Das Wissen der Zeit - Konrad von Megenberg (1309-1374) und sein Werk

Das Wissen der Zeit - Konrad von Megenberg (1309-1374) und sein Werk

Organisatoren
Projektforum Mittelalter der Ludwig-Maximilians-Universität München und Monumenta Germaniae Historica (MGH) Organisation: PD Dr. Gisela Drossbach, Prof. Dr. Martin Kintzinger, Prof. Dr. Claudia Märtl
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
08.10.2003 - 10.10.2003
Von
Gisela Drossbach, Leopold-Wenger-Institut für Rechtsgeschichte, LMU Muenchen

Die Tagung des Projektforums Mittelalter und der Monumenta Germaniae Historica setzte sich zum Ziel, einen internationalen und interdisziplinären Kreis von Fachleuten zusammenzuführen, um den gegenwärtigen Kenntnisstand und die fachübergreifenden Perspektiven einer Erforschung des Werkes Konrads von Megenberg unter heute aktuellen Fragestellungen auszuloten und Impulse für die künftige Arbeit zu geben. Die Organisation lag in den Händen von Gisela Drossbach (München), Martin Kintzinger (Münster) und Claudia Märtl (München). Die in vier Sektionen zusammengefaßten Vorträge in den Räumen der Carl Friedrich von Siemens-Stiftung wurden von insgesamt über 60 Zuhörern und Zuhörerinnen besucht.

In seiner Begrüßungsansprache wies Rudolf Schieffer (München) auf die Bedeutung Konrads von Megenberg für die Publikationen der Monumenta Germaniae Historica (MGH) hin: Konrad von Megenberg und Engelbert von Admont sind jene Autoren, deren Werke von den MGH bisher am umfangreichsten ediert wurden. Dennoch gebe es auch in Zukunft viel zu tun, denn trotz der großen Leistungen von Sabine Krüger wurde noch nicht einmal die Hälfte der Schriften des Megenbergers herausgegeben. Martin Kintzinger ging in seinem Einführungsvortrag auf das Urteil der gegenwärtigen Mediävistik zu Konrad von Megenberg ein. Diese sehe in ihm nicht mehr einen traditionellen Spätscholastiker, sondern einen konzeptionell eigenständigen und insofern "modernen" Gelehrten. Er repräsentiere wie nur wenige andere das intellektuelle und soziale Milieu der "gens de savoir" (J. Verger) im Spätmittelalter. Auf dieser Grundthese aufbauend, stellte Gisela Drossbach einige Aspekte und Fragen des Tagungskonzeptes sowie die Leitlinien des Kolloquiums vor, nämlich den Umgang mit Konrads Werk und die Ordnung des Wissens.

