Repolitisierung! Display im Postnazismus

Repolitisierung! Display im Postnazismus

Organisatoren
Renate Höllwart/Nora Sternfeld, Büro trafo.K
Ort
Wien
Land
Austria
Vom - Bis
15.03.2011 - 11.05.2011
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Von
Magdalena Rest, Universität Wien/Österreichische Akademie der Wissenschaften („MauthausenSeminar – Geschichte aus-/darstellen an Gedenkstätten“); Cornelia Siebeck, Berlin/Ruhr Universität Bochum

„Die Transformation der Erinnerung an die Shoah in eine Alltagsreligion der westlichen Welt wird von einer Entpolitisierung […] begleitet“, stellte der Historiker Enzo Traverso unlängst fest1. Seit den 1990er-Jahren ist nicht zuletzt in den postnazistischen Gesellschaften der Bundesrepublik und Österreich eine zunehmende politische Neutralisierung des öffentlichen Erinnerns an die NS-Vergangenheit zu beobachten, die sich vielfach auch im akademisch-reflexiven Diskurs über Gedächtniskultur und -politik niedergeschlagen hat.

Im routinierten Gedenken und ‚Lernen aus der Geschichte’ weiß man sich mit wachsender (Selbst-)Sicherheit von eben dieser Geschichte abzugrenzen, sie als absolut Anderes, Einzigartiges und glücklich Überwundenes zu externalisieren. In Gestalt des ‚antitotalitären Konsens’ dient dieser Diskurs dabei unverhohlen der Legitimation gesellschaftlicher Gegenwart ex negativo. Ein gesellschafts- und herrschaftskritischer Antifaschismus wiederum gilt – vor allem in der Bundesrepublik – als staatssozialistisch kontaminiert und wird nicht selten als ‚linksextremistisch’ diskreditiert. Im gedächtnistheoretischen Diskurs wiederum hat gerade die Assmann’sche Theoriebildung zumindest im deutschsprachigen Bereich für eine Marginalisierung macht- und ideologiekritischer Perspektiven zugunsten einer kulturpsychologisch-anthropologisierenden Analyse gedächtnispolitischer Phänomene gesorgt.2

Ziel des zweiteiligen Projekts „Repolitisierung! Display im Postnazismus“ war es, hier eine kritische Standortbestimmung vorzunehmen und über Strategien nachzudenken, mit denen der „neuen Moral einer Erinnerung als Entledigung“3 öffentlich begegnet und in akademisch-reflexive Diskurse interveniert werden kann. Im März fand zunächst eine eintägiger Workshop zur theoretischen Reflexion statt, auf dem abschließend eine exemplarische gedächtnispolitische Intervention erarbeitet wurde; im Mai wurde diese in Form einer öffentlichen Fahrradtour zu umkämpften Orten der Erinnerung in Wien umgesetzt. Beide Veranstaltungen waren Teil der Reihe „Fathomizing Memory“, die das Freie Radio Orange 94.0 veranstalte4; initiiert wurde ‚Repolitisierung!’ vom Büro trafo K., das sich unter anderem mit der Geschichtsvermittlung in postnazistischen Migrationsgesellschaften beschäftigt5.

Im März trafen sich an die 20 KünstlerInnen, HistorikerInnen und GedächtnisaktivistInnen zunächst einen Tag zu theoretischen Vorträgen und Diskussion. Einleitend stellte die Kulturvermittlerin und -theoretikerin NORA STERNFELD (Wien) Thesen zur ‚Entpolitisierung’ der NS-Erinnerung in postnazistischen Gesellschaften zur Debatte. Nicht nur in der Bundesrepublik, sondern verzögert auch in Österreich sei mittlerweile eine positive Identifikation mit negativer Erinnerung (‚Erinnerungsstolz’) auszumachen – wenn auch das herkömmliche Narrativ von Österreich als ‚erstem Opfer’ NS-Deutschlands nach wie vor verbreitet sei.

