Prague as Represented Space

Prague as Represented Space

Organisatoren
Marek Nekula, Universität Regensburg; Jindřich Toman, University of Michigan
Ort
Regensburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
27.05.2011 - 28.05.2011
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Von
Christiane Brenner, Collegium Carolinum

1848 erschien Karel Vladislav Zaps „Wegweiser durch Prag: ein nothwendiges Handbuch für Fremde, die sich mit den Merkwürdigkeiten der böhmischen Hauptstadt bekannt zu machen wünschen“. Dieses umfangreiche Werk sollte Bewohner und Besucher dazu anleiten, die Stadt zu Fuß zu erkunden und ihre Struktur und verschiedenen Viertel, Plätze und bedeutenden Bauwerke kennenzulernen. Zwar kam in Zaps detaillierten Beschreibungen auch das moderne Prag vor, doch ging es ihm vor allem darum, Prag als „Essenz der Geschichte“ zu präsentieren. In seinem Vortrag „Before the Flaneur“ stellte Chad Bryant (University of North Carolina) Zeugnisse der Beschäftigung mit der Topografie Prags vor. Der zeitliche und thematische Horizont reichte dabei von den Bemühungen der Aufklärungszeit, die Bebauung möglichst detailliert zu verzeichnen, über Reiseführer für erste bildungsbeflissene Touristen bis hin zu den Beobachtungen flanierender Intellektueller, die sich von einer scheinbar zufälligen Entdeckung zur nächsten treiben ließen. Dieser Spaziergang durch Prag und dessen Verwandlung zu einer „nostalgischen Stadt der Vergangenheit“ durch Texte wie die Zaps, eröffnete die Tagung „Prague as Represented Space“, die am 27. und 28. Mai 2011 an der Universität Regensburg stattfand. Ziel der Veranstalter, Marek Nekula und Jindřich Toman, war es, verschiedende Repräsentationen und Deutungen Prags seit dem 18. Jahrundert zu reflektieren. Das Konzept der „represented spaces“ sollte eine erweitere kulturhistorische Betrachtung ermöglichen: „Raum“ im wörtlichen und im übertragenen Sinn kann gefüllt werden – oder auch leer bleiben. Er kann durch Stadtplanung und Architektur, Literatur, Film und Fotografie ebenso wie durch alltägliche Aktivitäten und außerodentliche Aktionen definiert werden, wobei diese Interpretationen immer wieder aufs Neue verhandelt und gegenläufige Sichtweise nicht immer aufgelöst werden müssen.

So ging es in den ersten Vorträgen um gewünschte, unerwünschte und paradoxe Konnotationen und Verbindungen: CHRISTOPHER LONG (Austin, Texas) zeigte, wie der Architekt Josef Plečnik auf Wunsch des ersten Präsidenten der Tschechoslowakei, Tomáš G. Masaryk, Elemente der griechischen Klassik in Bauten auf der Prager Burg aufnahm. NANCY WINGFIELD (Northern Illinois University) berichtete von den Versuchen, Prostitution in der Stadt zu kontrollieren oder aus dieser zu verbannen – namentlich Masaryk machte sich für die Abschaffung der regulierten Prostitution stark, weil er es inakzeptabel fand, dass Prostituierte keine Bürgerrechte hatten. DEREK SAYER (Lancaster) präsentierte Prag als „Hauptstadt des Surrealismus“ und die – mitunter widersprüchlich erscheinenden – Bezüge und Verbindungen der Surrealistenszene zu den Epigonen der „nationalen Wiedergeburt“ einerseits, Künstlern wie Max Ernst und André Breton andererseits.

Die nächsten beiden Vorträge waren dem Film gewidmet: Während MICHAL BREGANT (Prag) die Entwicklung von ersten Sekundenfilmen, die Szenen auf Prager Straßen festhielten, zur filmischen Dokumentation mit politischer Botschaft skizzierte, stellte INES KOELTZSCH (Prag) die Kinos auf dem Prager Wenzelsplatz als übernationale Erinnerungsorte vor, als Plätze der sozialen Segregation und Institutionen modernen, schichtenübergreifenden urbanen Soziallebens zugleich.

