Institutions or Individuals? Delegated Personifications of Highest-Level State Authority in Early Modern Europe

Institutions or Individuals? Delegated Personifications of Highest-Level State Authority in Early Modern Europe

Organisatoren
Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS)
Ort
Freiburg im Breisgau
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.06.2011 - 01.07.2011
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Von
Philipp Batelka, Institut für Soziologie, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Aufgaben und Kompetenzen an Dritte abtreten zu können, gehört heute zu den Grundfertigkeiten einer Führungspersönlichkeit. Ob in Politik, Verwaltung oder freier Wirtschaft – ohne Arbeitsteilung lassen sich weder ein Staat noch eine Behörde effizient steuern. Die bürokratisch organisierte Delegation von Staatsautorität nahm in Europa zu Beginn der Frühneuzeit ihren Anfang und führte zur Herausbildung einer sozial äußerst mobilen Gruppe, die nach und nach zur Funktionselite an den Höfen der Herrscher avancierte und mit der allmählichen Ausbildung von bürokratischen Strukturen im Beamtenwesen sichtbar wurde. Mit dem Spannungsverhältnis von Delegation an der Spitze frühneuzeitlicher Regierungen zwischen Institutionen und Individuen beschäftigte sich ein Workshop an der FRIAS School of History vom 30. Juni bis zum 1. Juli 2011.

Ob Staatlichkeit überhaupt delegierbar sei und wie Delegationsempfänger beschaffen sein müssten, um als solche zu taugen, fragte WOLFGANG REINHARD (Freiburg). Den Günstling charakterisierte er als Person, die sich wegen einer emotionalen Beziehung zum Herrscher oder aufgrund besonderer Leistungen eignete und ihre Autorität im Gegenzug aus der Gunst des Herrschers und der Qualität der übertragenen Aufgaben ableitete. Als eigene Kreaturen des Herrschers stets von dessen Gnade abhängig waren Günstlinge für Fürsten aus mehreren Gründen attraktiv: Zum einen waren es die Unschärfe der Zuständigkeit, die bewusst ungenau definierte Rolle, die Günstlinge im Herrschaftsgefüge einnahmen, die sie für die Herrschenden zu einem probaten Mittel der Machtausübung machten; zum anderen rekrutierten sich Günstlinge aus sogenannten Aufsteigerfamilien und somit war unwahrscheinlich, dass die Macht des Herrschers durch eben diese Familie gefährdet würde. Drittens gab es für die Obersten im Staat kaum eine einfachere Möglichkeit, die Verantwortung für die Folgen unliebsamer Entscheidungen abzuwälzen. Trotz all dieser Vorzüge war Günstlingswirtschaft nicht in allen Territorien Europas gegeben, oft brach sie sich am hochadeligen Machtanspruch. Größere Ausprägung fand das Günstlingstum im Kirchenstaat, dem Reinhard einen Vorsprung in Sachen Delegation bescheinigte. Begründet sei dieser Vorsprung im System des 'Beutemachens' der Papstfamilien, das sich im Amt des Kardinalnepoten äußerte. Im Übergang vom Urkunden zum Aktenzeitalter, das in Rom von der päpstlichen Bulle über das Breve hin zu Korrespondenzen verlief, machte Reinhard mehrere Tendenzen ausfindig: erstens die sprunghaft steigende Zahl von Schriftstücken, die geschulte Experten notwendig machte, zweitens die aus der Expertenexpansion folgende Austauschbarkeit von Personal und drittens die mit der wachsenden Zahl von Briefwechseln sinkende Verbindlichkeit von Dokumenten – Schreiben wurden leichter widerruflich. Schließlich führte die Verschriftlichung der Regierung in der Folge und besonders im 18. Jahrhundert dazu, dass Sachkompetenz zunehmend wichtiger und unqualifizierte Günstlinge als 'informelle Chefs' in hohen Positionen mit der Zeit untragbar wurden.