Sternfeld skizzierte Ambivalenzen einer professionalisierten und institutionalisierten musealen Gedächtniskultur: Einerseits sei ein ‚selbstverständliches’ Erinnern als Errungenschaft jahrzehntelanger Kämpfe von Überlebenden und GedächtnisaktivistInnen zu bewerten; andererseits gingen in einer gegenwartsaffirmativen Gedenkkultur gesellschaftskritische Implikationen der NS-Erinnerung vielfach verloren. Zudem könne eine solche Gedenkkultur selbst wieder als Exklusionsinstrument wirken, indem etwa muslimische MigrantInnen pauschal unter Antisemitismusverdacht gestellt würden.

Angesichts der Tatsache, dass es sich bei den geschilderten Entwicklungen zweifellos um politische Phänomene handelt, wurde anschließend hinterfragt, ob es überhaupt sinnvoll sei, hier von ‚Entpolitisierung’ zu sprechen – und wenn ja, in welchem Sinne. Dabei wurde herausgearbeitet, dass vor allem eine Delegitimierung dezidiert antifaschistischer Positionen zu konstatieren sei. Betroffen davon seien indes nicht nur reduktionistische (Anti-)Faschismustheorien, sondern jedwede radikal gegenwartskritische Gedächtnispolitik.

Rege diskutiert wurde ein vielfach preisgekröntes Beispiel aktueller Gedenkstättenarchitektur, das Sternfelds Ausführungen idealtypisch zu versinnbildlichen schien: Die strahlend weiße ‚Umhüllung’ der Vernichtungsanlagen im ehemaligen KZ Sachsenhausen (‚Station Z’)6. Die TeilnehmerInnen konstatierten, dass dieser ‚Schutz- und Kontemplationsbau’ etwas von sich behaupte, was er nicht sei: nämlich ‚neutral’ gegenüber dem, was er bloß zu ‚umhüllen’ vorgebe. Vielmehr werde hier mit ästhetischen Mitteln ein Kontrast zwischen ‚neutraler’ Gegenwart (aseptische Hülle) und verbrecherischer Vergangenheit (Trümmer von Vernichtungsanlagen) suggeriert; ein Effekt, der sich im Zuge ehrgeiziger Um- und Neugestaltungen zeitgenössischer KZ-Gedenkstätten vermehrt auch andernorts einstelle.

Im diametralen Gegensatz zur gegenwärtigen Gedenkstättenarchitektur, die zumindest ihrem Selbstverständnis nach historische Relikte in den Vordergrund stellen und interpretierende Überformungen vermeiden will, steht die ostentativ ‚parteiliche’ Gedenkstättengestaltung in der ehemaligen DDR, über die der Historiker PETER LARNDORFER (Wien) referierte. Gemäß der marxistisch-leninistischen Herrschaftsideologie waren DDR-Gedenkstätten bekanntlich explizit als ‚Schulen politischer Bewusstseinsbildung’ konzipiert. Larndorfer wies darauf hin, dass heutige Gedenkstättengestaltung auch als Gegenreaktion auf den DDR-Diskurs zu verstehen sei: Anstelle der offen ideologischen Monumentalisierung ehemaliger Lager als exklusiver Gedächtnisorte des antifaschistischen Widerstandskampfes seien wissenschaftlich-reflexive Dokumentation und ‚multiperspektivische’ Darstellung getreten; statt einer indoktrinären Vermittlungspraxis finde man eine ihrem Anspruch nach emanzipatorische Bildungsarbeit. Larndorfer gab allerdings zu bedenken, dass sich besagte multiperspektivisch-reflexive Gedenkstättenpraxis in mancher Hinsicht über eigene normative und ideologische Dispositionen hinwegtäusche.

In der auf Larndorfers Referat folgenden Diskussion wurde der allzu selbstgewisse Umgang mit dem DDR-Antifaschismus nach 1989/90 hinterfragt. Als Beispiel wurde eine Ausstellung in Buchenwald genannt, die sich der Geschichte der Gedenkstätte seit 1945 widmet7. Zwar werde dort der hegemoniale DDR-Diskurs über Buchenwald kritisch dekonstruiert, auf eine Dokumentation der gedächtnispolitischen Kämpfe um die Gedenkstätte nach 1989/90 sei indes verzichtet worden, obwohl dabei hätte sichtbar werden können, dass Gedenkstätten auch in liberalen Demokratien nicht im herrschaftsfreien Raum schweben.