Zur 1. Sektion "Vita und Universität": Ungeklärte Fragen wirft der wichtige Lebensabschnitt des Megenbergers in Paris auf. Welche Ausbildung erhielt er dort? Studierte er nur die Artes oder auch die Theologie? Erlangte er dort auch sein juristisches Wissen? Was lehrte er dort selbst? Darauf ging William Courtenay (Madison, USA), ein, wobei er sich auf Ergebnisse seiner zur Person Konrads neu aufgefundenen Quellen, die Pariser Universitätsmatrikel, berufen konnte und sein Augenmerk auch auf die Pfründenkarriere des Megenbergers richtete. Hingegen ergaben die Untersuchungen von Jacques Verger (Paris) zu Konrads Bild der Pariser Universität als domus scholastica, niedergelegt in dessen "Yconomica", überwiegend theoretische Reflexionen über die kirchliche Institution. Konrad schrieb als ein "homme d´expérience", dem als Opfer von Konflikten unter den Artisten der weitere Weg in die oberen Fakultären verschlossen blieb und der sich nun in einer ausgreifenden Konzeption mit der Verantwortung der Artisten-Magister beschäftigte. Weiterhin seine Vita betreffend, interessierte Konrads Stellung in Regensburg, wo seine Hauptwerke entstanden waren. Wie erging es ihm im Domkapitel? Wie verhielt er sich gegenüber den Mendikanten? Wie arbeitete Konrad wissenschaftlich? Franz Fuchs (Würzburg) suchte Konrads Position in Regensburg zu erhellen, wobei er auch anhand einiger von der Forschung bislang nicht beachteter Archivalien, nämlich Urkunden des Domkapitels, neues Licht auf Konrads Biographie werfen konnte. Ging es nur um die Besorgung von Pfründen? Was kritisierte Konrad an Wilhelm von Ockham? Ging es um persönliche Aversionen? War Konrad ein Traditionalist, dem die "via moderna" nicht zusagte? Auf diese Fragen konzentrierte sich Jürgen Miethke (Heidelberg) mit seiner Untersuchung von Konrads Traktat "Contra Ockham". Miethkes Urteil war vernichtend: Konrads kirchenpolitische Position sei unzeitgemäß, weil "veraltet", und argumentiere an den aktuellen Fragen des Tages vorbei. Dieser Traktat sowie eine ganze Reihe seiner zahlreichen Schriften zeige, dass sie Konrad durch Widmungen an potentielle hohe Gönner für sein eigenes Fortkommen zu nutzen suchte ("Pfründenjäger"). Im folgenden Vortrag untersuchte Dagmar Gottschall (Lecce, Italien), Konrads Kompetenz als Naturphilosoph anhand seiner beiden Pestschriften, dem Kapitel über die Pest im "Buch von den natürlichen Dingen" (II, 33) in der Volkssprache und seinem scholastischen Pesttraktat "De mortalitate in Alamannia" in der Gelehrtensprache Latein. Darin vertrete Konrad eine rein naturwissenschaftliche Deutung, wonach die Ursache der Pest weder die strafende Hand Gottes noch die Krise der Zeit sei. Mit dieser Auffassung war Konrad seiner Zeit weit voraus.

Klärung bezüglich Konrads methodischer Vorgehensweise brachte die 2. Sektion: "Kirchenrecht und Kirchenstruktur". Hier erfuhren Konrads kleinere kirchenrechtliche Schriften, die in zwei bisher unveröffentlichten Handschriften bzw. einem Druck von 1906 vorliegen, erstmalig eine eingehende Untersuchung. Ludwig Schmugge (Zürich) stellte Konrads Werk über die Poenitentialkanones ("Canones poenitentiales") vor, Peter Landau (München) den Traktat über die Verwandtschaftsgrade im Eherecht ("De arboribus consanguinitatis et affinitatis") und Ilona Riedel-Spangenberger (Mainz) Konrads Schrift über die Grenzen der Pfarreien in Regensburg ("De limitibus parochiarum civitatis Ratisbonensis"). Daraus ging hervor, dass sich Konrad am Ende der Epoche der Klassischen Kanonistik als ein großartiger Kenner nicht nur des Kirchenrechts, sondern auch der Legistik erweist. Mit hervorragender Gelehrsamkeit wandte er souverän die nun allgemein verbindlichen Rechtsquellen an. Die Referenten zeigten ein großes Interesse an Konrads Erfassung und Methodik der Rezeption, vornehmlich des Dekretalenrechts und der Kommentare der maßgeblichen Dekretalisten. Trotz Differenzierungen und Nuancen in diesen Werken Konrads, konnte doch nachgewiesen werden, dass diese weniger gelehrte Abhandlungen als vielmehr Rechtsgutachten von praktischem Nutzen darstellen. In der anschließenden Diskussion suchte man Lösungen zu den Fragen, welche Vorlagen Konrad wohl zur Hand gehabt haben könnte, und ob er die dazu nötigen Kenntnisse bereits in Paris, in Wien und auch noch in Regensburg erworben habe. Die beiden weiteren Vorträge rundeten das Thema der Sektion durch die Sichtweise auf die kirchlichen Institutionen im Werk des Megenbergers ab. Stefan Weiß (Paris) analysierte die Struktur von Konrads Beschreibung des päpstlichen Hofes in der "Yconomica" in Analogie zur zeitgenössischen Kurie in Avignon. Christopher Ocker (Berkeley, USA), versuchte das Verhältnis zwischen Welt- und Ordensklerikern in Konrads unveröffentlichtem Traktat "Planctus ecclesiae" zu klären.