Vom Günstling zur Gruppe von Experten, von einfachen Sekretariaten hin zum hierarchisch organisierten Verwaltungsapparat. Lässt sich ein Gruppenbewusstsein der obersten Staatsdiener nachweisen? Mit der Delegation von Verwaltungsautorität auf höchster Ebene beschäftigte sich LEONHARD HOROWSKI (Freiburg/Berlin). Gerade in Gesellschaften, die die Loslösung der Idee des Staates von der Person des Herrschers (noch) nicht vollzogen hatten oder ihr keine allzu große Bedeutung beimaßen und somit stärker von herrschaftlicher Personifizierung im Zeremoniell abhingen, sei sowohl der abstrakte Staat wie auch dessen Regierung allmählich denkbar geworden, und zwar dadurch, dass sie in Form einer Gruppe höchst sichtbarer Individuen repräsentiert wurde, die sich allmählich zu einer kollektiven Institution auswuchs. Um überhaupt Einfluss gewinnen zu können, musste sich diese Gruppe auf der höchstmöglichen hierarchischen Stufe wiederfinden – hinter dem Monarchen selbst und gleichauf mit hochrangigen Würdenträgern. Eine Vorstellung von einer 'Regierung' als schlüssige und abstrakte Einheit an der Spitze des Staates setze demnach, so Horowskis Argumentation, eine Gruppe von Beamten voraus, die nicht nur ein bewusstes Interesse daran hatte, die abstrakte Idee des Staates fortzuentwickeln, sondern auch durch die eigene Präsenz schlagende Argumente dafür lieferte. Aus dieser These leitete Horowski eine Definition ab, wonach es sich bei dieser Gruppe um Träger der höchsten zivilen Verwaltungsämter gehandelt habe; in heutigen und womöglich anachronistischen Begriffen seien sie treffend als Staatsminister bezeichnet. Verstanden sich Staatsminister und deren Untergebene als Gruppe und wurde diese Gruppe durch Funktionslogik, Hierarchien und Zusammenhalt sichtbar? Mit dem Amt des Premierministers oder Ministerpräsidenten als Spitze der Verwaltung waren und sind Fragen nach Rang, Netzwerken sowie Voraussetzungen und Motiven für eine Verwaltungskarriere in der Frühen Neuzeit verbunden: Speiste sich die Selbstwahrnehmung von Verwaltungsbeamten aus ihrer Funktion bzw. ihrem Rang? Machten sie den Staat dadurch sichtbar, dass sie sich erfolgreich selbst sichtbar machten?

Nachdem Zivilbeamte als Gruppe identifiziert waren, galt es die Frage zu klären, wie sie zusammenarbeiteten. Das 'Wie?' wurde in diesem Fall zum 'Wo?', wie ANDREAS PEČAR (Halle) zeigte. Interaktionisten vs. Systemtheoretiker – auf diese Formel lässt sich Pečars Vortrag verkürzen, der sich mit dem Fürstenhof als Raum sozialer und kommunikativer Interaktion im Staatsbildungsprozess beschäftigte. War dieser Raum eher durch Interaktion oder durch Organisation geprägt? Oder anders gefragt: Ist der Hof im Eltonschen Sinne als "point of contact" zu verstehen, geprägt von persönlichen Kontakten und Netzwerken, die mehr auf direktem persönlichem Austausch beruhen als auf schriftlicher Korrespondenz, oder lässt sich der Hof am ehesten als Organisation im Luhmannschen Sinne begreifen, die mittels fester Mitgliedschaft über bloße Interaktion hinausgeht und somit durch "Verfahren schriftlicher Kommunikation [...] die persönliche Abwesenheit ermöglicht"? Ziel des Vortrags war es, die zweite These vom Hof als Organisation und der damit verbundenen Entwicklung von staatlichen Strukturen kritisch zu überprüfen. Die Organisationstheorie Luhmanns in der frühneuzeitlichen Deutung Mark Hengerers und Rudolf Schlögls gehe davon aus, dass sich Hof und Regierung während der Frühen Neuzeit mehr und mehr auseinander bewegt, sich quasi in deren Verlauf zu unterschiedlichen Sphären entwickelt haben. Dieser Annahme widersprach Pečar am Beispiel der Stuartherrschaft: "Der Königshof war Zentrum von Haushalt und Regierung zugleich." Man dürfe sich nicht zu sehr auf die Herausbildung politischer Ratsgremien konzentrieren, da so schnell die Gunst des Herrschers als Pfeiler politischer Machtausübung übersehen werden könne. In der Person des Fürsten identifizierte Pečar ein weiteres Problem der Organisations-These. So sei der Monarch zwar Mitglied der Organisation, jedoch nicht dazu verpflichtet, deren Entscheidungen anzuerkennen: "Ein Herr [ist] immer mehr als nur Entscheidungsträger."1 Pečar schloss mit der These, wonach die Landesherren, Monarchen und Fürsten den organisatorischen Schritt der Ausdifferenzierung politischer Entscheidungsfindung verhinderten. Belegen ließe sich dies einerseits anhand der Selbstdarstellungspraxis Adeliger im Schlossbau, und andererseits anhand ihres Verständnisses von Herrschaft, die sie als "ihnen von Gott zugeeignete Majestas" und nicht als 'officium' oder gar als 'ministerium' verstanden. Damit blieb der Hof vorrangig Ort kommunikativer Interaktion und nicht hofinstitutioneller Organisation im Luhmannschen Sinne.