Es folgten zwei Präsentationen zu aktuelleren gedächtnispolitischen Interventionen. Der Künstler MARTIN KRENN (Wien), der jüngst zu Erinnerung im (Post-)Totalitarismus gearbeitet hat8, sprach über unterschiedlichste Formen gedächtnispolitischer Partizipation bzw. Selbstermächtigung: von eher unbewussten Akten wie dem Posieren für Fotos vor Denkmälern über die Installation aktivistischer Geschichtszeichen im öffentlichen Raum bis hin zu ‚illegalen’ Aktionen wie dem „Scherenschnitt“, mit dem der Künstler Wolfram Kastner anlässlich des jährlichen Gedenkens an die Waffen-SS in Salzburg mehrfach entsprechende Kranzschleifen entfernte9 oder dem Ansägen der Figur des ‚Kindes’ im Buchenwaldmahnmal durch rechte Weimarer Jugendliche10.

Anschließend stellte die PLATTFORM GESCHICHTSPOLITIK an der Akademie der bildenden Künste Wien Beispiele ihrer Auseinandersetzung mit öffentlichem Raum vor. Dieser wird dabei einerseits als ‚normalisierter Ort des Verbrechens’ verstanden, andererseits als Ort problematischer geschichtspolitischer Manifestationen, in die es zu intervenieren gilt. Konkret ging es um ein 1926 installiertes Denkmal für den Wiener Bürgermeister Karl Lueger (1844-1910), dessen extremer Antisemitismus seit den 1980er Jahren zwar öffentlich thematisiert, aber häufig auch relativiert wird. 2009 veranstalteten KünstlerInnen und AktivistInnen einen Wettbewerb zur Umgestaltung des Denkmals in ein ‚Mahnmal gegen Antisemitismus und Rassismus in Österreich’, an dem sich die ‚Plattform’ mit mehreren Beiträgen beteiligte.

Dabei reagierte die Plattform unter anderem auf das vielfach vorgebrachte Argument, die Lueger-Statue stehe unter Denkmalschutz und dürfe daher nicht substanziell verändert werden. Analog zu existierenden Antragsformularen auf eine Zuerkennung von Denkmalschutz entwarf die ‚Plattform’ daher ein ‚Verfahren zur Aberkennung des Denkmalschutzes’. Auf diese Weise machte sie deutlich, dass eine solche Initiative im Denkmalschutzdiskurs offensichtlich gar nicht vorgesehen ist, den NutzerInnen des öffentlichen Raums also eine Interventionsmöglichkeit in dessen gedächtnispolitische Gestaltung vorenthalten wird. Zudem kritisierte das Projekt die Erhebung des Denkmalschutzes zum vermeintlichen ‚Sachzwang’: Denkmalschutz lasse sich selbstverständlich aufheben – wenn der politische Wille da sei11.

Mit Blick auf die in den beiden Präsentationen beschriebenen gedächtnispolitischen Praktiken wurde kontrovers diskutiert. Auf einer normativ-politischen Ebene ging es dabei einerseits um die politische und ästhetische Qualität von Denkmälern und Gedächtnispraktiken; zugleich wurde jedoch über grundsätzlichere Fragen von Deutungsmacht im gedächtnispolitischen Feld verhandelt: Wer oder was legitimiert jeweilige kulturelle oder politische AkteurInnen, ‚ihre’ Perspektive auf Vergangenheit im öffentlichen Raum einer Gesellschaft festzuschreiben? Wie können entsprechende Diskurse transparent gemacht, geöffnet und auf diese Weise (re-)politisiert werden? Wie wäre damit umzugehen, dass eine solche Öffnung auch unerwünschte Partizipationsformen wie etwa eine noch offensivere Aneignung des öffentlichen (Gedächntis-)Raums durch Neonazis mit sich bringen kann?

