die Publikation wird kein Handbuch des Rathauswesens werden, sondern eher Steine in einem Mosaik bieten können. Diese sind aber so gut verteilt, dass sich ein Bild abzeichnet. Gerade die weite Spanne der Beiträge und Phänomene – vom adaptierten Bürgerhaus bis zur architektonischen Glas/Metall-Skulptur – verdeutlichte Kontraste und Konstanten. Künftige Arbeit findet hier genügend Anknüpfungspunkte und vielleicht manche Steine des Anstoßes. Aber Steine sind bekanntlich Baumaterial.

Konferenzübersicht:

1. Einleitung
Martin Scheutz, Die Multifunktionalität von Rathäusern – Versuch eines Überblicks

Stephan Albrecht, Wandel der architektonischen Form unter dem Einfluss sich wandelnder Öffentlichkeit

Christoph Sonnlechner, Das Rathaus als umweltgeschichtlicher Erinnerungsort

2. Die Rathäuser in Mittelalter und Neuzeit (Bauphasen, Situierung, Finanzierung)

Josef Žemlička, Der langwierige Weg zum Rathaus im tschechischen Mittelalter

Holger Gräf, Rathäuser in hessischen Kleinstädten: Denkmäler kommunalen Selbstbewusstseins oder Kompensationen für den städtischen Niedergang?

Judit Majorossy, From the judge’s house to the town’s house

Susanne Pils, Zur Verortung von Rathäusern. Beispiele aus Niederösterreich, Oberösterreich und der Steiermark anhand des Österreichischen Städteatlas

3. Dynamiken und Stillstand im Rathausbau

Klaus Brandstätter, Rathäuser im westlichen Österreich in Mittelalter und Früher Neuzeit

Axel Ch. Gampp, Volksherrschaft und Standesdünkel. Rathausbau der Frühen Neuzeit in der Eidgenossenschaft

Andreas Nierhaus, Städtische Selbstdarstellung zwischen Monumentalität und Funktionalität. Rathäuser im 20. und 21. Jahrhundert

Inge Podbrecky, „Die erste große Probe der neuen Zeit“: Der Wiener Rathauskeller

Sándor Békési, Das Rathaus als musealer Ort: Das Rathaus als Museums- und Ausstellungsort. Über Formen und Funktionen städtischer Repräsentation in Wien 1888-1958

Cathrin Hermann, Politische Brüche und gewandelte Repräsentation am Beispiel des Alten Rathauses der Stadt Linz

Stefan Spevak, Rathaus und Kirche –Divergenz und Kongruenz in Politik und Repräsentation

Karl Fischer, Versuch einer Synthese