Tiere und Geschichte

Organisatoren
Clemens Wischermann, Universität Konstanz; Stefan Zahlmann, Universität Wien
Ort
Konstanz
Land
Deutschland
Vom - Bis
21.07.2011 - 22.07.2011
Url der Konferenzwebsite
Von
Annette Leiderer, Universität Freiburg

Vom 21. bis 22. Juli 2011 fand am Fachbereich Geschichte und Soziologie der Universität Konstanz die Gründungsinitiative des Forums „Tiere und Geschichte“ unter der Leitung von Clemens Wischermann (Konstanz) und Stefan Zahlmann (Wien) statt. Das Treffen hatte zwei Ziele: Zum einen diente es der Gründung eines Netzwerkes von Wissenschaftlern, die sich in historischer Perspektive mit Tieren beschäftigen; und zum anderen wurde über den status quo, die Gegenstände und Methoden der Human-Animal-Studies diskutiert. Die Tagung war bewusst ohne Vorträge konzipiert und bestand aus mehreren, von den Veranstaltern moderierten Diskussionsblöcken.

Zu Beginn stellten die annähernd vierzig Teilnehmer kurz ihre eigenen Forschungsprojekte vor und resümierten ihre Erfahrungen als Vertreter eines noch relativ überschaubaren Forschungsfeldes. Dabei wurde zwar relativ schnell klar, dass sich der Themenbereich „Tiere und Geschichte“ immer weiter ausbreitet; im Umfeld der Universitäten Würzburg, München, Prag, Münster und Hamburg wurden etwa geisteswissenschaftlich ausgerichtete Arbeitskreise und Institute eingerichtet, die das Tier in den Mittelpunkt ihrer Forschungen stellen, und bei Verlagen zeigt sich seit ungefähr fünf Jahren ein großes Interesse an Arbeiten, die sich historisch mit dem Tier beschäftigen. Aus den Berichten sowohl etablierter Historiker als auch von Doktoranden und Postdocs ging aber auch deutlich hervor, dass das Thema innerhalb der Forschungslandschaft, bei Anlage der Curricula sowie auf institutioneller Ebene noch weit davon entfernt ist, zum selbstverständlichen Kanon historischer Themen zu gehören. Zudem wurde als ein Anliegen des Forums festgehalten, dass das Tier nicht nur als ein Thema, sondern als eine erkenntnistheoretische Kategorie in den Blick genommen werden sollte: Welche geschichtswissenschaftlichen Erkenntnisse ermöglicht eine Auseinandersetzung mit Tieren in historischer Perspektive, die mit den etablierten Kategorien und Methoden nicht erfasst werden können?

Im inhaltlichen Zentrum der meisten vorgestellten Projekte standen domestizierte Säuge- und Nutztiere. Während somit die Untersuchung von Insekten und Wölfen eher die Ausnahme bildet, werden häufig Tiere in den Blick genommen, die als Gefährten des Menschen gelten (Katzen, Pferde, Hunde und Vögel), die lebend oder tot als Ausstellungsstück dienen (im Zoo bzw. Naturkundemuseum), die als Arbeitskraft oder Nahrungslieferant zum Einsatz kommen (Brieftauben, Legehennen, Geflügel, Rind, Schwein und Fische) oder Gegenstand naturwissenschaftlicher Forschung sind (Versuchs- und Labortiere, Schafe und Bienen). Der epochale Schwerpunkt der vorgestellten Forschungsprojekte liegt in der Neueren und Neuesten Geschichte. Regional werden West- und Zentraleuropa am intensivsten untersucht. In den meisten Projekten wird die Geschichte der Verhältnisse analysiert, die sich zwischen Menschen und Tieren ausgebildet haben. Zudem spielt die Konstruktion des „Tieres“ als Gegenstück zum „Menschen“ und die Reziprozität der Mensch-Tier-Beziehung eine zentrale Rolle.

An die Vorstellung der Projekte schloss sich eine Diskussion über Definition, Quellen und Gegenstand der Human-Animal-Studies an. Zudem wurde die Frage aufgeworfen, warum das Interesse an diesem Forschungsfeld gerade in jüngster Zeit zu wachsen beginnt.