Zur 3. Sektion: "Naturkunde und Naturdeutung": Sein "Buch von den natürlichen Dingen" weckte auch germanistische Interessen, nicht nur in sprach- und kunstwissenschaftlicher Hinsicht, sondern vor allem auch im Hinblick auf das Naturverständnis des 14. Jahrhunderts und auf naturkundliche Kenntnisse in dieser Zeit. Viele Fragen ergaben sich zur damaligen Vorstellung vom Menschen. Warum schrieb Konrad beispielsweise über monstra? Was versteht er überhaupt unter Natur? Greift er auf Vorbilder zurück? Mit diesen Fragen beschäftigten sich Marina Münkler (Berlin), Herfried Vögel (München) und Dietmar Peil (München). Dabei ging Herfried Vögel davon aus, dass die monstra den Schluss des Buches der Natur bilden, während die "Menschen" den Anfang darstellen. Aufgrund dieser auffälligen Verklammerung von Anfang und Schluss, versuchte Vögel Konrads Vorstellung von der Natur des Menschen, d.h. von seiner anthropologischen Disposition, darzustellen, wobei er weitere Konstellationen wie Mensch und Tier, Mikro- und Makrokosmos in seine Betrachtung mit einbezog.

In ihrem Abendvortrag beschäftigte sich Lieselotte Saurma-Jeltsch (Heidelberg) mit dem Verhältnis von Text und Bild in den Inkunabeln und frühen Drucken von Konrads "Buch von den natürlichen Dingen". Saurma-Jeltsch konnte herausstellen, dass nicht einmal bei den aus der Hagenauer Werkstatt des Diebold Lauber stammenden Exemplaren von Konrads "Buch von den natürlichen Dingen" die Illustrationen einem gemeinsamen Bildprogramm folgen. Dies bedeutet, dass die mit den Illustrationen vermittelten Informationen nur noch zum Teil im Dienste des Textes standen. In ihrer Erörterung der Ursachen hierfür machte Saurma-Jeltsch die künftig noch genauer zu untersuchenden Auftraggeber verantwortlich, nach deren spezifischen Wünschen ein jeweils unterschiedliches Bildprogramm in den frühen Drucken von Konrads "Buch von der Natur" aufgenommen wurde.