In einer Abschlussrunde versuchten die TeilnehmerInnen, das Schlagwort ‚Repolitisierung!’ basierend auf den im Tagesverlauf geführten Diskussionen zu konkretisieren. Zunächst wurde nochmals nach Gründen für die ‚Entpolitisierung’ gefragt. Neben dem erwähnten ‚Erinnerungsstolz’, der sich auf die Institutionalisierung, Professionalisierung und – im deutschen Fall – Verstaatlichung des öffentlichen NS-Gedächtnisses gründe, wurden hier auch allgemeine Trends als ursächlich ausgemacht: Etwa der ‚reflexive turn’ im gedächtnispolitischen Feld nach dem Ende des Kalten Krieges oder eine anthropologisierend-universalistische Holocaust-Erzählung, die sich in den 1990er-Jahren international etablieren konnte.

Als Gegenstrategie wurde die Entmonolithisierung und Rekonkretisierung nicht nur des gedächtnispolitischen Feldes, sondern auch der historischen Erzählung über das NS-Regime und seine Verbrechen postuliert. So müssten ideologische und historische Kontinuitäten thematisiert werden, wobei auch Analogiebildungen etwa mit Blick auf soziale Exklusions- und Inklusionsmechanismen vorgenommen werden müssten. Ziel müsse sein, der NS-Erzählung den Status des ‚Anderen’ zu nehmen und sie als konkret-politische Geschichte wahrnehmbar zu machen. Auf der Metaebene wiederum müsse den psychologisierend-anthropologisierenden Paradigmen des gedächtnistheoretischen Diskurses eine hegemonietheoretisch informierte Analyse des gedächtnispolitischen Feldes entgegengesetzt werden.

Gefragt wurde außerdem nach Möglichkeiten einer dezidiert antifaschistischen Gedächtnispraxis, die ihre ambivalente Geschichte kritisch reflektiert. Unter Berufung auf den Imperativ „Niemals vergessen!“, der von Überlebenden einst auch als Kritik am postnazistischen Konsens des Vergessenwollens aufgestellt worden sei, müsse heute in einen neuen postnazistischen Konsens eines entpolitisierten Gedenkens interveniert werden, indem dessen politische Implikationen sichtbar gemacht werden. In diesem Sinne wurde abschließend eine öffentliche Fahrradtour zu umkämpften Orten der NS-Erinnerung in Wien geplant.

Im Mai trafen sich dann 30 interessierte HistorikerInnen, GeschichtsvermittlerInnen, AktivistInnen und KünstlerInnen mitsamt Fahrrädern, um am Beispiel von Erinnerungsorten aus verschiedenen Zeiten und zu unterschiedlichen Themen an die Workshopdiskussion anzuknüpfen. Dabei sollten Auseinandersetzungen um Gedächtnis im öffentlichen Raum nachvollzogen und auf dieser Grundlage allgemeine Überlegungen zum gesellschaftlichen Umgang mit Geschichte angestellt, zweitens visuelle Strategien der Erinnerung analysiert werden. Drittens wurde nach aktuellen Herausforderungen an gedächtnispolitische Praktiken gefragt, die solidarisch an Traditionslinien antifaschistischer Gedächtnispolitik seit 1945 anknüpfen, diese wo nötig aber auch kritisch reflektieren wollen.

Die Diskussion soll hier am Beispiel des Morzinplatzes nachvollzogen werden, den die KünstlerInnen MARTIN KRENN (Wien) und KATHARINA MORAWEK (Wien) als einen Ort verschiedenster – und dabei oftmals interventionistischer – Denkmalsetzungen beschrieben. Von 1938 bis 1945 befand sich dort die Wiener Gestapoleitstelle. Nach 1945 wurde das kriegszerstörte Gebäude durch einen Wohnbau ersetzt.

Lange bevor hier 1968 ein offizieller Gedenkraum an die ‚Opfer des österreichischen Freiheitskampfes’ eingerichtet wurde, setzte der aus ehemals politisch Verfolgten bestehende ‚KZ-Verband’ 1951 anlässlich einer antifaschistischen Kundgebung und ohne behördliche Genehmigung einen Gedenkstein, der an die Gestapoleitstelle als ‚Vorhof des Todes’ erinnerte und die Toten im Sinne der ‚Opferthese’ als ‚unsterbliche Opfer’ eines ‚wiederauferstandenen’ Österreich würdigte. Erst 1985 wurde dieses Denkmal von der Stadt Wien offiziell übernommen, unter Einbeziehung des historischen Gedenksteins neu gestaltet und ikonographisch den politisch und antisemitisch Verfolgten (roter Winkel / Davidstern) gewidmet.

