Buchkulturen des deutschen Humanismus (1430-1530). Netzwerke und Kristallisationspunkte

Buchkulturen des deutschen Humanismus (1430-1530). Netzwerke und Kristallisationspunkte

Organisatoren
Interdisziplinäres Zentrum ‚Mittelalter – Renaissance – Frühe Neuzeit‘, Freie Universität Berlin; Staatsbibliothek zu Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
09.03.2011 - 12.03.2011
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Von
Ronny Kaiser, Institut für Geschichtswissenschaften, Lehrstuhl Mittelalter II, Humboldt-Universität zu Berlin

Die vom Interdisziplinären Zentrum ‚Mittelalter – Renaissance – Frühe Neuzeit‘ in Kooperation mit der Staatsbibliothek zu Berlin initiierte Tagung setzte in ihrer thematischen Ausrichtung den Fokus auf die Konstituenten, die die Entstehung sowie heterogenen Entfaltungsformen ‚humanistischer Kulturen‘ im transalpinen Raum des Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation bestimmten. Zentral war dabei die Frage, ob und inwiefern von einem spezifisch ‚deutschen Humanismus‘ gesprochen werden kann und welche spezifischen Kriterien an die Beschreibung einer solchen Konzeption geknüpft sind.

Besonders produktiv erschien der sozial- und kulturgeschichtliche Ansatz, die thematische Perspektive vom Begriff der ‚Buchkulturen‘ aus zu beleuchten, da er es erlaubt, spezifische Kommunikations- und Aktionsstrukturen zu konturieren, in welchen sich humanistische Gelehrte und Künstler bzw. Graphiker bewegten, sowie andere Komponenten und Einflüsse in den Blick zu nehmen, die für eine sich im deutschen Sprachraum etablierende humanistische Kultur relevant erscheinen. Ein wesentlicher Vorteil dieses Zugriffs besteht darin, besonders die personellen Konstellationen zwischen Druckern und Akteuren auszuloten, um das polyvalente Verhältnis von ökonomischen und bildungsprogrammatischen Erwägungen stärker fokussieren zu können.

Im Eröffnungsvortrag skizzierte EEF OVERGAAUW (Berlin) die Entwicklung, Entwicklungsfaktoren sowie die in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts von Italien ausgehende Diffusion der Antiqua nördlich der Alpen (erst ab 1500), die er mit ausgewählten Beispielen (Poggio Bracciolini 1402/3, Niccolo Niccoli 1423) veranschaulichte, wodurch regionale Spielarten erkennbar wurden. Des Weiteren wies er auf das archäologische Interesse der humanistisch Gebildeten an antiken Gegenständen, Quellen und der lateinischen Sprache hin, welches auf die „Sichtbarkeit der Antike“ abgezielt habe. In diesem Zusammenhang erläuterte er aber, dass die Antiqua diesen Antikebezug lediglich inszeniere, da sie eigentlich aus der antiken Kapitalis und karolingischen Minuskel weiterentwickelt worden sei. In der Entwicklung der Antiqua sah Overgaauw das insbesondere frühhumanistische Bestreben, „die eigene Schrift zu reformieren“. Darin und in der Bezeichnung der entwickelten Schrifttype als Antiqua zeige sich das die Humanisten auszeichnende Interesse an Antikisierung. Der Erfolg sowie die Durchsetzung der Antiqua beruhe, so Overgaauw, auf einer Vielzahl von Faktoren, die sich sowohl schrifttypenprogrammatisch, wie der der Schrifttype zugeschriebene „Ausdruck des antiken Geistes“, als auch extratextuell (Förderung der Gelehrten um die Medici) gebärden konnten. Um diese These zu stützen, konturierte er mithilfe ausgewählter Beispiele das nicht immer stabile Verhältnis von Schrifttype und Textinhalten, welches zwischen überwiegend thematischer Anlagerung und der eher seltener auftretenden Loslösung changiere. Overgaauw stellte in seinem Vortrag heraus, dass die Inanspruchnahme der Antiqua ein sicheres Indiz für die Orientierung am humanistischen Programm sei.

PIA RUDOLPH (München) wählte einen spezifisch kunsthistorischen Zugriff auf das Tagungsthema, indem sie besonders auf das Verhältnis von in Drucken platzierten bildlichen Darstellungen und deren Wahrnehmung durch die Rezipienten abzielte. Exemplarisch lotete sie die Potenziale kolorierter und schwarzweißer Druckgraphiken für die Generierung bestimmter Sehgewohnheiten aus. Sie artikulierte die Kolorierung als Aufhebung der bildlichen Abstraktion und betonte hierbei die sinnkonstitutiven Strategien derartiger Bilder zur Vereindeutigung von Bildinhalten. Im Gegensatz dazu zeigte sie anhand von Erasmus von Rotterdam (1465-1536) und Albrecht Dürer (1471-1528), dass für ihren Untersuchungszeitraum „das geistige Prinzip als Prinzip der Linie“ gelte. Grundsätzlich stellte sie eine zunehmende Professionalisierung im Umgang mit der Linienkunst einerseits und deren Kolorierung andererseits fest. Sie wies zudem auf die „individuelle Gestaltung“ von Ex Libris hin, um daraus das Selbstverständnis der Drucker abzuleiten, ohne allerdings das diesen Darstellungen innewohnende gruppenkonstitutive und/oder selbstinszenierende Potenzial in Betracht zu ziehen.