In den Vorträgen von CATHLEEN GIUSTINO (Auburn, Alabama) und CYNTHIA PACES (New Jersey) ging es um die Gestaltung des städtischen Raums: Giustino vollzog die Jahrzehnte andauernden Diskussionen um den – schließlich erst in den 1970er-Jahren realisierten – Bau eines Parlamentsgebäudes in Prag nach. Alle Pläne, dieses auf dem Letná-Plateau zu errichten, scheiterten während der Zeit der Ersten Republik an Interessenkonflikten zwischen verschiedenen staatlichen Instanzen, stilistischen Präferenzen und Vorstellungen darüber, wie das Panorama der Stadt aussehen sollte. Eine ganz andere Form der Leere als die des unbebauten Platzes brachte Paces mit dem 2004 in der Josefstadt enthüllten Kafka-Denkmal in die Diskussion ein: Die Statue Kafkas, der auf den Schultern eines leeren Anzuges reitet – womit sich der Künstler Jaroslav Róna auf die Novelle „Beschreibung eines Kampfes“ bezieht – soll die Leere symbolisieren, die die Generationen, die unter kommunistischer Herrschaft zum Schweigen verurteilt waren, bis heute in sich trügen. Ähnliche Motive wies Paces an anderen – nicht minder umstrittenen – Denkmälern wie dem für die Opfer des Kommunismus am Prager Újezd nach.

Die nationale Codierung städtischen Raums und die Institutionalisierung solcher der Inbesitznahmen erläuterte MAREK NEKULA (Regensburg) anhand des Begräbnisses von Václav Hanka: Der gewaltige Zug der Trauernden durch die Stadt zum Friedhof auf dem Vyšehrad konnotierte den einst ikonografisch ambivalenten Raum als eindeutig slawisch. Das Neue daran war aber nicht der Akt selbst, sondern dass dieser durch die Gründung des Vereines „Svatobor“ einen festen Rahmen erhielt, also plan- und kontrollierbar wurde, was einen qualitativen Sprung in der Konkurrenz um die Inbesitznahme der Stadt bedeutete. CLAIRE NOLTE (New York) verdeutlichte, wie nationale Festivals die Modernisierung der Stadt Prag beförderten – also die moderne Nation und ihre moderne Hauptstadt, die sich bei solchen Gelegenheiten selbstdarstellten, erst im Nachgang geschaffen wurden. Um die Gleichzeitigkeit von Tradition und Moderne in der Repräsentation der tschechischen Nation ging es auch bei VERONIKA TUCKER (New York), die die Prager Jubiläumsausstellung 1891 den tschechischen Beitrag zu internationalen Ausstellungen zwischen ländlicher Idylle und moderner Industrienation untersuchte.

PETER STACHEL (Wien) beschrieb zentrale Plätze in Prag, Budapest und Wien als mehrfach überschriebene Erinnerungsorte. Um ein Vielfaches fluider sind die Zeichen, die OTTO URBAN (Prag) präsentierte: Vom „Rosa Panzer“ in Smíchov über die Happenings auf dem seit dem Abbruch der Stalin-Statue zu Beginn der 1960er-Jahre leeren Letná-Plateau, provozierende Plakataktionen, dem Spiel mit Markenlogos und Graffiti: Die Kunst, die Urban zeigte, ist überwiegend nicht für lange Dauer gemacht, sie will verstören, irritieren, amüsieren und ist in ihrer radikalen Aktualität ebenso voller Anspielungen auf die tschechische Geschichte und Gegenwart wie übernational.

KIMBERLY ELMAN-ZARECOR (Iowa State) ging dann zurück in die sozialistische Zeit. Sie skizzierte den Bau von Großsiedlungen in der Tschechoslowakei ab den 1960er-Jahren, wobei sie argumentierte, dass die Siedlungen am Horizont der Stadt Prag als konsequente Erweiterung der historischen Anlage und Ansicht Prag geplant worden waren. Auf die relativ kleinen, zentrumsnahen Siedlungen der 1960er-Jahre folgten in den 1970ern die gigantischen Neubaugebiete am Rand der Stadt, für die neue Formen des Bauens entwickelt und die als neue Art des Lebens propagiert wurden, so etwa – allerdings mit ironischer Brechung – in Věra Chytilovás Film „Panelstory“ aus dem Jahr 1979.