Dieses exklusive Gedenken wurde 1999 und 2001 auf Initiative des ‚Österreichischen Schwulen- und Lesbenforums’ problematisiert. Anlässlich der jährlichen Regenbogenparade wurden die Kranzhalter des bestehenden Denkmals mit einem wachsüberzogenen Bronzebalken bestückt, auf dem Häftlingswinkel ‚vergessener Opfer’ dargestellt waren. Im Zuge des kontrovers diskutierten staatsoffiziellen ‚Gedankenjahres 2005’ machte sich die Stadt Wien diese Initiative zueigen und veranstaltete einen Wettbewerb zur Gestaltung eines ‚Mahnmal für homosexuelle und transgender Opfer des Nationalsozialismus’.

Nachdem der nicht unumstrittene Siegerentwurf – ein mit rosa Wasser gefülltes Becken, durch das sich der Schriftzug ‚que(e)r’ ziehen sollte – aus technischen Gründen scheiterte, gab die GmbH ‚Kunst im öffentlichen Raum’ aus einem von der Stadt Wien bereitgestellten Fonds temporäre Kunstaktionen vor Ort in Auftrag, so etwa die von der Künstlerin Ines Doujak vorgeschlagene ‚MAHNWACHE’. Drei Monate lang erinnerten bezahlte ‚AktivistInnen’ jeden Freitag stumm an die Verfolgung sexueller Minderheiten, indem sie Fotos mit künstlerisch bearbeiteten Porträts schreiender Menschen hochhielten.12 Einige TeilnehmerInnen an der Fahrradtour zeigten sich an dieser Stelle irritiert über die ästhetische Inszenierung und die damit einhergehende teilweise Domestizierung traditioneller Protestformen ‚von unten’, wie sie in Doujaks Projekt symptomatisch zum Ausdruck kommt.

Nicht nur am Morzinplatz wurden im Zuge der Tour unterschiedlichste historische und gegenwärtige gedächtnispolitische Manifestationsformen erkennbar. Zugleich wurde ein weites Feld an AkteurInnen sichtbar, deren Möglichkeiten, sich wirksam in jeweilige Diskurse einzubringen allerdings stark differieren. Gerade anhand der empirischen Beispiele wurde indes sichtbar, dass der Kampf um die gedächtnispolitische Agenda im öffentlichen Raum durchaus erfolgreich sein kann – wenn auch charakteristischerweise unter Verlust gesellschafts- und gegenwartskritischer Motive.

Einigkeit bestand in der Abschlussdiskussion über Notwendigkeit fortgesetzter gedächtnispolitischer Interventionen, wobei allerdings die kontinuierliche Reflexion der eigenen Praxis sowie eine kritische Auseinandersetzung mit Ausschlüssen und blinden Flecken auch antifaschistischer Gedächtnispolitiken zur Prämisse gemacht wurde. Ob vor diesem Hintergrund positivierende, historisch und politisch vereindeutigende Formen der gedächtnispolitischen Manifestation überhaupt noch erstrebenswert seien, blieb umstritten.

Weitab vom derzeitigen Gedächtnisdiskurs boten Workshop und Fahrradtour den TeilnehmerInnen die Möglichkeit eines ebenso engagierten wie interdisziplinären Austauschs über Theorie, Empirie und Praxis im gedächtnispolitischen Feld. Dabei wurden nicht nur diverse ‚Selbstverständlichkeiten’ des zeitgenössischen Diskurses über die NS-Vergangenheit (selbst-)kritisch diskutiert. Aus einer hegemonietheoretischen Perspektive wurde auch allgemein nach dem Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Machtverhältnissen und öffentlichem Gedächtnis gefragt: „All objectivity necessarily presupposes the repression of that which is excluded by its establishment.“13 Während es in der akademischen Arbeit darauf ankäme, diese (unvermeidliche) Tatsache immer wieder zu problematisieren, wäre eine Herausforderung an die gedächtnispolitische Praxis, Formen der Objektivierung von Vergangenheit zu entwickeln, die ihre eigene Historizität und Partikularität offensiv zur Debatte stellen14.