Die Rezeption des italienischen Humanismus fokussierte JOHANNES KLAUS KIPF (München) in seinem Vortrag, indem er unterschiedliche Aneignungsstrategien der von Antonio Beccadelli (1394-1471) verfassten, vier Bücher umfassenden, apophthegmatischen „Dicta et facta Alfonsi regis Aragonum“ (1445) betrachtete. Um die mediale Spannbreite anzudeuten, zog er exemplarisch zum einen Enea Silvio Piccolominis (1405-1464) Handschrift „Commentarii in libros Antonii Panormitae de dictis et factis Alphonsi“ (1456) heran und kontrastierte sie mit der von Johannes Adelphus Muling (1485-1523/1555) verfassten „Margarita facetiarum“ (Straßburg, Johannes Grüninger 1508). In Bezug auf Piccolomini diagnostizierte er, dass es sich bei den „Commentarii“ eher um Ergänzungen als um Korrekturen der Vorlage Beccadellis handle. Für Adelphus stellte er dagegen fest, dass er in seiner „Margarita“ zum einen Beccadellis „Dicta et facta“ überhaupt erst dem Rezipienten zur Verfügung stellte und zugleich mit eigenen ähnlichen Beigaben für Ludwig XII. und Karl V. im selben Band zum italienischen Vorgänger in Konkurrenz getreten sei. Kipf konstatierte, dass erst die produktive Rezeption der „Dicta et Facta“ Beccadellis ihren Erfolg grundsätzlich ermöglicht habe, so dass sie zu einem „paradigmatischen Text des europäischen Humanismus“ avanciert seien, ohne jedoch das spezifisch Humanistische der „Dicta et Facta“ über die antiken Muster hinaus benennen. Auch worin sich das ‚deutsche Humanistische‘ an der von Adelphus vorgenommenen Aneignungsstrategie im Gegensatz zu Piccolomini äußert und welche Bedeutung dabei den medialen Faktoren zukam, wurde mit dem Hinweis auf die „Ebenbürtigkeit der deutschen Herrscher“ nicht mehr als angedeutet.

LAURENT NAAS (Sélestat) skizzierte in seinem Vortrag am Beispiel der Pfarrbibliothek von Schlettstadt den möglichen Einfluss auf die Entwicklung des Humanismus in Elsass. Dazu beleuchtete er ausgehend von der Pfarrschule Schlettstadts insbesondere die Entstehungsbedingungen der Pfarrbibliothek, welche von Johannes von Westhuss 1452 gegründet wurde. In Bezug auf die Pfarrschule stellte Naas fest, dass mit den wechselnden Rektoren unterschiedliche Lektüreschwerpunkte einhergingen, welche im Wesentlichen zwischen säkularen/paganen antiken (zum Beispiel unter Hoffmann) und klerikalen Schriftstellern (zum Beiapiel unter Ludwig Dringenberg) variieren konnten. In einem weiteren Schritt dokumentierte Naas nach thematischen Kriterien den Bestand der Bibliothek, um das gesamte Repertoire, welches sowohl Handschriften als auch Drucke umfasst, und den potenziellen Einfluss der Bibliothek in Hinsicht auf die humanistische Programmatik ausloten zu können. Insofern gelang es Naas, die Rezeptionsperspektive mit der Frage nach Einflussmöglichkeiten produktiv zu verknüpfen und neue Zugriffsmöglichkeiten auf den Humanismus als kulturelles Phänomen zu eröffnen.

CAROLA POHLMANN (Berlin) näherte sich in ihrem Vortrag dem Tagungsthema ebenfalls aus der Rezeptionsperspektive. Ihr ging es um die Genese der Kinder- und Jugendliteratur, anhand der sie formale und inhaltliche Kriterien zu ermitteln suchte, die eine spezifisch humanistische Kinder- und Jugendliteratur kennzeichnen. Dafür skizzierte sie heterogene mittelalterliche Vorläufer, stellte das breite thematische Spektrum sowie die Gattungsvielfalt heraus und akzentuierte die besonders für die religiöse Erziehung wichtige Exempelliteratur („Seelentrost“, 1350) sowie Katechismen. Insgesamt diagnostizierte sie eine Zweckgebundenheit dieser Art von Literatur, welche zuallererst auf die religiöse und ethisch-moralische Erziehung abgezielt habe. Dabei beleuchtete sie unterschiedliche Strategien humanistischer Autoren zur Wissensvermittlung an die intendierten Rezipienten und stellte den sprachlich prägnanten Charakter dieser Literatur, eine fingierte Oralität und funktional unterschiedlich verwendete Bilder, aber auch Tiere als Protagonisten in Erzähltexten heraus.

Anhand von historischen Bucheinbänden demonstrierte HOLGER NICKEL (Berlin) in seinem Vortrag exemplarisch am Beispiel Frankfurt an der Oder einen vielversprechenden Zugriff auf die Sozialgeschichte des Humanismus unter ökonomischen Vorzeichen. So ließen sich über das Auffinden Frankfurter Druckerzeugnisse in anderen Gegenden, so Nickel, Aussagen über Handels- und Gelehrtenbeziehungen treffen, welche die ökonomischen Strukturen um 1500 und den sozialen Netzwerkcharakter in Ansätzen konturierten. Nickel arbeitete damit zwar die Relevanz historischer Einbände als Indiz für ökonomische und soziale Beziehungen zwischen den im literarischen Feld tätigen Akteuren und Druckern heraus. Allerdings ließ er offen, welche Konsequenzen sich aus seinen Beobachtungen speziell in Hinsicht auf das Konzept vom ‚deutschen Humanismus‘ ergeben.