Die letzte Sektion der Tagung war den „Jewish Spaces“ gewidmet: MICHAEL MILLER (Budapest) sprach über den Tandlmarkt, auf dem Juden handeln durften, obgleich er nicht zur Judenstadt gehörte. Das war eine attraktive Alternative zur stark überfüllten Judenstadt. Der Tandlmarkt war ein Ort der Emanzipation, denn hier waren Juden für die nicht-jüdischen Prager sichtbar, aber auch ein Ort der Verfolgung, an dem sich vor allem in Krisenzeiten immer wieder Gewalt gegen Juden entlud. JINDŘICH TOMAN (Michigan) ging mit Bildern von jüdischen Friedhöfen wieder auf die Repräsentationsebene. Er machte den fließenden Übergang von romantischen Bilder, auf denen die Natur die Ruinenlandschaft des Friedhofs in der Josefstadt einhegt, zu exotisch-bedrohlichen Stimmungen sichtbar, die das „seltsame Grauen“ vermittelten, das die „andere Nation“ für die christliche Mehrheitsbevölkerung stets zu bedeuteten schien.

Den vorgestellten Ideen von Prag, den nie realisierten und wieder abgerissenen Bauwerken, den wechselnden Zuschreibungen und Vereinnahmungen, Bildern von der und Erinnerungen an die Stadt könnten sicher noch zahllose weitere hinzugefügt werden. Zwei Tage intensiver Debatten über verschiedene Repräsentationen haben vor allem die Offenheit verdeutlicht, die hinter dem allseits bekannten Abziehbild vom „goldenen Prag“ liegt und derer sich Stadtplaner, Politiker, Künstler und Bewohner auch oft in widersprüchlicher Art bedient haben.

Konferenzübersicht:

Topography

Chad Bryant, University of North Carolina: Before the Flâneur: Prague Walks and Topographies of Prague in the Early Nineteenth Century

The Center Space

Jindřich Vybíral, UMPRUM Praha: Prague’s Imperial Representation: The Castle

Christopher Long, University of Texas, Austin: Plecnik and King Minos: Archaism and Meaning in the Prague Castle Stair

Desire

Nancy Wingfield, Northern Illinois University: Mapping Prague as a Site of Sexual Desire in Late Imperial Austria

Derek Sayer, University of Lancaster: Surreal(ist) Prague

Movie Spaces

Ines Koeltzsch, NYU Prague: Going to Movies in Prague: Early Cinemas and Prague‘s Urban Space

Michal Bregant, FAMU Prague: Prague as a Space of Fiction in Early Documentary Films

Emptiness

Cathleen Giustino, Auburn University: Shadows on an Empty Plain: Czechoslovakia’s Missing Parliament Building and the Resistance of Space

Cynthia Paces, The College of New Jersey: The Theme of Emptiness in Post-Communist Prague Monuments

Action Spaces

Marek Nekula, Universität Regensburg: Constructing Slavic Prague through Funeral Festivities

Claire Nolte, Manhattan College: Celebrating Slavic Prague: Festivals and the Urban Environment, 1891-1912

Otto Urban, NYU Prague: Velvet Transgressions: Subversive Art in Prague Streets after 1989

Peter Stachel, Akademie der Wissenschaften, Wien: Political Spaces: Wenceslas Square in Prague, Hösök ter in Budapest and Heldenplatz in Wien

Spaces Lived And Imagined

Kimberly Elman-Zarecor, Iowa State University: Sídliště as a Constructed Environment and a Lived Experience in Metropolitan Prague

Veronika Tucker, Columbia University: Village in the City: Prague´s Jubilee and the Ethnographic Exhibitions

Jewish Spaces

Michael Miller, Central European University, Budapest: Out of the Ghetto: Jewish Vulnerability in Prague‘s Tandelmarkt

Jindřich Toman, University of Michigan/Alexander von Humboldt Stiftung: Making Sense of a Ruin: The Old Jewish Cemetery in Prague

General Discussion


Redaktion
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