Als Differenzkriterium gegenüber anderen historischen Forschungszweigen wurde zunächst die spezifische Lesart der Quellen „auf das Tier hin“ betont: So würden in den Human-Animal-Studies Texte und historische Zeugnisse eben nicht allein auf menschliche Äußerungen, deren Ursachen und Entwicklungen hin gelesen; vielmehr werde nach den Spuren gesucht, die Tiere in den Quellen und somit in der menschlichen Geschichte hinterlassen haben. Diese spezifische Lesart mache es zudem erforderlich, neues Quellenmaterial etwa zu Fütterungsformen, historischen Veränderungen im Verhalten oder zum „Alltag“ von Tieren zu erschließen. Für manche Fragestellungen sei darüber hinaus auf spezifische Quellen wie Mitschnitte von Tierstimmen oder Videoaufnahmen von Tiergruppen zurückzugreifen. Relativ breiter Konsens bestand schließlich in dem Punkt, dass die historische Forschung zum Tier von methodischen Anleihen aus anderen Disziplinen wie der Ethologie, Archäologie, Geographie und Kommunikationswissenschaft nur profitieren könne und müsse.

Bei der Diskussion über den Forschungsgegenstand „Tier“ bzw. „Mensch-Tier-Beziehung“ wurde nochmals deutlich, dass die – regional und epochal sehr unterschiedlich – konstruierte Grenze zwischen Mensch und Tier bei nahezu jedem Forschungsprojekt eine wichtige Rolle spielte. In der Forschungspraxis wird mit diesem Problem allerdings sehr unterschiedlich umgegangen: So wird in manchen Arbeiten die Konstruktion von „Mensch“ und „Tier“ in Texten oder Bildern ins Zentrum gestellt, also die Dichotomie von Mensch und Tier selbst zum Gegenstand der Untersuchung erhoben. In anderen Projekten tritt die Konstruktion von „Mensch“ und „Tier“ hingegen in den Hintergrund: So bildet die Annahme zweier tatsächlich vorhandener und unterschiedlicher Lebensformen etwa für eine Geschichte der Tier-Hund-Beziehungen eine notwendige Prämisse – Gegenstand ist dann eben die Beziehung der beiden Lebensformen, die Geschichte ihrer Interaktionen sowie die wechselseitige Einflussnahme der einen Lebensform auf die andere. Schließlich sind manche Projekte der Geschichte der Tiere selbst gewidmet: In dieser Perspektive wird das Tier weniger als Projektionsfläche menschlicher Ideen (vom Tier) gesehen, sondern eher nach der eigenen agency von Tieren gefragt.

In der Diskussion über die historische Verortung des zunehmenden Interesses an den Human-Animal-Studies wurde zu Recht eingewandt, dass das Tier als historischer Gegenstand keine Erfindung der letzten zwanzig Jahre sei. Bereits im 19. Jahrhundert hätten sich Geisteswissenschaftler der Erforschung des Tieres gewidmet. Zudem wurde die Frage aufgeworfen, wie stark das gegenwärtige akademische Interesse am Tier auf gesellschaftliche Veränderungen im Umgang mit dem Tier reagiere – die umgekehrte Frage, ob die Human-Animal-Studies auch Einfluss auf den gesellschaftlichen Umgang mit dem Tier nehmen können, blieb allerdings außen vor. Als wesentliche Triebkraft sowohl für das akademische als auch das gesellschaftliche Interesse am Tier wurden die langfristigen Folgen der Industrialisierung angeführt. So sei das heutige und stark ambivalente Verhältnis zum Tier – zwischen Versachlichung einerseits und Emotionalisierung, Sentimentalisierung und Politisierung andererseits – erst durch den Prozess der Industrialisierung möglich geworden. Diese Entwicklung habe nicht nur zur wachsenden Empathie für Tiere, sondern auch zur Bedrohung und zum Schwund von Arten und schließlich zu einer veränderten Perspektive des Menschen auf sich selbst geführt: Besonders deutlich wird dies bei Aktivistengruppen, die in den Industrieländern für die Gleichstellung von Menschen und Tieren vor dem Gesetz eintreten. Vor diesem Hintergrund ist schließlich auch die in der Diskussion vorgebrachte Beobachtung nicht ganz von der Hand zu weisen, dass die Human-Animal-Studies nach Sklaven und Frauen die nächste gesellschaftliche Randgruppe in den Blick nehmen – mag dies auch noch so überspitzt sein.

Im zweiten Teil der Tagung wurde dann konkret die weitere Organisation und Struktur des neugegründeten Netzwerkes diskutiert und die Planung des Folgetreffens 2012 in Angriff genommen.