Eine deutlich stärkere Anbindung an den Humanismus und sein Programm stellte WOLFGANG SCHMITZ (Köln) in seinem auf den Kölner Raum bezogenen Vortrag vor, indem er aus regionaler Perspektive die Produktionsseite fokussierte, um das „spezielle Profil des Kölner Humanismus“ als Kristallisationspunkt humanistischer Produktivität vor allem des 15. Jahrhunderts herauszuarbeiten. Hierbei wies er sehr detailliert auf das für Köln als Druckort feststellbare und thematisch sehr breit angelegte Druckprogramm hin, welches sich über profane (Seneca, Ovid, Terenz, Vergil, Cicero und andere) und christliche (Chrysostomos, Augustinus, Boetius und andere) Autoren des Altertums bis hin zu italienischen (Piccolomini, Bruni, Petrarca und andere) und deutschen (Wimpfeling, Busche, Reuchlin und andere) Renaissance-Autoren erstreckte und in welchem sich humanistische Programmatik thematisch besonders gut fassen lasse. Er wies in seinem Vortrag auch auf das spannungsvolle Verhältnis der Offizin des Ulrich Zell zur Kölner Universität hin und konnte zeigen, dass die in Köln gedruckten Klassikerausgaben als Reflexe auf zeitgenössische Impulse zunehmend einem humanistischen Publikum zugedacht wurden und insofern Ausdruck einer unter humanistischen Vorzeichen gesetzten Professionalisierung waren, wofür insbesondere temporäre Aufenthalte von Humanisten in Köln ausschlaggebend gewesen seien. Anhand der ökonomischen Erwägungen, an welche die in Köln verlegten Drucke geknüpft seien, sowie an den von den Kölner Druckern gepflegten engen wirtschaftlichen Beziehungen nach Frankreich, den Niederlanden und England demonstrierte Schmitz, dass das Konzept vom ‚deutschen Humanismus‘ hier zumindest nicht zu greifen scheint.

JÜRGEN GEISS (Berlin) verlagerte den Schwerpunkt seines Vortrages zu Anton Kreß auf die rezeptive Ebene humanistischer Literatur und versuchte auf diese Weise Kreß als „Humanisten zweiter Reihe“ zu etablieren, ohne genauer zu benennen, was er darunter verstehe. Dazu erstellte er aus Kreß’ Nachlass ein Büchersammlungsprofil, welches er mit Schedel und Peutinger statistisch abglich, um dann zu einem positiven Ergebnis zu gelangen. So sei Kreß vor allem ein „pragmatischer und berufspraktischer Humanist“ gewesen, der selbst nichts Humanistisches produziert habe. Damit schwächte Geiß den Aspekt der Produktivität als ein vielleicht wesentliches Kriterium für humanistische Zugehörigkeit ab und substituierte ihn mit dem Aspekt der Rezeption von Literatur humanistischer Provenienz. Dadurch deutete er das repräsentative Potenzial einer mit humanistischer Literatur angereicherten Büchersammlung an, scheinbar allerdings ohne zu bedenken, dass es mehr ein Indiz und weniger ein Kriterium für eine sich als elitär begreifenden Gruppe sein kann, die sich gerade über die literarische oder editorische Produktivität definierte.

ESTEBAN LAW (Berlin) konzentrierte sich in seinem Vortrag auf Johannes Regiomontanus (1436-1476) als eine wichtige fränkische Druckergestalt des 15. Jahrhunderts und wählte als Ausgangspunkt seiner Untersuchung dessen Verlagsanzeige, deren mathematisch und physikalisch ausgerichteten Schwerpunkt er hervorhob. Darin äußerten sich Reformtendenzen sowie der Anspruch auf die Vermittlung von Universalwissen, die eine Nähe zum humanistischen Programm aufwiesen. Die Verlagsanzeige zeuge, so Law, vom Selbstverständnis des „Pioniers der Inkunabelzeit“ als Handschriftensammler und kompetenter Philologe, der die Notwendigkeit neuer Editionen und Übersetzungen von Handschriften griechischer und römischer Autoren der Antike mit naturwissenschaftlichen Themen einerseits gerechtfertigt und sich damit als Akteur des humanistischen Netzwerkes imaginiert habe. Eine Verhältnisbestimmung aber von humanistischer Programmatik, ökonomischen Erwägungen und Selbstinszenierungsstrategien bei der Wahl der Verlagsthemen wurde nicht angestellt.

MATTHIAS THUMSER (Berlin) setzte in seinem Vortrag zu der von Albrecht von Eyb verfassten „Margarita poetica“ den Schwerpunkt auf den Medienwechsel von Autograph (1459) zu Druck (1472) sowie auf die Funktion der Drucklegung der „Margarita poetica“, indem er nach den in ihr vermittelten Inhalten fragte. Als ein wichtiges Ergebnis seines sehr detailliert auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeiteten Vergleichs zwischen Autograph und Druck stellte Thumser fest, dass der Druck in vielerlei Hinsicht hinter der Handschrift der „Margarita poetica“ qualitativ zurückbleibe und im Druck das Autograph imitiert werde. Mit Bezug auf die Inhalte stellte er fest, dass die „Margarita poetica“ von vornherein auf einen humanistisch interessierten Rezipientenkreis zugeschnitten gewesen sei. So betonte Thumser den „missionarischen Impetus“ des Werkes, welcher sich im Grundanliegen manifestiere, „das humanistische Gedankengut in Deutschland zu implementieren“. Dieses Anliegen habe sich mit den ökonomischen Vorteilen einer Drucklegung gedeckt, um einen höheren Rezeptionssgrad zu erreichen. Die Editio Princeps der „Margarita poetica“ bei Johannes Sensenschmidt sei daher eine Mischung aus ökonomischen und humanistisch-strategischen Erwägungen, die mit den technologischen Fortschritten zeitlich zusammenfielen.