Hier erfolgte der Übergang zur 4. Sektion: "Rezeptionsgeschichte". Mit der bildlichen Rezeption des Werkes des Konrad von Megenberg beschäftigte sich auch Ulrike Spyra (Leipzig), die anhand ihrer Darstellung von Drucken von Konrads "Buch der Natur" aus dem 16. Jahrhundert die grundlegenden Thesen von Saurma-Jeltsch bestätigen konnte. Sodann folgten zwei Vorträge, die sich auf die von Konrad vorgenommene Rezeption des Aristoteles konzentrierten. Nach der Publikation von Konrads "Monastica" im Jahre 1992 erfuhr dieses Werk durch Helmut Walther (Jena) erstmalig eine tiefergreifende Untersuchung. Da der Megenberger auf die praktische Philosophie des Aristoteles nach dem peripathetischen Schema Ethik, Oekonomik und Politik zurückgriff, führte Walther zunächst die Rolle an, die die aristotelische Ethik überhaupt in der mittelalterlichen Sozialphilosophie - um den Begriff "politische Theorie" zu vermeiden - spielte. Damit konnte er eine inhaltliche Neuorientierung in der praktischen Philosophie nachweisen, die durch die Rezeption des Aristoteles im 14. Jahrhundert aufgetreten war. Schließlich diskutierte Walther, ob Konrads Interpretation vom richtigen individualethischen Verhalten in dieser Zeit überhaupt noch als adäquat zu werten sei, insbesondere im Vergleich zu den zeitgenössischen italienischen Autoren. Im Kontext der Rezeptionsgeschichte brachte auch Pavel Blacek (Jena) Konrads aristotelisch geprägte, in der "Yconomica" niedergelegte Ehelehre zur Sprache. Als Beispiel für eine andere Form der Rezeption, nämlich die Rezeption von Konrads Werk durch spätere Autoren, zog Birgit Studt (Münster) erneut Konrads kirchenrechtlichen Traktat über die Grenzen der Pfarrei Regensburg heran. Der Traktat stellt die am meisten rezipierte Schrift des Megenbergers dar. Bereits durch die Tatsache, dass man diese Schrift im Regensburg des 15. Jahrhunderts als eine Chronik des Megenbergers bezeichnete, konnte Studt auf den Funktionswandel von Konrads Traktat hinweisen. Karl Ubl (Tübingen) ging auf die Reichstheorie des Megenbergers sowie weitere Autoren des 14. Jahrhunderts ein und warnte vor deren anachronistischer Aktualisierung in der modernen Forschung.

In seiner Schlusszusammenfassung kam Jan Dirk Müller (München) in bezug auf Konrad von Megenberg und dessen Werk auf drei Punkte zu sprechen: 1. den Typus des "Wissenden"; 2. unterschiedliche Weisen des Zugangs zum Wissen der Zeit; 3. das Publikum, an das sich Konrads Wissen wendet. Konrad sei ein hochinteressanter Typus des clericus, der an der Pariser Universität begonnen hat, dann aber in seinem Werdegang letztlich ungewollterweise an ganz andere Orte kam, nämlich nach Wien und Regensburg, und damit in eine Vermittlerrolle gedrängt wurde. So sieht Müller in Konrad mehr den "Vermittler" von lateinischem und volkssprachlichem Wissen als den ausschließlich originellen Kopf. So könne Konrad beispielsweise hinsichtlich seines juristischen Wissens, in dem er keinen akademischen Grad erworben hat, nicht als "gelehrter Jurist" bezeichnet werden, eher sei er im weitesten Sinne als "Verwaltungsjurist" zu bezeichnen, da er sein umfangreiches Fachwissen für die praktische Anwendung eines Falles einsetze. Zukunftsträchtig ist auch Konrads Umgang mit dem Wissen, das er von der Peripherie bis zum Zentrum einem Ordnungsmuster unterwirft. Auch als Perfektionist und Ordnungsfanatiker ist Konrad mit keinem Zeitgenossen vergleichbar. Dabei zeigen beispielsweise Konrads naturwissenschaftliche Studien, dass herkömmliche Deutungsmuster noch als Rahmen notwendig sind, doch in nucleo bringt Konrad völlig neue, weil rational begründete, Gedanken mit ein. Damit passt Konrad auch nicht mehr in das Bild des "Intellektuellen" seiner Zeit, vielmehr wäre er als "homo universalis" zu bezeichnen - allerdings nicht im humanistischen Sinne. Hat Konrad ein Jahrhundert zu früh gelebt? Warum blieb eine unmittelbare Rezeption seiner Werke aus? Wahrscheinlich wäre ihm in einer sprachlichen Vermittlerrolle am Wiener Hof des 15. Jahrhunderts, an dem die Übersetzungsliteratur ein große Rolle spielte, mehr Erfolg beschieden gewesen.

Die Referate der Tagung werden als erweiterte Beiträge in einem Sammelband zugänglich gemacht, der als Beiheft zur Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte erscheinen wird.

www.kuttner-institute.jura.uni-muenchen.de