Zunächst stellte STEFAN ZAHLMANN (Wien) die Homepage „Tiere und Geschichte“ vor, die strukturell mit einem sozialen Netzwerk vergleichbar ist und der weiteren Vernetzung, Kommunikation und Diskussion im Forschungsfeld „Tiere und Geschichte“ dienen soll.1 Registrierte Mitglieder des Netzwerkes können eigene e-Journals zu ihren Forschungsbereichen herausgeben und diese zur Publikation eigener Beiträge nutzen. Die Plattform bietet zudem nützliche Funktionen, wie sie aus sozialen Netzwerken bekannt sind: Profilerstellung, Diskussionsforen sowie die Möglichkeit zu Ankündigungen. Alle Beiträge werden verschlagwortet, so dass ein umfassender Index erstellt und gleichzeitig die Suchfunktion der Seite verbessert werden kann. Für Gastnutzer besteht zusätzlich die Option, Nachrichten und Anfragen an das Netzwerk zu richten, was nicht zuletzt als Angebot an Studierende und Interessierte aus nichtuniversitären Kontexten verstanden wurde. Ganz konkret wird die Homepage bereits bei der Vorbereitung der Folgetreffen des Konstanzer Gründungsforums zum Einsatz kommen – so können etwa Fragen, die in den Onlineforen immer wieder im Zentrum von Diskussionen stehen, im Rahmen der Treffen vertieft werden.

Die Zugangspolicy des Forschernetzwerks zeichnet sich also durch wissenschaftlichen Anspruch und einen möglichst hohen Grad an Offenheit aus. Zudem bestand weitestgehend Einigkeit, dass die Forschungen und die Ergebnisse sowohl in die Wissenschaft als auch in eine größere Öffentlichkeit gelangen sollten. Die Grenzen dieser Öffnung wurden aber an zwei Punkten deutlich: Während zum einen die Zusammenarbeit mit Praktikern etwa im Tierschutzbereich begrüßt wurde und teilweise schon besteht, wurde mehrheitlich die Kooperation der wissenschaftlichen Human-Animal-Studies mit ideologisierten und extremistischen Tieraktivisten abgelehnt – diese sollten vielmehr einen eigenen Forschungsgegenstand der Human-Animal-Studies darstellen. Zum anderen wurde auf das Problem von Open-Access-Publikationen aufmerksam gemacht, die gerade für Forscher in Qualifikationsphasen mit (noch) geringem Renomée keine optimale Lösung seien – angesichts der vielen jungen Wissenschaftler, die zu „Tieren und Geschichte“ arbeiten, ein nicht unbedeutender Punkt.

Abschließend wurden Form und Inhalt sowie Termin und Ort des nächsten Netzwerk-Treffens festgelegt: Die produktive Diskussionsform ohne Vorträge wird beibehalten, allerdings werden von nun an unterschiedliche Kernfragen zu „Tieren und Geschichte“ die Tagesordnung strukturieren. Für das nächste Treffen im Juli 2012, das unter der Ägide von Gesine Krüger und Aline Steinbrecher (beide Zürich) in Zürich stattfinden wird, wurden vier Rahmenthemen festgelegt: „Was ist das Tier“?; „Wie sieht die Wirkungsmacht des Tieres in der Geschichte aus“/„Besitzen Tiere agency?“; „Tiere und Repräsentationen“ sowie „Tiere und Raum“. Zu jedem dieser vier Themen wurde ein Forum auf der Homepage eingerichtet und ist somit die Diskussion eröffnet.

In Konstanz wurde also intensiv über die Zukunft der Human-Animal-Studies diskutiert und ein relativ offenes Netzwerk für die künftige Zusammenarbeit der Wissenschaftler gegründet. Insgesamt wurde ein vielversprechender Anfang gemacht – man darf auf die weiteren Treffen des Netzwerkes gespannt sein.

Programmübersicht:

Stefan Zahlmann/Clemens Wischermann: Einleitung

Stand und Erfahrungen einer Mensch-Tier-Geschichte

Kurze Berichte zur Lage

Rahmenbildung für ein Netzwerk

Verständigung über Ausgangspositionen

Organisation und zukünftige Arbeitsweise des Netzwerkes

Anmerkung:
1 <http://www.univie.ac.at/tiere-geschichte>