In seinem Vortrag zu Dürers „Vier Büchern von menschlicher Proportion“ (Nürnberg, Hieronymus Andreae 1528) untersuchte BERTHOLD HINZ (Kassel) die Genese, den Inhalt, mögliche Vorbilder, die Wirkungen sowie den Wert des Werkes als Form wissenschaftlicher Literatur in der Frühen Neuzeit. In Bezug auf Anlass und Motivlage formulierte Hinz, dass die Schriftlichkeit des Buches eventuelle Gefahren, die sich aus der reformatorischen Bilderfeindlichkeit hätten ergeben können, zu umgehen beabsichtigt habe. Hinz betonte die Pionierleistung Dürers im deutschsprachigen Gelehrtenfeld und stellte dabei besonders die Konkurrenz zu italienischen Vorbildern heraus. Dürers Leistung manifestiere sich besonders in der Thematisierung menschlicher Proportionen sowie in der geschlechtsspezifischen Differenzierung derselben, da dies von den italienischen Vorbildern wie Leon Battista Alberti (1404-1472) nicht in Erwägung gezogen worden sei. Daher bezeichnete Hinz Dürers Werk als „erstes Opus seiner Art“ und charakterisierte die sprachliche Gestaltung als „Fachprosa“ mit „nationaler Zielsetzung“. Allerdings wies er darauf hin, dass Dürer sich in Hinsicht auf den intendierten Leserkreis (Fachleute, fachlich versierte Akademiker) offensichtlich „verkalkuliert“ habe. Erst die von Joachim Camerarius d. Ä. 1532 (Nürnberg) angefertigte Übersetzung ins Lateinische habe den Durchbruch des Werkes ermöglicht und einen größeren und intellektuellen Rezipientenkreis erreicht, so dass Dürer zunehmend als Autorität profiliert werden konnte.

In ihrem Vortrag demonstrierte ASHLEY WEST (Philadelphia) unterschiedliche Funktionsweisen und -potenziale von Bildern in humanistischen Büchern im deutschsprachigen Gebiet. Ausgangspunkt war ihre Annahme, dass bildliche Darstellungen nicht nur den jeweiligen Text oder das Buch, in welchem sie auftreten, illustrieren, sondern darüber hinaus eine ‚persönliche‘ Beziehung zwischen Buch und (humanistischem) Besitzer inszenieren können. Am Beispiel von Willibald Pirckheimer (1470-1530) skizzierte West, dass die in Büchern von Humanisten eingefügten Bilder auch als „marks of ownership“ fungierten, um eine „personalization of books“ zu erzielen, da die Besitzer daran interessiert gewesen seien, ihre Bücher mit visuellen Mitteln aufzuwerten und sich in ihnen gewissermaßen zu implementieren. West wies zudem daraufhin, dass derartige Illustrationen in Büchern extratextuelle humanistische Interessen bildlich demonstrieren können, indem sie das antiquarische Interesse (zum Beispiel das Sammeln von Handschriften und Münzen) ihrer Besitzer hervorheben. Indem West schlussfolgerte, dass die Bilder, die von Künstlern entweder mit dem Druck zusammen oder (wie im Falle Pirckheimers und Dürers) erst im Nachhinein erstellt worden seien, zugleich Ausdruck der engen Kollaboration zwischen Humanisten und Künstlern sei, konnte sie mit ihrem kunsthistorischen Ansatz an sozialgeschichtliche Aspekte des Humanismus anknüpfen.

BEAT VON SCARPATETTI (Basel) stellte im Rahmen seines Vortrags die Privatbibliothek des Johannes Heynlin/Johannes de Lapide (1430-1496) vor, die ein „versiegelter Roman“ sei, den er nun erstmals öffentlich zu enthüllen versprach. Scarpatettis Idee bestand darin, ausgehend von Heynlins Privatbibliothek und ihrem Inventar sowie den wenigen über Heylins Vita bekannten Informationen Rückschlüsse auf die Biographie Heynlins sowie das Verhältnis zwischen Spätscholastik und Frühhumanismus ziehen zu können. Er postulierte, dass sowohl Heynlins Privatbibliothek als auch dessen Leben von der Scholastik und dem Humanismus gleichermaßen geprägt seien, die sich zwar theoretisch dichotomisch gegenübergestanden hätten, nicht aber in der „Alltagsrealität“. So konnte Scarpatetti das ‚humanistische Paradoxon‘ konturieren, dass Humanisten sich zwar programmatisch an der Antike orientieren und vom Mittelalter distanzieren, trotzdem aber in einer intellektuellen Tradition des (Spät-) Mittelalters stehen. Heynlin sei jedenfalls, so Scarpatetti, ein „vom Frühhumanismus eingenommener Scholastiker“ gewesen, wie sich an der Bibliothek erkennen lasse, da sich dort nur gezielte Anschaffungen finden ließen und Heynlin den Inhalt und somit das sich in den von ihm beschafften Büchern manifestierende Wissen seiner Bibliothek beherrscht habe.