Konferenzübersicht:

Workshop „Repolitisierung! Display im Postnazismus“

Nora Sternfeld: Erinnerung als Entledigung. Visuelle Geschichstpolitiken im Postnazismus

Peter Larndorfer: Ästhetisierung und (Ent-)Politisierung von NS-Gedenkstätten

Martin Krenn: Interventionen zu Erinnerung und an Denkmälern

Plattform Geschichtspolitik: Geschichtspolitische Interventionen im öffentlichen Raum

Gruppenarbeit: ‚Repolitisierung’ – Gedächtnistheorie und gesellschaftspolitische Praxis

Abschlussdiskussion

„Repolitisierung! Fahrradfahren zu umkämpften Orten der Erinnerung“

Nora Sternfeld: Begrüßung

Martin Krenn, Katharina Morawek: Erinnerungspolitische Kämpfe am Wiener Morzinplatz

Eduard Freudmann, Niki Kubaczek: „Siegfriedskopf“: Auseinandersetzung und Rekonfiguration

Renate Höllwart, Peter Larndorfer: „Gerade an diesem Ort“ – Geschichtspolitische Auseinandersetzungen um den Heldenplatz

Abschlussdiskussion

Anmerkungen:
1 Enzo Traverso, Vom kritischen Gebrauch der Erinnerung, in: Thomas Flierl / Elfriede Müller: Vom kritischen Gebrauch der Erinnerung, Berlin 2009, S. 27-46, hier S. 36.
2 Vgl. explizit: Aleida Assmann, Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, Bonn 2006, S. 29ff.
3 Vgl. die Projektbeschreibung unter <http://www.trafo-k.at/prodetail.php?id=62&refer=proauswahl.php?p=1?p=1> (15.6.2011).
4 Mehr Informationen über „Fathomizing Memory“ unter <fathomizingmemory.o94.at> (15.6.2011).
5 Zum Profil des Büro trafo K. vgl. <http://www.trafo-k.at> (15.6.2011).
6 Für eine kurze Beschreibung und eine Bildergalerie vgl. <http://www.baunetzwissen.de/objektartikel/Flachdach_Gedenkstaette-quot-Station-Z-quot-in-Sachsenhausen_70942.html> (15.6.2011).
7 Für eine kurze Darstellung vgl. <http://www.buchenwald.de/media_de/fr_content.php?nav=ausstgedenk&view=ct_ausst_gedenk.htmlhtml> (15.6.2011)
8 Für eine Kurzdarstellung vgl. <http://www.martinkrenn.net/memoryinposttotalitarianism/index.html> (15.6.2011).
9 Vgl. Wolfram Kastner, Sehstörung. Politische Ästhetik, Interventionen, Wahrnehmungsversuche 1988-98, Salzburg 1999.
10 Vgl. Ralf Borchert, „…bisschen was Derberes“. Rechtsextremismus und Zivilgesellschaft am Beispiel Weimar, Jena 2004, S. 138f.
11 Die Einreichung findet sich hier: <http://opencall.luegerplatz.com/einr.php?e=156&n=p;n=p> (15.6.2011).
12 Für eine Kurzdarstellung des Projekts der Künstlerin Ines Doujak: <http://www.koer.or.at/cgi-bin/page.pl?id=255;lang=de> (15.6.2011).
13 Ernesto Laclau, New Reflections on the Revolution of Our Time. London / New York 1990, S. 31.
14 „[A]lthough positivization is unavoidable, nothing prevents this positivization from symbolizing impossibility as such, rather than concealing it through the illusion of taking us beyond it. [...] The possibility of this weakened type of naturalization is important for democratic politics, which involves the institutionalization of its own openness and, in that sense, the injunction to identify with its ultimate impossibility.” Ders., Structure, History and the Political, in: Judith Butler, Ernesto Laclau, Slavoy Žižek, Contingency, Hegemony, Universality. Contemporary Dialogues on the Left, London / New York 2000, S. 192-212, hier S. 199.


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