Die Metaüberlegungen zu Günstlingen, Verwaltungsbeamten und deren Zusammenarbeit spitzten sich im Verlauf der Tagung zu konkreten Fallstudien zu, die in Frankreich und England ihren Anfang nahmen und schließlich auf globaler Ebene ihren Abschluss finden sollten. "What is French 'politics' in the eighteenth century?" Diese Frage beschäftigte PETER CAMPBELL (Brighton) in seiner Analyse des Kardinalats André-Hercule de Fleurys. Was Politik ist und wie sie gemacht wird, hängt Campbell zufolge stark davon ab, wie das Staatssystem definiert ist. Dabei handle es sich bei Frankreich im 18. Jahrhundert keineswegs um einen Verwaltungsstaat und ebenso wenig um eine absolutistische Monarchie, sondern um einen barocken Staat. Die Gründe dafür, so Campbell, lägen darin, dass mit Überzeugung, Patronage, Verwaltung, Zwang und künstlerischer Propaganda Kontrolltechniken gebraucht wurden, die in einer absoluten Monarchie kaum nötig gewesen sein dürften. Da Frankreich im 18. Jahrhundert nicht bürokratisch organisiert war, sondern viele Bestandteile eines Patrimonialstaates in sich vereinigte und mit dem Königshof als 'Nervenzentrum' ein überlebenswichtiges Element enthielt, sprach sich Campbell dafür aus, die französische Mischform als "thing in itself" zu betrachten. Diese außergewöhnlichen staatlichen Rahmenbedingungen hatten wichtige Konsequenzen für die Attribute, die ein zukünftiger Minister mitbringen musste, um in einer solchen Umgebung bestehen zu können. So werde Fleurys Arbeitsstil als Premierminister in dieser Hinsicht wohl am besten beschrieben als ein Vorhersehen dessen, was Ludwig XIV. wünschte. Diese Wünsche wurden durch Fleurys Minister und deren Untergebene umgesetzt. Die für diese Posten in Frage kommenden Colbert, Le Tellier und Phelypeaux agierten als Clans, die sich durch anhaltende Loyalität nicht zuletzt in Finanzfragen auszeichneten. So überraschte der Befund nicht, dass das Ministeramt aufgrund einer Mischung starker Familiennetzwerke einerseits und individueller Kompetenz andererseits erreicht wurde.

Aus französischer Perspektive waren die Spitzenbeamten am Hof Karls II. von England vor allen Dingen eines – käuflich. Im Sommer 1668 erhielt der neue französische Botschafter am englischen Hof Instruktionen, die ihn auf sein neues Amt vorbereiten sollten. Der englischen Nation bescheinigten sie Gewinnsucht, die bei ihren Ministern so weit ging, auch vor fremdem (lies: französischem) Geld keinerlei Halt zu machen. Dass das Verdikt über die englische Peerage im Zeitraum von 1660 bis 1714 nicht ganz so düster ausfällt, versuchte ROBIN EAGLES (London) in seinem Referat zu zeigen. Peer zu sein bot auf der einen Seite weitreichende Vorteile bis hin zur Straffreiheit bei Tötungsdelikten, war auf der anderen Seite jedoch mit Nachteilen behaftet wie etwa verschiedenen gesellschaftlichen Zwängen und hohen Kosten: Die meisten Ämter waren unbezahlt und die Vorstellung weit verbreitet, dass der Vergabe von Posten in Behörden finanzielle Entschädigungen zu folgen hätten. Damit zeigte Eagles, dass Korruption im heutigen Sinn im frühneuzeitlichen England (und wohl weit darüber hinaus) ein kaum zu umgehender Normalzustand war. Dadurch dass Ämter den Träger zu unbedingter Loyalität gegenüber dem Monarchen verpflichteten, so Eagles’ Befund, stellte sich ein Gleichgewicht zwischen persönlichem Ehrgeiz und Dienst am Staat ein, das Gewissenlosigkeit und Korruption in der Peerage zu einer Ausnahmeerscheinung und England größtenteils zu einem wohl geordneten Staat machte.