MARTIN WAGENDORFER (Wien) wählte in seinem Vortrag die Rezeptionsperspektive auf das Tagungsthema, indem er von der Annahme ausging, dass der österreichische Humanismus erst im Verhältnis zu den Büchersammlungen im Wiener Raum besser verstanden werden könne. Zu diesem Zweck suchte er besonders nach humanistischen Büchern in diesen Büchersammlungen. Als Herangehensweise schlug Wagendorfer vor, eine Auswertung der österreichischen Bibliothekskataloge vorzunehmen, weil sie vollständig erschlossen seien. Wagendorfer führte seine Überlegungen exemplarisch an zwei Bibliotheken vor: den Schwerpunkt legte er auf die Bibliothek von Johannes Bolzenmacher, die er anhand von dessen Testament rekonstruierte. In einer sehr pointierten biographischen Skizze zu Johannes Bolzenmacher (Tod 1453/4) wies Wagendorfer auf dessen Nähe zum Hofe Friedrich III. sowie sein intensives Verhältnis zum Schottenstift hin, konzedierte aber auch, dass aus biographischer Sicht zunächst keine Verbindung zum Wiener Humanismus ersichtlich sei. Erst durch eine systematische Untersuchung Bolzenmachers Testament konnte Wagendorfer das Bibliotheksinventar soweit rekonstruieren, dass er für dieses humanistische Bücher nachweisen konnte: zumindest ein humanistisches Interesse sei für Bolzenmacher anzunehmen. In einem zweiten Zugriff fokussierte Wagendorfer die Bibliothek Georg von Peuerbachs (1423-1461) und fand auch hier Schriften Senecas, Quintilians, Piccolominis, Lorenzo Vallas und Laktanz’, die ein humanistisches Interesse attestierten. So erbrachte Wagendorfer für die österreichische Rezeption humanistischer Schriften den Nachweis, ohne eine konkrete Anbindung an den österreichischen Humanismus herzustellen.

NICOLE SCHWINDT (Trossingen) richtete den Blick auf die Musikkultur am Hofe Kaiser Maximilians I. und demonstrierte die Synergieeffekte zwischen deutscher und humanistischer Liedkultur. Ziel ihres Vortrags war es, die von der Forschung konstatierte Dichotomie ‚Humanistenode versus weltliches Lied‘ kritisch zu hinterfragen und eine Engführung der beiden Bereiche nachzuweisen. Als Ausgangspunkt wählte sie Drucke und Handschriften, in denen die musikalische Liedkultur greifbar werde. Schwindt konstatierte nach einer knappen Skizze der technologischen Entwicklung des besonders im 16. Jahrhundert quantitativ zunehmenden Liedbuchdrucks, dass das Liedbuch mit dem 16. Jahrhundert zum „Massenmedium“ avanciert sei. In einem weiteren Schritt demonstrierte sie exemplarisch am thematischen Repertoire der Musikbücher Kaiser Maximilians den hohen Durchdringungsgrad humanistischer Interessen. Schwindt zog dafür zunächst ein für den Reichstag von 1518 angefertigtes Exemplar heran, dessen repräsentative Funktion sie aufgrund kalligraphischer Ausgestaltung und graphischer Dekorationen nachweisen konnte, und kontrastierte es mit einem Gebrauchsexemplar desselben. Im ersten ließen sich unter anderem Vertonungen Horaz- und Celtis-Oden nach Petrus Tritonius Athesinus (1465-1525) sowie ein ausführlicher Titel und ein umfangreiches Register finden. Es markiere das humanistische Bestreben um bildungsprogrammatische Vollständigkeit und zeige keine explizite Praxisorientierung, im Gegensatz zu dem aufgrund seines kleineren Formats handhabbaren und funktionalen Exemplar, welches nur einen kurzen Titel besitze, weder Bilder noch Register enthalte und in welchem darüber hinaus alle Stimmen jeweils einzeln mit Text unterlegt und Fehler ausgebessert seien. Daraus zog sie den Schluss, dass über personelle Schaltstellen, wie in der Hofkapelle oder der Druckerei von Erhart Öglin, humanistische Interessen und ‚die deutsche Liedkultur‘ koexistiert hätten und der Humanismus dabei zu einer applizierbaren Projektionsfläche geraten sei.

EBERHARD NEHLSEN (Oldenburg) beleuchtete die Entstehung von Liedflugblättern und Liedflugschriften bis 1550. Er arbeitete insbesondere das Dekor, die Sprache und Textgestaltung sowie die Möglichkeiten zur musikalischen Intonation heraus und zeigte, dass die für die Drucke verwendeten Illustrationen häufig bereits vorher bestanden und nur einen losen thematischen Bezug zum Text aufwiesen. Daher konstatierte er, dass sie als „Blickfang und Kaufanreiz“ gedient hätten, und formulierte das Desiderat einer systematischen Untersuchung der Illustrationen. Als wichtiges Instrumentarium zum besseren Verständnis der Liedflugblätter und Liedflugschriften benannte Nehlsen die Paratexte, da in ihnen unter anderem Informationen zum Liedinhalt vermittelt und Hinweise zu Tonangaben sowie zur Melodie gegeben seien. Mit Blick auf die Paratexte wies er darauf hin, dass unterschiedliche Techniken (Noten, Tonangaben, Verweis auf den Anfang oder Titel eines bekannten Liedes) zur Anwendung gekommen seien, um dem Rezipienten einen möglichst einfachen musikalischen Zugang zu bieten, und demonstrierte insofern wissenschaftsgeschichtliche und kultursoziologischen Möglichkeiten zur produktiven Auswertung von Liedflugblättern und Liedflugschriften.

VALENTINA SEBASTIANI (San Domenico di Fiesole) perspektivierte in ihrem Vortrag „the practical side of making books“, indem sie mit Johannes Froben (1460-1527) einen der wichtigsten Buchdrucker des frühen 16. Jahrhunderts im deutschsprachigen Gebiet in den Mittelpunkt ihrer Darstellungen rückte und nach den Motiven fragte, die Erasmus von Rotterdam, „the prince of humanist influence“, dazu veranlassten, Froben das Privileg, seine Werke zu veröffentlichen, zu übertragen. Ihr besonderes Interesse galt dabei der Annäherung zwischen Froben und Erasmus infolge der von Froben 1513 in Basel edierten „Adagia“ des Erasmus. Hierbei stellte sie heraus, dass Frobens „technical skills“, welche sich in einer ausdifferenzierten Setzung von Marginalien deutlich zeigten, einen wichtigen Aspekt dafür dargestellten. Darüber hinaus konstatierte Sebastiani die Sonderstellung Basels, indem sie die Beziehungen der Offizin Amerbach/Froben zu anderen Humanisten wie Sebastian Brant herausstellte und als „intellectual community“ charakterisierte. So gelang es ihr, Basel als wichtigen humanistischen Kristallisationspunkt im deutschsprachigen Raum herauszuarbeiten und zugleich sozialgeschichtliche, ökonomische und technologische Faktoren gleichermaßen zu berücksichtigen.

REGINA TOEPFER (Frankfurt am Main) dagegen fokussierte in ihrem Vortrag die Perspektive Johannes Frobens und fragte nach der Bedeutung und den unmittelbaren Auswirkungen der Zusammenarbeit Frobens mit Erasmus, der ein europäisches Programm des Humanismus vertreten habe, das sie mit Blick auf Erasmus’ „Adagia“ herausarbeitete und dabei das Postulat des erasmischen Programms, „den Dienst an der Wissenschaft“, herausstrich. Der 1508 von Aldus Manutius (1449-1515) erstellte Druck der „Adagia“, den Erasmus besonders wegen seiner ausgefeilten Schrifttypen lobte, sei von Froben 1513 in Basel imitiert worden und habe auf Erasmus großen Eindruck gemacht. Nach Manutius’ Tod sei es zu einer Annäherung zwischen Erasmus und Froben gekommen, aus deren Zusammenarbeit sich neue Synergie-Effekte für das humanistische Druckprogramm ergeben hätten. Indem Toepfer betonte, dass Erasmus’ Ankunft in Basel letztlich ausschlaggebend für Frobens Druckprogramm antiker Schriftsteller gewesen sei, infolge dessen sich Froben sogar als Mitglied des humanistischen Netzwerkes („Frobenius noster“) habe profilieren können, kombinierte sie den biographischen Zugriff mit Produktions- und sozialgeschichtlichen Faktoren.

ARMIN SCHLECHTER (Speyer) fragte nach dem Verhältnis von Medialität und Rezeptionserfolg, indem er anhand ausgewählter Werke das Verhältnis Johannes Trithemius’ (1462-1516) sowohl zum Buchdruck als auch zur (mittelalterlichen) Handschriftentradition skizzierte und rezeptionsstrategische Erwägungen Trithemius’ berücksichtigte. Dabei zeigte Schlechter mit Blick auf „De laude scriptorum“ (1492), dass Trithemius mit seiner Kritik am Buchdruck und seinem Lob an den „überlieferungshistorischen“ Leistungen der Klöster sowie insbesondere der Benediktiner einen „Gegenentwurf zu Erasmus“ konzipiert habe. Trithemius habe besonders die handschriftliche Tradition zu verteidigen versucht und eine kulturelle Rehabilitierung der Klöster beabsichtigt, worin Schlechter eine „Abkehr vom Humanismus“ sah. Schlechter schlussfolgerte daraus, dass sich aus der Frage der Medialität Rezeptionsziele ableiten ließen, und konstatierte für die Handschriften, dass sich in ihnen die persönliche Beziehung zwischen Autor und Rezipient besonders deutlich zeige. Als durchaus diskussionswürdig stellte sich Schlechters Anmerkung heraus, dass Trithemius’ „De origine gentis Francorum compendium“ (1514) lediglich als „Unterhaltungsliteratur“ zu verstehen sei, da es weniger um das Historische, als vielmehr um die Verehrung der fränkischen Könige gegangen sei.

SAVERIO CAMPANINI (Paris) konturierte sehr prägnant Flavius Mithridates’ Bedeutung für den deutschen Humanismus, da dieser ein „Hauptverantwortlicher für die christliche Kabbala des Humanismus“ sei. Campanini orientierte sich in seinen biographischen Ausführungen an Mithridates’ deutscher Reise und ihrer Bedeutung für das Profil eines deutschen Humanismus. Er stellte heraus, dass Mithridates gezwungen gewesen sei, „zwischen Flucht und Ehrung zu balancieren“, da er sich an sein jüdisches Erbe erinnern und die an der Hebräistik interessierten Studenten und Gelehrten unterrichten musste, zugleich aber auch gegen das Judentum polemisierte. So zeige sich in Mithridates’ Reflex auf die ihm zugetragenen Bedürfnisse humanistisch Interessierter, nach Campanini, ein „Humanismus à la carte“, da Mithridates sich „wie ein Chamäleon der (intellektuellen) Umwelt angepasst“ habe. Auf diese Weise skizzierte Campanini in seinem Vortrag nicht nur Mithridates’ Aufenthalt in Deutschland, sondern auch die Einflüsse sowie die Bedeutung der Hebräistik für den deutschen Humanismus.