Wenn wichtige Staatszeremonien nicht mehr am Hof des Monarchen statt finden, wenn die Verwaltung den höfischen Haushalt verlässt, ja, wenn sich nicht einmal mehr zentrale Regierungsorgane am Herrscherhof befinden, dann spricht man vom 'going out of court'. Mit dem zweiten Mann im Staat als Kopf der institutionalisierten Bürokratie im Osmanischen Reich und im Kaiserreich China beschäftigte sich JEROEN DUINDAM (Leiden) im letzten Vortrag des Workshops. Dabei zeigte er auf, dass Verschriftlichung zwar sowohl in der Verwaltung als auch im Haushalt eine wichtige Voraussetzung für die Schaffung einer funktionierenden Bürokratie darstellte, verdeutlichte aber ebenso die Einseitigkeit einer solchen Sichtweise. Die politischen Auseinandersetzungen zwischen Herrschern und den jeweiligen Eliten, so Duindam, sei die Umgebung, in der Staatlichkeit geformt wurde. Es ging dabei sowohl auf chinesischer wie auch auf osmanischer Seite um Rechts- und Finanzfragen, die in China früher, im Osmanischen Reich später zur Ausformung einer Bürokratie führten, wobei von Bürokratie sprechen für Duindam bedeutet, Zahlen und Effizienz zu große Bedeutung beizumessen.

Im Schlusskommentar von RONALD G. ASCH (Freiburg) trat deutlich zutage, dass es sich bei dem Problem, ob Individuen oder Institutionen die Delegation von oberster Staatsautorität eher beförderten bzw. behinderten, um zwei Seiten einer Medaille handelt: Auf Seiten der Institutionen zeige sich zuerst in der Rechtsprechung eine Objektivierung von Herrschaft. Der Favorit oder Freund hingegen diente als 'Mann für den Ausnahmezustand' und verhalf dem Herrscher dazu, die Institutionen zu umgehen, ohne sie dabei an sich in Frage zu stellen. Diese Feststellung gelte für die Rechtsprechung zum Beispiel unter Jakob I. von England, wo im Wirken Sir Edward Cooks deutlich wurde, dass die Delegation königlicher Herrschaft zuweilen nicht zurück genommen werden konnte. Sie gelte aber auch für den Kriegszustand, wo die Heeresgewalt auf einen quasi 'roi connétable' überging, und ebenso für Provinzstatthalter, die als alter ego zur Personifikation des Königs wurden.

Der Staat als Abstraktum ist nicht zu fassen oder zumindest kaum in Worte zu fassen. Was die Tagung so spannend und die Diskussionen mitunter so hitzig machte, war die Frage, was genau delegiert wurde: Waren es lediglich Aufgaben und Kompetenzen oder gingen noch andere Qualitäten von den Herrschern auf die Delegationsempfänger über? Darüber waren die Meinungen geteilt: Während die einen meinten, die Delegation sei derart weitreichend gewesen, dass sogar die Person des Königs 'mitdelegiert' wurde, waren die anderen davon überzeugt, dass zum Beispiel das Charisma des Königs, erreicht durch militärische Größe, nicht delegierbar sei. Staatsbeamte können ein solches Charisma schlichtweg nicht haben. Die Untersuchung von Delegation birgt großes Potential für die historische Institutionenforschung: den Phänomenen Macht und Herrschaft neue Seiten abzugewinnen.

Konferenzübersicht:

Wolfgang Reinhard (Freiburg): Von Pippin bis Bormann. Institution oder Individuen?

Leonhard Horowski (Freiburg/Berlin): Institutions or individuals? The Delegation of Top-level Administrative Authority in Early Modern Europe and its Problems

Andreas Pečar (Halle): Figuration oder Organisation? Der Kaiserhof in Wien und seine Rolle für die Staatsbildung

Peter Campbell (Brighton): Cardinal Fleury, his Ministers, and the Struggle for his Succession, 1726-45

Robin Eagles (London): „One Long Revel and Brawl“? The Experience of Office-holding, Privilege and Elite Society in England c.1660-1715

Jeroen Duindam (Leiden): Rulers, Servitors, Warriors, Scribes: A Comparative View of the State in Early Modern Eurasia

Anmerkung:
1 Niklas Luhmann, Organisation und Entscheidung, 2. Aufl. Wiesbaden 2006, S. 68.


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