Eine ebenso experimentelle wie produktive Form der Tagungskultur zeigte sich in der von den Veranstaltern angesetzten und von FALK EISERMANN (Berlin) geleiteten Podiumsdiskussion, an der HERBERT JAUMANN (Greifswald), JÖRG ROBERT (Würzburg), GERRIT WALTHER (Wuppertal) und ELKE ANNA WERNER (Berlin) teilnahmen. Dem Publikum war es darüber hinaus möglich, in Form von Fragen oder eigenen Beiträgen auf den Verlauf der Podiumsdiskussion einzuwirken oder selbst Impulse zu setzen. Die Podiumsdiskussion zielte thematisch darauf ab, den ‚deutschen Humanismus‘ als Forschungskonzept zu diskutieren sowie zentrale Begriffe und Ideen des Tagungsprogramms einer kritischen Prüfung zu unterziehen. In einem ersten Durchgang wurde auf dem Podium versucht, bestimmte Kriterien für ‚Humanismus‘ zu ermitteln. Die sich in der Podiumsdiskussion herauskristallisierenden Zugriffe changierten zwischen der Forschungsperspektive, welche nicht zuletzt durch Burckhardt und Joachimsen entscheidend geprägt sei, und der Selbstwahrnehmung bzw. -konstituierung der Humanisten. Dass sich diese beiden Perspektiven nicht immer stringent voneinander differenzieren lassen, zeigte sich in der Diskussion selbst. In der Forschungsperspektive gruppierten sich die Interessen der Rednerinnen und Redner vor allem um die Frage nach den für den Humanismus relevanten Medien (Briefe, Drucke, Handschriften, Verhältnis von Text und Bild, etc.) und ihren Funktionen für die soziale Praxis untereinander, wobei auf die sozialen Mechanismen, allen voran Inklusion und Exklusion, verwiesen wurde. Darüber hinaus wurden wesentliche Kernthemen und Diskurse des Humanismus (Traditionskritik, Traditionskonkurrenzen und Konstruktionen von Tradition; innovatio und renovatio; Negationsformen; das Verhältnis zur Antike; philologische Bestrebungen und ihre Funktion; Rhetorik; Archäologie etc.) sowie seine Politisierung als eine wichtige Tendenz diskutiert. Im Hinblick auf das Tagungsthema schlug Walther hierbei vor, den deutschen Humanismus an den italienischen anzulagern, da erst an dem Verhältnis von humanistischer Kultur und Heiligem Römischem Reich Deutscher Nation „der deutsche Sonderweg“ zu erkennen sei. Dagegen wurde ‚Humanismus‘ von Jaumann als in erster Linie europäisches Phänomen eingestuft, ohne dass er die europäische Ausformung von Humanismus mit seinen nationalen Ausprägungen in Betracht zog. HARALD MÜLLER (Aachen) betonte zu Recht die thematische und diskursive Variabilität, indem er den Humanismus als „Blackbox“ charakterisierte. Im Hinblick auf die Selbstwahrnehmung und -konstituierungen von Humanisten (Krisenbewusstsein; Renaissance-Bewusstsein) wurden zudem die Fragen nach einer zeitgenössisch nationalen Vereinnahmung diskutiert, und welche diesbezüglichen thematischen Ausrichtungen sich in den Werken dieser Humanisten oder Humanistenkreise finden lassen. Dabei zeichnete sich die Tendenz ab, insbesondere allgemeine Kriterien von ‚Humanismus‘ (Themen, Diskurse, Motive, soziale Gruppierungen, etc.) zu ermitteln. Weniger berücksichtigt wurde dagegen, ob Humanismus unter nationalen Vorzeichen in bestimmten Textgattungen (wie bspw. der Historiographie) eine besondere Ausprägung fand, und ob deutsche Humanisten durch ihre Zeitgenossen als solche auch wahrgenommen wurden. Derartige Fragen hätten zur Schärfung und Fundierung des Tagungskonzeptes sicher einen produktiven Beitrag geleistet.

Mit seinem Vortrag zu Agrippa von Nettesheim (1486-1535) und dessen Schrift „De occulta philosophia“ fokussierte WILHELM SCHMIDT-BIGGEMANN (Berlin) das Tagungsthema von der Produktionsseite. Nach einem biografischem Überblick skizzierte er den Inhalt des Werkes, um auf dieser Grundlage eine angemessene Werkcharakterisierung vorzunehmen und daraus inhaltliche Potenziale der Schrift im Hinblick auf das Konzept von Magie abzuleiten. Als wesentlichen Aspekt hob er dabei besonders die „Kraft vom Gedachten zum Realen“ heraus. Dass von Nettesheims „De occulta philosophia“ bereits zeitgenössisch intensiv rezipiert und diskutiert wurde, konnte Schmidt-Biggemann in seinem Vortrag deutlich zeigen, indem er auf die dreifache Drucklegung in Antwerpen, Köln und Paris (1530-33) sowie die 1530 erlassene Zensur hinwies. Bezüglich des Tagungsthemas betonte er den humanistischen Charakter des Werkes, welcher sich besonders in der Auswahl antiker Referenzquellen (zum Beispiel Apuleius, Vergil, Platon) für den magischen Kanon der Schrift manifestiere. Insofern gelang es Schmidt-Biggemann, die Inhalte des Werkes mit den Produktions- und Rezeptionsaspekten zu verknüpfen und dadurch humanistische Tendenzen auszuloten.

Im Abschlussvortrag führte HARALD MÜLLER (Aachen) einige Fäden der Tagung produktiv zusammen und fokussierte die sich in den von den Humanisten in Anspruch genommenen Medien ‚Brief‘ und ‚Buch‘ äußernde soziale Praxis. Er stellte heraus, dass „Buch und Humanismus nicht zu trennen“ seien, was nicht zuletzt der gruppenkonstitutiven Funktionalität der Medien Buch und Brief geschuldet sei. Daher dienten, so Müller, die Briefbücher – „als gestaltete, dauerhafte Form des Panoramas ausgewählter sozialer Kontakte“ – der Inszenierung sozialer Zugehörigkeit. Insofern seien die Briefe ein gruppenspezifisches Medium der Humanisten zur „virtuellen Gemeinschaftsbildung“, in denen soziale Praktiken wie Exklusion und Integration sichtbar würden. Müller arbeitete aus ihnen weiterhin das Verhältnis von Humanisten zu antiken „Referenzausgaben“ heraus und wies darauf hin, dass solche Editionen im humanistischen Verständnis den antiken Autoren selbst entsprächen: die physische und intellektuelle Aneignung dieser Bücher komme daher der Inbesitznahme der antiken auctores gleich und diene als Signal kultureller Kompetenz.

Insgesamt konnten alle Tagungsbeiträge, die durchaus thematisch und methodisch weit gefächert waren, unabhängig von ihrer Nähe oder Ferne zum Tagungsthema wichtige Problemfelder aufzeigen, welche den Humanismus als europäisches und nationales Phänomen flankieren. Auch wenn trotz der außerordentlichen thematischen Vielfalt der Beiträge einige implizite Aspekte des Tagungsthemas unbesetzt blieben, konnten doch einige Desiderate formuliert, wichtige Eckpunkte markiert und darüber hinaus vermeintliche Peripherien der Humanismusforschung als wichtige Komponenten konturiert werden.

Konferenzübersicht:

Generaldirektorin Barbara Schneider-Kempf (Berlin): Begrüßung

Eef Overgaauw (Berlin): Die Einführung der humanistischen Schrift in Italien und in Deutschland

Pia Rudolph (München): Der künstliche Blick oder Wie die Erfindung des Buchdrucks neue Sehgewohnheiten generierte

Johannes Klaus Kipf (München): Gewitzte Herrscher in Handschrift, Druck, Kommentar und Übersetzung. Antonio Beccadellis Dicta et facta Alfonsi regis Aragonum in Deutschland

Laurent Naas (Sélestat): Le rôle de la bibliothèque paroissiale de Sélestat dans l'essor de l'humanisme en Alsace

Carola Pohlmann (Berlin): Die Herausbildung einer eigenständigen Kinder- und Jugendliteratur in der Zeit des Humanismus

Holger Nickel (Berlin): Historische Einbände als Indiz: Frankfurt/Oder um 1500 als Buchhandelszentrum. Ein Zwischenbericht

Wolfgang Schmitz (Köln): Köln als Druckort humanistischer Literatur im 15. Jahrhundert

Jürgen Geiß (Berlin): ‚Litterae humanitatis, nit groß(?).‘- Humanistisches in der Büchersammlung des Nürnberger Juristen Anton Kreß (1478-1513)

Esteban Law (Berlin): Der deutsche Humanismus, die Naturwissenschaften und das neue Medium. Zum Verlagsprogramm des Johannes Regiomontanus

Matthias Thumser (Berlin): Albrecht von Eyb und seine Margarita poetica. Ein Standardwerk auf dem Weg in den Druck

Berthold Hinz (Kassel): Dürers Vier Bücher von menschlicher Proportion. Vom Beginn deutscher Wissenschaftsliteratur in der Frühen Neuzeit

Ashley West (Philadelphia): Art of the Book: The German Pastoral and Antiquarianism

Beat von Scarpatetti (Basel): ‚Ex libris Johannis de Lapide‘(circa 1430-1496). Die schönste und hintergründigste Privatbibliothek am Oberrhein

Martin Wagendorfer (Wien): Der österreichische (Früh-)Humanismus im Spiegel von Büchersammlungen des 15. Jahrhunderts

Nicole Schwindt (Trossingen): Maximilians deutsche und lateinische ‚asmatographi‘. Zur musikalischen Liedkultur in Druck und Handschrift um 1500

Eberhard Nehlsen (Oldenburg): Liedflugblatt und Liedflugschrift - Die Entstehung neuer Medien

Valentina Sebastiani (San Domenico di Fiesole): The Privilege of Publishing Erasmus. Johannes Froben (1460c.-1527), a Basle Printer

Regina Toepfer (Frankfurt am Main): ‚Imitatio et Aemulatio‘ jenseits der Alpen. Erasmus, die Offizin Froben und der Basler Antikedruck

Armin Schlechter (Speyer): Johannes Trithemius und der Buchdruck

Saverio Campanini (Paris): Mithridates´ deutsche Reise. Humanismus und Hebraistik zwischen Flucht und Ehrung

Podiumsdiskussion „Der deutsche Humanismus – ein Konzept auf dem Prüfstand“:
Herbert Jaumann (Greifswald), Jörg Robert (Würzburg), Gerrit Walther (Wuppertal) und Elke Anna Werner (Berlin); Moderation: Falk Eisermann (Berlin)

Wilhelm Schmidt-Biggemann (Berlin): Agrippa von Nettesheims De occulta philosophia

Harald Müller (Aachen): Buch und Brief als Mittel humanistischer Identitätsbildung